Fünfzehn Jahre Blog – Digitaler Wandel als Zeitgeschichte

Durchblick – Bild: unsplash +

Fünfzehn Jahre sind ein Abschnitt der Zeitgeschichte. Solange betreibe ich jetzt diesen Blog – mittlerweile sind es knapp 200 Beiträge. Startpunkt war das Netnocamp bei der IHK Köln im September 2010.
Vorausgegangen war eine mit  Dreamweaver erstellte Website,  noch im Tabellen- Layout,  einige ältere  Texte (hier zu lesen) von dort habe ich übernommen .
Blogs waren einmal ein Kernstück der neuen digitalen Öffentlichkeit, man sprach von einer Netzkultur, bevor Social Media Plattformen diese Öffentlichkeiten übernahmen. 
Blogs bedeuten aber weiterhin die Unabhängigkeit, eigene Themen zu setzen, eine Personenmarke aufzubauen. Im besten Falle ein Autorenmedium, das eigenständige Publikation mit der Möglichkeit von  Vernetzung,  Diskussion und Akquise verbindet.
Den Titel Netnographie & Digitaler Wandel hatte ich damals adhoc vergeben. Die Themen haben sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt, abhängig von der Entwicklung der digitalen Welt und den eigenen Schwerpunkten. Durch den ganzen Blog zieht sich ein differenzierter soziologischer Blick auf die mit technischen Innovationen verbundene gesellschaftliche Entwicklung der  letzten Jahrzehnte – geschrieben in  einem essayistischen Stil.

Netnographie war 2008 / 2010 ein Thema der Stunde und schien als die der neuen Digitalen Öffentlichkeit angemessene Forschungsmethode.
Popularkultur hatte sich ins Internet verlagert. Digitale Subkulturen, neue Formen von Vergemeinschaft und ihre Bedeutung für das Marktverhalten standen im Vordergrund. Das Interesse an Netnographie entwickelte sich in diesem Zusammenhang rasch. Im Handbuch der Online- Forschung (2014) konnte ich einen längeren Beitrag dazu veröffentlichen. Eine Reihe kleinerer Beispiele (so zu Vegan, Overtourismus, Fairtrade) sind im Blog dokumentiert.
Fun- Fact: eine Zeitlang wurde ich oft von Studenten zu ihrer Abschlussarbeit kontaktiert, aber nie aus der Soziologie oder verwandten Fächern, so gut wie  immer aus der BWL.
Ganz durchsetzen konnte sich Netnographie in der deutschsprachigen Forschungslandschaft nicht. Der Name weckt Erwartungen auf einfache Art Consumer Insights zu gewinnen – eine eher technische, instrumentelle Sichtweise. Die Unterscheidung zum Monitoring, heute meist Listening genannt, fällt in der Praxis oft schwer, obwohl Monitoring auf datenbasierte Sammlung abzielt und Netnographie auf kulturelle Analyse.
Netnographie entstammt der Kulturanthropologie– ethnographic fieldwork im digitalen Raum. Mit einer Verankerung in den Diskursen der Consumer Culture Theory bzw. der Cultural Studies. Im deutschsprachigen Raum fehlt dieser Kontext oft.
Netnographie fällt so etwas zwischen die Stühle: Zu weich für datengetriebene Marktforschung, zu anwendungsorientiert für reine Kulturwissenschaft, zu anthropologisch für die deutsche Soziologie.
Die Entwicklung von Netnographie verfolge ich weiter, der aktuelle Stand ist nachzulesen.

Bild: Getty Images- unsplash+ +

Digitaler Wandel  und Digitale Transformation werden oft gleichgesetzt, bezeichnen aber Unterschiedliches. Wandel ist der allgemeinere Begriff für Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit vollziehen. Transformation hingegen meint tiefgreifende, strukturelle Umbrüche, bei denen Systeme, Institutionen und Praktiken neu gestaltet werden. Beide Begriffe markieren Leitlinien der Zeitgeschichte, in der technologischer, medialer und gesellschaftlich-kultureller Wandel eng miteinander verflochten sind.

Schübe der Digitalisierung wurden nicht erst mit dem Internet spürbar.  Bereits  Desktop- Publishing (etwa um 1990) war ein Schlüsselimpuls der digitalen Revolution im Medienbereich. Der Cyberspace, wie man damals das Internet nannte, wurde als experimenteller  Raum erlebt.
Zumindest zeitweise setzte sich das freie Internet der offenen Standards gegenüber einem Internet der Konzerne (damals das Netz der Portale) durch. Es blieb prägend für eine Kultur der Digitalität, in der sich die  Vorstellung eines gemeinsamen, dezentralen gesellschaftlichen Projektes herausbildete.  Das Web 2.0 war mit einer basisdemokratischen Aufbruchsstimmung verbunden, auf die bis heute immer wieder bezug genommen wird.

Seitdem haben eine ganze Reihe technischer Innovationen die digitale Entwicklung angetrieben, Das mobile Internet veränderte die Alltagskommunikation massiv, und ist heute kaum noch wegzudenken. Social Media kanalisierte die online- Kommunikation, machte  sie auslesbar.
Das Metaverse (2021/22) wurde v.a. von Konzernen angetrieben, fand aber letztlich in dieser Form keine ausreichende Resonanz. Der Entwurf eines räumlichen Internet setzt sich aber im Spatial Computíng fort. KI ist seit dem Start von ChatGPT Ende 2022 ein dominierendes Thema –  mit  noch nicht überschaubaren Wirkungen und Folgeerscheinungen.

Die Pandemie 2020/ 21  bedeutete einen grossen Einschnitt.  Unter welchen Bedingungen konnten sich digitale Medien mehr bewähren, als unter denen einer physischen Kontaktsperre? Ohne digitale Medien, wie Videochats, Live- Streaming etc. hätte sich kaum eine öffentliche Sphäre aufrecht erhalten lassen. Der kurzlebige Hype um Clubhouse im Corona- Winter 2021 verdeutlichte um so mehr eine Sehnsucht nach Austausch und Vernetzung, gerade in medienaffinen Branchen.

Der wahrscheinlich entscheidendste Einschnitt der letzten 15 Jahre war aber nicht Corona, auch nicht KI und sicher nicht das Metaverse, sondern die Landnahme der Plattformen, (sehr gut beschrieben von Michael Seemann in  Die Macht der Plattformen).  Sie bedeutete den Wechsel von einer offenen, dezentralen Innovationslogik (bottom-up) hin zu einer stärker kontrollierten, durchplanten und von wenigen zentralen Akteuren dominierten Struktur (top-down).
Es entstand ein – eingeschränkt – globaler Informationsraum mit zentraler Infrastruktur. Plattformen agieren darin als Intermediäre – sie vermitteln zwischen Nutzern und Anbietern und regulieren Zugang, Sichtbarkeit und Interaktion. Diesen Intermediären – den Big Tech-Giganten ebenso wie zunehmend den großen KI-Systemen – kommt faktisch eine Ordnungsmacht zu. Entscheidend ist die umfassende Erhebung, Auswertung und algorithmische Verarbeitung aller verfügbaren Daten.

Der Wandel bedeutet nicht den Übergang in einen neuen, stabilen Zustand, sondern verläuft kontinuierlich weiter – mit neuen Chancen und neuen Konfliktlinien. Wenig vorhersehbar in seinen konkreten Ausprägungen, aber in seinen gesellschaftlichen Zusammenhängen erklärbar.

