Innovation & Transformation (Rez.)

InnovationsstauCole_Digi_TRans

Zwei Bücher in denen es um Innovationsfähigkeit, um die “Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsnation” (Cole S. 197) geht.
Es gibt ein oft idealisiertes Bild der deutschen Wirtschaft. Dazu zählen die hidden champions aus der ostwestfälischen oder schwäbischen Provinz, die mit hochspezialisierten Produkten und herausragender Innovationskraft im Weltmarkt vorne stehen. Und es gibt leistungsstarke auf Effizienz getrimmte Konzerne. Zusammengehalten wird das von einer Kultur der Zuverlässigkeit und der Sachlichkeit. Das sichert dem Land Exporte aus der Produktion und den Wohlstand.
Beide Bücher lenken den Blick auf Schwachstellen der Innovationskraft hinter diesem Bild, und sehen sie u.a. in vorherrschenden Unternehmenskulturen und im Umgang mit dem Rohstoff Kreativität.
Digitale Transformation (daneben steht der Begriff Digitaler Wandel, darin sind die kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen einbezogen) ist ein globaler Prozess. Tim Cole bringt die einzelnen zugehörigen Themen, wie Industrie 4.0, Big Data, neue Branchen wie Video- und Musik-Streaming, Cloud Services, 3D- Druck als Fertigungsverfahren und die Customer Journey flüssig zusammen. Weiten Raum nimmt die Darstellung der neuen Rollen von Kunden, Herstellern und Mitarbeitern ein. Industrialisierung der Wissensarbeit ist ein Trend, komplexe Aufgaben werden in einfache Module zerlegt und über das Netzwerk an Personen vergeben, die die dafür notwendige Kompetenz haben (S. 177).
Trotz all dieser Änderungen gelten in der Alltagswirklichkeit oft noch die gleichen starren Regeln – und das sieht er als ein speziell deutsches Problem, an dem Arbeitgeber und -nehmer, Konsumenten und Politiker gleichsam an einer konservativen Mentalität teilhaben. Deutsche Chefs bestehen allzuoft (75% der Firmen verlangen Präsenz) auf Aufsicht und Kontrolle: Ohne Kontrolle keine Produktivität. Schließlich hat “Digitale Transformation” auch Züge eines Ratgebers. Cole entwirft Scenarios von Marketing, Arbeit und Organisation, am Ende der Kapitel  stehen jeweils “Zehn Fragen, die Sie sich in diesem Moment stellen sollten” – Checklisten, mit deren Hilfe Entscheider ihren Stand in der Digitalen Transformation prüfen können.

Innovationen sind manchmal einfach da Bildnachweis: kallejipp / photocase.de
Innovationen sind manchmal einfach da Bildnachweis: kallejipp / photocase.de

Jürgen Stäudtner verbindet mit Maschinenbau, Bildender Kunst und BWL Qualifikationen, die man selten zusammen findet. Er macht Ideen- und Innovationsmanagement, rollt  das Thema aus langjähriger Erfahrung auf. Es geht ihm darum, Arbeit und Wirtschaft zielführender zu gestalten, aufzuzeigen, “wie Ideen und Leidenschaft, wie Empathie für den Kunden, der Mut zum Scheitern und zur modernen Vermarktung zu Innovation führen.
Stäudtner bezieht Ansätze wie Open Innovation ein. Er zieht aber auch Schlüsse aus eigenen Beobachtungen in Arbeitsalltag und Produktentwicklung, das macht sein Buch empfehlenswert. 
Als Hemmschuh von Innovation sieht er ein teilweise oligarchisches System: Viele der in Deutschland angesammelten Vermögen sind in den Händen weniger Reicher,  denen es mehr um Erhalt von Vermögenssicherheit und der damit verbundenen Privilegien geht und die meist wenig Interesse an Investition in Innovation haben. Die Deutschen sind stolz auf technisch ausgereifte Produkte mit hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards. Da wirkt der offensichtliche Betrug von VW bei den Abgaswerten wie ein Menetekel. Innovationen entstehen dann, wenn man mit Gewohntem bricht.

Einen Gedanken kann man beiden Büchern hinzufügen – und das ist die kulturelle und gesellschaftliche Dimension des Digitalen Wandels. Die wird nicht verschwiegen, aber sie bleiben in der Sphäre der Wirtschaft. Zukunft wird nicht allein von technischer Machbarkeit und ökonomischen Entscheidungen bestimmt. Genauso von der Attraktivät kultureller Muster.
Die Frage warum bisher kein deutsches oder europäisches Unternehmen mit einem der “Großen Vier” (Apple, Google, Facebook, Amazon) der digitalen Welt mithalten kann, tritt immer wieder auf. Die USA haben Silicon Valley hervorgebracht, wie sie Hollywood hervorgebracht haben:  Ein riesiges Cluster global wirksamer populärer Kultur.
Zumindest drei der Großen Vier haben entscheidende Kulturtechniken der online-Welt, wie wir sie heute kennen, geprägt.  Apple blickt schon auf mehrere Jahrzehnte zurück und blieb einem Grundprinzip treu: Technik sollte intuitiv zu bedienen sein. Im Laufe der Zeit erbrachte dies eine Fülle von Innovationen, die uns heute selbstverständlich sind: den ersten ‘persönlichen Computer’, die graphische Benutzeroberfläche, die Bedienung der SmartPhones u.v.m.  Kennzeichen all dieser Innovationen ist  plug and play – der direkte Anschluß an die Intentionen der Benutzer – von denen nicht verlangt wurde, sich weiter mit der Technik auseinander zu setzen. Dafür wurde Apple geliebt wie sonst nur Pop- Stars.
Die unprätentiöse Google– Suche machte das Internet erst wirklich als Informationsquelle nutzbar und beendete das Internet der Portale (erinnert sich noch jemand daran?). Facebook hat Social Media nicht erfunden, aber in seiner Form auf der Welt verbreitet. Das alles sind Kulturtechniken, die sich weltweit schnell verbreiteten. Sie vereinfachten und verbesserten die Nutzung der neuen online-Welt  – sie wurden niemandem aufgezwungen.

Tim Cole: Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt getan werden muss! Verlag Franz Vahlen München; 2015, 24.90,  212 S. Jürgen Stäudtner: Deutschland im Innovationsstau: Wie wir einen neuen Gründergeist erschaffen. Books on demand ISBN:978-3-7347-6742-5;  2015, 183 S., 19.95 €;  .

Handwerkliches Essen in der Digitalen Welt

Consocials

Essen und Trinken sind  – zumindest in diesem Teil der Welt –  von der Not satt zu werden befreit. Verfügbar ist alles, was der Markt verlangt – von jeder Herkunft, in allen Qualitätsstufen und Preisklassen.
Die längste Zeit waren Essen und Trinken von den Jahreszeiten und regionalen Traditionen bestimmt. Das Wissen um Eigenschaften, Erzeugung und Verarbeitung der Lebensmittel ist ein kultureller Schatz der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. In den letzten Jahrzehnten kam globale Vielfalt hinzu, neue Zubereitungstechniken und die Experimentier- freude mit den neuen Möglichkeiten.
Essen und Trinken wird damit Trends und Moden stärker ausgesetzt, wird zu einem Teil des persönlichen Lebensstils, der genauso nach außen gezeigt wird wie Mode oder Musikgeschmack. Genuß, Gesundheit, Werte wie Nachhaltigkeit, Tierschutz, fairer Handel, und die Bereitschaft angemessene Preise zu zahlen, spielen dabei eine Rolle.
Essen und Trinken sind ein “zentrales Thema der urbanen Alltagskultur“*, weniger auf der HighEnd Ebene der Sterneküche, mehr in den alltäglichen Genüssen: der Qualität von Brot, Gemüse und Fleisch, von Kaffee und Bier, hervorragendem Speiseeis, in der Patisserie und bei der Schokolade –  und dem nun Streetfood genannten Fastfood mit Burgern, Ethno- Food, handgeschnitzten Fritten und einer erneuerten Currywurst.

Vitelottes und Bamberger Hörnchen, handgeschnitzte Fritten
Kartoffelvielfalt: Vitelottes und Bamberger Hörnchen, handgeschnitzte Fritten

Industrielle Produktion sorgt für stabile Versorgung mit Nahrungsmitteln bei standardisierten Qualitäten zu vergleichsweise niedrigen Preisen. Deutschland ist dabei das Land mit dem härtesten Preiskampf. Ein grundlegendes Muster findet sich immer wieder: Vormals zumeist handwerklich verarbeitete Lebensmittel werden von wenigen industriellen Anbietern dominiert – dazu zählen auch Vorprodukte wie Teiglinge, Backmischungen oder Reinzuchthefen. Sorten- und Geschmacksvielfalt geht dabei verloren. Das gilt für zahllose Produkte – auch die Brot- und die Bierkultur mit Reinheitsgebot, auf die man in Deutschland so stolz ist.
Gegenbewegungen gibt es seit langem. Unter dem Vorzeichen genußorientierter Nachhaltigkeit (z.B. Slowfood), in stark vernetzten Szenen, die sich mit Leidenschaft  einem Produkt widmen – gelegentlich als Foodies oder Genußhipster (diese Begriffe haben sich nicht weiter durchgesetzt) bezeichnet. Auch dort kann man immer wieder ein Muster erkennen: Erzeuger, Betreiber und Gründer von Restaurants und Läden, Blogger, Kunden eignen sich Wissen an, sind online und offline vernetzt und verstehen sich als Gemeinschaft, die die Begeisterung für die Produkte teilt. Das entspricht dem Modell der Vergemeinschaftung der Tribes.

Dry aged beef
Dry aged beef

Die Fleischindustrie mit Massentierhaltung ist ein eigenes ethisches Thema, das immer wieder in die öffentliche Diskussion drängt. Brathähnchen zu 2,98 oder ein 1,- € Kotelett können weder nach akzeptablen ethischen wie Qualitätsmaßstäben produziert werden. Fleischkultur bedeutet bewussten Genuß mit höherer Qualität. Sie beginnt mit artgerechter und gesunder Aufzucht, verlangt handwerkliches Wissen vom richtigen Schnitt, zu Reifungsmethoden wie Dry Aged Beef und von der weiteren Fleisch- und Wurstverarbeitung. Dazu gehört die vollständige Verarbeitung des Tieres – nose-to-tail-eating – einschließlich der Innereien.

Trend Craft Beer

Kaum ein anderer Trend zeigt sich derzeit so deutlich wie CraftBeer – das handwerklich gebraute Bier. Ein Trend, der Deutschland erst mit einiger Verspätung erreicht hatte, wahrscheinlich wegen der vergleichsweise hohen Qualität deutscher Standardbiere. Craft Beer bedeutet Biere mit eigenem Charakter.  Mit dem Trend kamen neue Bierstile, wie Indian Pale Ale (IPA), säuerliche Vergärungen nach Art der Brüsseler Gueuze, Fruchtbiere nach belgischem Muster u.v.m.  Es sind oft Sorten mit höherer Stammwürze und damit höherem Alkoholgehalt und es wird viel experimentiert: mit verschiedenen Hopfensorten, Reifung in Barriques, manchmal gewagten Zusätzen (z.B. Obstschnaps, Koffein). Mehr und mehr entstehen auch thekenfähige Versionen mit moderatem Alkoholgehalt.

Essen ist der neue Pop – eine in letzter Zeit wiederholt aufgestellte These: Wer vor dreißig Jahren eine Punkband gegründet hätte, macht heute eine Küchencrew auf. Der Koch als der neue DJ? In der Tat erinnern manche Restaurants an Clubs, bedienen sich Gastro- und Weinkritiker an Popmetaphern. Popmusik war jahrzehntelang ein entscheidender Begleiter von Jugendkulturen und vermittelte immer wieder neue Stimmungen und Erfahrungen. Pop ist heute zwar allgegenwärtig und zitierfähig, die Leitfunktion als Treiber und Ausdruck von Lebensgefühl scheint aber vakant – in einer Gesellschaft, in der höchstens die Großeltern nicht mit Popmusik aufgewachsen sind. Geschmack kann genauso wie Klänge Empfindungen auslösen, macht Stimmungen fassbar, man denke nur an den Effekt der Madeleine bei Marcel Proust. Ein guter Koch bespielt die Geschmacksnerven seiner Gäste.

Was hat die Neue Esskultur mit dem digitalen Wandel zu tun? Zum einen zeitliche und örtliche Nähe. Einige Epizentren liegen nicht zufällig nahe den technologischen Hubs an der amerikanischen West- und Ostküste, oft gibt es personelle Überschneidungen und einen ähnliche Experimentierfreude. Die Einflüsse sind global, regionale und lokale Traditionen spielen aber eine große Rolle.  Italienische Kaffeekultur, belgische (manchmal auch deutsche) Bierkultur standen Pate, Frankreich ist Ausgangspunkt des Vin naturel.Erlebbar ist die Neue Esskultur denn auch in den hippen urbanen Bezirken der digitalen Zentren – mit Ausstrahlung in die Sterneküche.
Das Internet erleichtert die Kommunikation und auch die Vermarktung individualisierter Manufakturwaren: so ist es jetzt z.B. einfacher 10 verschiedene Pfeffersorten zu beziehen. Ein Lebens- und Konsumstil genußorientierter Nachhaltigkeit zeigt sich auch bei anderen Themen.
Selbstverständlich reagieren auch die großen Unternehmen auf neue Trends. Die Marktmacht der Großen v.a. bei Kaffee und Bier wird von Microbrauereien und -röstern kaum angestastet, wirkt sich aber auf deren Angebote aus. Man betrachte das Kaffeeangebot in einem Supermarkt und rufe die Erinnerung ca. 15 Jahre zurück. Anderereits werden Konzentrationsprozesse nicht gleich umgekehrt: Handwerkliche Bäckereien, früher in jedem Dorf und jedem Stadtteil zu finden, werden zu etwas besonderem, Tipps zu Sauerteigbrot und krossen Brötchen nun als solches weitergegeben. Trotz der Trends der Microbrauereien schließen immer wieder auch regional gut verankerte kleine Brauereien.
Was bleibt: Wer einmal guten Geschmack entdeckt hat, wird sich nicht mehr mit schlechtem zufrieden geben. Und wir lieben alle die Geschichten, die uns gutes Essen und Trinken erzählen.

*- so Clemens Niedenthal auf tip.de; Dem Text liegen Gespräche mit Fleischbotschafter Thomas Müller und Alexander Krause, der in Kürze den Online- Shop kostreich.de mit ausschließlich handwerklichen Erzeugnissen deutscher Provenienz eröffnet. Im weiteren aus Ergebnissen der Vegan- Netnographie von Juli 2015, auf anderen Gesprächen und Eindrücken bei Verkostungen etc.

 

WordPress. Version 4.4.2

Networked Sociality – Ein neues soziales Betriebssystem

NetworkedThe New Social Operating System” – so bezeichnen die beiden kanadisch/US- amerikanischen Soziologen Lee Rainie und Barry Wellman Networked Individualism, zu deutsch Vernetzten Individualismus, das sich durchsetzende Muster vernetzter Sozialität/Networked Sociality. Der Begriff geht auf Manuel Castells zurück: Netzwerke sind „personalisierte Gemeinschaften“, “das neue Muster der Soziabilität ist durch einen vernetzten Individualismus geprägt” (Castells 2005, S. 141).
Vernetzter Individualismus ist keine Folgeerscheinung des Internet, die Entwicklung wird aber dadurch angetrieben: „Es ist daher nicht das Internet, das das Muster des vernetzten Individualismus schafft, sondern die Entwicklung des Internet bietet eine angemessene materielle Stütze für die Verbreitung des vernetzten Individualismus als vorherrschende Form der Soziabilität“ (Castells S. 144). Das Internet, seine Plattformen und Social Media machen es einfacher personalisierte Netzwerke zu organisieren.
Networked Sociality ist eine Konsequenz gesellschaftlicher Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte – auf individueller Wahl beruhende Netzwerke gewinnen Vorrang gegenüber traditionellen Vergemeinschaftungen, die meist an den Ort und langfristige Zugehörigkeiten gebunden waren.
Rainie und Wellman sprechen von der Triple Revolution (vgl. S. 11/12): 1) der als Social Network Revolution zusammengefasste gesellschaftliche Wandel (wie oben beschrieben), 2) die Internet Revolution (die Verbreitung und Nutzung vernetzter digitaler Kommunikation) und 3) die mobile Revolution, die das Netz von stationären Geräten löste.

