Hayek’s Bastards – Die neoliberalen Wurzeln der populistischen Rechten – (Rez.)

Hayek’s Bastards The Neoliberal Roots of the Populist Right von Quinn Slobodian erschien vor wenigen Wochen (15.04.)  – und behandelt primär die ideologischen und intellektuellen Entwicklungen bis in die frühen 2020er Jahre. Aktuelle  Bezüge zu den Ereignissen seit November 2024 sind nicht zu finden.
This is a revolution of white Euro- Males – Der Satz von Murray Rothbard steht dem zweiten Kapitel The Rock of Biology voran.  Es geht um ihre Belange, die bedroht sind – die da sind: taxes, regulations, environmentalism, gun control, foreign aid etc. – und ganz sicher Migration (60).
Rechtspopulismus
wird oft als Reaktion auf Neoliberalismus und Globalisierung gedeutet. Als eine Art Aufstand der Enttäuschten, der Verlierer. Rechtspopulisten inszenieren sich als Vertreter des wahren Volkes, als die wahren Demokraten, die sich gegen eine korrupte Elite erheben, damit das Volk sein Schicksal bestimmen kann. Nur, wer wie das Volk denkt, wer seine Vorstellungen von Normalität, Anstand, Moral, teilt, kann auch für das Volk sein – so schreibt es etwa Marcel Lewandowski in Was Populisten wollen* (2024).

Quinn Slobodian, kanadischer Zeithistoriker,  stellt dem entgegen, dass die Strömungen der extremen Rechten innerhalb der neoliberalen intellektuellen Bewegung entstanden sind und nicht gegen sie.
Was in den letzten Jahren an ideologischen Gegenreaktionen zur neoliberalen Globalisierung beschrieben wurde, ist kein einfacher Backlash – also keine Gegenbewegung gegen einen bestehenden Trend – sondern ein Frontlash*+: eine Bewegung, die sich gegen eine bereits eingesetzte Gegenbewegung richtet.
Es ist keine Rückkehr zu einer alten Ordnung, sondern eine interne Radikalisierung der bestehenden neoliberalen Prinzipien, gerichtet gegen neue politische und soziale Forderungen.

Der Titel Hayeks Bastards – The Neoliberal Roots of the Populist Right ist eine Hommage an Voltaire’s Bastards: The Dictatorship of Reason in the West (John Ralston Saul, 1992).
Ralston Saul hatte die gewundene Geschichte von Vernunft und Rationalität in westlicher Philosophie und Politik neu erzählt. Rationale Prinzipien der Aufklärung und Ideale der Wissenschaftlichkeit wurden in einer Form  fetischisiert, dass technokratische Eliten zu primären Entscheidungsträgern wurden. Demokratische Prinzipien wurden unter dem Vorwand von Effizienz und Expertise untergraben –  es  entstand eine Kaste von Managern und Bürokraten.
Eine ähnliche Dynamik sieht Slobodian heute bei den Epigonen von Hayek und Mises. Hayeks Bastarde – gemeint sind  Vertreter
diverser Spielarten des Libertarismus und Anarcho- Kapitalismus – die sich allesamt einer Rhetorik der – wirtschaftlichen – Freiheit bedienen, die auf Hayek (und Mises) zurückgeht.  Die Beschränkung auf ökonomische Aspekte und die Vernachlässigung sozialer Dimensionen eröffnete einen Raum, der von libertären Bewegungen genutzt wurde, um ihre spezifischen Ideologien zu entwickeln – die dann die Kurve zu Rechtspopulismus- und extremismus nahmen. 

Cheerleader mit der Kettensäge: Musk & Millei auf der CPAC – 20.02.15

Für sich allein lösen die Bezeichnungen und ihre Rhetorik zunächst Irritationen aus. Was sie ausmacht, ist oft nur das Radikale des Wirtschaftsliberalismus: Freier Markt als Fetisch, als Naturgesetz, als unbedingte Wahrheit. Anderen – grundlegenden – liberalen Freiheiten steht man feindlich gegenüber. Egalitarismus, globale ökonomische Gleichheit und Solidarität über nationale Grenzen  sind Sündenfälle. Das Bild der Kettensäge verdeutlicht die fortlaufende Radikalisierung, die Logik der Disruption.
Manchmal erinnern sie an evangelikale Bewegungen: Es gibt Erweckungserlebnisse, Schriften, auf die man sich beruft. Es gibt den Gedanken der Reinheit der Lehre und ihrer Befolgung. Komplexe Realitäten werden auf einfache Grundprinzipien heruntergebrochen.
Libertaristische Strömungen hatten beträchtlichen Einfluss auf das Projekt 2025 der  Heritage Foundation – dem Bauplan zur Machtergreifung Trumps. 

