Web3 und Metaverse wurden immer wieder in einem Zuge als Zukunftstechnologien, als neue Stufen der digitalen Evolution genannt – ansonsten sind es zwei voneinander unabhängige Entwürfe. Sie bedingen einander nicht. Beide sind aber mit wirkmächtigen Narrativen verknüpft, die ihre Popularität stütz(t)en.
Web3 ist der Dachbegriff zu Technologien, die auf der Blockchain beruhen: DAOs, NFTs, Kryptowährungen, Smart Contracts, Proof of Work etc. Die Blockchain ist die dezentrale, öffentliche Datenbank, sie macht jede Transaktion transparent und damit nachvollziehbar. Jede meint wirklich jede- bis auf die Ebene von Postings. Transaktionen können nicht verändert werden.
Dem eigenen Narrativ des Web3 nach, geht es um Dezentralisierung, darum, wer das Internet der Zukunft kontrolliert – versprochen wird eine Demokratisierung und die Ablösung der Dominanz der Plattformbetreiber. Im Web3 tauschen Nutzer ihre Daten über dezentralisierte, blockchain-basierte Netzwerke aus, ohne auf Dritte zurückzugreifen.
Web3 führt in eine Welt der Token-Economy, in der Blockchain-gestützte, dezentrale Anwendungen das direkte Eigentum der Nutzer und die Monetarisierung von Identität und Inhalten durch Token ermöglichen. Token ermöglichen es aktiven Teilnehmern und Urhebern, ohne zwischengeschaltete Plattformen wirtschaftlich von Webaktivitäten zu profitieren. Diese Tokens sind fungible assets, also nicht- unterscheidbare/ austauschbare Werte wie crypto und stablecoins, oder NFT/ Nonfungible Tokens **. Protagonisten von Web3 argumentieren, dass Web3 das Internet demokratischer, freier, dezentraler, zensurresistenter mache.
Autorin Shermin Voshmgir bezeichnet ihr Buch Token Economy selber als Primer to the Web3 mit dem Anspruch Wissen zu Web3 und Blockchain für ein breites Publikum verständlich zu systematisieren. Web3 erscheint hier als logisch konsequente Folgeversion von Web1 und Web2. Web2 ermöglicht PtoP- Interaktionen, die aber über Plattformen vermittelt werden. Erst Web3 ermöglicht demnach den Datenaustausch ohne Intermediäre.
Das Buch lässt sich geradezu als Nachschlagewerk oder auch erklärende Gebrauchsanweisung nutzen und hält das Versprechen einer verständlichen Systematisierung ein. Web3 wird als wohldurchdachtes, in sich stimmiges Konzept einer globalen Infrastruktur, das aber erst einmal verstanden werden muss, beschrieben. Im wesentlichen die technischen Details, aber auch weitergehende sozio- ökonomische Bezüge wie die (angenommene) Zukunft von Geld- und Finanzwirtschaft. Zu einer Reihe von Themen gibt es Infographiken, so zum Governance Feedback Loop (163) – der sozialen Steuerung der System-Regeln und zum Identitätsmanagement (103). Welchen Sinn, welche Nebenwirkungen, welchen gesellschaftlichen Vorteil eine tokenbasierte Ökonomie haben soll, wird über Dezentralität hinaus nicht weiter thematisiert.
Die Kritik an Web3 richtete sich zunächst v.a. auf den immensen Energieverbrauch beim Schürfen von Bitcoins – in der Grössenordnung von Volkswirtschaften wie etwa Argentinien oder der Niederlande. Wie ist eine solche Ressourcenverschwendung in Zeiten von CO2- bedingtem Klimawandel zu rechtfertigen?
Web3 hat technologische Grundlagen und Grundannahmen (so die Blockchain), ist aber ebenso ideeller Begriff für eine Reihe von Visionen, Ideologien und Zielen (vgl. Geuter, 22). Mittlerweile hat sich die Kritik verschärft und richtet sich auf Web3 als Ganzes. Wesentliches Pro- Argument der Web3- Verfechter war immer die dezentrale Organisation – im Gegensatz zu dem von grossen Konzernen beherrschten Web2. Rhetorik und Wirklichkeit von Web3 fallen der Kritik nach weit auseinander: Nicht dezentrale Machtverteilung, sondern ein umfassender Einfluss von Investoren bestimmt nach Ansicht von Kritikern Web3. Die Resistenz gegenüber Zensur ist in Wahrheit eine gegenüber Regulierungsauflagen. Geschäfts- und Governance-Prozesse sollten keinesfalls auf eine Plattform ausgelagert werden, die dafür gebaut ist, staatliche Regulierung zu unterlaufen.