Technologien setzen sich durch
Co-Evolution von Technik und Gesellschaft

Technogenese bedeutet eine Co-Evolution von Technik und Gesellschaft. Technologische Innovationen sind keine isolierten Ereignisse. Technologische Systeme entstehen gesellschaftlich  – und sind von der Kultur geprägt, die sie hervorgebracht hat – sie werden nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt.
Man bedenke, in welch kurzer Zeit (seit Ende 2007) sich das SmartPhone durchgesetzt hat. Innerhalb dieser wenigen Jahre wurde es weltweit zum nahezu unverzichtbaren Werkzeug, das den – weitgehend – permanenten Zugang zum Netz und seinen Ressourcen sichert. In vielen Ländern wurde mit dem SmartPhone die Ära des PC übersprungen. Es dient als private Medienzentrale – und auch Flüchtlingen als Navigator.
Ohne großen weiteren Aufwand kann jeder damit Medien erstellen und verbreiten – nicht nur Text und Bild, auch Ton, Video, Life- Streaming.

Entscheidende Faktoren sind Konnektivität und PersonalisierungKonnektivität bedeutet die Möglichkeit, dass jeder Teilnehmer des Social Web sich mit jedem anderen verbinden kann. Jeder kann Sender und Empfänger, Kunde und Anbieter oder auch etwa Lehrender und Lernender sein, Leistungen unterschiedlichster Art anbieten oder nachfragen.
Personalisierung (oder besser: die automatisierte Personalisierung) bedeutet die “maßgeschneiderte” Anpassung von Angeboten. Maßgeschneiderte Personalisierungen erfordern Daten. Wir kennen es aus dem Online-Marketing und vielen anderen Beispielen. In der Diskussion zur digitalen Bildung wird sie thematisiert, im Gesundheitssystem und anderswo. Das Verfügen über große Mengen an Daten bedeutet Macht und erklärt den Einfluß der großen Internetunternehmen. Daten und automatisierte Personalisierung sind ein Treibstoff wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch Gegenstand der umfassendsten Diskussionen im digitalen Wandel – darauf  näher einzugehen, würde den Rahman sprengen. Verweisen möchte ich auf das Buch von Michael Seemann –  “Das Neue Spiel“.

Plattformen bieten die Infrastruktur für Interaktion und Koordination  – ein weiteres umfangreiches Thema. Hinzu tritt die Query als Instrument der Datenabfrage: entscheidend ist nicht die aufgezeichnete Information, sondern deren Abfrage. Es ist das, was Michael Seemann als die Organisationsmacht der Query bezeichnet. Die Query ist die Abfrage an eine Datenbank zu zutreffenden Matchings. So können Ressourcen verknüpft und koordiniert werden. Etliche  Geschäftsmodelle beruhen darauf: So funktionieren Uber und AirBnB, Peer-to-peer Credit, Dating Apps und unzählige andere. Diese Plattformen vermitteln standardisierte Transaktionen von Anbieter zu Abnehmer, jeder kann Sender und Empfänger, Verkäufer und Kunde sein.
Ähnlich ist die Verknüpfung über gemeinsame Merkmale, Interessen, Leidenschaften – in der Sprache des Social Web ein gemeinsamer #hashtag. Für die Verbindungen, die dadurch entstehen gibt es bereits den Begriff consocial – oder, wenn wir in deutscher Schreibweise bleiben wollen, konsozial. Darüber entstehen Vergemeinschaftungen von Menschen, die über gemeinsame Interessen und Leidenschaften zusammengehalten, oft Tribes genannt. Es sind kleine soziale Einheiten, auf denen vieles im sozialen Geschehen beruht. Und sie sind es, die die „Trampelpfade“ im Social Web austreten. Entscheidend ist die gefühlte Gemeinschaft.

