Zur Vorstellung eines gelebten Lebens gehört es, etwas zu hinterlassen, das in der Erinnerung, in der Wirkung auf andere, weiterlebt.
Es kann vieles sein, nicht nur ein festgemauertes Lebenswerk mit Inschrift und Festrede – genauso sehr die Summe der kleinen Gesten, ein gewisser Stil, eine Aura, eine spezifische Haltung, die nicht nur Angehörige in ihrem Leben inspiriert. Man kann es Vermächtnis bzw. Legacy nennen.
Generative KI erkennt Muster in dem Material, das in sie eingespeist wurde, extrahiert daraus relevante Merkmale, und kann, darauf basierend, neue Inhalte generieren.
So kann generative KI auch Muster in dem erkennen, was ein menschliches Leben hinterlässt. Noch nicht lang zurück, war das Material rar. Denke ich an meine Eltern, gab es Fotos, ein paar Ton- und Videoaufnahmen, handschriftliches etc. Heute sind digital gespeicherte Medien allgegenwärtig – als Text, Bild, Video, gesprochene Sprache. Genug, um aus dem passenden Datenmaterial einen Avatar zu klonen.
Je mehr und um so passenderes Datenmaterial ihr zugeführt wird, desto realitätsnäher liegt die Ausgabe der KI, bis hin zu den einzigartigen Charakteristika der Stimme mit ihren wechselnden Emotionen und Tonalitäten. So kann die KI ein Gespräch (oder einen Monolog), nicht nur als Text, sondern auch als persönlich erkennbare, gesprochene Stimme synthetisieren.
Ganz neu ist das Konzept nicht. Vor zehn Jahren (2014) erschien im New Yorker der Essay How to Become Virtually Immortal. Es war die Zeit des grössten Hypes um Social Media – das Konzept scheint sich stark auf Social Media Daten bezogen zu haben. Ein echter KI- Dienst entwickelte sich daraus noch nicht. Das damals genannte Start Up Eterni.me ist jedenfalls nicht mehr auffindbar.
Ein Film und ein Pionier zwischen Vision und Vermächtnis brachten das Thema in den letzten zwei Monaten in die öffentliche Aufmerksamkeit.
Der Dokumentarfilm Eternal You startete am 20.06.24 in den Kinos, entstammt aber nicht dem aktuellen KI- Hype. Die Idee ist etwas älter. Die Dreharbeiten waren von Corona unterbrochen worden, Fertigstellung und Kinostart schoben sich so etwas hinaus.
Der Film ist eine Montage mehrerer dokumentarischer Stränge. Einige unterschiedliche Szenarios sind erkennbar.
Zunächst in schriftlicher Dialogform – Der Text kommt aus dem Ticker, wie wir es von Chat GPT her kennen; ein Angebot zum schriftlichen Dialog. Ein Mann chattet mit dem Avatar seiner verstorbenen Geliebten, andere Situationen sind vorstellbar. Nebenbei, lernt die KI in den Dialogen weiter? Dann müsste sie sich im weiteren Verlauf verändern, weiterentwickeln …
In einem zweiten Szenario kommt eine Stimme aus dem Off – grundsätzlich wirkt sie in dieser Form als Monolog dominant – als wolle sie posthum in das Leben der anderen hinein regieren.
Das dritte Szenario wirkt aufwühlend und befremdlich. In der südkoreanischen TV- Show Meeting You versucht eine Mutter von ihrer verstorbenen Tochter in einem VR- Raum Abschied zu nehmen. Die Tochter erscheint lebensecht, bleibt aber unfassbar – die Mutter kann sie nicht in die Arme schliessen. Im weiteren stirbt der Avatar der Tochter einen zweiten, virtuellen Tod, die Mutter konnte Abschied nehmen. Sie bekräftigte, dass ihr diese Begegnungen geholfen haben. Virtual Reality als Traumatherapie?
VR hat sich seitdem (2020) weiterentwickelt, der heutige Stand würde weit detailliertere Szenarios ermöglichen. Und sicherlich kommen manch seltsame Gedanken auf: ein Totenreich im Metaverse – in dem Verstorbene aufgesucht werden können? Mir fiel dabei die Szene aus der Odyssee ein, in der Odysseus dem Schatten seiner Mutter im Hades begegnet – eine solche Wiederbegegnung ist ein uraltes, archetypisches Motiv.
Vielleicht ist manches in Zukunft möglich. Jetztsind es v.a. Menschen, die plötzlich und unerwartet Angehörige verloren haben, die solche Angebote aufgreifen. Als eine Möglichkeit zur vermissten Auseinandersetzung oder dem verpassten Abschied.
Michael Bommer war der erste Kunde des Start Ups Eternos Life.
In jeder Hinsicht ein idealtypischer Pionier. Selber war er lange Jahre Software- Manager, als solcher bestens vertraut mit den technischen Hintergründen. Pionier in Sachen Kundenkommunikation, deren Entwicklung und Verbesserung er entscheidend mitgestaltet hat – dazu begabt darin, komplexe Innovationen und Technologien verständlich zu erklären.
Michael Bommer war seit zwei Jahren an Krebs erkrankt und warf sich in seinen letzten Monaten mit Verve in sein letztes Projekt zwischen technischer Vision und persönlichem Vermächtnis. Beeindruckend ist seine Begeisterung, die aktive Beteiligung daran, kurz vor seinem Tod …. dass ich in den letzten Tagen meines Lebens noch etwas gefunden habe, was mich begeistert, was mich mitreißt, was ich sozusagen mit Anlauf mit ins Grab nehme. Für ihn eine tiefe emotionale Erfahrung.
Seine Geschichte ging durch die Medien: Zeit, Spiegel, FAZ, ZDF berichteten. Gunnar Sohn hat ein Book-on-demand dazu gestaltet und mir zur Verfügung gestellt.
Im Gegensatz zu anderen Beispielen von Digital Afterlife wurde Bommers Geschichte ausschliesslich positiv kommuniziert – im Respekt vor seiner überzeugenden Offenheit.
Technisch beruht die hier entwickelte KI auf allen verfügbaren Quellen von Erinnerungen, Wissen, Meinungen, Erfahrungen etc. aus Videos, Bilder, Dokumenten. 315 Phrasen, 150 Geschichten aus versch. Lebensphasen wurden eingespeist – in unterschiedlichen Tonalitäten und Stimmungen. Das Leben bleibt aber endlich. Am 25.06. starb Michael Bommer.
Das Gedächtnis an Verstorbene, ihre Bestattung, ihr Afterlife war immer zentraler Bestandteil menschlicher Zivilisationen. Beim Bau von Pyramiden und Megalithgräbern haben sich z.B. die damaligen Kulturen in ihren technischen Möglichkeiten selbst übertroffen. Manche Zivilisationen wurden von ihrem Totenkult dominiert. In anderen Kulturen gehören die Verstorbenen genauso zur Familie, zum persönlichen Umfeld, wie die Lebenden. Manche Vorstellungen erscheinen heute bizarr.
Jetzt erscheinen neue Möglichkeiten. Ein synthetisch erzeugtes – dialogfähiges Gegenüber ist etwas bislang nicht dagewesens. Was es vordem nur als Vorstellung gab, wird auf trickreiche Weise erlebbar gemacht. An der Endlichkeit des Leben ändert es nichts.
Wie man dieses Neue nennen kann, ist noch unklar. Bezeichnungen wie Digitaler Zwilling, Ghost Bot, Verwandlung in eine KI fallen in den Beschreibungen. Mehrfach schliesst sich ein kritischer Verweis auf Geschäft und Kommerzialisierung an – als ob die Dienste herkömmlicher Bestatter nicht ebenso geschäftlich organisiert wären. Es ist ein kultureller Prozess, was davon weiterentwickelt und als Dienstleistung angeboten wird. In Zukunft vom StartUp Bestatter?
Eternos Life:Testimonial Michael Bommer — Gunnar Sohn: Michael Bommer. Zwischen Vision und Vermächtnis. Sohn & Sohn Schriftenreihe Band 3, 148 S., 6/2024 Bestellen/ Die Zeit. Nr. 25./2004 18.0.24 S.66 / Unsterblich dank Künstlicher Intelligenz. ZDF 18.05.2024 – Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit. Film von Hans Block & Moritz Riesewieck, D, USA 2024; 87 Min. Website: https://eternalyou-film.de/ – Laura Parker: How to Become Virtually Immortal . The New Yorker. 14.04. 2014. Using A.I. to Talk to the Dead… s.auch: Lilli Berger: Virtuelle Erinnerungsräume, Die Zukunft Des Trauerns | TEDxPotsdam, yt 2023 — Simulate the Dead- Project December. James Trew: Digital ‘immortality’ is coming and we’re not ready for it 7/2023