Der Begriff Transformation geht zurück auf Karl Polanyis Konzept der Großen Transformation (1944) in dem  gesellschaftliche Umbrüche nicht nur als wirtschaftliche, sondern auch als politische und kulturelle Prozesse verstanden werden Diese kontinuierliche Transformation ist durch die Verzahnung technischer, kultureller und politischer Entwicklungen gekennzeichnet.  Polanyi wie auch Norbert EliasProzesssoziologie  können als fruchtbare Ansätze dienen, die sich auf aktuelle Entwicklungen übertragen lassen. Sie zeigen, wie sich in langfristigen Prozessen technologische Innovationen, ökonomische Interessen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse wechselseitig bedingen.

Mit der Prozesssoziologie von Norbert Elias hatte ich mich  seit dem Studium befasst, immer wieder fasziniert von dem Gedanken, sie auf laufende Entwicklungen zu beziehen. Neben die bei Elias herausgestellten Prozesse der Sozio- und Psychogenese – der Herausbildung von Gesellschafts- und Persönlichkeitsstrukturen lässt sich Technogenese hinzufügen – die wechselseitige Prägung von Technik und Kultur. Technische Infrastruktur/ Technokultur haben heute eine ganz andere Bedeutung für die gesellschaftliche Binnenstruktur als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Diese Prozesshaftigkeit – nicht die Wirkung einzelner Technologien, sondern ihre gesellschaftliche Einbettung – ist das eigentliche Über- Thema dieses Blogs. 

Die Relevanz soziologischer Theorien für das Verständnis der digitalen  Gegenwart habe ich in einem (verlinkten) Beitrag zusammengestellt. Darunter  auch  solche, die sich auf die Luhmannsche Systemtheorie beziehen, sowie die  Arbeiten von Andreas Reckwitz. Hinzuzufügen wäre noch die Bedeutung von Michel Maffesoli für das Konzept der Online- Tribes

Im letzten Jahr dominierten zwei Themen: KI/ AI und  die politischen Verwerfungen seit November 2024. Bei letzteren verweise ich auf meine Rezension zum Cyberlibertarismus und den  ausführlichen Text Tech- Faschismus – Ein Mash-Up als Machtsystem.

KI ist  seit knapp 3 Jahren ein geradezu epochales Thema. KI wird in der Breite genutzt, wahrscheinlich von vielen mehr, als offen zugegeben wird., Gleichzeitig ist sie ein boomendes Feld der Beratungs- und Fortbildungswirtschaft, steht aber auch in der Kritik als Piraterie des Wissens, Vermüllung des Internet und als Instrument neo- autoritativer Herrschaft. Im Unterschied zum Internet, das sich, zumindest zeitweise, bottom- up verbreitete, ging KI  von vornherein von einzelnen, grossen Konzernen aus. Die Perspektive der Anwender und Betroffenen – eine Sicht von unten– findet in der Debatte wenig Raum.
Das Buch von Frank Witt vermittelte mir mit dem markanten Bild der Sozialisation von Maschinen eine neue Sichtweise auf KI.  Mit dem Autor konnten wir kürzlich eine Buchvorstellung im Kölner Startplatz veranstalten, an die sich möglicherweise eine weitere Zusammenarbeit anschließen kann.

In meiner eigenen Arbeit habe ich zwei Begriffe zugespitzt:  Automatisierte Singularisierung soll die Paradoxie fassen, wie KI-Systeme massenhaft die gewünschten Einmaligkeiten produzieren – angelehnt an die Theorie der Gesellschaft der Singularitäten von Andreas Reckwitz. Gemeint ist die gezielte Erzeugung individueller Produkte und Erlebnisse auf Basis von Verhaltensdaten und Präferenzen. In eine ähnliche Richtung geht die derzeit viel diskutierte Erzeugung synthetischer Daten in der Marktforschung.
Der Begriff Consociality/ dt. Consozialität  stammt nicht von mir, aber ich habe ihn gern aufgegriffen. Gemeint ist etwas, was es schon immer gab, aber erst in der digitalen Sozialität  zentrale Bedeutung erlangt: Die Verbindung einzelner Menschen über punktuelle Übereinstimmungen und Interessen – situative digitale Ko-Präsenz jenseits stabiler Gemeinschaften. Ein Kollege nannte es  scherzhaft #Hashtag Soziologie, als ich das Konzept damit erläuterte. 

Soziologie löst keine Probleme, legt aber Zusammenhänge offen und macht so gesellschaftliche und zeitgeschichtliche Entwicklungen erklärbar.
Genau darin liegt ihr Nutzen: Entwicklungen der Zeitgeschichte erklärbar zu machen, Aha-Erlebnisse zu erzeugen und zum Weiterdenken anzuregen – nicht durch Vereinfachungen, sondern durch begriffliche Schärfung. Gefreut hat mich, dass 2x Beiträge aus dem Blog den Weg in Schulbücher fanden – nicht für Sozialwissenschaften, sondern für Deutsch in der Oberstufe – eine Anerkennung der sprachlichen Qualität.

Die selbstverständliche Nutzung von Blogs zur Diskussion hat nachgelassen. Sie ist längst abgewandert in Social Media, v.a. zu LinkedIn. Deshalb hier mein Account: https://www.linkedin.com/in/kjanowitz/
Der Titel Netnographie & Digitaler Wandel war anfangs eine pragmatische Benennung – ob er bleibt oder sich ändert, hängt davon ab, welcher Begriff künftig am besten  trifft



Tech- Faschismus – Ein Mash-Up als Machtsystem

erlebter digitaler Fortschritt. unsplash + Lizenz

Digitaler – technischer – Fortschritt war lange Zeit eng mit Vorstellungen von gesellschaftlichem Fortschritt verbunden. Mehr als nur eine Mediengeneration wuchs damit heran, dass technische Innovationen stets neue mediale, kulturelle und soziale  Erfahrungen mit sich brachten. In ihrer Summe erweiterten sie Handlungsspielräume gegenüber bestehenden Machtstrukturen – in Arbeit und Freizeit, in der privaten und der öffentlichen Kommunikation. Der Weg zu einer demokratischeren und hierarchiefreien Gesellschaft schien in den default– Einstellungen der Technik selbst  vorgezeichnet.
Umso mehr verstören die Ereignisse der letzten Monate in den USA – und die Rolle, die monopolistische Digital- Unternehmen dabei spielen.

Big Tech ist zum Synonym für den Wandel des Silicon Valley zum digitalen Machtzentrum geworden. Right Wing Politics/ Cyberlibertarianism hatten wohl schon immer eine Präsenz in der digitalen Welt – ihre Bedeutung und Dominanz nahm aber erst mit dem Ausbau der Datenmonopole eine neue Dimension an.
Aus dem utopisch-emanzipatorischen Selbstverständnis der frühen Internetkultur ist eine offen machtpolitisch auftretende, teils rechtslibertäre Kraft hervorgegangen. Digitale Macht beruht auf der Disruption zahlloser Branchen und der Kontrolle der Datenströme – und sie ist in den Händen einer kleinen Elite, die nach grösseren Wirkungsmöglichkeiten greift: Silicon Valley’s titans have decided that ruling the digital world is not enough¹.
Zusammengerechnet verfügen die GAFAM*-Konzerne über eine Marktkapitalisierung von ca. 12-13 Bill. US $. Zieht man den Kreis  weiter (u.a. +  das Musk- Imperium), ergibt sich eine Summe, die ca. 75% der Wirtschaftsleistung der EU entspricht.

