Auch Technologien brauchen eine Geschichte, um verstanden zu werden, oder zumindest um eine Erwartung an sie aufzubauen. Und es ist ein länger währender Prozess, bis sie zum Teil unserer Zivilisation werden.
Das Internet wurde als Beginn einer neuen Medienepoche der Menschheitsgeschichte* begrüsst – und war mit einer Aufbruchsstimmung zu einer partizipatorischen Kultur verbunden. Historisch wurde der Einschnitt oft mit der Einführung des Buchdrucks verglichen.
Das Metaverse knüpfte an Bilder einer parallelen Welt oder eines begehbaren Internet an, die aber langsam verschwanden bzw. zurückgefahren wurden. Der Hype ist abgeflacht, die Entwicklung geht aber in Richtung immersive Technologie bzw. räumliches/ Spatial Computing voran.
KI ist mit zahlreichen Mythen der Popularkultur verbunden, vom Golem bis zum Supercomputer HAL. Chat GPT und seine Mitbewerber wurden anfangs oft wie eine Art Zauberkasten wahrgenommen, der auf erstaunliche und oft unerwartete Weise ganz unterschiedliche Aufgaben löst.
Öffentliche Wahrnehmung und Diskussion haben sich seit Beginn des Hype erweitert und differenziert – in der Kritik, wie im Ausbau der Nutzung.
Es fallen Vergleiche zu Innovationen, die die industrielle Entwicklung ausgelöst oder erneuert haben: zur Dampfmaschine, zur Elektrizität. Rafael Laguna de la Vera, Chef der Bundesagentur SPRIND setzte noch einen drauf: Wenn der Computer das Fahrrad fürs Hirn (Steve Jobs) ist, dann ist KI die Rakete. Die 🚀 wird übrigens – informell – als Emoji für KI- generierte Inhalte verwendet .
KI und der Hype dazu – das sind zwei verschiedene Phänomene. KI ist ein technologisches Konzept mit seinen eigenen Grundlagen und Möglichkeiten, ein Fundament für verschiedenste technologische Anwendungen und Entwicklungen, die noch längst nicht zu Ende gedacht, noch weniger umgesetzt sind. Die heutigen Modelle der generativen KI sind eher frühe Versionen von dem, was möglich ist. Für manche sind sie bereits ein Aufbruch in eine neue Zeit. Der Hype lässt sich als Vorbote einer neuen technologischen Revolution verstehen ( vgl. Gunnar Sohn 8/24).
Der Hype ist ein ökonomisches und popular- kulturelles Ereignis. Er ist nicht gratis, weder ökonomisch, noch nach Kriterien der Nachhaltigkeit. Tech companies übertreffen sich gegenseitig im massiven finanziellen Einsatz. Es gibt jedoch noch kein klares Geschäftsmodell, abgesehen von der Steigerung der Cloud-Gewinne für Big Tech. Starke finanzielle Anreize treiben die Entwicklung an und lassen sie heisslaufen – so übersteigt der Hype oft die tatsächlichen technologischen Möglichkeiten.
Schon die bisherigen Investionen sind gewaltig. Rechnet man veröffentlichte Zahlen zusammen, kommt man schnell auf mehrstellige Mrd – Beträge Investitionsvolumen. Bis 2025 werden 200 Mrd angenommen (vgl. ai-investment- statistics). I don’t care if we go through $500 million, $5 billion, or $50 billion a year, as long as we’re moving the needle on AI – so ein Statement von Sam Altman (5/23), das den Willen zur Umsetzung verdeutlicht.
Mit den Investitionen entsteht eine globale Infrastruktur: Die Cloud- basierten Services der BigTech Giganten, die nun auch zu BigAI Giganten werden: There is no AI without Big Tech. Sie bieten Plattformen und Werkzeuge, die als Rückgrat von KI-Innovationen dienen und es ermöglichen, KI in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft und des täglichen Lebens zu integrieren.
Es gibt aber noch kein klares Geschäftsmodell, abgesehen von der Steigerung der Cloud-Gewinne für Big Tech durch die Bündelung von KI-Diensten mit Cloud-Infrastruktur. Und ein Geschäftsmodell ist wichtig, wenn es um Systeme geht, deren Training und Entwicklung Hunderte Millionen Dollar kosten kann (vgl. Amba Ka et al., s.u.).
