Sam Altman, der CEO von Open AI, hat einen programmatischen Text mit dem Titel The Gentle Singularity online gestellt. Kurz darauf gab er seinem Bruder Jack Altman ein Videointerview: The Future of AI.
Wenn der CEO eines BigTech– Unternehmens, wie Open AI, seine Zukunftsvisionen teilt, kann man davon ausgehen, dass Inhalt und Rhetorik strategisch auf ihre Wirkung hin durchdacht sind.
Das Interview zeigt Sam Altman im vertrauten Gespräch mit seinem Bruder auf dessen YouTube-Kanal. Moderne PR lebt davon, Entscheidungsträger von ihrer menschlichen Seite zu zeigen – als nahbare Persönlichkeiten. In diesem Fall verbindet sich ein persönlicher Gesprächsrahmen – eine Art familiäres Kamingespräch – mit einer maximalen globalen Öffentlichkeit.
Der Podcast A World with AGI* in der Reihe Uncapped with Jack Altman #13 überschneidet sich inhaltlich mit dem Video-Interview, hebt jedoch einige Aspekte hervor, so etwa Altmans Meinungen zum Konkurrenten Meta.
Im Blogpost The Gentle Singularity geht es um nichts weiter als den Übergang zu einem neuen Zeitalter – dem einer Digitalen Superintelligenz. Sam Altman beginnt mit Pathos, kündigt die Überschreitung eines Horizontes an, der sich der Menschheit eröffnet. Er schreibt im pluralen Wir – und dieses Wir steht für die Menschheit – der er die Furcht vor diesem Zeitalter nehmen will.
Es soll ein sanfter/ gentle Wandel sein, eine allmählich entstehende Superintelligenz, die nicht plötzlich, sondern schrittweise Realität wird. Versprochen wird viel: Intelligenz und Energie, Ideen und die Fähigkeit diese umzusetzen, werden im Überfluss vorhanden sein. Wissenschaftlicher Fortschritt beschleunige die Produktivität, KI lasse die Lebensqualität enorm steigen. Die KI soll für jeden leicht zu bedienen sein und bis in Details an persönliche Bedürfnisse angepasst werden können.
Wer aber diese Ressourcen kontrolliert bzw. verteilt, wird nicht genannt. Im Kontext von KI bezeichnet Singularity eine maschinelle Intelligenz, die menschliche Intelligenz übertrifft – grundsätzlich ein radikaler Bruch, in den Auswirkungen alles andere als sanft. Das Adjektiv gentle/sanft stellt diese potenziell disruptivste Technologie als einen weichen Übergang, als sanfte Evolution dar – ein Widerspruch in sich.
Der Text liest sich als Entwurf eines Cyber- Utopia: This is how the singularity goes: wonders become routine, and then table stakes.
Ein weichgespülter Techno- Utopismus, der die Risiken und die Fragen von Machtverteilung und -ausgleich auslässt. So ungebrochen habe ich schon lange nicht mehr von der Gleichsetzung von digitalem und gesellschaftlichem Fortschritt gelesen.
Im Gespräch der beiden Brüder geht es um persönliche Einstellungen, v.a. aber um die Haltung zu den Mitbewerbern – in erster Linie Meta. Altman plaudert von dessen Versuch, Mitarbeitende mit hohen Prämien abzuwerben und nennt dies ein schlechtes Zeugnis einer Unternehmens- und Innovationskultur.
Für OpenAI spräche das beste Kompliment, das er je gehört habe. Es sei die einzige Tech Company, die den User nicht nervt und manipuliert: Google versuche, Nutzern schlechtere Suchergebnisse und Werbung zu zeigen, Meta versuche, das Gehirn zu manipulieren und Nutzer zum Doom-Scrolling zu bringen, Apple bombardiere Nutzer mit Benachrichtigungen.
Die Kernaussage von Blogpost und Interview: Die Entwicklung einer digitalen Superintelligenz ist unvermeidlich – und das ist gut so. Altman präsentiert OpenAI als Forschungsunternehmen für Superintelligenz, sich selbst als einen Anführer der guten Sache. Im Vergleich zu anderen CEOs von BigTech-Unternehmen wirkt er wie der Hobbit unter den Oligarchen.

We are building a brain for the world – ein Satz, der mit dem imperialen Wir anmassend erscheint und erschreckt. Gemeint ist die gesamte Branche, nicht Open AI allein.
Ist die Tech- Branche dazu ermächtigt, Wissensgewinn, Kreativität und Kommunikation für uns alle neu zu gestalten? Es geht um einen exponentiellen technologischen Wandel, um eine Landnahme. Letzteres bedeutet die Einnahme und Monopolisierung des durch die Wirkung neuer Technologien entstehenden Raumes.
Vorgestellt wird es uns als eine natürliche Entwicklung, der wir vertrauensvoll folgen, die sanft genug ist, uns ihr problemlos anpassen zu können. Es klingt, als sei diese Entwicklung natürlich und notwendig und dass ihre Führung in guten Händen liegt.
In einem früheren Blogpost (2/25) heisst es, dass die Mission darin bestünde, sicherzustellen, dass AGI- Artificial General Intelligence* der gesamten Menschheit zugute kommt. Was die Tech-Industrie plant, wird als zwangsläufiger Fortschritt dargestellt.
Verstehen lassen sich diese Sätze als Ausdruck eines dominanten Gestaltungsanspruchs der Tech-Industrie. We are building a brain for the world ist eine solche archetypische Aussage aus dem Silicon Valley – eine klassische Aneignung von Zukunft, futures appropriation. BigTech betreibt World-Building und stilisiert sich als Vollbringer des menschlichen Fortschritts.
