KI 2025 – und die Einstellungen dazu

geprompted, nicht gezeichnet: KI-Titel der Neuausgabe des Zauberberg von  Thomas Mann

Auch im dritten Jahr nach ChatGPT bleibt generative KI ein vorrangiges Thema. Aus dem Stadium des Hype entsprechend dem Gartner Hype Cycle™ ist KI längst herausgewachsen, bleibt aber eine mit Innovationsversprechen verbundene gesellschaftliche Obsession.
Die Diskussion  ist von Nutzungserfahrungen, aber ebenso von politischen Einschätzungen bestimmt, die oft schwer zu überschauen sind.

Generative KI ist ein Kind des Social Web. Ohne dessen Datenfülle und die Digitalisierung des verfügbaren menschlichen Wissens gäbe es sie nicht. Die systematische Verknüpfung, Verdichtung und Automatisierung dieses Wissens war technisch eine logische Weiterentwicklung der Digitalisierung.

Das Chatfenster ist die Benutzeroberfläche, natürliche Sprache – vorausgesetzt man versteht Prompting-Befehle als solche – dient als Betriebssystem. Wir können mit der KI chatten, sie auffordern, ein Buchcover zu Literaturklassikern (s.o.) zu gestalten – oder einen Essay dazu zu schreiben.  Die KI liefert uns Ergebnisse, doch bis diese unseren Vorstellungen entsprechen, ist es ein Weg mit vielen Arbeitsschritten. Der Mensch füttert und steuert die KI, und entscheidet, wofür sie eingesetzt wird.
Manche Dinge kann die KI aus dem Stand: Übersetzungen, Wissensabfrage, Code- Snippets, Transkriptionen etc. KI automatisiert primär das, was ohnehin schon standardisiert war. Bei allem anderen bleibt sie Werkzeug, nicht Ersatz.

Wie schlagen sich drei Jahre generative KI in den Haltungen und Einstellungen nieder? Welche positiven und welche negativen Einschätzungen haben sich verfestigt?
Die Einstellungen zu KI  hängen von den Erfahrungsebenen  ab: Als aktives Werkzeug wird sie meist positiv erlebt; als fremdgesteuertes System erzeugt sie Abhängigkeit. Autonom ist KI nie – sie führt stets menschlich gesetzte Regeln aus, deren Bewertung wiederum von der Perspektive der Betroffenen abhängt.
Carsten Rossi, Agenturchef aus Köln, fasste in einem Video auf LinkedIn seine Nutzungserfahrung zusammen, die für viele Kreativarbeiter stehen kann: KI ist keine Wahrheitsmaschine. Ihre Stärke liegt im divergenten Denken, also in der Generierung einer Vielzahl von Ideen und Lösungswegen für ein Problem.
Divergentes Denken öffnet den Raum für multiple Lösungswege und Innovation, während konvergentes Denken zu einer einzigen, korrekten Antwort führt. Der Mensch als Nutzer bleibt für Angemessenheit (Appropriateness) verantwortlich.
Ähnliche Erfahrungen werden von Journalisten genannt.
KI wird als nützliches Werkzeug erlebt und verstanden, wird in der Breite und auch mit Spass dabei eingesetzt. Generell wird KI als Erweiterung kreativer Möglichkeiten erlebt. 

Andere Nutzungserfahrungen gibt es in anderen Branchen. KI reorganisiert bestehende  Wissensbestände, macht sie auf neue Weise zugänglich. In manchen Branchen gibt es messbaren Nutzen  (Rechtsdatenbank-Durchsuchung, Radiologie-Auswertung, Code-Debugging) und eine jeweils entsprechende, meist positive Resonanz. In Branchen mit interpretativen Aufgaben (Marktforschung, Personalauswahl, kreative Beratung) bleibt die Resonanz  ambivalent. Entscheidend ist letztlich, wie sinnvoll die  einzelnen Lösungen erlebt werden.
KI ist längst nicht nur Technik, sondern auch ein Markt, der sich selbst antreibt. KI- Experten profilieren sich mit Wissens- und Erfahrungsvorsprüngen.  Konferenzen/ Events zu KI, Beratung und  Fortbildung boomen.

