Kürzlich (29.11.) war ich bei der Bloggerkonferenz, einem Mini-Online-Barcamp, das dann so mini gar nicht war: >60 TeilnehmerInnen hatten sich eingeloggt – die meisten davon aktive Blogger, darunter eine ganze Reihe bekannter Gesichter. Trotz aller Wendungen eine markant resiliente Szene.
Im Netz der Plattformen bilden Blogs eine winzige Nische, die oft mit rückläufigen Besucherzahlen und oft schwieriger Sichtbarkeit in Suchergebnissen zu kämpfen hat.
Andererseits bedeuten sie die Unabhängigkeit, Themen frei zu setzen, eine Personenmarke aufzubauen.
Es gab eine Zeit, in der Blogs und ihre Betreiber auf breites gesellschaftliches Interesse stießen. Blogs waren eine der ersten Möglichkeiten für Einzelpersonen, ohne allzu großen technischen Aufwand Inhalte im Internet zu veröffentlichen und zu teilen, Publikation in Eigenregie – ohne Gatekeeper.
Blogger waren Pioniere einer neuen, digitalen Öffentlichkeit. Netzgemeinschaft war die Selbstwahrnehmung, man verstand sich als Bewegung. Damit verbunden waren Vorstellungen einer partizipatorischen Kultur und eine Utopie der vernetzten Gesellschaft mit freiem Zugang zu Wissen für alle.
Der Begriff Blogosphäre klingt heute befremdlich – zeitweise wurde der entstehende vernetzte Raum so genannt, bis sich der zugkräftige Begriff Web 2.0 durchsetzte.
Inhaltlich waren die frühen Blogs oft unspezifisch, eine Mischung aus persönlichem Tagebuch und Experimentierfeld für digitale Kommunikation. Es ging um Sichtbarkeit, Vernetzung und das Verstehen von Mechanismen öffentlicher Präsenz im virtuellen Raum.
Blogger erwarben Vorsprungswissen: Sie lernten, wie Reichweiten erzielt werden, was es braucht Reputation aufzubauen, wie man digitale Öffentlichkeiten aufrecht erhält. Kein Wunder, dass aus Blogs PR- und Online-Kommunikationsberatungen hervorgingen. Andere Themenfelder waren solche mit hohem Unterhaltungswert: Reisen, Essen & Trinken, Mode, Sportarten. Genau die Themen mit höchst individuellem Konsumverhalten.
Von einer Netzkultur sprach man noch ziemlich lange. Plattformen wurden zunächst als Erweiterungen von Reichweite und Vernetzungsmöglichkeiten begrüsst, ganz besonders wurde #Twitter als Turbo von Reichweiten und thematischer Bündelung erlebt. Irgendwann ging diese Utopie verloren.
Was ist die Zukunft des Bloggens und hat Bloggen eine Zukunft? – war das Motto des Vormittags – und soll sich darüber hinaus fortsetzen.
So mikroskopisch gering der Anteil von Blogs am gesamten Online- Traffic ist, so sehr verkörpern sie die Ideen, den Spirit des Social Web: Vernetzung, Begegnung im digitalen Raum. Blogs sind das Autoren- Medium schlechthin. Sie bieten die Möglichkeit des Aufbaus einer Personenmarke – eine Monetarisierung des Engagements auf Umwegen.
Erfahrungen überschneiden sich oft: Vernetzung und Sichtbarkeit bleiben zentrale Anliegen – im Netz der Plattformen herrschen andere Bedingungen, als sie es einmal waren. Dennoch bleiben Möglichkeiten des Social Web bestehen, die sich nutzen lassen! Einfach mal Blogposts kommentieren, zitieren, Gedanken aufnehmen und weiter entwickeln!
Vorab gab es Impulsbeiträge, zwei davon von Autoren aktuell diskutierter, sehr eindringlicher Bücher zum Thema: Martin Andrées Big Tech muss weg ist mittlerweile Pflichtlektüre, wenn es um die Medienmacht von BigTech geht, auch in diesem Blog nachzulesen.
Die Graphik rechts zeigt etwas vereinfacht die Verteilung des Online- Traffic: Der allergrösste Teil davon entfällt auf die wenigen dominierenden Plattformen.
Das Ende von Social Media wurde schon des öfteren proklamiert. So gibt es seit einiger Zeit die These des Auseinanderfallens in zwei verschiedene Funktionslogiken: Soziale Interaktion, die zunehmend in geschlossenen digitalen Räumen stattfindet und massenmediale Kommunikation. Letztere ist das Hauptgeschäft im Netz der Plattformen.
