Zur Diskussion: Neoliberalismus, New Fusionism und Rechtspopulismus

Der letzte Beitrag mit dem Titel Der Leninismus der Populisten hatte einige kritische Reaktionen zur Folge. Zunächst hatte ich erwartet, es ginge um die Herausstellung der leninistischen Anleihen, die als zu spekulativ wahrgenommen wären.
Darum ging es aber nicht, sondern um bzw. gegen den Eindruck einer Genealogie, in der der Begriff Neoliberalismus von Anfang an eine antidemokratische, antisoziale Strategie gewesen sei, deren logische Konsequenz Trump und Milei heiße – so formulierte es  Wirtschaftsblogger Gunnar Sohn.  Frank Witt, Wirtschaftsprofessor (und Autor) kommentierte auf LinkedIn dazu, dass Hayek bei Slobodian wie ein Fürst der Finsternis erscheine. 

Friedrich von Hayek (1899-1992) war eine Leitfigur in dem Netzwerk, das den neoliberalen Denkstil prägte. Neben Keynes und Schumpeter, wohl einer der wirkungsmächtigsten Ökonomen des 20.Jh. Freiheit war für ihn durch Rechtssicherheit, Eigentum, Vertragsfreiheit bestimmt – nicht durch politische Teilhabe. Weltbekannt wurde er mit dem Nobelpreis 1974 – und als entscheidender Vordenker der marktradikalen Wende in den 1980er Jahren. So ist Hayek eine anerkannte Figur der Zeitgeschichte –  das macht es für unterschiedlichste Akteure attraktiv, an ihn anzuknüpfen.

Kann so einer als Ahnherr so umstrittener Gestalten wie Trump und Milei gelten? Eine direkte Linie sicher nicht – Wirkungsmacht heisst aber auch Wirkung in nicht beabsichtigte Richtungen.
Auch der Begriff neoliberal selber ist eng mit ihm verbunden. Er tauchte vor bald einem Jahrhundert  – 13 Jahre fehlen noch – beim Walter Lippmann Kolloquium 1938 in Paris auf (neolibéralisme). Damals ging es darum, eine liberale Perspektive gegenüber Totalitarismus, Wirtschaftskrise und sozialer Unsicherheit zu verteidigen und zu erneuern. In einem Staat, der aktiv die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Markt setzen sollte – nicht als Gegner des Marktes, sondern als Garant seiner Funktionen.

Neoliberal wurde im Laufe der Jahrzehnte zu einem der meist verwendeten Begriffe und Konzepte der politischen Diskussion – mit oft weit auseinander reichenden Konnotationen.
Von Ökonomen – zumindest solchen, die mit der Ideengeschichte ihres Faches vertraut sind, ist neoliberal zeitgeschichtlich verortet: als eine Denkschule, die 1938 ihren Ursprung nahm und mit der Mont Pèlerin Société unter Hayek institutionalisiert wurde. Es ging um einen Dritten Weg zwischen Laissez-faire-Liberalismus und Planwirtschaft: mit starken, aber begrenzten staatlichen Institutionen, die die Märkte schützen und rahmen sollten. Diese Richtung hatte maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftspolitische Neuorientierung nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der Soziologie bezieht sich neoliberal meist auf die breite politökonomische Transformation seit den 1970er, v.a. 80er Jahren: Deregulierung, Privatisierung, Zurückdrängung des Wohlfahrtsstaats und Globalisierung der Märkte. Neoliberalismus wird oft als hegemoniales Paradigma verstanden, dass die Gesellschaft bis in Details sozialer Beziehungen nach Marktprinzipien umgestaltet.
In öffentlichen Diskursen und auch im  Journalismus wird neoliberal häufig als politisches Schlagwort verwendet. Meist mit einer negativer Konnotation.  Begriffliche Präzision geht dabei meist verloren, neoliberal wird oft pauschal für alle Ereignisse verwendet, die von der Logik von Marktliberalisierung bis Marktradikalität bestimmt sind. Umgangssprachlich ist neoliberal zu einem Etikett geworden – ein Preisschild, das auf allem klebt, was der Marktlogik folgt.

Der kanadische Zeithistoriker Quinn Slobodian ist einer der einflussreichsten Deuter und Erklärer der Verflechtungen von neoliberaler Globalisierung und autoritär-populistischen Bewegungen. Eine seiner Kernthesen ist, dass die  gegenwärtige extreme Rechte besser als ein Ableger des neoliberalen Projekts zu verstehen sei als eine Gegenbewegung dazu*.
Hayek’s Bastards – das sind bei Slobodian Nachfolger, die sich rhetorisch auf Hayek berufen, seine Ideen radikalisieren und anti-demokratische, anti-egalitäre Ordnungsvorstellungen entwickeln.  Neoliberale Ökonomie wird mit  biologistischen, autoritären und technokratischen Ideologien zusammengeführt und weiterentwickelt. Demokratie wird von ihnen eher als  Bedrohung für den Kapitalismus und eine (in ihrem Sinne) geordnete Gesellschaft gesehen.  