Das Chatfenster ist nur das eine Gesicht der KI das andere ist zunehmend Embedded AI in technischen Systemen (z. B. Autos, Kameras, Industrieanlagen) bzw. implementierte KI. Letztere ist selten sichtbar, sie kommt nicht als große neue Maschine daher, sondern wird unauffällig in bestehende Systeme eingebaut – von HR-Software über Kreditscoring, dynamische Preisgestaltung bis hin zu Predictive Policing. Sie folgen eindeutigen Algorithmen ohne Raum für kreative Exploration.
Es ist dieses – kontrollierende – Gesicht, das Unbehagen verursacht. Der amerikanische Soziologe George Ritzer meinte dazu: The control exercised by AI is more insidious than that of other non-human technologies because it is largely invisible*

Standardwerk zur materiellen Dimension von KI – mit Klick gelangt man zur Rezension

Eine ausführlich begründete und wohl formulierte Kritik liefert Kate Crawford mit dem Atlas of AI.  Sie beschreibt KI als Metamaschine und zugleich als extraktive Industrie. Auch vier Jahre nach dem Erscheinen der Originalausgabe (2021) bleibt  der Atlas ein Schlüsselwerk zur Diskussion der strukturellen, sozialen und ökologischen Dimensionen von KI. Die von Crawford aufgezeigten physischen und gesellschaftlichen Kosten haben sich seither nicht relativiert, sondern verstärkt. Alle von ihr identifizierten Problembereiche haben an Intensität gewonnen – von der Umweltbelastung über die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen bis hin zur Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger Konzerne (vgl. Rezension).

An die materielle Extraktion schliesst die kulturelle Extraktion an: LLM systems harvest everything that can be made digital, and then use it to train corporate AI models – so die Autorin 2023 in einem Interview.

Rohstoff von KI –  Anthropic umging die Lizenzfrage mit dem händischen Einscannen von Millionen gebrauchter Bücher. Bild: unsplash unlimited- Gustavo Reyes

KI-Systeme werden mit immensen Beständen an Texten, Bildern, Musikstücken, Memes und anderen kulturellen Artefakten trainiert – von gemeinfrei bis urheberrechtlich geschützt. Fast das gesamte Internet mit seinen gesammelten kollektiven Wissen und kulturellen Ressourcen  wurde verfüttert. KI produziert aus ihnen neue (oft exklusive und kommerziell verwertbare) Bedeutungen.
Die Opposition gegen die Aneignung durch kulturelle Extraktion  differenziert sich nach Branchen: abgesehen von literarischen Werken haben Texte selten Werkcharakter, Textarbeiter nutzen zudem KI oft selber,  der Widerstand ist gering. Photos und Illustrationen sind stärker mit Autorenschaft und Stil verbunden und klarer urheberrechtlich geschützt. V. a. der Markt für Stockphotos- und illustrationen wird von KI verdrängt.
Musiker und Komponisten sind am stärksten von direkten Lizenzeinnahmen abhängig, ihre Einkommenslage am unmittelbarsten von KI bedrängt. So gibt es hier den ausgeprägtesten organisierten Widerstand.

Die Logik der Extraktion –  materiell und kulturell – führt direkt in die politische Dimension.  Datenhoheit ist Machtfaktor.
Seit der zweiten Trump-Wahl, dem Aufstieg des Populismus und dem Sturz der Ampel hat sich das politische Klima verschärft und polarisiert. Diese Polarisierung begünstigt radikale Diagnosen und Zuspitzungen. Ein übergreifender Konsens zwischen politischen  Lagern  schwindet.
In den USA entsteht ein neues oligarchisches Machtsystem – eine Verklumpung aus Rechtspopulismus, digitalem Kapitalismus und technokratischer Macht, angereichert mit diffusen Zukunftstheorien und reichlich persönlichem Narzissmus.
Der Auftritt der Tech-CEOs bei der Amtseinführung Trumps wurde international als Bekenntnis zu diesem neuen Machtsystem verstanden – auch wenn die Ansichten darüber auseinandergehen, wie geschlossen dieses System tatsächlich ist.

