Kultur der Digitalität (Rezension)

Fast drei Jahre Arbeit für mich, kaum ein Tag lesen für euch. Hoffentlich ein fairer Deal.” Ganz so schnell und flüssig, wie in seinem Blog angekündigt, liest und erschliesst sich Kultur der Digitalität, immerhin 283 Seiten, des Schweizer Medienwissenschaftlers Felix Stalder nicht. Das Buch erschien bereits im Mai 2016, so wurde schon einiges dazu gesagt und geschrieben – aus unterschiedlichen Perspektiven.
Kultur ist ein Begriff mit mehreren Bedeutungsebenen. Zum einen die kulturelle Produktion und Rezeption, die sich in Sparten gliedert, zum anderen eine Art Formatierung von Gesellschaft und Teilgesellschaften – in begrifflicher Konkurrenz zu Zivilisation. In den Cultural Studies gibt es die Formel “the whole way of life of a group of people”. Wir sprechen von Hochkultur, Volkskultur, Pop(ular)kultur, von Subkulturen und Unternehmenskulturen, von Esskultur, Nutzungskultur, Kulturwirtschaft  und manchmal auch digitaler Kultur. Mit letzterer sind mal Games und andere Sparten, deren Werkstoff Software ist, mal die Standards im Umgang mit digitalen Medien und Techniken gemeint.

Kultur der Digitalität meint die von einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur geprägte Lebens- und Arbeitswelt. Das Buch besteht aus drei Teilen: Der erste handelt von den Wegen in die Digitalität – den Voraussetzungen;  im zweiten  geht es um die Formen, erkennbare Eigenschaften die kulturelle Prozesse in der Digitalität annehmen; im dritten Teil um politische Perspektiven: Postdemokratie und Commons.
In einem Interview präzisiert Stalder seine Begrifflichkeit von Kultur als der Summe aller Aushandlungsprozesse geteilter Bedeutung: über das, was schön ist und was nicht, was erlaubt oder verboten, was wichtig und was unwichtig ist, etc. (16). Solche Prozesse finden in der gesamten Gesellschaft ebenso wie in Teilbereichen statt. Manche Themen sind abgeschlossen, andere offen bzw. umstritten. Kultur ist nichts Statisches, sondern ein Feld der Auseinandersetzung.
Digitalität ist das Muster, die Ordnung, die diese Prozesse angenommen haben. Keine einseitige Folge technischer Innovationen, die neuen Technologien trafen auf bereits laufende gesellschaftliche Transformationsprozesse (21), die in die vergangenen Jahrzehnte zurückreichen. Die Wurzeln reichen ebenso in die Neuen Sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre, wie in neoliberale Ideen und Politik. Wenn auch mit unterschiedlichem Hintergrund operierten beide mit Begriffen der persönlichen Freiheit und gesellschaftlicher Flexibilisierung.
Waren diese Entwicklungen zunächst nur in Nischen spürbar, durchdringen sie nun die Gesellschaft als Ganzes.  Digitalität verweist auf die neuen Möglichkeiten der Konstitution und der Verknüpfung von Akteuren, Inhalten und Ideen, ein relationales Muster, das bestimmend wird (18). Expressivität, die Fähigkeit Eigenes zu kommunizieren (93), wird nun zu einer Kompetenz, die von allen erwartet wird, Filterung und Bedeutungszuweisung zu Alltagsanforderungen.