Ein neues Machtsystem bildet sich heraus: Ein Mash-Up, eine Verklumpung von Rechtspopulismus bzw. – extremismus und Digitalem Kapitalismus. Ein Machtsystem, dass sich gegen genau das wendet, was in den letzten Jahrzehnten als gesellschaftlicher Fortschritt galt.
Die Ziele der beiden Kräfte – MAGA und Big Tech – lagen lange Zeit weit auseinander – und ein Konfliktpotential zwischen ihnen bleibt erhalten.
Big Tech Konzerne agieren global und haben sowohl über ihre ökonomische Schwerkraft und die von ihnen dominierte digitale Öffentlichkeiten einen gewaltigen politischen Einfluss. Sie beherrschen die digitalen Märkte, incl. der digitalen Medien und ihrer Infrastruktur. Ihr Interesse liegt an einer von öffentlicher Kontrolle möglichst ungestörten – d.h. unregulierten – Ausübung und Weiterentwicklung der Geschäfte mit algoritmischer Kontrolle. 

Plattformen ermöglichten den populistischen und rechtsextremen Bewegungen mit Führungsfiguren wie Trump, eine ungefilterte, direkte Kommunikation mit ihrer Anhängerschaft aufzubauen.
Plattformen vergrössern die Reichweite wie auch die Kontrolle über die Message. Der Zusammenhalt funktioniert nach den  Mustern des Fandom: Anhänger bauen eine tiefe emotionale Bindung zu einer prominenten Person, einer Marke bzw. Bewegung auf. Bullshit, eine massive Menge oft fehlerhafter, irreführender oder falscher Informationen stört dabei nicht. Die Botschaften orientieren sich an den emotionalen Bedürfnissen der Anhänger. Die massive Flutung mit Informationen, mit Fake- News, erschwert die Unterscheidung zwischen wahr und falsch – es geht um die Durchsetzung der eigenen Agenda und die politische Mobilisierung. 

America first. unsplash +

Die Basis ist zu allererst der America First– Nationalismus. Dahinter steht eine Vorstellung amerikanischer Ideale, Werte und Interessen, die ethnisch-kulturell an eine weisse, christliche Mittelschicht gebunden ist.
Dazu gehören radikal-evangelikale Elemente und die Allgemeingültigkeit konservativer Sozialmodelle. Wokeness ist ein Feindbild schlechthin.
Alles, was damit zu tun hat, wie Diversity, Equity & Inclusion (DEI) und USAID zu tun hat, muss beseitigt werden: gendern, LGBTQ- Rechte, Klimaschutz. Dazu gehört eine harte Linie gegenüber Migration bis hin zu Massendeportationen.
Angesprochen wird eine zur Minderheit werdende ehemalige -weisse –  Mehrheit – mit Anschlussstellen zu weißen identitären Bewegungen. Der Staatsapparat wird – anders als in Europa –  nicht als Partner für soziale Gerechtigkeit und öffentliche Infrastruktur gesehen, sondern als Bedrohung durch entkoppelte, globalistische Eliten. Ein Bildungsministerium oder Programme für soziale Gerechtigkeit sollten nicht existieren. 

Nach aussen bedeutet America First die Abkehr von der Verankerung in einer vertragsbasierten internationalen Ordnung – für die die USA oft Garantiemacht waren-  incl. des Ausscheidens aus Verpflichtungen wie dem Klimaschutz-abkommen oder internationaler Hilfe (USAID). Bis hin zu einer Abkopplung vom Wissenschafts- Austausch.  

Big Tech strebt nach uneingeschränktem, unreguliertem Zugang zu digitalen Märkten – so wurde die Ablehnung jeglicher Regulierung zum Bindeglied zwischen Big Tech und der populistischen Rechten.
Der sichtbar inszenierte Schulterschluss bei Trumps Inauguration verdeutlichte die Verbindung zweier machtbewusster
politischer Agenden: eine autoritär populistische und eine technologisch/ ökonomische.
Ein Staat müsse straff und effizient geführt werden wie ein Unternehmen,   der CEO/ Geschäftsführer müsse dazu mit aller Macht ausgestattet sein. Dahinter stecken oft wenig durchdachte Entwürfe:  Die Oligarchen haben keinen Plan zum Regieren. They will take what they can, and disable the rest. The destruction is the point. They don’t want to control the existing order. They want disorder in which their relative power will grow (Timothy Snyder, 2.02.25). 

Vibe Shift* nennt der Historiker Neill Ferguson – ein Unterstützer Trumps –  den Richtungswechsel, die Hinwendung des Silicon-Valley nach rechts. Gemeint ist ein kultureller Backlash gegen sog.  Woke-Ideologie mit einer Ablehnung der liberalen Ordnung.
Bildlich ausgedrückt heisst es bei ihm:  At home, Yale Law School and DEI committees are out. Abroad, strength and escalation are in. It’s Daddy’s Home—not the fraying liberal international order.

Vorbereitet wurde die Machtübernahme vom ThinkTank Heritage- Foundation mit dem Project 2025. Das 900- Seiten Handbuch Mandate For Leadership ist ein detaillierter Fahrplan für die Machtübernahme. Vor wenigen Tagen tauchten auch Nachrichten darüber auf, die Europäische Union zu destabilisieren (vgl. link).
Vorrangiges Ziel ist es, die Exekutive und die Macht des Präsidenten massiv auszuweiten. Dazu soll der – verfassungstreu agierende – Verwaltungsapparat systematisch umstrukturiert werden. Symbolträchtig wurden  Abrissbirne und Kettensäge als Metaphern für diesen radikalen Umbau eingestreut.

Deutlich erkennbares Ziel ist zunächst ein präsidialer Autoritarismus, der keinen Widerspruch duldet. Darunter dominieren private Unternehmen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die politische Ordnung.
Mehrere zehntausend Civil Servants wurden bisher gefeuert – neben  USAID und dem Department of Education  sind  Aufgaben wie Social Security, Gesundheitsservice, Forstverwaltung, Meteorologischer Dienst uvm. betroffen. Hinzu kommt der Druck auf Unternehmen DEI- Programme (Diversity, equity, and inclusion) zu canceln. Die Berater von Trump  sahen schon in den ersten Wochen ihre Erwartungen bei weitem übertroffen.

Kulturelle und politische  Feindbilder der Allianz sind so in erster Linie der nicht dem Präsidenten unterstellte Staatsapparat, der sog. Deep State.  Es ist die  unabhängige Justiz, soweit sie die Macht des Präsidenten einschränkt. Es sind die sog. Eliten in Medien, Bildung und Wissenschaften. Es sind alle, die mit dem sog. Woke Mind Virus in Verbindung gebracht werden, bzw. die von den emanzipatorischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte profitiert haben. Und es sind Migranten. Konzepte wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Tech-Ethik werden zu feindlicher Ideologie erklärt.

Es entsteht ein Machtsystem, das immer öfter Techno-Faschismus genannt wird. Die Bezeichnung wird nicht nur von erklärten Linken geteilt,  sondern reicht weit  in bürgerlich- liberale Kreise.
Wie dieses Machtsystem einzuschätzen, einzuordnen, zu benennen, und was ihm entgegen zu setzen ist, ist aktuell Gegenstand zahlloser Einschätzungen Diskussionen und Publikationen.