New Fusionism meint die ideologische Vermengung libertärer Marktideologie mit Narrativen biologischer Überlegenheit, die auf Rasse, manchmal auch Geschlecht basieren.  Seine Befürworter zeigen oft eine Obsession für den IQ.  Es wird argumentiert, dass Personen mit höheren IQ-Werten mehr oder weniger alleinige politische Macht haben sollten, manchmal wird auch die Sterilisation von Personen mit niedrigeren IQ-Werten befürwortet.
Drei Hards kennzeichnen die Ausrichtung:  Hardwired Human Nature: Biologistische und genetische Argumente (z.B. IQ-Debatten, Rassentheorien) zur Legitimierung sozialer Hierarchien. Hard Money: Forderung nach Goldstandard oder Kryptowährungen als natürlicher Währungsform. Hard Borders: Ablehnung von Migration und Multikulturalismus zugunsten kultureller Homogenität.

Der von David Golumbia  beschriebene Cyberlibertarismus (vgl. die Rezension) hat eine eigenständige Entstehungsgeschichte, die eng mit der Entwicklung des Internets und der Digitalen Revolution verbunden ist.  Cyberlibertarismus überschneidet sich aber mit dem New Fusionism in technokratischen Ideologien und der Ablehnung egalitärer politischer Strukturen. Eine machtbewusste kleine Elite, die sich zunehmend als ein globales Machtzentrum sieht, wuchs heran – das, was wir heute oft BigTech Oligarchie nennen. 

Eine demokratiefeindliche  Allianz, hat sich aus allen diesen Strömungen gebildet. Eine strategische Allianz, die kaum zu überblicken ist, aber  weiter greift als die bisher bekannten.  Zu den marktradikalen, identitären, religiösen rassistischen und autoritär-konservativen Strömungen, treten Gruppen aus dem technolibertären Umfeld von Silicon Valley, der Krypto-Szene oder einfach auch Opportunisten.  Sie bilden eine neue, transnationale Allianz. Libertäres Gedankengut ist zu einem ideologischen Rückgrat von Nationalisten und Autoritären auf der ganzen Welt geworden.
Der gemeinsame  Nenner dieser vielschichtigen Koalition richtet sich gegen Gleichheit und liberale, humanistische Universalismen, gegen die Erfolge der Bürgerrechtsbewegungen. Auf einen Kapitalismus ohne Demokratie. Nennt man Namen so fallen die der “Bastards” Murray Rothbard, Hans-Hermann Hoppe,  Charles Murray, Curtis Yarvin – aus Big Tech ganz sicher Elon Musk und Peter Thiel – im weiteren natürlich Trump und Vance.
Der deutsche Rechtspopulismus weist einige Parallelen auf – ist aber viel stärker völkisch grundiert und kaum mit techno- libertären Strömungen verbunden. 

Murray Rothbards (✝1995) Gesellschaftsentwürfe wurden seinerzeit kaum ernst genommen. Sein radikal antietatistischer Anarchokapitalismus ist in der Realität schwer vorstellbar.
Was Rothbard Bedeutung verschafft, sind seine Strategiepapiere zu einer Allianz  mit leninistischen Anleihen incl. der Bereitschaft zur Demagogie. So liest sich Right-Wing Populism (1992) heute als eine Blaupause, als Anleitung des  Rechtspopulismus, incl. der Zerschlagung staatlicher Strukturen.
In den angesprochenen  Kreisen fanden sie Verbreitung und Wirkung -so bezieht sich z.B. Javier Milei ausdrücklich auf ihn. Außerhalb dieser Bewegung wurden sie erst durch Slobodian bekannter, der sie als einflussreiches strategisches Dokument und ideologische Brücke zum heutigen Trumpismus und zu autoritär-populistischen Bewegungen beschrieb.”

Die letzten drei Beiträge überschneiden sich zum Teil.  Bei der Lektüre von Hayek’s Bastards  fielen mir Rothbards strategische Entwürfe zu einem Right-Wing Populism auf, die  geradezu ein Déjà-vu  zu den aktuellen Ereignissen vermittelten.

How free market ideas mutated into the far rightso liesse sich dieser letzte Beitrag dazu auch übertiteln – genauso wie ein aktuelles Interview (4/25) mit  Slobodian – wo er darauf verweist, dass der Rahmen den er in einem Buch darlegt, eher eine Vorgeschichte, als eine finale Diagnose der – aktuellen – Gegenwart ist, die immer wieder mit ihrem Ausmaß an  Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit überrascht.

*In: Nick Serpe: Blood-and-Soil Neoliberalism. An interview with Quinn Slobodian, the author of Hayek’s Bastards: Race, Gold, IQ, and the Capitalism of the Far Right. 29.04.25. Peter Geoghegan How free market ideas mutated into the far right. democracyforsale.substack.com/. 16.04.2025 Gunnar Sohn: Neoliberalismus ist keine Blaupause für Rednecks – Eine Replik zum Beitrag von Klaus M. Janowitz 16.05.25



Kommentar verfassen

SideMenu