Gesellschaftlicher Wandel ist niemals, technologischer Wandel selten kontinuierlich oder monokausal. Beide sind miteinander verbunden und es gibt eine Reihe von Erklärungsmodellen, darunter das der Technogenese (der Prozess, in dem technologische Innovationen nicht isoliert, sondern immer in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Strukturen und Kräften entstehen).
Eine Innovation, wie die von AGI bzw. einer Superintelligenz löst zwangsläufig gesellschaftliche und politische Dynamiken von unbestimmten Ausmass aus.
Das Herauswachsen des Internet von experimentellen Inseln zu einer globalen Infrastruktur brauchte einige Jahrzehnte, verlief in mehreren Schüben und war von vielfältigen Diskussionen begleitet.
Mit dem Internet war lange Zeit die Vorstellung von Dezentralisierung und Demokratisierung verbunden, zu Recht, vorhergehende Machtverhältnisse wurden gelockert.
Es brauchte 20 oder mehr Jahre zur Herausformung der spezifischen, auf algorithmischer Kontrolle beruhenden Machtverhältnisse, die oft Überwachungskapitalismus genannt oder unter digitaler Oligarchie zusammengefasst werden. KI ist jetzt schon oligarchisch dominiert.
Superintelligenz ist immer noch Speculative Future. Die heutige KI, die sich etwa seit der Jahreswende 22/23 verbreitet hat, ist archivbasiert. Sie funktioniert durch Mustererkennung und die Rekombination trainierter Daten. Daten, die oft genug geklaut sind – d.h. ohne Zustimmung von Produzenten und Rechteinhabern verwendet werden. In den allermeisten aktuellen Diskussionen geht es um diese archivbasierte KI.
Die Resonanz reicht von fundamentaler Kritik zu oft abwägender Zustimmung. Die Nutzung ist zum einen effizienzgetrieben, zur Erledigung stark formalisierter Aufgaben – oft aber auch zur Konzeptentwicklung in etwa als Sparring- Partner.
Altmans Postings und das Interview lassen sich als eine Image-Kampagne für die Positionierung von OpenAI in einem zukünftigen, technokratisch- geführten System lesen. Sie zielen darauf ab, eine hegemoniale Kontrolle über die Entwicklung von KI als unvermeidlich, unbestreitbar und gentle darzustellen. Allerdings stoßen diese Visionen auf starke Widerstände – werden teils als ein Pitch to the entrepreneurial class¹ beschrieben, als Versuch, unternehmerische Eliten für diese Zukunftsvision zu gewinnen. Ein wenig erinnern sie an Googles Motto dont’be evil in der Vergangenheit.
Im Jahre 2025 liegen jedenfalls Erfahrungen zurück, die uns gegenüber gross angelegten Zukunftsvisionen von BigTech Unternehmen skeptisch machen. Es geht auch um Machtverschiebungen. Das Recht der Stärkeren – wir tun es, weil wir es tun können – ist wieder vermehrt Teil unserer Wirklichkeit, zu Lasten einer breiten Aushandlung.
Sam Altman: The Gentle Singularity: (Blog 10.06.25) – KI-Training ist Urheberrechtsverletzung. ¹Virginia Backaitis: Why Sam Altman Is One of the Most Dangerous Men Alive, 11.06.25 David Golumbia: Cyberlibertarians’ Digital Deletion of the Left. * AGI: Artificial General Intelligence- eine Form künstlicher Intelligenz, die nicht nur auf spezifische Aufgaben beschränkt ist, sondern über allgemeine kognitive Fähigkeiten verfügt – also Probleme in unterschiedlichsten Bereichen flexibel, selbstständig und auf menschlichem Niveau oder darüber hinaus lösen kann.
Chapeau!
Die Analyse trifft zu — institutionenökonomisch und sozialwissenschaftlich kein Privatmythos, sondern state of the art (soweit ich das zu beurteilen vermag). Besonders stark: die forensisch-präzise Betrachtung, wie sie auch in der Gerichtsmedizin geboten ist.
Gleichwohl habe ich mehr Empathie für Altman, glaube ihn recht gut zu verstehen — vielleicht, weil ich mich selbst manchmal auf dem Weg in den Tech-Olymp wähne. Dieser Wahn begrenzt meine jakobinische Solidarität wohl ein wenig.
Schon im Kurzkommentar auf LI (nicht sorgfältig genug) hatte ich auf den erweiterten Kontext von Singularität und Ereignishorizont hingewiesen — und darauf, dass Altman m.E. in mancher Hinsicht Recht haben könnte.
Er stammt aus jüdisch-bürgerlichem Milieu in Missouri, absolvierte ein exzellentes Informatikstudium und verfolgte nie primär das Ziel, der reichste oder mächtigste Mann der Welt zu werden. Reich ist er längst — durch seine Y Combinator-Beteiligungen.
Er verzichtete bewusst auf Anteile an OpenAI, obwohl er die Teilumwandlung der Stiftung in ein kommerzielles Unternehmen maßgeblich vorantrieb — und die internen Gegner dieses Kurses (u.a. Mira Murati, Ilya Sutskever) in einem brillant geführten, von der intellektuellen Kernmannschaft getragenen Gegenputsch aus dem Spiel nahm.
Warum?
Weil die Leistungsfähigkeit von KI exponentiell wächst — und das nur in einer Organisationsform zu bewältigen ist, die selbst auf exponentielles Wachstum ausgelegt ist und unmittelbaren Zugang zum globalen Kapitalmarkt besitzt.
Zumindest ein Stück weit scheint mir Sam Altman eben nicht der übliche „Fürst der Finsternis“ zu sein — sondern jemand, der das Prinzip Tikkun Olam (die Welt durch eigenes Handeln ein Stück besser machen) seiner Eltern durchaus beherzigt.