Im Verfassungsblog (9.2) beschreibt Rainer Mühlhoff den radikalen Umbau des Rechtsstaats zu einem autoritären digitalen Apparat. Davon profitieren die Akteure aus Big Tech als Betreiber einer neuen, technologischen Regierungsinfrastruktur. Eine neue Form von Faschismus – sieht er als  passende Bezeichnung für dieses politische Projekt. Dessen besonderes Kennzeichen sind  die spezifischen Möglichkeiten von Datenanalyse- und KI-Technologie.
Der erste Angriff galt der Verwaltungsinfrastruktur und geschah als  Mischung von Überrumpelung, Einschüchterung und Hacker-Taktiken–  um den Rechtsstaat auszuschalten und durch einen schlanken, auf Automatisierung und Präemption basierenden Apparat zu ersetzen. Der Zugriff auf staatliche Daten bedeutet nie dagewesene Möglichkeiten der Kontrolle, Manipulation und Bereicherung für Big Tech Konzerne.
Faschismus macht er an drei Kennzeichen  fest: (1) Ein politisches Wirken, das auf die Zerstörung des Rechtsstaats, der administrativen Abläufe und der parlamentarischen und demokratischen Ordnung abzielt. (2) Die persönliche Gewaltbereitschaft und Bereitschaft zur Gehässigkeit der Akteure, sei es sprachlich, medial, physisch oder politisch. (3) Die Indienstnahme von neuester Technologie als Machtinstrument.

Umberto Eco hatte 1995 eine Reihe von 14 Merkmalen des Faschismus aufgestellt. Er verstand sie als Gesamtheit jener Handlungen, Verhaltensweisen, Haltungen und Instinkte, die zwar die Dynamik des Faschismus im frühen 20. Jahrhundert ausmachten, aber seine historische Ausprägung überlebt haben und heute lebendiger sind als jemals zuvor.**  Die Merkmale lassen sich durchaus mit Bewegungen wie MAGA, AfD oder FPÖ abgleichen.
Bei Eco steht die Ablehnung der Moderne, an erster Stelle –  sie wird nicht als Kontinuum oder logische Weiterentwicklung der Gesellschaft, sondern als Bedrohung wahrgenommen. Bei MAGA werden etwa die 1950/60er Jahre als Inbegriff einer glorreichen Vergangenheit mit traditionellen Werte verklärt, ausgeblendet werden Kämpfe um Gleichberechtigung und Bürgerrechte – die wieder zurückgedreht werden sollen. Migration, Globalisierung und liberale Werte sind die Bedrohungen der eigenen nationale Kultur.

Das letztgenannte, 14. Merkmal fällt besonders auf: Es wird eine vereinfachte Sprache verwendet, um komplexes Denken zu verhindern. So ist die Sprache von Trump/ MAGA darauf ausgelegt, emotionale Wirkungen auszulösen.  Offensichtlicher Unsinn/ Bullshit gehört dazu,  der Umgang mit Wahrheit ist beliebig – Lügen werden etwa umbenannt zu alternativen Fakten. Wissenschaftliche Erkenntnisse – wie der Klimawandel – die nicht der eigenen Ideologie entsprechen, werden als Teil einer „linken Agenda“ dargestellt.
Elon Musk als Exponent der Rechtslibertären, gebraucht zumeist eine direkte, oft provokative Sprache, nutzt Memes und Internet-Slang, inszeniert sich als Mann der Tat, als  Visionär, Disruptor und Außenseiter.

Die Sprache der Big Tech Unternehmen unterscheidet sich graduell  davon- sie orientiert sich weiterhin an den gängigen PR- Mustern, das Handeln der Unternehmen als gesellschaftlich verantwortlich darzustellen. Macht- und Herrschaftsvokabular werden vermieden, man stellt technologische Lösungen gesellschaftlicher Probleme in den Vordergrund.  – suggeriert damit Fortschritt und Verbesserung der Welt. Wesentliches propagandistisches Kommunikationsziel ist es, Regulierungen als Hindernis von  Innovationen darzustellen, mit denen das  Unternehmen die Menschheit voranbringen will.

Christoph Bettges  bezieht sich in Der neue Technofaschismus auf Habermas’ Theorie von Lebenswelt und System und erklärt, wie durch die Annexion des Staates durch das ökonomische System, wie es bei Trump und seinen Verbündeten der Fall ist, eine demokratisch legitimierte Ordnung untergraben wird. Technologischer Fortschritt und die Macht von Tech-Oligarchen, wie Musk und Thiel, tragen zur Auflösung der Gewaltenteilung bei, während die politische Öffentlichkeit zunehmend durch private Akteure kontrolliert wird.

Patrimonialismus – ein neues altes Führungsmodell . Bild: Darren Halstead – unsplash+

Der Begriff (Neo)- Patrimonialismus geht auf Max Weber zurück und wurde mehrfach als die passende Beschreibung Trump’scher Herrschaftsweise begrüsst (The Atlantic: One Word Describes Trump). 
Im Grunde schon zu Webers Zeiten ein archaisches Prinzip, das auf persönlicher Loyalität und Gunstgewährung beruht. Staat und Regierung werden geführt als wären sie persönliches Eigentum, wie das eigene Familienunternehmen. Es gibt kaum eine Unterscheidung zwischen public and private, zwischen formell und informell, manchmal auch nicht zwischen legal und illegal, denn :  – He who saves his Country does not violate any Law (Trump auf X, 2/25).
Nicht nur auf Trump trifft die Beschreibung zu, es gilt für ganze Internationale von Staatsführern, wie Orban in Ungarn, Erdogan in der Türkei – und ganz besonders für Putin – dem dienstältesten der Bosse,  dem  «capo di tutti capi»  (watson.ch. 13.03.25).

Broligarchen

Ähnlich funktioniert Broligarchie –das Kofferwort aus den Tech Brothers des Silicon Valleys und oligarchischer Herrschaft- nur auf gleichrangiger Ebene. Kommen Patrimonialismus und Broligarchie zusammen, ergibt sich Kumpanei auf höchster Machtebene von imperialer Politik und Großkapital.
Es ist die Überzeugung, dass einige Männer einer Elite über dem Gesetz stehen – und hier sind es tatsächlich fast ausschliesslich Männer. Sie fällen Entscheidungen – weil sie es tun können. Sie selber inszenieren sich als business leaders, als Great Men of History.

Ein Blueprint der Tech- Barone – mit dem Buntstift gekritzelt. The Network State ist frei zum download verfügbar

The Network State erschien bereits 2022. Autor Balaji Srinivasan ist Partner bei Andreesen & Horowitz, einer der einflussreichsten Investoren im Silicon Valley. Sucht man nach einer politischen Vision aus diesem Umfeld, entspricht The Network State dem am ehesten.
Es ist ein Staat, der vom Computer aus gegründet werden kann, ein Staat, der wie ein Startup rekrutiert, eine Nation, die aus dem Internet entsteht. Der Netzwerkstaat zielt darauf ab, demokratische Institutionen durch technologiegetriebene Governance zu ersetzen.  Die Infrastruktur wird v.a. mithilfe von Blockchain-Technologie und Krypto- Währungen organisiert.

Der Politikwissenschaftler  Dave Karpf zerreisst das Buch als unglaublich dumm, als schlechte Science-Fiction, die als Sachliteratur präsentiert wird – aber doch als ernste Bedrohung.
Es sei geradezu ein Beleg dafür, dass die Tech-Oligarchen zwar einen Plan haben, aber keinen einzigen davon durchdacht haben. Der Grund, sich dafür zu interessieren, liegt darin, dass es einen Einblick in die Zielvorstellungen rechtslibertärer Oligarchen, wie Elon Musk und seiner Gefolgschaft bei  DOGE gibt. Die Tech-Oligarchen meinen, sie sollten sich aus der Gesellschaft ausklinken dürfen. Sie wissen nicht, was der Verwaltungsstaat tut. Es interessiert sie nicht, es herauszufinden. Und sie meinen,  eine Menge Geld könne gespart werden, würde einfach alles  abgeschaltet.

