
Am letzten Donnerstag (28.08) hatten wir in den Kölner Startplatz eingeladen: Stille Umbrüche – Was KI wirklich verändert, eine Diskussion mit dem Autor Frank Witt.
Sein Buch Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft war im Frühjahr diesen Jahres erschienen. Zu diesem Buch gab es auch in diesem Blog eine Rezension, eine weitere von Gunnar Sohn.
Seit 2023 ist der Startplatz AI Hub offizielles Innovationszentrum für die deutsche KI-Community in Köln und Düsseldorf. Somit eine erste Adresse für Veranstaltungen dieser Art.
Vorweg: Was der Veranstaltung an Masse fehlte, machte sie durch Klasse wett: Die engagierte Beteiligung und die beeindruckende technische Kompetenz der Teilnehmer führten dazu, dass die Diskussionen knapp zwei Stunden über den vorgesehenen Zeitrahmen hinausgingen.
Bereits die konzeptionelle Ausgangslage der Diskussion war bemerkenswert und ging über die gängigen Muster hinaus: Die Grundidee einer wirkmächtigen künstlichen Intelligenz hat nur wenig mit klassischen programmierten Computern gemein und orientiert sich vielmehr an der Funktionsweise biologischer Gehirne. Wenn sich diese durch mathematische Modelle im Parallel-Computing funktional äquivalent simulieren lässt, dann kann KI prinzipiell auch zum eigenständigen Akteur in der Gesellschaft werden – eine These, die weit über technische Innovationsdebatten hinausweist.
Der Vortrag bot einen differenzierten Blick auf die tiefgreifenden Umbrüche, die mit der Entwicklung und Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) einhergehen. Im Zentrum stand die These, dass KI nicht nur eine technische, sondern vor allem eine gesellschaftliche Herausforderung darstellt.
Frank Witt, promovierter Philosoph und systemtheoretisch geschulter Beobachter technischer Entwicklungen, machte von Beginn an deutlich: Es geht nicht um Technikoptimismus oder Fortschrittsgläubigkeit, sondern um die kritische Reflexion eines Wandels, der bereits in vollem Gange ist. KI verändert nicht nur Produktionsweisen oder Kommunikationsformen, sondern greift tief in gesellschaftliche Machtverhältnisse und institutionelle Strukturen ein.
Strukturverstärkende Effekte von KI.
Witt beschrieb KI als soziotechnische Konstellation: Weder als neutrale Technik noch als autonomes System, sondern als ein Ensemble aus Algorithmen, Daten, Institutionen und Akteuren. Er zeigte, dass KI bestehende gesellschaftliche Tendenzen nicht einfach nur reproduziert, sondern in vielen Fällen sogar verstärkt:
- In der Wirtschaft führt der Einsatz von KI zu neuen Rationalisierungsstrategien, zu Effizienzgewinnen, aber auch zur Prekarisierung von Arbeit.
- Im Sozialen wird die Logik der Bewertung, Selektion und Überwachung durch algorithmische Systeme forciert.
- In Organisationen können durch KI neue Formen von Kontrolle entstehen, die wenig Raum für Eigenverantwortung und Gestaltung lassen.
KI ist also nicht nur Werkzeug, sondern auch Strukturverstärker. Sie wirkt nicht nur auf der Ebene der Funktionen, sondern auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Leitbilder.
Chancen, Risiken und der schmale Grat der Gestaltung
Die Diskussion bewegte sich entlang des Spannungsfeldes zwischen Innovationspotenzial und gesellschaftlicher Verantwortung. Witt betonte, dass KI große Möglichkeiten birgt: von der Automatisierung monotoner Aufgaben bis zur besseren Auswertung komplexer Daten. Gleichzeitig warnte er vor einem blinden Technikimport:
Die Digitalisierung wird oft als alternativlos dargestellt. Doch wir sollten fragen: Welche Gesellschaft wollen wir gestalten? Und welche Rolle soll Technik darin spielen?
Gerade im Bildungsbereich sei eine kritische Auseinandersetzung mit KI notwendig. Nicht nur die Techniknutzung, sondern die Reflexion über ihre Wirkmechanismen, impliziten Normen und gesellschaftlichen Auswirkungen sei entscheidend.
Kritik an Digitalisierungspolitik und den überformten Fortschrittsnarrativen
Witt übte deutliche Kritik an politischen Programmen zur Digitalisierung. Er sprach von einer “Verengung des Fortschrittsbegriffs”:
- Digitalisierung werde vorrangig als Standortpolitik verstanden.