Digitalität

Drei kulturelle Formen der Digitalität sind zentral:
Referentialität meint die “Nutzung bestehenden kulturellen Materials für die eigene Produktion” – wir kennen es zum einen aus Remixes, Collagen, MashUps, Coverversionen, Inszenierungen wie Cosplay: Einzelne Elemente, oft aus dem Fundus der Popkultur werden mit neuer Bedeutungszuweisung zusammengeführt.
Im Netz werden fremderstellte Inhalte kuratiert bzw. in den eigenen Kontext eingebunden, das reicht von der anmoderierten Verlinkung bei Twitter zu kuratiertem Journalismus und Content. Pinterest sowieso. 
Gemeinschaftlichkeit Die großen Mechanismen der Vergesellschaftung verlieren an Einfluß – explizite normative Zwänge nehmen ab, implizite ökonomische zu. Die einst prägenden Organisationen lassen in ihrer Bindungskraft nach – so Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine. Stalder orientiert sich am empirischen Konzept der Community of Practice: informeller, aber strukturierter Austausch, gerichtet auf neue Wissens- und Handlungsmöglichkeiten, reflexive Interpretation der eigenen Praxis (136).
Immer mehr Menschen können und müssen zwar selbstverantwortlich handeln, ohne jedoch auf die Bedingungen, die soziale Textur, unter denen dies geschehen muss, Einfluss nehmen zu können. Persönliche Positionierung im eigenen Netzwerk wird bedeutsam, die Frage “Wer ist in meinem Netzwerk und was ist meine Position darin?” (140) kommt auf. Im gelungenen Falle geht es um flexible Kooperation.
Algorithmizität Ohne auf Algorithmen beruhende automatisierte Verfahren wären die Möglichkeiten der digitalen Welt kaum nutzbar. Als automatisierte Personalisierung steuern Algorithmen Werbung, mit Zuordnungen und Sortierungen beeinflussen sie kulturelle Prozesse. Und ihre Bedeutung nimmt in immer komplexeren Vorgängen zu, z.B. in der Automobilität.
Der dritte Teil des Buches ist Ausblick mit den Kontrasten Postdemokratie und Commons. So folgt der Aufstieg der kommerziellen sozialen Massenmedien keinem technologischem Imperativ, sondern Folge einer spezifischen politisch-ökonomisch-technischen Konstellation (209).

Kultur der Digitalität ist ein weitgefasster Entwurf zur Entwicklung der digitalen Gesellschaft. Nicht im Sinne der technischen Durchsetzung – sondern dem ihrer Textur, der grundlegenden Strukturierung. Es gibt einen großen Bogen von der beginnenden Transformation bis hin zur Postdigitalität. Themen wie die Wissensökonomie, Erosion der Heteronormativität, Postkolonialismus werden behandelt. Manches entspricht dem, was anderswo als  Prozesse der  Individualisierung und Informalisierung beschrieben wird. Das Werk von Manuel Castells (Die Netzwerkgesellschaft) und das Modell des Neuen Sozialen Betriebssystems  stehen im Hintergrund.

Das grundlegende Thema bleibt die Verhandlung von sozialer Bedeutung in kulturellen Prozessen. Kultur der Digitalität lässt sich auch in Anlehnung an Norbert Elias als ein Prozess der Digitalisierung verstehen. Der Satz “Das Feld der Kultur ist von konkurrierenden Machtansprüchen und Machtdispositiven durchzogen” (17) erinnert zumindest an das Konzept der Machtbalance.
Ausgangspunkt des Buches ist MacLuhans These vom Ende der Gutenberg-Galaxis, vom Ende des Buches als Leitmedium. Es zeugt von dessen Langlebigkeit, wenn auch solche Texte als Buch (und E-Book) erscheinen. Edition Suhrkamp kann als Referenz zu den sozial- und geisteswissenschaftlichen Autoren gelten, die in den vergangenen Jahrzehnten darüber Verbreitung fanden. Was man vermisst ist ein Literaturverzeichnis. Quellen und Zitate sind zwar mit Fussnoten gut dokumentiert, ohne ist das Querlesen  aber mühsam.

Felix Stalder, 2016: Kultur der Digitalität. edition suhrkamp 2679;  283 S., 18 € 