Peter Thiel, Investor, Milliardär, early supporter von Trump und Mentor von Vize Vance, verbucht die Machtübernahme als einen Sieg des Internet über ein ancien Régime. A war the internet won – gemeint ist das Internet der Investoren – eben derjenigen, die wir heute Tech- Oligarchen nennen.  Medienorganisationen, Bürokratien, Universitäten und staatlich finanzierte  NGOs benennt er als diejenigen, die traditionell die öffentliche Diskussion einschränken: als Distributed Idea Suppression Complex (DISC).  Wenig nachvollziehbar ist sein Verweis auf einen 50- jährigen wissenschaftlichem und technologischen Niedergang der USA.
Thiel ist immer wieder mit der Meinung, dass Demokratie und Freiheit  nicht  vereinbar seien, hervorgetreten. Er wird auch als Pate rechtslibertärer Netzwerke bezeichnet.   Wenn jemand, dann ist es er, der für eine Sezession der Reichen steht.
Sein Text ist nachzulesen in der Financial Times.

Cyberpunk – Foto: Judeus Samson. Unsplash.com

Der Freiheitsbegriff, der noch wörtlich im Libertarismus steckt, sorgt immer wieder für Missverständnisse. Gemeint ist die wirtschaftliche Freiheit von Unternehmen. Wenn man es hart formuliert, lässt er sich mit dem sexuellen Freiheitsbegriff des Marquis de Sade vergleichen: Die absolute Freiheit gilt dem, der die Macht hat.

Die frühe Computerkultur und ihre Nutzungsphilosophie entwickelte sich in Subkulturen, der Counter- Culture. Dazu gehörte Freiheit von institutioneller Kontrolle in einem Raum, der tatsächlich noch relativ machtfrei war. Etwas von diesem Habitus wird immer noch gepflegt, so in informeller Kleidung und in den  Umgangsformen. Es ist ein rhetorischer Trick, wenn BigTech-Unternehmen sich auf die Tradition der frühen Internetkultur berufen, während sie gleichzeitig monopolistische Strukturen aufbauen und verteidigen.   
Ein anderer zwiespältiger Begriff sind die Eliten: Populisten polemisieren  gegen die Eliten – gemeint sind meist akademische Eliten, Medien, Kultureliten.  Die  von Populisten an die Macht gebrachte Führung rekrutiert sich weitgehend aus Reichtumseliten.

Ein Staat kann vieles sein: ein straff geführtes Regelsystem,  das Gehorsam, zumindest Eingliederung in vorgesehene Rollen verlangt, ein Machtgefäss, das von Anführern/ Oligarchen erbeutet werden kann,  eine  Res Publica – in der seine Bürger ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten aushandeln. Manche Rechtslibertäre meinen ein Staat solle als durch KI und Software unterstützte Diktatur geführt werden.

erscheint am 15. April

Rechtspopulismus wird  häufig als Gegenreaktion auf den Neoliberalismus gedeutet. Quinn Slobodian, kanadischer Zeithistoriker, stellt dem entgegen, dass die Strömungen der extremen Rechten innerhalb der neoliberalen intellektuellen Bewegung entstanden und nicht gegen sie. Was in den letzten Jahren als ideologische Gegenreaktion gegen die neoliberale Globalisierung bezeichnet wurde, ist oft eher Gegenreaktion auf eine politische Gegenreaktion (frontlash). Die Forderungen der Rechtspopulisten nach Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkungen ähneln im Großen und Ganzen denen, die führende Politikerinnen und Politiker weltweit in den letzten dreißig Jahren propagiert haben. Das Buch erschien am 15. April (link zur Rezension)

Das Mash-Up bzw. die Verklumpung von BigTech und MAGA ist keine strategische Vision, sondern eine Zweckgemeinschaft. Was beide eint, ist nicht ein gemeinsames Projekt, sondern die Ablehnung demokratischer Regulierung, der Zumutung, Macht teilen und rechtfertigen zu müssen.  Big Tech will die Freiheit globaler Monopole, MAGA mobilisiert nationalistische, identitäre und evangelikale Strömungen gegen  Institutionen der liberalen Demokratie. Die Zweckgemeinschaft ist brüchig – aber ihre autoritäre  Energie ist wirksam (ergänzt 12.10.). 

 

*Tricia Wang Technofascism is here. We have one way out. fortune.com 9.03.25   Timothy Snyder: The Logic of Destruction. And how to resist it. Dave Karpf: The Tech Barons have a blueprint drawn in crayon. 16.02.25  Drew MitnickThe Tech Right: Silicon Valley’s Ascendant Illiberalism. 7.10.24 Martin Andrée : Wir müssen uns von den USA befreien  – FAZ- 11.03.25. Simon Hurtz: Ihr Gott ist die KI. SZ 10.11.23 Kyle Chayka: Techno-Fascism Comes to America The New Yorker 26.02.25 Christian Bettges: Der Neue Technofaschismus. 11.02.25 , Rainer Mühlhoff: Trump und der neue Faschismus: Warum der Griff nach dem Verwaltungsapparat so gefährlich ist, Verfassungsblog, 9.02.25, Dave Karpf: . Why can’t our tech billionaires learn anything new.  18.10.23 – On technological optimism and technological pragmatism. 18.02.23.  Jonathan Rauch: One Word Describes Trump  The Atlantic 24.02.25- Gil Duran: Bursts of authoritarianism. The Nerd Reich  5.03.25 . Inside Musk’s Aggressive Incursion Into the Federal Government. NewYork Times 4.02.25 – Peter Thiel: A time for truth and reconciliation. Financial Times 10.01.25. ¹Kara Swisher: Move fast and destroy Democracy. The Atlantic 9.03.25. Quinn Slobodian: Hayek’s Bastards: The Neoliberal Roots of the Populist Right – erscheint 15.04.25 .  ds. & David Benkowski Der Vordenker des neuen Rechtspopulismus Beiträge zur polit. Ökonomie 25.01.25.
Trump und MAGA ist eine Variante von Faschismus (zu den 14 Merkmalen des Faschismus von Umberto Eco ) Désiree Schneider: Trump kämpft gegen die Wissenschaft – Diese Menschen bieten ihm die Stirn. 22.02.25. Patrick Bahner: Niall Ferguson erklärt: Donald Trump, Modezar. FAZ 23.03.25 Niall Ferguson: The Vibe Shift Goes Global 12.12.24—  *GAFAM =  Die Top-5-BigTech-Unternehmen Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta  —** aus: Umberto Eco
Der ewige Faschismus.   vgl.: Right-wing push to dismantle the EU: Heritage Foundation’s private workshop –  The Network State ist frei zum download verfügbar

 



Trumpismus- Muskismus

Mehr Musk wagen? Meint Ex- Finanzminister Christian Lindner

An politisch agressivere Zeiten kann ich mich kaum erinnern. In schneller Folge eskalieren Konflikte, die man vor noch kurzer Zeit nicht für möglich gehalten hatte.
Dazu gibt es passende Bilder, passende Gesten und Sprüche.
In den USA eine Übernahme im Rekordtempo, ein autokratischer Umbau. Agressivität nach aussen, selbst gegen Verbündete wie Kanada und Dänemark. Nach innen sog. Disruption, was irgendwie nach schöpferischer Innovation klingen soll – gemeint ist aber die Zerstörung, zumindest die massive Schwächung der konstitutionellen demokratischen Infrastruktur.