Dominik Ruisinger ist Autor von Das Ende von Social Media – ein Buch, das noch auf meiner Leseliste steht. Gemeint ist der Verlust der sozialen Ebene: Social meinte eine vernetzte Öffentlichkeit. Social Media waren gedacht, Menschen an digitalen Orten zusammenzubringen. Die Idee des aktiven Austausches ist erodiert durch algorithmische Filter, durch KI-Content, durch passives Entertainment, durch polarisierende Inhalte (Ruisinger). Der InterestGraph hat den Social Graph abgelöst. Social Graph meint das Netzwerk von Beziehungen und Verbindungen zwischen Personen und Objekten innerhalb von sozialen Netzwerken.
Social Media haben tatsächlich die Welt verändert. Die Geschichte des Internet und der digitalen Öffentlichkeit ist Kulturgeschichte des 21. Jahrhunderts. Blogs spielten dabei als ein Basismedium digitaler Öffentlichkeit eine Rolle- nicht als einzelne, sondern als Publikationsform in einem partizipatorischen Netz.
Die digitale Öffentlichkeit wuchs zu der für aktuelle Gesellschaften entscheidenden Öffentlichkeit heran. Die Hoheit über darüber ist ein wesentlicher Machtfaktor. Zunächst war sie als vernetzt, hierarchie- frei, divers gedacht.
Heute ist das Netz der Plattformen die dominante Massenkultur des 21. Jahrhunderts, so wie es TV von den 60ern bis in die 90er Jahre war, das Radio in der Zeit davor. Eine Massenkultur mit ihren eigenen Möglichkeiten von Machtkonzentration und Manipulationen. Machtkonzentration in der digitalen Öffentlichkeit wird vielfach als Gefahr für die Demokratie gesehen.
In dem – etwas wenig beachteten – Buch Vom Sog der Massen und der neuen Macht der Einzelnen (Gebauer & Rücker, 2019) ist von individualisierten Massen die Rede – genau das hat sich im Netz der Plattformen verwirklicht. Serviert wird jedem Teilnehmer ein ganz eigenes – algorithmisch gesteuertes – Programm.
Menschen an einem digitalen Ort zusammen zu bringen bedeutet Begegnung – so lässt sich eine Brücke schlagen zum Konzept Demokratie braucht Begegnung. Digitale Räume sind sicher nicht dasselbe wie realweltliche Räume, aber sie haben das Potenzial, Orte von Begegnung zu sein, Demokratie zu stärken. Ob sie das sind, hängt von ihrer jeweiligen Beschaffenheit und dem Engagement ab. Im (Blogger-) Barcamp wurde auch das Verschwinden lokaler Öffentlichkeiten thematisiert – eine weitere Parallele.
Stellt man Bloggen in einen weiteren Rahmen, lassen sich Zusammenhänge zu einer breiteren Bewegung zum Rückgewinn Digitaler Souveränität erkennen. Über die Graphik rechts ist der Zugang zu einer Roadmap Reclaiming Digital Sovereignty verlinkt. Für sich allein genommen, sind Blogs fast schon digitale Folklore – in einem grösseren Bild Teil einer demokratischen digitalen Öffentlichkeit. Blogs bleiben weiterhin ein Medium im digitalen DiskursDemokratie erfordert dauerhaften Einsatz – der aktuell besonders erfordert scheint.
Veranstaltet wurde das Mini-Online-Barcamp von Daniela Sprung und Thomas Riedel. In näherer Zukunft vorgesehen sind ein Termin auf der re: publica (5/25). Bis dahin besteht auf folgenden (nicht- spezifischen) Barcamps die Möglichkeit zum Austausch. Ansonsten: Die Funktionen des Social Web gibt es noch, und sie lassen sich nutzen ;-).
vgl..: Martin Andree: BIG TECH muss weg. Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft. Wir werden sie stoppen. Campus Verlag. 2023. Vortrag–zum Download: Wie digitale Monopole den Journalismus zerstören und die Demokratie bedrohen. Dominik Ruisinger: Das Ende von Social Media. Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen. 4/2024.
Zum Bloggercamp: Thomas Riedel „Zukunft Bloggen!?“ – Ein Mini-BarCamp – Johannes Mirus: Aus dem Leben. Barcamp Zukunft Bloggen – Martin Andrée – Vortrag (Video) Markus Pflugbeil: https://www.pflugblatt.de/zukunft-bloggen-barcamp/
Gunter Gebauer & Sven Rücker: Vom Sog der Massen und der neuen Macht der Einzelnen. DVA, München 2019. 345 S. (Rezension)
Wie immer ein großartiger, fachlicher, sachlicher Artikel, der einen guten Überblick gibt und einordnet. Hab vielen Dank dafür! 🙂
LG Thomas