Consumer Tribes revisited

Consumer Tribes erschien bereits vor zehn Jahren (2007), damals hatte ich eine ausführliche Rezension geschrieben. Die Gedanken und Konzepte, die beschriebenen Muster treten aber immer wieder hervor – bei der Bestimmung von Forschungsfragen in der Netnographie, in Diskursen zu Online- Vergemeinschaftung und Mikro- Öffentlichkeiten, zu Szenen, wie Makern, Fankulturen oder denen, die sich ums Essen bilden – so lohnt sich eine aktualisierte Betrachtung. Selber kenne ich nur wenige Bücher, die für Soziologie und Marketing gleichzeitig spannend sind, beide Felder gelungen miteinander verbinden.
Der Sammelband enthält 16 einzelne – sehr lesenswerte -Stories von Consumer Tribes plus einige konzeptuelle Kapitel der Herausgeber und des begrifflichen Urhebers der Neo-Tribes, dem französischen Soziologen Michel Maffesoli („Le temps des tribus. Le déclin de l’individualisme dans les societés postmodernes“, 1988).  Die Beiträge reichen von klassischen  Brand Communities, wie zu Harley Davidson, Fan Communities zu Harry Potter oder Star Trek, solchen zu nachhaltiger New Consumption und solchen aus der Gothic– Szene und einer Fetisch-Community etc. – und sie sind international zusammengestellt.
So unterschiedlich die Fallstudien sind, sie teilen strukturelle Merkmale. Es sind informelle Gemeinschaften, die sich über gemeinsame Interessen, oft Objekte und Produkte bilden. Das können Marken oder Medien sein – müssen es aber nicht. Entscheidend ist die Verbindung, die durch das gemeinsame Erleben entsteht. Bourdieus Begrifflichkeit des kulturellen, bzw. in einigen Fällen subkulturellen Kapitals spielt eine Rolle. Distinktion bedeutet nicht nur Abgrenzung und Ausschluß, sondern auch Inklusion über das gemeinsame, es geht um die Teilhabe an einem jeweils spezifischen Wissen – in-the-know.

Cosplayer inszenieren sich wirkungsvoll

Tribes zeichnen sich durch eine gemeinsame Ästhetik aus. Das Konzept steht in einem gewissen Kontrast zu dem der Subkultur, das die Abgrenzung von einer Mehrheitskultur betont. Maffesoli verstand Punks als Musterbeispiel eines Neo-Tribes.
Weitreichende Resonanz fand das Konzept in den Cultural Studies, die sich vorwiegend mit Popularkultur  – the whole life of a group of people – befassen. Oft geht es um Fankulturen zu Popmusik, Filmen und TV- Serien. Ein Beispiel ist etwa die StarTrek Fankultur. Star Trek gilt als ein Phänomen der Medien- und Konsumkultur und wurde als the most successful and lucrative cult phenomenon in television history bezeichnet. Consumer Tribes erweitert die Vorstellung solcher Vergemeinschaftungen auf solche, die auf Konsum beruhen. Zumindest vor zehn Jahren war das bekannteste Beispiel die Apple Fan- Community.

Im Barbershop

Was macht den Ansatz und das Thema auch nach zehn Jahren interessant? Wahrscheinlich am meisten der Punkt Tribes as Entrepreneurs – der das innovative Potential solcher Vergemeinschaftungen betont.
Vor allem, wo es ums Essen geht, findet man Tribes zu allen Themen: Ob Kaffee, Bier (CraftBeer), Schokolade, Limonaden, Streetfood, Fleisch oder vegan  – die Muster sind ähnlich: Unzufriedenheit mit dem industriellen Massenangebot bringt Menschen dazu, selber zu produzieren, ein hochentwickeltes Fachwissen verbreitet sich. Produzenten, Kunden, Händler, Blogger verstehen sich als Teil einer Gemeinschaft, die die Begeisterung für ein Produkt,  dessen Geschichte und Geschmackserlebnisse teilt. Das Internet ist nicht die Ursache solcher Entwicklungen, aber es begünstigt sie. Kennzeichnend sind fließende Grenzen und Mitgliedschaften. Trends verbreiten sich, Großunternehmen greifen sie auf, bleiben aber mit ihren Angeboten außerhalb.  Eine weitere Szene: Maker – hier geht es um handwerkliche Produzenten von Kleidung und Accessoires, wie Krawatten, von Möbeln und Designobjekten – Manufakturwaren.

Bei all diesen Tribes geht um eine gemeinsame Ästhetik, ob visuell oder kulinarisch. Anders als in vergangenen Jahrzehnten spricht niemand von Gegen- oder alternativer Kultur. Natürlich lässt sich das Konzept der Tribes weiterführen. Fahrradkultur, Grillkultur sind weitere Felder. Die Muster gleichen sich.