Mit Digitaler Transformation wird „der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten„. (S. 159 Kreuzer & Land) – ein Anwendungsfeld von Change Management.
Unter Digitalem Wandel können wir hingegen den gesamten gesellschaftlichen Prozeß, der mit der Digitalisierung einhergeht, verstehen. Das erfordert neben den ökonomischen v.a. soziologische Erklärungsmodelle – so den Vernetzten Individualismus und das Bild des Neuen Sozialen Betriebssystems. So lassen sich technologische Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel zusammenführen. Die langfristige Entwicklung, lässt u.a. auch mit der Sozologie von Norbert Elias beleuchten.

Dazu die auf der NextAct am 19.02.16 gehaltene Präsentation:

Networked Sociality

 Manuel Castells: Die Internet-Galaxie: Internet, Wirtschaft und Gesellschaft, 2005 (Orig.: The Internet Galaxy: Reflections on the Internet, Business, and Society, 2001), 300 S. Wiesbaden 2005; Kozinets,Robert V.: Netnography:Redefined. SAGE Publications Ltd; Second Edition edition (July 24, 2015), 320 S.Lee Rainy & Barry Wellman (2012) Networked: The New Social Operating System. Cambridge, MA and London: MIT Press; Michael Seemann: Das neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust. 256 S. Orange Press, Freiburg 2014, gebunden 20,-€ /28 ‚- SF; E-Book 5,- bei iRights-Media  Ralf T.Kreuzer & Karl-Heinz Land .: Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus. Köln,2015, 198 S

Über den Prozess der Digitalisierung

Über den Prozeß der Digitalisierung – auch so kann man den Digitalen Wandel betrachten: angelehnt an den Prozeß der Zivilisation von Norbert Elias als einen langfristigen Prozess in dem sich das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft wandelt und neu geprägt wird. Es sind technologische und gesellschaftliche (bzw. kulturelle) Entwicklungen, die im digitalen Wandel miteinander verknüpft sind – mit erheblichen ökonomischen Auswirkungen. Der Begriff Technogenese verdeutlicht eine parallele Entwicklung von Technologie und Gesellschaft.

ein Klassiker langfristiger gesellschaftlicher Entwicklung

In der Elias’schen Soziologie geht es um langfristige Wandlungen von Gesellschafts – und Persönlichkeitsstrukturen – Sozio– und Psychogenese. Geschichte und Gesellschaft sind demnach ein einheitlicher Prozeß, der von handelnden Menschen gemacht wird, sich aus ihnen zusammensetzt und sie wiederum prägt. Elias hatte im wesentlichen zwei langfristige Prozesse in eine gemeinsame Perspektive gerückt: den der Staatsbildung (incl. des Gewaltmonopols) und den der Ausformung individueller Selbstkontrolle. Der Prozeß der Zivilisation ist nach ihm ein Prozeß der Disziplinierung der Individuen, der zunehmenden Unterwerfung des Verhaltens unter straffere Regulierungen.
Elias’ Untersuchungen endeten mit dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Im Anschluß daran wurde die Entwicklung der späteren Jahrzehnte, von den 60ern bis zur Jahrtausendwende, von dem niederländischen Soziologen Cas Wouters als Informalisierung beschrieben: Gegenüber strikt regulierten Verhaltenscodes haben sich Selbststeuerung, eine Emanzipation der Emotionen, Variationsspielraum, flexible Anwendung von Verhaltensregeln als neue Ideale einer bewußteren Steuerung durchgesetzt. Informalisierung ist mit Individualisierung verbunden, das Management des Selbst wird zur Aufgabe. Die neuen Ideale fließen ein in neue Verhaltensstandards.