Welche Rollen, welche Funktionen von KI eingenommen werden, ist noch längst nicht klar. Chatbots wie Chat GPT, werden etwa oft als eine Art persönlicher Assistent genutzt, haben aber im professionellen Einsatz bislang ihre Grenzen.
Singularisierte Automatisierung – gemeint sind KI-basierte Anwendungen, die jeweils spezifische Prozesse oder Funktionen automatisieren.. Es bedeutet die Automatisierung jeweils einzelner, spezifischer Prozesse oder Funktionen. Automatisierungen, die sich nach den jeweils erkannten Mustern richten – und in sehr unterschiedlichen Kontexten eingerichtet werden können.
Die Durchdringung von Branchen durch KI verläuft sehr unterschiedlich. Pharma- und Biotechnologiebranche profitieren etwa stark von generativer KI. Allgemein dringt KI dort am schnellsten vor, wo eine stark strukturierte Kommunikation vorherrscht, wie etwa in Kundensupport-Systemen, in IT, Marketing und Vertrieb. Branchen, die von standardisierten Verwaltungstätigkeiten oder strukturierten Prozessen geprägt sind – wie die Rechtsbranche mit ihrer präzisen Argumentation – gehören ebenfalls zu den Vorreitern (s. Abb.).
Aber niemand sollte sich bei Problemlösungen allein auf einen Chatbot verlassen: Vorsicht vor Botshit: ein Schlagwort für unwahre, ungenaue, unsinnige Chatbot- Inhalte, die unreflektiert übernommen werden (André Spicer, s.u.). Qualitätskontrolle bleibt notwendig.
KI ist selbst ein bedeutendes und lukratives Feld von Weiterbildung und Beratung. Klassische betriebswirtschaftliche Argumente wie Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit und Standort, Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Zeitersparnis, Kosten- aber auch Personaleinsparung -streuen sich ein. Es geht um Effizienzsprünge, manche Schätzungen sprechen von Produktivitätszuwächsen von bis zu 70%.“
Diese Versprechungen sind wohl nur in ganz bestimmten Workflows und mit darauf zugeschnittenen Lösungen erreichbar. So brüstete sich der schwedische Finanzdienstleister Klarna kürzlich, nach der Einführung von KI die Hälfte seiner Mitarbeiter einsparen, d.h. entlassen zu können.
Ob die mit KI verbundenen Versprechen von enormen Produktivitätssteigerungen tatsächlich gesamtwirtschaftlich realisiert werden können, bleibt abzuwarten. Der Return on Investment (ROI) scheint bislang keine zentrale Rolle zu spielen.
Zwei allgemein bekannte Muster von Hypes lassen sich sicherlich auch auf den KI- Hype beziehen: der Gartner Hype Cycle– mit den auf- und absteigenden Kurven der Aufmerksamkeit. Ebenso Amaras Gesetz Menschen neigen dazu, die Auswirkungen einer Technologie anfangs zu überschätzen, auf lange Sicht aber zu unterschätzen.
Die wesentlichsten Wirkungen des KI- Hypes liegen wohl anderswo: Hunderte Millionen Menschen haben Generative KI ausprobiert bzw. getestet – sie machten dabei einige ähnliche Erfahrungen: ganz vorn steht die, mit Computern in der eigenen Sprache umzugehen – das Betriebssystem, das Menschen am besten verstehen.
Generative KI hat unsere Fantasie beflügelt, die Hoffnungen und Ängste vieler Menschen über den Aufstieg intelligenter Maschinen genährt: grenzenlose Produktivität, grenzenlose Informationen, grenzenlose Fehlinformationen. Prompten ist die Kulturtechnik, gezielte Ergebnisse zu erreichen. Zu den Möglichkeiten gehört aber genauso die erleichterte Produktion von mit Absicht erstellten Fakes und ihre Verbreitung.
KI ist nicht nur eine Querschnittstechnologie, die in vielen Branchen Veränderungen auslöst, genauso wirkt sie auf zahllose gesellschaftliche Bereiche ein. Chatbots sind als popular- kultureller Motor wahrscheinlich bedeutsamer denn als technisches Werkzeug.