Jahrzehntelang war es v.a. Pop- Musik und die damit verbundenen ästhetischen (auch sozialen und sexuellen) Erfahrungen, an der sich Vergemeinschaftungen bildeten:    „Wie bildet Pop-Musik soziale Einheiten, Gangs, Szenen, Milieus, Subkulturen und Gegenkulturen, wie generiert sie das, wofür sie mehr als für ihre ästhetischen oder kulturellen Meriten studiert zu werden verdient: soziale Tatsachen und -so glaubten ja einst Gegner wie ihre Unterstützer – Gefahren?“ (Diederichsen, D. „Über Pop-Musik“, S. 375). Das hat sich wahrscheinlich verschoben, manche sprechen auch vom Essen, als dem neuen Pop.

Cova, Bernard; Kozinets, Robert V.; Shankar, Avi (Hrsg.): „Consumer Tribes“, Butterworth Heinemann, Oxford und Burlington MA 2007, 339 S. ISBN: 978-0-7506-8024-0.  mehr zum Thema Tribes in diesem Blog: Stämme im Netz: Die tribale Metapher; Tribes im Social Web; andere verwandte Themen:   („Le temps des tribus. Le déclin de l’individualisme dans les societés postmodernes“, 1988)

Rückblick “Transformation der Systeme”

Im World – Café; Thema Handel

Zwar liegt die 7. Internetwoche Köln (24. – 28.10. 16) schon eine Zeit zurück. An zweien der Veranstaltungen war ich massgeblich beteiligt – und es lohnt sich auf die Ergebnisse zurückzublicken. Zunächst die Diskussionsveranstaltung Education 2.0 im Startplatz am 24.10., am Folgetag dann mit thematischer und personeller Überschneidung der Workshop Transformation der Systeme in den Räumen der IHK Köln. Bei beiden Veranstaltungen ging es um Einschätzungen zum Digitalen Wandel/Transformation in wesentlichen Systemen: Bildung, Handel, Arbeit und der Entwicklung der Netzökonomie.
Bildung ist ein Feld mit mehreren Dimensionen: es gibt einen staatlichen Bildungsauftrag, Bildungsdienstleistungen unterschiedlichster Art sind eine weitverzweigte Branche; Bildung ist Grundlage für sozialen Zusammenhalt, gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolg (so formuliert im Leitbild der Landesregierung NRW), und sie ist Teil der Persönlichkeitsentwicklung.
Im Startplatz als Gründerzentrum und Co- Working Space lag ein Schwerpunkt der Diskussionsrunde in der Gründerszene. Digitaler Wandel ermöglicht neue Bildungsdienstleistungen. Zunächst sind es Nischen und Spezialisierungen, die Gründer besetzen. Dass Disruptionen aber auch dort stattfinden können, zeigt das Beispiel der Lernvideos, die den klassischen Nachhilfeunterricht verdrängen.
Ein breiterer Ansatz ist Peer-to-Peer Learning, das der Lerntheorie des Konnektivismus nahesteht: Anbieter und Lerner sind grundsätzlich nicht in den Rollen voneinander getrennt, sie können u.a. über Plattformen vermittelt werden, ähnlich wie bei Crowdsourcing. Entscheidend ist das Verständnis wie man Wissen findet und verfügbar macht, wenn man es braucht.
Wesentlich bleibt der Vorrang der Persönlichkeitsbildung. Das geht bis hin zu den Wurzeln persönlichkeitsbildender Pädagogik. In einer sich ständig wandelnden Welt ist dem einzelnen besser geraten, seine generellen Kompetenzen zu entwickeln, als standardisierten Ausbildungswegen zu folgen. Medienkompetenz ist Voraussetzung.  Eine etwas ausführlichere Zusammenfassung (incl. der Angaben zu den Diskutanten) habe ich für den Startplatz- Blog geschrieben