Die Berichte überschlagen sich nochmals seit dem 4.02., als DOGE- Department of Government Efficiency, die eigens für Musk geschaffene Behörde in strategisch zentrale institutionelle Bereiche  eindrang.
So der Übergriff auf Finanzsysteme, die Bundeszahlungen abwickeln, incl  persönlicher Angaben zu Sozialversicherungsleistungen, Steuerrückerstattungen, Gehältern und Rentenzahlungen. USAID – die Agentur für internationale Entwicklung – stand in erster Linie des Angriffs. Die Agentur musste unter anderem klinische Studien und Entwicklungsprojekte abbrechen.
Beobachter nennen es einen administrativen Staatsstreich*, einen Angriff auf das Gesetz selbst
, a trojan horse for Elon Musk to gut labor, consumer, and environmental protections².
Trumps formale Regierungsmacht gewährt dem nicht gewählten Tech- Milliardär Musk direkte Kontrolle über staatliche Institutionen – auch jene, die seine Unternehmen regulieren und ihnen Aufträge erteilen. Ein nicht gewählter Milliardär lässt eine Kolonne ihm ergebener, junger Anhänger in die Behörden einrücken.  DOGE setzt sich über gesetzliche Beschränkungen und Beschlüsse des Kongresses hinweg.  Musk beeinflusst nicht nur die Politik, sondern auch Personalentscheidungen(vgl. NYT 4.02.). 
There is not one single entity holding Musk accountable. It’s a harbinger of the destruction of our basic institutions¹.

Die erste Trump- Präsidentschaft 2017 – 2020 liess sich als entgleiste Episode verstehen – die noch von intakten Institutionen austariert werden konnte.  Spätestens mit dem Sturm auf das Kapitol am 6.01.21 wurde die Missachtung konstitutioneller Regeln deutlich – bis zur Gewaltbereitschaft. Es war ein Zivilisationsbruch – Donald Trump ist der Alptraum an Machtbesessenheit, vor dem die Gründerväter einst warnten (SZ).

Der Schulterschluss mit den Oligarchen aus BigTech bringt eine neue Dimension, schafft eine neue Form autoritärer Herrschaft. Wie soll man sie nennen – dieses MashUp aus zwei Strömungen sehr verschiedener  Herkunft – adhoc- generisch  TrumpismusMuskismus?
Trumpismus hat bereits einen Eintrag im Gabler – Wirtschaftslexikon aufbauend auf einer Beschreibung des New Yorker Soziologen Jeff Goodwin. Schlüsselelemente sind demnach sozialer Konservatismus, neoliberaler Kapitalismus, ökonomischer Nationalismus, – gegen Migranten gerichteter – Nativismus und weißer Nationalismus. Die Verbreitung von Fake- News, zusammengefasst als Flood the zone with shit (Steve Bannon)– mit der Absicht die öffentliche Meinung zu verschieben, ist eine wesentliche Strategie.  

Die MakeAmericaGreatAgain Bewegung führt ein nostalgisches Narrativ, ausgerichtet an vergangene Glanzzeiten, bereits im Namen. Es geht um die Rückeroberung nationaler Souveränität und die Abkehr von Globalisierungsprozessen.
Die  Klientel geht über das hinaus, was in Analysen von Populismus bisher beschrieben wurde, neben Konservativen und Evangelikalen zählen auch Anteile von Gebildeten, Erstwählern, Latinos dazu. Ein Brückenideologie ist die Gegnerschaft zu Emanzipationsbewegungen – Wokismus ist ein klar verankertes Feindbild.

Auch der Begriff Muskismus wurde schon einige male genannt – zuerst als ein Universum für Superreiche, als ein Zusammenwirken von Technologiegläubigkeit und Turbokapitalismus.  
Musk
lässt sich in den cyberlibertären Strömungen der Tech Branche verorten. Der Umfang und die Breite seines Konglomerats sprengt aber mittlerweile den Rahmen. Es verbindet ökonomische, technologische und mediale Macht.
Trump und Musk eint der unbedingte Machtwille, eine stark narzisstische  Selbstinszenierung als Selfmademen und Disruptoren/ Störer des Systems. Beide betreiben die systematische Delegitimierung demokratischer Institutionen.
Gemeinsam verfügen sie über ein Fülle an Machtquellen: neben der formalen Regierungsmacht Trumps, die finanziellen und technologischen Ressourcen, von Musk, im weiteren das Mobilisierungspotential der MAGA- Bewegung. They don’t want to govern, they want to rule (Steven Levitsky). 

Hugo Drax – Elon Musk

Nicht nur der Astrophysiker Harald Lesch vergleicht Musk mit Hugo Drax, dem  Schurken aus dem James Bond Film Moonraker**.
Die reale wie die fiktionale Figur sind die jeweils reichsten Männer der Welt mit weltumspannenden  technologischen und politischen Visionen und Machtambitionen – incl. dem Ausgriff ins All.
Was den Vergleich so naheliegend macht, ist der Aufbau eines privaten Imperiums, das der Menschheit die eigene Version von Fortschritt aufdrängen will. Der Ausbau des Konglomerats folgt so Strategien, die weit über klassische Unternehmensziele hinausgehen.
Die Expansionen in Raumfahrt, Transport, KI, social Media, Neurotechnologie, incl. der Sammlung nutzbarer Daten – und seine ungehemmte Tatbereitschaft, deuten auf den Machtausbau hin. Jetzt kommt die Verbindung zur formal legitimierten Macht hinzu. Finale Ziele und Taktiken bleiben undurchsichtig. Dem Populismus haftet etwas Clowneskes, dem Faschismus etwas Dämonisches an³.
Musk sticht als solitärer Cyberlibertarian heraus – ihm hat Trump seinen Wahlsieg zu verdanken. Aber wie ist die Rolle der anderen Tech- Milliardäre zu sehen? Ihr Auftritt (+ ihre üppigen Spenden) bei der Trump’schen Inauguration bot ein iconisches Bild, das eine neue Allianz von technologischer, ökonomischer und politischer Macht zeigt.
Auch Marc Zuckerberg geht es um visionäre Langfristziele. Mit dem  Metaverse soll eine neue digitale Realität erschaffen werden, die über die klassische Social-Media-Welt hinausgeht – ein digitales Paralleluniversum, das Nutzer an eine von Meta gesteuerte Umgebung bindet.
Googles Leitspruch war einmal don’t be evil –   das gilt schon lange nicht mehr. Google/ Alphabet hat sich zu einem technokratischen Imperium entwickelt, das durch seine Dominanz in Suche, KI und digitaler Infrastruktur Kontrolle über den Zugang zu Information ausübt.
Jeff Bezos hat mit Amazon ein Handelsimperium geschaffen, das mittlerweile von Cloud-Computing (AWS) bis hin zu Logistik und Medien reicht. Er agiert als klassischer Monopolkapitalist, der Regulierung vermeidet und systematisch Marktmacht konzentriert.
Microsoft setzt auf institutionelle Einbindung und präsentiert sich als ‘verantwortungsvoller’ Partner. Apple hat ein geschlossenes Ökosystem aufgebaut, das Nutzer durch Hardware, Software und Services maximal bindet.”
Alle genannten Konzerne bzw. Milliardäre verfügen in ihren Geschäftsfeldern über de Facto- Monopole incl. der Kontrolle über entscheidende Infrastrukturen – was ein jeweils eigenes Problem der Macht von BigTech ist.
Ihre Haltung zu einer Disruption der Demokratie lässt sich in Stufen einteilen: Musk ist mit seinem Konglomerat ihr primärer Betreiber. Zuckerberg und Bezos lassen sich als opportunistische Mitläufer einstufen. 
Was sie verbindet, ist die Vision einer tech-gesteuerten Gesellschaft, in der gesellschaftlich kontrollierte demokratische Institutionen zunehmend durch privatwirtschaftlich betriebene digitale Monopole verdrängt werden. An  einem Punkt zogen sie bisher mit, dem Ende von Minderheitenschutz un Diversitätsprogrammen. 