Zwei Beispiele in denen KI kulturelle Verwerfungen mit sich bringt: In einem der letzten Blogbeiträge hatte ich Digital Afterlife thematisiert, das Weiter- Bestehen der Kommunikation mit den Avataren von Verstorbenen – ein Format, das tief in unsere Vorstellungen von Tod und Trauer eingreift.
Ein ganz anderes Beispiel: Der spanische Fast Fashion Gigant Mango meldete, statt menschlicher Models nur noch KI- generierte Models einzusetzen.
Es lässt sich als Schritt in eine Synthetisierung von Schönheitsidealen lesen. Bildgenerierungen erinnern tatsächlich oft an über- standardisierte Stock- Photos – genauso können sie als ästhetisches Experimentierfeld dienen.
Letztlich wird der Hype um KI aber angetrieben durch die geschäftlichen Interessen von BigTech – es geht um die Landnahme in einem neuen Feld: Big Tech erweitert zu BigAI.
Ohne signifikante Eingriffe wird der KI-Markt letztlich dieselben Unternehmen belohnen und stärken, die bereits von den Gewinnen des invasiven Geschäftsmodells der Überwachungsgesellschaft profitiert habe, das das kommerzielle Internet angetrieben hat – oft auf Kosten der Öffentlichkeit (vgl. Amba Ka et al., s.u.).
Konzentrierte Macht ist nicht nur für Märkte ein Problem. Sind wesentliche Teile der Infrastruktur in den Händen weniger Unternehmen oder Entscheidungsträger, wird dies zu einem Problem für Demokratie, Kultur sowie individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit.
KI bleibt ein zentrales Thema öffentlicher Aufmerksamkeit, sie verbreitet sich zunehmend in unserem Alltag. In ihrem Gebrauch bilden sich mehr und mehr Alltagsroutinen.
Nach und nach, aufeinander folgend gab es die Hypes zur Blockchain/ Web3, zum Metaverse und nun KI. Gemeinsam ist allen, rechenintensive Stromfresser zu sein. So steht der enorme Energieverbrauch der neuen KI- Infrastruktur in der Kritik. Ohne breit verfügbare erneuerbare Energie kann sich der Planet KI in diesem Ausmass nicht leisten.
*vgl. : Dirk Baecker: 4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt – ² Gunnar Sohn 8/24 –P. McCarthy, Timothy R. Hannigan, and André Spicer: The Risks of Botshit AI And Machine Learning. In : Harvard Business Review 17.07.2024 André Spicer: .Beware the ‘botshit’: why generative AI is such a real and imminent threat to the way we live. The Guardian 3.01.2024. Matteo Wang: What ChatGPT Has Changed in Its First Year – The Atlantic. 16.01.24 – Silicon Valleys Trillion Dollar Leap of Faith: Tech companies are spending as if AI’s transformative uses are a foregone conclusion. They’re not. The Atlantic 29.07.2024 — Charlie Warzel: This Is What It Looks Like When AI Eats the World. The Atlantic Thomas Ramge: Wie sieht eine gute Zukunft mit KI aus? Eine Fortschrittserzählung Juli 2024. Robert Peters, Klaus Burmeister, Wenke Apt: Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz , fünf Kurzszenarien zur „Mensch-Technik- Interaktion 2030“ Holger Schmidt: Generative KI bringt aktuell mehr Produktivität, aber kaum Umsatzzuwachs. FAZ 24.07.2024. Der Hype nähert sich dem Ende. D2030 FuturesLounge 3.07.2024: KI-ein Schlüssel zur Welt von morgen. Passt er zur deutschen KI-Strategie?. Jaron Lanier: How to Picture A.I. ´The New Yorker. 01.03. 2024. Jupus: KI im Anwaltssekretriat — vgl. auch: L’I.A. est un concept. pas un produit Daron Acemoglu: The Simple Macroeconomics of AI* 05/2024. Fred Cavazza: L’ I.A. est un concept, pas un produit. 06/2024. Doris Aschenbrenner, Robert Peters: KI ist tot! Es lebe die hybride Intelligenz. Tagesspiegel 2.08.24. – — From Burnout to Balance: AI-Enhanced Work Models. Upwork.com 23.07.24. – Amba Kak et al: Make no mistake—AI is owned by Big Tech. MIT Technology Review 05.12.2023 , Melissa Heikillä: Here’s how people are actually using AI. MIT Technology Review 14.08.2024