Aufzeichnungen zur Bildung

Der Begriff Digitale Transformation wird oft diffus verwendet, meint aber eine Neustrukturierung bestehender Systeme (vgl. Polanyi). Das bedeutet tiefgreifende Veränderungen nicht nur für einzelne Unternehmen und Branchen, sondern für Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes. Einmal eingeschlagene Innovationen sind unumkehrbar. Beim Worldcafé Transformation der Systeme ging es um  Arbeit, Bildung, Handel und in die sich entwickelnden Netzökonomie. Wie erfolgt künftig die Koordination von Menschen und ihren Interessen in diesen großen Kontexten? Im Anschluß an Impulsvorträge wurden die Themen, entsprechend dem Open Space Format Worldcafé, an Thementischen diskutiert und zu jeweils gleichen Fragestellungen Szenarien entwickelt. Weitere spannende Themen wären z.B. Mobilität, Kredit- und Finanzwesen und die bereits fortgeschrittene Transformation der Medien   gewesen.  Im Hintergrund stand das Konzept Networked Sociality/Vernetzte Sozialität  als Begriff für ein Organisationsprinzip – manche sprechen von einem Neuen Sozialen Betriebssystem.

Aufzeichnungen zur Arbeitswelt
Aufzeichnungen zur Netzökonomie

Digitaler Wandel zeigt sich nicht nur in Geschäftsmodellen, im Marketing, den Fertigungmethoden und den genutzten Medien, sondern in der Art, wie jeder einzelne daran teilnimmt.  World Café als Open Space Format und die im Workshop gewählten Kontexte gaben einen   passenden Rahmen zur Diskussion verschiedener Meinungen und Sichtweisen. Die Themenfelder, wie  Arbeitswelt und Bildung sind dieselben, wie sie unter dem – wenig nachvollziehbaren – Label 4.0 (Arbeit 4.0Bildung 4.0, auch Mobilität 4.0) in die Diskussion gebracht werden.
Es gibt durchaus rein affirmative Standpunkte (wie etwa Amazon und Lieferdienste reichen mir im Handel). Ein besonderer Wert kommt aber der Teilhabe zu. Kaum jemand ist ausschließlich einer Rolle, sei es als Kunde oder als Arbeitnehmer verhaftet, sondern als Beteiligter in einem System in dem man gibt und nimmt. Das bedeutet nicht keine Abwertung von Professionalität und Spezialisierung, aber den Bedarf an Beteiligung und Gestaltung bei der Arbeits-/Erwerbsumgebung, Bildung, Mobilität, aber auch im Handel und in der Netzökonomie. Das Format ist sehr geeignet, es auch in anderen Zusammenhängen  einsetzen.

Mitveranstalter waren Claudia Schleicher, Pirmin Vlaho, Ibo Mazari und Gunnar Sohn – Experten und erfahren in jeweils eigenen Feldern des Digitalen Wandels. Gesponsort wurde der Workshop von der IHK Köln und dem Kölner Digital Signage Unternehmen dimedis.

Die Bilder von den Flipcharts mit den Aufzeichnungen öffnen sich nach Klick in einem neuen Browserfenster in voller Auflösung (hier auch die Aufzeichnungen zum Handel)

Buzzwords z. B. Transformation, 2.0 und 4.0, Big Data

Wortwolken

Mit Buzzwords ist es so eine Sache. Es fällt leicht, sich über sie lustig zu machen (z. B. Buzzword Bingo): Begriffe, die auftauchen, auf wichtig tun, zum Hype werden, und irgendwann wieder verflauen. Manchmal treffen sie den Zeitgeist – oft ist es Wortgestöber. Meist sind sie auf Englisch, der Sprache der Digitalisierung.
Ein wenig funktionieren sie wie Popsongs: Sind sie gut, drücken sie das aus, was noch unbenannt in der Luft liegt. Das löst Interesse, Diskussionen und Erklärungsbedarf aus. Zumindest eine Zeitlang sind sie ein Vehikel, mit dem sich neue Gedanken, Techniken und Haltungen verbreiten. Wer sich Deutungshoheit verschafft hat, kann sich über Einladungen und Aufträge zu Workshops und Seminaren freuen – Expertenstatus.
Aber genau wie Popsongs, oder eigentlich alle Dinge, die Moden unterworfen sind, verschleissen (oder verflauen) Buzzwords mehr oder weniger schnell. Zu häufiger, oft unbestimmter Gebrauch, oder die Entwicklung geht über sie hinweg, irgendwann passt der Bedeutungszusammenhang  nicht mehr.