- Die Frage nach Gemeinwohl, Partizipation und sozialer Gerechtigkeit werde zur Nebensache.
Dabei, so Witt, wäre gerade jetzt eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zielsetzungen und Rahmenbedingungen digitaler Transformation notwendig.
Der Begriff der “Stillen Umbrüche”
Im Zentrum des Buches steht der Begriff der “Stillen Umbrüche”. Damit meint Witt keine plötzlichen Revolutionen, sondern die allmähliche, oft kaum bemerkte Veränderung grundlegender Verhältnisse:
- Die Aufweichung klarer Erwerbsbiografien.
- Neue Abhängigkeiten in der Plattformökonomie.
- Die Verschiebung von Entscheidungsmacht zu Unternehmen und Algorithmen.
Diese Veränderungen geschehen oft leise, aber nachhaltig. Sie verändern das Verhältnis von Mensch, Arbeit und Gesellschaft langfristig.
KI und Bildung: Jenseits der Anpassung
Ein besonderer Fokus lag auf dem Bildungssystem. Witt forderte, Bildung dürfe sich nicht in der Vermittlung digitaler Kompetenzen erschöpfen. Vielmehr gehe es um:
-
- kritisches Denken,
- ethische Urteilsbildung,
- Gestaltungskompetenz.
Die Schule der Zukunft müsse ein Ort der Aufklärung und nicht nur der Techniknutzung sein.
Verantwortung als Gestaltungsperspektive
Zum Abschluss betonte Witt, dass die Frage nicht sei, ob KI kommt oder nicht, sondern wie wir mit ihr umgehen: Technik ist gestaltbar. Aber nur, wenn wir uns dieser Gestaltungsaufgabe aktiv stellen.
Als Moderator steuerte ich einige Impulse aus Soziologie und Zeitgeschichte bei – ansonsten war wenig Moderation nötig – die Diskussion steuerte sich selbst. Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, dass eine fundierte Debatte über KI nicht nur möglich, sondern notwendig ist.
Fazit:
Der Vortrag war ein Plädoyer für eine reflektierte, gesellschaftlich eingebettete Auseinandersetzung mit KI. Sie richtete sich an alle, die jenseits von Hype und Untergangsszenarien nach Wegen suchen, KI demokratisch, gerecht und verantwortungsvoll zu gestalten. In der anschliessenden Diskussion kamen zahlreiche weitere Details zur Sprache – und auch die Feststellung, dass wir in der KI noch in einer Frühstufe stehen.
Witts Analyse fügt sich in eine wachsende kritische Literatur ein, die die gesellschaftlichen Dimensionen der KI-Transformation ernst nimmt.
Rainer Mühlhoffs Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus thematisiert die ideologischen Verknüpfungen zwischen Tech-Eliten und autoritären Bewegungen, wie auch in diesem Blog die Herausbildung neuer Machtsysteme. immer wieder Thema war.
Karen Haos Empire of AI deckt imperiale Strukturen der KI-Industrie auf. Frank Witt bietet eine systemtheoretische Perspektive, die von der Entstehung und der Struktur von KI ausgeht, auf die strukturverstärkenden Effekte von KI-Systemen.
Entgegen andere Schüben der Digitalisierung fehlt KI die breite Beteiligung einer Bewegung, die Umbrüche mitgestaltet. KI erschien ready-to-use aus der Hand und in der Kontrolle von BigTech Konzernen.
KI kann nicht als neutrale Technologie begriffen werden, sondern als soziotechnische Konstellation, die bestehende Machtverhältnisse reproduziert und verstärkt.
Aktuell polarisiert sich – entsprechend der politischen Großwetterlage – auch die KI-Diskussion zwischen imperialen Tech-Ambitionen und fundamentalistischer Technikkritik. Die Veranstaltung erinnerte daran, dass Technik immer auch eine Frage der gesellschaftlichen Wahl ist – und damit der demokratischen Gestaltung.
Die Stillen Umbrüche werden nur dann gestaltbar, wenn sie sichtbar gemacht und zum Gegenstand öffentlicher Deliberation werden. Darin liegt die politische Dimension einer kritischen KI-Forschung, die über technische Machbarkeit hinausfragt und die Bedingungen demokratischer Teilhabe in den Mittelpunkt stellt.
Frank H. Witt: Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft-UVK Verlag , 220 S. – auf yt: Wittgenstein und Turing: KI als kumulative Innovation Im Blog: Rezension zu: Empire of AI – Dreams and Nightmares in Sam Altman’s Open AI – Rezension zu: Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus . Rezension zu: Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft