Digitale Monopole – Big Tech muss weg – Rezension

Plakativer gehen  Titel  und  Cover  kaum:  BIG TECH muss weg klingt wie eine Schlagzeile des Boulevard: knallig und eindimensional – und ist von Autor und Verlag genauso harsch gemeint.  Es geht um die Korrektur der feindlichen Übernahme des freien Internet, um einen  Aufruf das Netz zu befreien und Digitalkonzerne in die Schranken zu weisen. Das Ganze so engagiert geschrieben, dass man es zumindest mit einer gewissen Zuversicht aus der Hand legt.

Die Dominanz der grossen Digitalkonzerne war im vergangenen Jahrzehnt immer wieder Thema- und einige Bücher können als Standardwerke dazu gelten. Shoshana Zuboff beschrieb  in Zeitalter des Überwachungskapitalismus eine neue Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für ihre kommerziellen Operationen nutzt.  Eine wohl noch grössere   Leserzahl erreichte Jaron Lanier mit Wem gehört die Zukunft (2014) und dem nachgelegten Rant (Wutrede) 10 Gründe (2018).
Keine Kampfschrift, sondern eine Analyse der Landnahme der Digitalkonzerne ist Michael Seemanns Macht der Plattformen (2021). Er konstatiert: Plattformen sind mehr als Unternehmen, sie sind Herrschaftszentren unserer Zeit.  Autor Andree legt nach: die wahrscheinlich grössten (aktuell) existierenden Akkumulationen von Macht und Reichtum in der westlichen Welt (240).

Zum Thema ist viel gesagt worden – die genannten Titel sind nicht die einzigen – aber wenig folgenreich. Geschäftsprozesse und Machtverhältnisse sind erklärt,  Zusammenhänge bekannt – auch bei der Breite der Nutzer. Der mit zahllosen Zukunftsvisionen belegte virtuelle Raum, wird von wenigen Konzernen dominiert. Von Zeit zu Zeit gibt es Wellen der Empörung, zuletzt nach der  Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Eingetreten ist aber -mehr oder weniger – eine gesellschaftliche Gewöhnung daran.
Ein entscheidender Faktor steckt in dem von Shoshana Zuboff verwendeten Begriff Verhaltensüberschuss: Digitale Verhaltensdaten enthalten mehr Informationen, als für Betrieb und Verbesserung von Diensten und Plattformen erforderlich. Sie wurden zur Grundlage, zum Rohstoff der algoritmisch gesteuerten  digitalen Werbewirtschaft, wie wir sie heute kennen. Verwiesen sei auch auf den Überschusssinn bei Dirk Baecker:  Medien der Kommunikation stellen mehr Möglichkeiten der Kommunikation bereit, als aktuell jeweils  wahrgenommen werden könnenin den elektronischen Medien ist es ein Kontrollüberschuss (vgl. D. Baecker, 2016* u. 2018).

Autor Martin Andree ist Medienwissenschaftler, Mitherausgeber des Atlas der digitalen Welt (2020). Die Erfahrungen bei der Kartierung des Internet und der digitalen Marktkonzentrationen, waren Auslöser zum Buch. Das Problem sind nicht einzelne Praktiken und Wirkungen wie Überwachung und Monetarisierung des Verhaltensüberschusses, Fake- News, Hate Speech, Zwang zur Selbstdarstellung –  das Kernproblem ist die drohende Übernahme unseres Mediensystems (10). Und es sind harte Vorhaltungen: Digitalkonzerne zerstören die politische und die wirtschaftliche Freiheit zugleich (11).
Seit 20/21 sind digitale Medien die Leitmedien – nimmt man den Werbemarkt  als Indikator, übertreffen sie seitdem alle analogen Medienformate zusammen genommen. Der Point of no Return sei voraussichtlich 2029 erreicht – werbeabhängige, redaktionelle Medien werden immer mehr abgedrängt, irgendwann trocken gelegt.  Weiterhin dominieren die wenigen Plattformen den Online-Traffic (30ff) – der long tail wird schnell dünn (vgl. Graphik u.). Nicht nur Blogs,  auch Websites grosser Markenkonzerne spielen nur eine marginale Rolle. Plattformen haben den Grossteil des User Generated Content an sich gebunden. Big Tech beherrscht gleich mehrere Ebenen des sog. Sales Funnel (115ff) – von der Erzeugung von Aufmerksamkeit bis zum Kaufentscheid.
Neue Technologiesprünge versprechen keine Änderung – BigTech hat die Mittel jeden denkbaren aufzukaufen. Generative KI – das Thema des Jahres 2023 – ist so ein weiterer Beschleuniger. Sie ist nur so gut, wie sie trainiert wurde. Wesentlicher Rohstoff ist der nutzergenerierte Content auf den Plattformen (100).

Plattformen nennen sich selbst nicht Medienunternehmen – sie beteuern immer wieder “nur” Intermediäre zu sein – was letztlich eine neue Umschreibung für Medien ist (144) – aber Schutz vor Zugriffen des Medienrechts in Form der Verbreiterhaftung gewährt.  Sie pflegen einen Narrativ das, das was gut ist, gut für sie selber und gut für die Welt ist. Man spricht gern von  Diversity und Nachhaltigkeit, von Empowerment und bringing people together. Tatsächlich sind es Mega- Medien, die die Kapazitäten der analogen Massenmedien sprengen – und sie sind es, die mit ihren Geschäftsbedingungen ihre Nutzer regieren. Amazon Marketplaces bindet so als Intermediär zwischen Händlern und Käufern unabhängige Shops an sich,  Instagram sammelt zahllose Content Creator ein, youtube ist die einzige nennenswerte Video- Plattform. Auch wenn manche Nutzer mit dem Status Quo zufrieden sind – für eine demokratische Öffentlichkeit und einen freien Markt sind Monopole, die die digitale Infrastruktur beherrschen, schädlich.