dahinter ist Neues zu entdecken

Digitale Transformation klingt gewichtiger als Digitaler Wandel, schließlich wandelt sich die Welt fortwährend – eine Transformation erlebt man aber seltener. Und Transformation geht aufs Ganze: Die ganze Wirtschaft, ganze Systeme, wie Bildung, Arbeit, Handel, Mobilität transformieren sich. Begriffe wie Disruption werden überdacht. Oft wird Digitale Transformation im verkürzten Sinn verwendet, der Begriff erschliesst sich erst im längerfristigen Zusammenhang.  Letztlich geht es um eine Neu- Justierung bestehender Systeme in Folge der Digitalisierung.
Vor mehr als zehn Jahren brachte Web 2.0 die Stimmung nach dem Crash des Börsenbooms der Jahrtausendwende auf den Punkt – und damit wurde es eines der erfolgreichsten Buzzwords. Web 2.0 betonte einen Neubeginn des Internet und stellte das partizipatorische Potential in den Vordergrund. Ein Mitmachweb mit Blogs, Podcasts und Social Software – parallel dazu eine Kultur von BarCamps. Zumindest in der Idee basisdemokratisch. In den Hintergrund geriet der Begriff nachdem man immer mehr von Social Media sprach – und damit waren v.a die großen Plattformen gemeint. Die Möglichkeiten der Teilnahme vereinfachten sich, aber es entstanden Oligopole.
Die metaphorische Versionsnummer fand immer wieder Nachfolger – seit einiger Zeit Industrie 4.0. Hier soll auf eine vierte industrielle Revolution verwiesen werden – letztlich eine Frage der Zählweise. Was bei der Industrie noch nachvollziehbar ist, ist es in der weiteren Übertragung nicht – es erscheinen dann Wortgebilde wie Bildung 4.0, Arbeit 4.0, Mobilität 4.0, auch Gesundheit 4.0 wurde schon entdeckt. Alle bezeichnen digital vernetzte – transformierte – Systeme, die gestaltet werden sollen. Welcher Sinn wird mit der Versionsnummer 4.0 vermittelt? Was war eigentlich Gesundheit 3.0 oder 2.0? War Arbeit 1.0 die reine Fron – und 3.0 die prä- neoliberale Vollbeschäftigung? Wenn man böse ist, kommt man auf Reich 3.0. Man hat den Eindruck, eine Agentur hätte Bundes- und Landesregierung ein Konzept verkauft, das nun überall verbreitet wird.
Big Data ist an sich ein simpler, undifferenzierter Begriff, der Staunen und Mißtrauen über die Fülle auswertbarer Datenbestände ausdrückt, Big Brother klingt an. Big steht für Datenvolumen, die Bandbreite/Vielfalt der Quellen und die Geschwindigkeit der Generierung. Als Buzzword hält sich Big Data schon erstaunlich lange, ohne von differenzierteren Bezeichnungen von Datenanalysen ersetzt zu werden.

Warum spielen Buzzwords eine solche Rolle in allen Diskussionen rund um die Digitalisierung? Zum einen benennen sie neu auftretende, oft  noch unbestimmte Phänomene und es sind nicht die exakten Bedeutungszuweisungen, die sie ausmachen. Auch aktuell werden Phänomene anhand von Buzzwords wie Filterblase, Fake News und postfaktisch diskutiert. Sprache formatiert menschliches Wahrnehmen und Denken und es sind gerade die Assoziationen, Gedankenbrücken und Anmutungen die Begriffe ausmachen. Dann wollen neue Begriffe geklärt werden. Das bringt Vorteile in der Aufmerksamkeitsökonomie. Naheliegend ist das Marketing am anfälligsten für Wortgeklingel im Gefolge, schließlich ist es seine Aufgabe für Aufmerksamkeit und letztlich Umsatz zu sorgen.
Und noch eins: Die Suchsysteme (im wesentlichen Google) sind auf  Begriffe, nicht auf lange Erklärungen ausgerichtet. Auch das macht Buzzwords strategisch zentral.

Bildquellen:.: Doppelte Tür time. / photocase.de; Monitore: mmk / photocase.de

Klaus Janowitz (klausmjan)

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