Web3 ist derzeit eine Welt ausserhalb von Kontrollsystemen, ein tendenziell staatsfreier Raum in die Nähe libertärer Ideologien. Libertär bedeutete einst einen radikal- heroischen Bruch mit gesellschaftlichen Zwängen, heute wird damit (u.a.) die schrankenlose, anarcho- kapitalistische Selbstentfaltung hinter einer Rhetorik von Freiheitlichkeit verbunden, die Oligarchien begünstigt. Web3 ist ein Web des Eigentums: Jedes Objekt gehört irgendwem, jedes Objekt kann getauscht und gehandelt werden. Jedes denkbare menschliche Bedürfnis wird wirtschaftlich erschlossen, um dann an den finanziellen Transaktionen – den Bezahlungen dieser Leistungen – beteiligt zu werden (J. Geuter, 2022; M. Engeler, 2022).
Jürgen Geuter, Informatiker und Blogger, hat die Kritik in scharfer Form in dem unbedingt empfehlenswerten Text Das dritte Web (2/22) zusammengefasst – der einer vollkommenen Entzauberung nahekommt: auf technischer Ebene zur (begrenzten) Problemlösungsfähigkeit der Blockchain, dem Wert von NFTs; mehr aber noch auf der politischen Ebene – kurz zusammengefasst Web3 als einen antipolitischen Raum zur Kapitalakkumulation. Letztendlich gehe es um die vollständige Finanzialisierung und Entpolitisierung unseres Lebens, ohne Rücksicht auf die ökologischen Konsequenzen.
Die Schärfe der Kritik ist nicht auf Geuter begrenzt und ist international. Bekannt wurde seine Kritik v.a. durch Auftritte bei der re: publica 2022 und der öffentlichen Anhörung “Web 3.0 und Metaverse”im Digitalausschuss des Bundestages. In der Wortwahl der Kritik wird an nichts gespart: Das Web3 ist ein moralisch abgrundtief widerliches Projekt – Die angedachten Bestandteile des Web3 sind in ihrer heutigen Form fundamental kaputt. Sie bringen nur ohnehin schon wohlhabenden Menschen Wohlstand. Und: völlig überhyped. Es ist das Internet, das es zu verhindern gilt – meint Patrick Beuth im Spiegel.
Im (über das Bild li.) verlinkten Interview mit Gunnar Sohn nimmt Jürgen Geuter /@tante Stellung zu den Motivationshaltungen der Befürworter, dazu Meinungen zu deren vermutetem Phänotypus. Die massive Kritik hat sich bisher in einigen Fällen durchgesetzt, so in der Anhörung im Digitalausschuss. Und sicher spielt der spekulative Absturz der Kryptowährungen eine Rolle. Es bedeutet nicht, dass das Thema Web3 damit vom Tisch ist, zwar heruntergefahren, aber weiterhin Thema von Workshops, Seminaren, Projekten und es gibt eine Anhängerschaft.
Man kann die Diskussionen um Web3, um das Metaverse, auch die um KI/AI als Teile der Diskurse, der Positionierungen zu einem Next Level des Internet verstehen. Es geht um die Positionierung bzw. das narrative framing ausgewählter Zukunftsszenarios als einer jeweils folgerichtigen und wünschenswerten- zumeist von Investoren vorgezeichneten Infrastruktur. Es sind Hype- getriebene Märkte mit dem Impetus, aufzuspringen, um die Rallye nicht zu verpassen. All diesen – technisch getriebenen – Zukunftsvisionen ist gemeinsam, dass sie für eine akzeptable Performance kaum einschätzbare Anforderungen an Energie haben.
Web2 begann als Web 2.0 mit einem verbreiteten basisdemokratischen Enthusiasmus – und wurde nach und nach von den plattformbetreibenden GAFAM- Unternehmen dominiert. Etwas davon fehlt heute.
Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Das Dritte Web 21 S. Antworten zur Öffentlichen Anhörung “Web 3.0 und Metaverse” am Mittwoch, 14.12.2022 – S02E34 – zu Crypto-Imaginaries und alternativen technologischen Infrastrukturen in: Jan Groos: Future Histories – Der Podcast zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft Gunnar Sohn: Interview mit Jürgen Geuter 10/22 Shermin Voshmgir: Token Economy. Wie das Web3 das Internet revolutioniert. Berlin 12/2020, 397 S. Malte Engeler: Web3 – Ein vergiftetes Versprechen. Netzpolitik.org, 2/22 Podcast – Irgendwas mit Recht: Recht und Digitale Gesellschaft 7/22 . — **Web3 Opens New Paths to Customer Loyalty – Boston Consulting Group, Kanada, 1/23 Bernard Murr. The Top 5 Trends in 2023. Forbes Digital Assets 10/22. Polina Khubbeeva: Kryptowährungen und Blockchain. Die grosse Ernüchterung. Netzpolitik.org 2/23