Grundsätzlich hält das Medienrecht Handlungsweisen gegen Monopole bereit. Gegenüber den Plattformen besteht  eine rechtliche Lücke (Ausschluss von der Verbreiterhaftung). Fühlen sich Konzerne unbehelligt, gewöhnen sie sich hoheitliche Kompetenzen an.  Für Andree ist es eine Frage des politischen Willens, aber auch der Agilität von Regulierern.  
BigTech pflegt wie die gesamte Digitalbranche einen eher lässigen Habitus.  Ob nun Big Tech tatsächlich im Erbe einer Hippie- und Nerdkultur steht, ist eine kultur- und popularhistorische Frage – bestimmender ist wohl das Investitionskapital, das in BigTech geflossen ist.  Man bedient sich aber gern bei nonkonformistischen Narrativen oder gibt sich informell. Milliardäre im T- Shirt, aber mit Yacht und abgezäunten Ländereien. Es geht um die Freiheit des maximalen Geldverdienens gegen jede denkbare Einschränkung zu verteidigen (222). Und manchmal bricht es durch: Machtfülle bietet Raum für Grössenwahn, für einen Anarcho- Kapitalismus mit dem Recht des Stärkeren. 

Dominanz der Monopole – no long tail (250)
Die Vision des freien Internet (250)

Im Buch geht es nicht nur um eine Abrechnung mit BigTech – dem gegenüber steht eine Vision des freien Internet, wie sie seit den frühen Jahren des Internet viele Menschen beflügelte.    Zielvorstellung ist ein Netz, in dem sich die Angebote nicht mehr auf wenige Monopole konzentrieren – Anbietervielfalt. Am Ende des Buches  stehen 15 einfache Schritte, wie das Netz von den Tech- Riesen befreit werden kann (256 – 261) – genannt sei die Allgemeine Durchsetzung offener Standards und Interoperabilität – gegenüber geschlossenen Standards, die Nutzer an bestimmte Anbieter binden. Letztlich ist es eine Frage des politischen Willens digitale Souveränität zurück zu gewinnen. Ansonsten werden wir von BigTech reguliert (271ff).

Das Buch ist äusserst detailreich, berührt zahlreiche weitere Punkte, die hier nicht alle angesprochen werden können. Eine breite Resonanz hat es bislang gefunden – bleibt zu wünschen auch in der politischen Willensbildung.
Für alle, die lange Texte schrecken: Das Buch ist nicht einfach bebildert – sondern geradezu graphisch durcherzählt, so ist die Kommunikations-designerin Verena Bönniger mehr als Illustratorin, sondern Co- Autorin.

Ein Blick in den langfristigen,  historischen Kontext schliesst sich an: In Power and Progress von D. Acemoglu und S. Johnson geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Technologie, Ökonomie und Gesellschaft im Laufe des letzten Jahrtausends. Technologie hat keine vorherbestimmte Richtung und wenig davon ist unvermeidlich.
Was ist Fortschritt? Technologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt bedeuten nicht dasselbe. Die enormen Fortschritte der digitalen Technologien im letzten Halb- Jahrhundert können wirksame Werkzeuge von Empowerment und Demokratisierung sein – aber nicht, wenn die wesentlichen Entscheidungen in den Händen einiger weniger exponierter Führer von Tech-Konzernen liegen.
Auch hier steht am Abschluss eine Liste kritischer Schritte,  was Demokratien unternehmen müssen, um sicherzustellen, dass die Erträge der nächsten Technologiewelle allgemeiner unter ihrer Bevölkerung geteilt werden.  demnächst mehr dazu

Die Digitalisierung hat Machtgefüge verschoben. Es braucht Gegenkräfte, um den Nutzen der technologischen Fortschritte und Erfolge zu verteilen. Ein Fazit  lässt sich erkennen: It’s all about the Balance of Power– Es ist immer wieder eine Frage der Machtbalance.

Martin Andree: BIG TECH muss weg. Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft. Wir werden sie stoppen. Campus Verlag. 2023. Harald Stamm: Holt Euch das Netz zurück! (Rez.) FAZ am Sonntag, 13,08.23 – S. 39  Daron Acemoglu & Símon Johnson: Power and Progress. Our Thousand- Year Struggle over Technology and Prosperity (2023) . John Naughton: Power and Progress review – why the tech-equals-progress narrative must be challenged The Guardian 7.05.23. Shoshana Zuboff (Übs: Bernhard Schmid): Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus Verlag, Frankfurt/New York 10/2018. – Rezension in diesem Blog. Michael Seemann: Die Macht der Plattormen, Links Verlag, 2021. Rezension in diesem Blog — Vgl auch: * Dirk Baecker, 9/2016. Digitalisierung als Kontrollüberschuss von Sinn. In: Digitale Erleuchtung (booklet) Frankfurt: Zukunftsinstitut (9/2016). Website zum Buch: https://bigtechmussweg.de/ 

 



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