Eigentlich hatte das Ende des Kalten Krieges den Triumph des Kapitalismus über den real existierenden Sozialismus bedeutet. Zudem war die keynesianische Wirtschaftsordnung der 70er Jahren bereits zuvor, zumindest in der angloamerikan. Welt unter Thatcher und Reagan in eine neoliberale umgewandelt worden.
In den Augen seiner glühendsten Verfechter war dieser Sieg aber nicht vollständig. Socialism is dead, statism is not. Das Feindbild drehte auf die Folgen der sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre, den demokratischen Staat, der gleiche Rechte für alle garantierte.
Was die meisten Menschen – oder eben der Mainstream – als gesellschaftlichen Fortschritt erlebten, war für sie der reine Schrecken: Die sozialen Bewegungen hatten dem politischen System das Gift der Bürgerrechte, des Feminismus, der affirmative action und des ökologischen Bewusstseins eingebracht.  Begonnen hatte all das  mit dem Civil Rights Act von 1964 – gleiche Rechte auf Kosten von Effizienz, Stabilität und Ordnung. Auch die Europäische Integration  wurde als neue Gefahr betrachtet und zum Feindbild.
Woke wurde zum Trigger- Wort – zum übergreifenden Feindbild aufgebaut. Berücksichtigung der Rechte  von Minderheiten abgelehnt. 

Welchem Spektrum Hayek heute zuzurechnen wäre, ist Spekulation. Jedenfalls wird sein Erbe von moderat Konservativen bis Rechtsradikalen in Anspruch genommen. Hayek war in erster Linie Verfechter unternehmerischer Freiheit und individueller Eigenverantwortlichkeit, er entstammte einem bürgerlich- konservativem Milieu. Aber er war kein Verfechter der liberalen Demokratie.  So scheute er sich nicht mit dem chilenischen Diktator Pinochet zusammen zu arbeiten.
Er selber wird mit der Aussage zitiert, dass Neoliberalismus eine erlernte, zivilisatorische Disziplin sei, die den tief verwurzelten Instinkten der Menschheit zunächst widerspreche.
Einige seiner Nachfolger sahen das anders und argumentierten mit genetisch bedingten Ungleichheiten – soziale und ökonomische Hierarchien seien das Resultat natürlicher und unveränderlicher Unterschiede zwischen den Menschen. Damit öffneten sie den Weg zu Argumentationen  rassistischer Rechtfertigung von Ungleichheit.
Slobodian nennt diese Verbindung von Mainstream-Neoliberalismus mit der  Argumentation genetisch gerechtfertigter Ungleichheit New Fusionism – ein Revival des Rassismus.  

Charles Murray wurde mit The Bell Curve (1994) bekannt – ein Buch, in dem er Intelligenz und soziale Schichtung mit Ethnizität verknüpfte. Deutsches Äquivalent  wäre etwa Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab – beide Bücher fachten  ähnliche Diskussionen an, und hatten ähnliche Wirkungen. Diese Thesen stießen auf erhebliche Kritik und wurden von vielen als pseudowissenschaftlich und rassistisch eingestuft. Murray argumentierte, dass Intelligenz ein wesentlicher Faktor für den sozioökonomischen Status sei und dass es Unterschiede im durchschnittlichen IQ zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen gebe – Thesen, die eine kognitive Elite  legitimieren sollten.