Digitalisierung
Digitalisierung beschäftigt uns schon  seit einigen Jahrzehnten

Digitalisierung beschäftigt uns schon seit einigen Jahrzehnten – in mehreren Schüben. Man denke zurück an die Einführung der Textverarbeitung, der CD, von desktop publishing und Bildbearbeitung, electronic beats und digital games, von Navigationssystemen, an Excel und PowerPoint in der Bürowelt – und noch viele Beispiele mehr. Die Einführung     neuer Techniken war in manchen Fällen disruptiv (so z.B. in der Druckvorstufe), manchmal bescherte sie Branchen eine zwischenzeitliche Blüte, bevor sie selber wieder disruptiv ersetzt wurden (wie z.B. die CD in der Musikbranche). Andere digitale Neuerungen setzten oft auf vorhandene Strukturen. So unterschiedliche Lebenswelten, wie der Dancefloor und das Büro, wurden von diesen Schüben der Digitalisierung erfasst. Zunächst waren es Digitale Inseln, Daten wurden über magnetische (Disketten) und optische Datenträger (CDs) oder E-Mail (mit beschränkter Kapazität) zwischen Endgeräten getauscht.
Warum sprechen wir ausgerechnet jetzt vom Digitalen Wandel bzw. der Digitalen Transformation? Die Digitalisierung hat nun eine Stufe erreicht an der die Digitalen Inseln zu einem – dreht man das Bild um – digitalen Ozean geworden sind. Das Netz ist zentraler Medienverteiler und Marktplatz. Fortwährend fließen Datenmengen hinzu: aus der Online-Kommunikation, aus Aufzeichnungssystemen (GPS, Sensoren, Kameras etc.) – das, was man derzeit als BigData bezeichnet. In dem sehr lesenswerten Buch “Das Neue Spiel” (Michael Seemann, 2014) sind die immer wirksamer werdenden Effekte ausgearbeitet: zum einen der digitale Kontrollverlust (d.h., daß sich Informationen im Digitalen nicht mehr zurückhalten lassen.), zum anderen die Macht der Query als Instrument der Datenabfrage: entscheidend ist nicht die aufgezeichnete Information, sondern deren Abfrage.

Entscheidend in der Entwicklung ist die von Lee Rainie und Barry Wellman so genannte Triple Revolution: 1) der als Social Network Revolution zusammengefasste gesellschaftliche Wandel, der in etwa mit der oben beschriebenen Informalisierung übereinstimmt. Generell ist der Rückgang traditioneller Formen von Gemeinschaft gemeint, anstelle derer individuell gestaltete Netzwerke treten, 2) die Internet Revolution (Verbreitung und Nutzung vernetzter digitaler Kommunikation) und  3) die mobile Revolution, die das Netz von stationären Geräten löste.
Die gegenwärtige Stufe des digitalen Wandels wirkt sich nicht mehr nur auf einzelne Branchen bzw. Branchencluster aus – sondern auf die Gesamtheit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation. Von dem amerikanischen Soziologen Richard Sennett stammt das schöne Bild (wenn auch in einem etwas anderen Blickwinkel) von der Playlist als Organisationsmuster:  Organisation und Handlungsabläufe bestehen aus aneinander anschlußfähigen Teilen. Vom Individuum verlangt das ein ganz anderes Wissen und eine ganz andere Aufmerksamkeit als etwa Anpassung an Bestehendes.

Norbert Elias:  Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde. (Orig.Basel 1938) TB Frankfurt 1969; Cas Wouters:  Van Minnen en Sterven. Informalisering van omgangsvormen rond seks en dood. Amsterdam, 1990;  Lee Rainy & Barry Wellman (2012) Networked: The New Social Operating System. Cambridge, MA and London: MIT Press; Michael Seemann: Das neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust. 256 S. Orange Press, Freiburg 2014, gebunden 20,-€ /28 ‚- SF; E-Book 5,- bei iRights-Media Jan-Hinrik Schmidt,: Linked: Vom Individuum zur Netzgemeinschaft. In: Christian Stiegler, Patrick Breitenbach, Thomas Zorbach (Hg.):New Media Culture: Mediale Phänomene der Netzkultur – Transcript Verlag,, Bielefeld 5/2015 S. 84-95  

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