LinkedIn Posting vom 30.01.25

Was in den USA geschieht hat direkte Rückwirkungen auf andere Länder. In Deutschland fällt die Zuspitzung der Situation mit dem Bruch der Ampelkoalition zusammen, wobei Musks direkte Einmischung zugunsten der AfD die Parallelen noch verstärkt.
So stehen die Ereignisse und Diskussionen in Deutschland unter dem Eindruck der in den USA.  Im Mittelpunkt der letzten Wochen stand die  symbolpolitische Öffnung der politischen Arithmethik nach rechts. Migration wurde in plakativer Weise zum zentralen Thema, ohne jede Differenzierung zwischen Flucht und Arbeitsmigration. Die Schliessung von Grenzen als Abschied von der europäischen Öffnung. Dazu wäre noch viel zu sagen, aber ist ein weiteres Thema …
Was bleibt, ist eine Spaltungslinie, die sich bis in private Umgebungen zieht.  Vorbereitet wurde die Polarisierung durch oft schrille Bashing- Kampagnen. Wokeness wurde als bewusst konstruiertes Feindbild importiert.

Zweimal ist bei mir in den letzten Monaten ein Grundvertrauen zersprungen: Zum einen das in den Digitalen Fortschritts, der bei allen Umwegen immer wieder neue Möglichkeiten offen hält, die sich gestalten lassen. Jetzt ist die Möglichkeit eines digitalen Faschismus hinzugekommen -und das ist ernst zu nehmen.
Das zweite Grundvertrauen war das in einen langjährig gewachsenen gesellschaftlichen Konsens, Probleme einverständlich lösen zu können – dabei die andere Position als das  legitime andere zu sehen und zu respektieren. 
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¹Was Inside Musk’s Aggressive Incursion Into the Federal Government. The New York Times 3.02.25.  Harald Lesch: Was Elon Musk mit einem Bond-Bösewicht gemeinsam hat. SZ 3.02.25  ²Robert Reich, Professor of Public Policy at UC Berkeley. *Annika Brockschmidt: Trump & Musk: Staatsstreich in den USA & keiner kriegt es hier mit? Volksverpetzer. 6.02.2025 *Timothy Snyder: Of course it’s a coup. Miss the obvious, lose your republic. 4.02.25  *Mark Schieritz: Sie sagen Disruption und meinen Staatsstreich. Die Zeit 4.02.2025. Jill Lepore: Muskismus – ein Universum für Superreiche. Philosophie heute 16.12.21,. Lorenz Blumenthaler: Musk, Trump und die digitale Gegenaufklärung   ³Marcel Lewandowsky in Was Populisten wollen, 2024



Demokratie braucht Begegnung

Demokratie braucht Begegnung um zu funktionieren (19) – Begegnung, Öffentlichkeit und Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden: Begegnungen ermöglichen Austausch, Öffentlichkeit bietet den Raum dafür, und Demokratie ist das politische System, das von diesem Austausch lebt.

Liberale Demokratie beruht auf zwei Prinzipien: das Volk ist der Souverän, der über sein eigenes Schicksal entscheidet. Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit garantieren individuelle Freiheitsrechte und schränken so die Macht der Mehrheit ein. Demokratie erfordert die Aushandlung von Konflikten und Entscheidungen; Kompromisse sind die Regel. Sie lebt davon, dass ihre Mitglieder sich als legitime Andere anerkennen.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt braucht Vertrauen – gegenseitig und in demokratische Institutionen – über engere Zugehörigkeiten hinaus. Nur so sind tragfähige Kompromisse möglich. Dazu braucht es Orte bzw. Räume, in denen Vertrauen entstehen und sich entwickeln kann – Orte an denen nicht-medialisierte, direkte Erfahrungen gemacht werden können.

Demokratie fehlt Begegnung – hat Rainald Manthe, Soziologe aus Berlin,  sein Buch über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts genannt.  Im Titel steckt bereits die Feststellung eines Mangels, des Verschwindens, zumindest einer markanten Veränderung der Orte der Begegnung.
Begegnung ist synchron, besteht in der direkten, nicht- zeitversetzten Interaktion, bedeutet den Austausch in irgendeiner Form. Nonverbale Signale spielen eine grosse Rolle. Begegnungen können ebenso sehr Irritationen auslösen, lassen aber meist den Spielraum der Aushandlung bzw. Klärung.
Klassische Orte von Begegnung sind/ waren meist an lokale Gegebenheiten geknüpft. Exemplarisch nennt Manthe die Dorfkneipe – genauso können es alle anderen Orte sein, die von einer Vielzahl von Menschen aufgesucht oder genutzt werden, wie Märkte, Parks, Sportplätze, Bibliotheken, Theater oder eben auch öffentliche Verkehrsmittel.
Daneben gibt es  Begegnungsorte, die von vornherein als solche gedacht sind, von der einfachen Parkbank, dem Viertels- Treff mit Repair- Café  zu Projekten der politischen Bildung.
Die meisten solcher Orte verbinden Menschen mit gleichen bzw. sich ergänzenden Interessen, sie stabilisieren die Teilhabe an lokaler, an kultureller Öffentlichkeit.

Für eine Gesellschaft ist es aber ebenso bedeutsam, dass sich Menschen anderer Lebensrealitäten und anderer Lebensziele zur Kenntnis nehmen, begegnen und austauschen.
Gerade eher unspezifische Alltagsorte sind Schnittstellen zwischen oft sehr unterschiedlichen Milieus, ermöglichen zufällige Begegnungen, informellen Austausch, die Wahrnehmung anderer Lebensrealitäten. Sie können dazu beitragen, sich gegenseitig als “legitime andere” zu akzeptieren – die Interessen dieser Anderen zu erkennen und zu berücksichtigen, Kompromisse mitzutragen. Als Erfahrung
entscheidend ist die selbstverständliche Interaktion im öffentlichen Raum, die ohne Barrieren oder besondere Voraussetzungen stattfindet.

Autor Manthe sieht ein Schwinden vieler Begegnungsorte: Der Abbau öffentlicher Infrastrukturen trifft auf eine Gesellschaft, die immer individualistischer (9) wird. Die nachlassende Bindekraft der grossen Massenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien – oft auch Träger von Vereinsleben – ist schon länger ein Thema. Posttraditionale Vergemeinschaftungen entwickeln zwar neue Begegnungsorte, die aber geographisch viel weiter gestreut sind.
Segregation verstärkt sich auch durch den angespannten Immobilienmarkt.  In Wohnorte wird man immer seltener hineingeboren – bzw. sozialisiert, man muss sie sich leisten können.
Clubs, Kneipen, Cafés stehen seit der Pandemie unter verstärktem wirtschaftlichen Druck. Das gilt noch mehr für ländliche und suburbane Räume. Das Wirtshaus im Dorf gibt es kaum mehr, nur dann, wenn ein besonderer Einsatz oder besondere Umstände dafür sorgen. Nicht- geförderte Begegnungsorte müssen Umsätze erzielen, um sich zu halten. 