Murray Rothbard (1926-1995) – nicht zu verwechseln mit dem eben genannten Charles Murray, wird als Vordenker  beschrieben, der Libertarismus und Rechtspopulismus miteinander verband. Es sind die von ihm entworfenen Strategien, die den aktuellen autoritären Rechtspopulismus prägen. In einem anderen Essay setzt Slobodian Rothbard in Bezug zu Lenin – von ihm entlehnte er nicht nur dessen Revolutionshoffnungen, sondern war wie dieser bereit dazu, aus vergangenem Scheitern zu lernen und seine Analyse entsprechend anzupassen (vgl. Slobodian & Bebnowski 1/25).
Paleo- Libertarismus klingt zunächst wie die Rückführung auf anthropologisch legitimierte Verhältnisse. Tatsächlich ist es ein machtpolitisches Zukunftsmodell mit einem enormen Einfluss auf die moderne politische Rechte: Right-Wing Populism, die Verbindung zwischen radikalem Libertarismus, kulturellem Konservatismus und Autoritarismus.
Outreach to the Rednecks – mit diesem Motto  entwarf Murray Rothbard die Strategie, die den Aufstieg populistischer Politik vorwegnahm. Er skizzierte  dabei eine politische Taktik, bei der ein charismatischer Führer die traditionellen Medien umgeht und direkt mit der Bevölkerung kommuniziert. Zielgruppe der Ansprache waren in erster Linie die  Rednecks,  das Middle America, jene Bevölkerungsgruppen, die sich von der politischen Elite vernachlässigt fühlten. Auch der Slogan America First stammt von ihm.

Kernstück der Strategie ist die gebündelte massenmediale Aufmerksamkeit und die damit einhergehende affektive Aufladung. Mit Social Media wurden die Möglichkeiten in vorher unbekannter Weise Wirklichkeit. Rothbards Strategien fanden in den Trump- Wahlkämpfen Anwendung-  viele der Details, die uns heute verwundern und erschrecken wurden von ihm konzipiert. Nicht nur in den USA – auch in den präsidialen Regierungssystemen Südamerikas Brasilien (Bolsonaro), Argentinien (Milei) und El Salvador (Bukele) gelang der Aufstieg ins höchste Staatsamt.
Präsidiale Regierungssysteme mit einer starken Exekutive können anfälliger für autoritäre Tendenzen sein als parlamentarische Systeme. Der tatsächliche Widerstandsfähigkeit eines Systems gegenüber autoritären Tendenzen hängt aber von anderen Faktoren ab, wie der politischen Kultur, der Stärke der Zivilgesellschaft und der Unabhängigkeit der Justiz.

Hans-Herrmann Hoppe, deutscher Volkswirt, aber lange in den USA wirkend, gilt als weitere Schlüsselfigur. Hoppe, der bei Habermas promoviert hatte, entwickelte er sich zum offenen Befürworter antidemokratischer Positionen. Er verknüpft das auf Privateigentum begründete Recht auf Ausschluss, Exklusivität und Diskriminierung mit kulturell-konservativen Vorstellungen einer idealisierten, prämodernen Gesellschaft. Das Ergebnis ist ein Gesellschaftsmodell, das letztlich auf autoritäre Herrschaft durch Eigentümer – vergleichbar mit CEOs – hinausläuft. New Fusionism zwischen radikalem Marktdenken und kulturellem Traditionalismus.

Curtis Yarvin (*1973) und Richard Hanania (*1985) vertreten eine jüngere Generation.  Yarvin steht dem aktuellen US-Vize Vance und dem Oligarchen Peter Thiel nahe. Er vertritt  autoritäre, technokratische Herrschaftsformen -eine Privatisierung der Öffentlichkeit.
Von Hanania erschien 2023  The Origins of Woke: Civil Rights Law, Corporate America and the Triumph of Identity Politics – von Thiel gelobt:  Hanania shows we need the sticks and stones of government violence to exorcise the diversity demon.
Yarvin
wie Hanania bauen ihre Argumentationen auf dem Fundament einer vermeintlichen unbequemen Wahrheit auf – dem Gedanken, dass menschliche Gleichheit eine noble Lüge sei, die an der biologischen Realität scheitere.