Ein Machtsystem, in dem man faschistoide Tendenzen erkennen kann. Ich habe es als Mash- Up/ Verklumpung beschrieben – seine Bestandteile sind (noch) zu konfus, um es als konsistentes Herrschaftssystem zu erkennen. Die Demokratie wird zwar angegriffen, besteht aber weiterhin.
Faschismus ist ein schwerwiegendes Wort, eine Keule, Ausdruck von Unvereinbarkeit, eine Art Exkommunikation aus der Gemeinschaft der Demokraten.
Keine Frage, dass die Verklumpung ein faschistisches Potential beinhaltet, das Möglichkeiten von Datenanalyse- und KI-Technologie nutzt, um den Rechtsstaat auszuschalten. Eine technokratische Vision ist ein schlanker, auf Automatisierung und Präemption basierender Apparat. Ein intransparenter Einsatz von Algorithmen funktioniert  dabei als Herrschaftswerkzeug.
Eine fundamentale Kritik an KI ist in ihren Aussagen radikaler geworden. Zwar distanziert sich etwa Rainer Mühlhoff in Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus  (vgl. Rez.), von einer zwangsläufigen Entwicklung zu einem technokratischen bis faschistischen Staatswesen,  doch wird KI häufig eine ideologische und technologische Affinität zum  Faschismus zugeschrieben.
AI is a perfect example for the capitalism-to-fascism pipeline. It embodies capitalism and carries the seed of fascism –  so fasst es Malte Engeler, Jurist und Digital- Aktivist zusammen. KI ist technologisch nicht neutral, sondern spiegelt die Bedingungen und Ideologien ihrer Betreiber. KI gilt in dieser Argumentation  als totale Mobilisierung des Kapitalismus.
Die Kritik richtet sich insbesondere gegen Präemption, die Logik der Vorwegnahme von Entscheidungen. Im schlimmsten Falle eine Menschensortier-Technologie mit folgender Ungleichbehandlung, die gesellschaftliche Teilhabe so selektiert.

So berechtigt diese Kritiken im Detail sein mögen – sie vermengen Technologie- und Machtkritik. Präemption ist zweifellos ein mögliches Einsatzfeld von KI. Doch rechtfertigt dies die Dämonisierung einer Technologie, die in anderen Bereichen als nützlich und sinnvoll erlebt wird?  Technologie ist Macht, KI wahrscheinlich in besonderem Maße. Eine fundamentale Ablehnung bedeutet auch einen Rückzug aus den Gestaltungsmöglichkeiten.

In der Debatte um eine Superintelligenz/ AGI (Artificial General Intelligence)vermengen sich technische Spekulation, kommerzielle Interessen und endzeitliche Phantasien. Rainer Mühlhoff sieht darin eine absichtliche Überzeichnung von KI-Möglichkeiten und -Risiken, die im weiteren eine anti-demokratische Überhöhung von Technologie bedeutet – im utopischen als auch im apokalyptischen Sinne. Mit der technischen Realität von KI hat AGI  nichts zu tun.

Anders als frühere Digitalisierungsschübe ist KI nicht mit einer breiten sozialen Bewegung verbunden. Die Verbreitung des Internet war von partizipatorischen Visionen getragen, die oft auch Diskurshoheit gewannen. Technologischer und gesellschaftlicher Fortschritt wurden als Einheit erlebt. KI erscheint dagegen als Top-Down-Durchsetzung ohne demokratische Partizipation.

Ein Blick in die US-Tech-Szene zeigt ähnliche Radikalisierungen: Auf der einen Seite Evangelisten, Start-up-Gründer und Longtermisten, die Superintelligenz als unausweichlich predigen. Auf der anderen Seite Kritiker, die Chatbots als stochastic parrots oder racist piles of linear algebra abtun und deren Zusammenbruch voraussagen. Zwischen diesen auseinander drängenden Haltungen bleibt wenig Raum für die Auseinandersetzung mit den realen KI-Effekten: Effizienz- und Kreativitätsgewinne vs Umweltkosten, sozialer Ungleichheit, extraktiver Raubbau.

Ein Gedanke kam mir beim Schreiben immer wieder: Vielleicht braucht KI eine ästhetische Durchdringung – etwas wie Andy Warhols Pop Art, die Konsumkultur kulturell verfügbar machte. Eine KI-Kunst, die weder die Technologie dämonisiert noch vergötzt, sondern ihre Möglichkeiten und Grenzen kreativ auslotet. So kann aus  einer technologisch und polarisiert- politischen Debatte eine gesellschaftliche werden.

Abschliessend ein Veranstaltungshinweis:
Diskussions- und Vortragsveranstaltung zum Buch von Frank Witt  Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft am Donnerstag dem 28.08.2025 im Startplatz Mediapark 5 Köln 19:30
Anmeldung beim Startplatz.
Ich freue mich, einige meiner Leser zu sehen 😉

vgl auch:  Rezension zu Rainer Mühlhoff : Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus. Reclam Verlag  Juli 2025. : David GolumbiaCyberlibertarians’ Digital Deletion of the Left.  und Tech- Faschismus – Ein Mash-Up als Machtsystem (in diesem Blog) ** vgl.: LOOPS Fascist AI with Malte Engeler and Tante. Aufzeichnung vom 3.07.25 , Berlin  * George Ritzer: McDonaldization and Artificial Intelligence 4/2024 Matteo Wang: The AI Industry Is Radicalizing. The tech industry and its critics occupy parallel universes. The Atlantic 12.07.25

 



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