Gesellschaftliche Polarisierung wird zwar oft beklagt – ist aber empirisch wenig bestätigt. Es gibt keine grossen Lager die einander ablehnen. Als Standard aktueller Gesellschaftsanalyse dazu scheint Triggerpunkte von Steffen Mau et al. (2023) akzeptiert zu sein.  Eine Micro- Quintessenz daraus: Konflikte: vorhanden, Polarisierung: kaum, politisierte und radikalisierte Ränder ja.
Der Autor bestätigt in Verweisen auf andere Studien, dass der soziale Zusammenhalt erstaunlich gut (26) ist. Dass ein ausreichendes Vertrauen in das grosse Ganze und in unsere Mitmenschen vorhanden ist, ist wichtig für gesellschaftliche Handlungsfähigkeit (26). Allerdings nimmt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, genannt wird ein Drittel, kaum mehr an Diskussionen über die Ausgestaltung des Gemeinwesens teil. Bei den jüngeren (unter 29) liegt derAnteil  höher, bei 45 %.  Zugenommen hat eine Politik(er)ferne, man spricht von einem übergreifenden Repräsentationsdefizit (29) – es sind diese letzten beiden Erkenntnisse, die aufhorchen lassen.
Auffallend ist, dass die nähere Umgebung meist als besser empfunden wird, als die Gesamtgesellschaft eingeschätzt wird.

Ort von Begegnung: Forum Groningen (NL)

Wie lässt sich die Bedeutung  der Begegnungsorte  mit anderen  Konzepten verbinden?
Auf das Konzept des  Common Meeting Ground  war ich während der Corona- Lockdowns gestossen – in einer Zeit,  als die Frage auftrat, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn Öffentlichkeit – damit auch Begegnungen  –  fast ausschliesslich über Medien vermittelt wird.
Der Begriff geht auf den Schweizer Soziologen Kurt Imhof (✝2015) zurück: Jede Gesellschaft braucht einen Common Meeting Ground gemeinschaftlich als wichtig empfundener Themen, um darüber verhandeln und selbst bestimmen zu können, was in ihr als relevant gilt und kollektiver Problemlösungen bedarf (2008).

Common Meeting Ground lässt sich zum einen als eine Medienöffentlichkeit verstehen, die einen Informationsstand soweit synchronisiert, dass er einen konsensuellen Boden  öffentlicher politischer Kommunikation bietet.  Ein Boden – in diesem Falle abstrakt – auf den Themen, Lösungsansätze, Ansprüche in einen übergreifenden Diskurs gestellt werden können – zu denen Entscheidungen, also meist Kompromisse, ausgehandelt werden.
Ebenso lässt sich Common Meeting Ground als der lebensweltliche, physische Ort verstehen, an dem Gesellschaft erlebt und erfahren wird.  In dem als relevant empfundene Themen und akzeptables Verhalten verhandelt werden. Nicht in Form medialisierter Inhalte, sondern als selbst erlebte Eindrücke und der Resonanz darauf: Wahrnehmung, Reaktion und Interaktion.
Gesellschaft bedeutet nicht Gleichartigkeit, sondern zunächst miteinander auszukommen, dann Austausch, Begegnung . Es geht um die Erfahrung  gegenseitiger Bezogenheit, in der Folge um Prozesse der Aushandlung:  von Umgangsformen, von Akzeptanz, darüber, welche Sprache angemessen ist.  Und auch darüber, was schön ist – so entsteht etwa ein Streetstyle aus  Begegnungen im öffentlichen Raum.

In einer der trübsten Phasen des Lockdowns im Januar 2021 gab es den kurzen Hype der Plattform Clubhouse. Clubhouse kam gefühlt einer physischen Öffentlichkeit näher als andere Social-Media-Formate – die Kommunikation verlief nicht zeitversetzt, sondern sie erfüllte ein wesentliches Merkmal von Begegnung, Synchronität. Clubhouse wurde verglichen mit Barcamps,  mit Thementischen und Cafés, wo man sich an den Tisch dazu setzen kann, mit Late- Night Talks und Partygesprächen – kurzum Begegnungsorten der analogen Welt.
Der Hype versandete rasch – zeigte aber deutlich ein aufgestautes Verlangen nach Austausch und Begegnung.

Digitale Räume haben durchaus Potenzial, Orte von Begegnung zu sein,  Demokratie zu stärken. Ob sie das sind, hängt von ihrer jeweiligen Beschaffenheit ab.
Das von einem Pioniergeist geprägte frühe Social Web, Web 2.0, wurde damals als neuer Ort von Begegnung erlebt. Nutzer verstanden sich als Pioniere, die einen neuen Meeting Ground gestalteten. Vernetzung bedeutete die Summe von Begegnungen, , die nicht mehr so leicht verloren gingen.  Man verstand sich als Community/ Netzgemeinschaft. 
Die Welt der Social Media in den 20er Jahren stellt sich anders dar: Plattformen betreiben ihre Agenda, haben ihre Einflusszonen entlang sozialer Graphen eingenommen. Algorithmen regieren.
Es haben sich neue Formen einer Influencer & Creator Ökonomie entwickelt, die zwar einige Spielräume für Begegnungen lassen, v.a. aber den Gesetzmässigkeiten einer Aufmerksamkeitsökonomie nachkommen. Der Ton hat sich verändert – Pöbelei – aggressive Kommunikation ist keine Seltenheit mehr.
Das grösste Problem: Digitale Begegnungsorte sind im Besitz weniger Konzerne – BigTech. Für die Weiterentwicklung spielen demokratische Prozesse keine Rolle. Es zählen Unternehmensentscheidungen – ein Eigentümerwechsel, wie das Beispiel Twitter/ X zeigt, oder eine Änderung der Unternehmensziele, kann Plattformen rapide umkrempeln.

Begegnung steht an der Basis gesellschaftlicher Wirklichkeit – Menschen können sich überall wo sie sind, begegnen – und entscheiden, wie sie zueinander stehen und wie sie miteinander umgehen.

Ein weiteres soziologisches Konzept lässt sich anfügen: Das Begriffspaar  Community vs Consociality. Community wurde oft überstrapaziert, bedeutet bereits eine Zugehörigkeit über gemeinsame Identität, Interessen, Ziele. Der Begriff steht in einer Tradition des Konzepts Gemeinschaft bei Ferdinand Tönnies.
Bei Consociality geht es nicht um Gemeinschaft, sondern um Begegnungen in einem weiteren gesellschaftlichen Rahmen.

Rainald Manthe: Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte sozialen Zusammenhalts, 139 S. Transcript Verlag, 2024. auch: Alltägliche Begegnungsorte der Demokratie, 11.10.2024. 24 Vgl. auch : Christian Schwarzenegger: Medienöffentlichkeit als Raum der Begegnung, Heinrich Böll Stiftung, Juni 2019, 25 S – Sarah Wohlfeld, Laura-Kristine Krause: Begegnung und Zusammenhalt: Wo und wie Zivilgesellschaft wirken kann, 2021. 27 S. Kurt Imhof: Theorie der Öffentlichkeit als Theorie der Moderne. In C. Winter, A. Hepp & F. Krotz, Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft (2008, S. 65–89) .- Zahlenangaben in Klammern nennen die Seitenzahl im Buch “Demokratie fehlt Begegnung”

 



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