Libertarismus tritt mit einer Reihe unterschiedlicher Attribute auf:  Cyberlibertarianismus hatte ich vor einiger Zeit in der Rezension zu David Golumbias Buch beschrieben. Er wirkt zusammen mit der immensen ökonomischen und medialen Macht von BigTech.
Libertarismus in all seinen Spielarten hat keine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Gemeinwesen, nach dem, was Menschen jenseits vertraglicher Beziehungen zusammenhält. Er bietet keine Erzählung des Kollektiven, keine Vision von Gesellschaft jenseits atomisierter Individuen. Das macht  ihn anschlussfähig für andere ideologische Strömungen – sei es  nationalistischen Populismus oder einen  Silicon-Valley-Technokratismus. In der Realität begünstigt er eine Verklumpung, ein Mash- Up von Machtsystemen.

Slobodian ist Kanadier, sein Blick v. a. auf Nordamerika, daneben Grossbritannien gerichtet. Dennoch finden die Verhältnisse in Deutschland Beachtung (152 ff). Als frühe Kristallisationsfigur nennt er den bereits erwähnten Thilo Sarrazin, dessen Synthese von Freihandel, nationaler Geldpolitik und biologischem Rassismus.
Weiteren Raum nehmen die Verbindungen zur Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft ein, die personell von rechtskonservativen bis – radikalen Netzwerken durchsetzt ist, so sind Beatrix von Storch Peter Boehringer (Bundestagsabgeorneter der AfD) Mitglieder, bin 2021 auch Alice Weidel. 
Kaum angesprochen wird allerdings das Völkische Substrat in der AfD. – das in der AfD wohl eine grössere Rolle spielt. 

Libertarismus ist in Slobodians Darstellung eine Radikalisierung neoliberalen Denkens, das in den strategischen Konzepten Murray Rothbards und dessen  Verbindung mit autoritären Strömungen den konstitutionellen Rahmen sprengt. Die Grenze zwischen beiden verläuft nicht entlang ökonomischer Details, sondern an ihrem Verhältnis zur Demokratie. Neoliberales Denken zielt auf Märkte innerhalb eines rechtsstaatlichen Rahmens – mit Verfassung, Institutionen und Regeln. Libertäre hingegen misstrauen jeder Form kollektiver Steuerung, auch wenn sie demokratisch legitimiert ist.
Sie wollen den Staat auf ein Minimum reduzieren oder ganz zurückdrängen – und stellen damit auch den gesellschaftlichen Pluralismus und das Prinzip politischer Teilhabe in Frage. An diesem Punkt kippt die marktwirtschaftliche Ordnungsidee in ein autoritär-libertäres Projekt, das demokratische Grundlagen unterläuft.
Hayek dient als Legitimationsfigur, als intellektueller Stammvater, dessen Autorität man sich borgt, selbst wenn seine Ideen in Richtungen weiterentwickelt werden, die er nicht gebilligt hätte.

Quinn Slobodian: Hayek’s Bastards: The Neoliberal Roots of the Populist Right , 4/25  Quinn Slobodian & David Bebnowski Der Vordenker des neuen Rechtspopulismus Beiträge zur polit. Ökonomie 25.01.25. Quinn Slobodian: The bastards of neoliberalism. The eccentrics of the new right aren’t rebelling against our political regime – they are its twisted successors. The New Statesman . 19.04.25.  Otmar Tibes: Liberalismus mit der Kettensäge. Beiträge zur politischen Ökonomie – 25.04.25   Sven Reichardt: Neuerfindung des Faschismus. FAZ am Sonntag, 20.04.2025. Philipp Inman: It’s not poverty that’s breeding the new populism. It’s wealth. The Guardian. 19.04.25 *In: Marcel Lewandowsky: Was Populisten wollen (2024).. s. Rez.  **Frontlash bezeichnete die Gegenréaktion auf die Politik der Bürgerrechte in den 60er Jahren (vgl.: Link

Von demselben Buch gibt es zwei Versionen: Mir liegt die britische Ausgabe, die bei Penguin Books erschienen 15.04.25  vor: Hayek’s Bastards: The Neoliberal Roots of the Populist Right.  Sie richtet sich primär an ein britisches bzw. internationales Publikum und betont in ihrem Titel die ideengeschichtlichen Wurzeln des Rechtspopulismus im Neoliberalismus. Gleichzeitig erschien die US- Ausgabe bei zone – Books unter dem Titel Hayek’s Bastards: Race, Gold, IQ, and the Capitalism of the Far Right. 



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