Die Sozialisation von Maschinen – Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft

Zu fragen, wie etwas funktioniert, ist der beste Zugang zur Wirklichkeit. Das gilt ebenso für Maschinen, die die zentrale Funktionen des Gehirns gleichwertig imitieren und in vielerlei Hinsicht dessen Leistungsfähigkeit übertreffen (12).
Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft ist ein langer, sperrig-nüchterner Titel, hinter dem ein  komplexer Erklärungsansatz und ein ganz bestimmtes Verständnis der Genese von KI steht.
Sozialisation von Maschinen klingt spektakulär – gemeint ist  der Prozess, durch den Maschinen und künstliche Intelligenzen zunehmend in soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen integriert werden.

Autor Frank H. Witt ist Professor der Wirtschaftswissenschaften und Philosoph – mit zahlreichen internationalen Stationen, von Wuppertal bis Alcalà (Spanien), Hongkong, Tokyo und Windhoek/Namibia,  derzeit Malta. Das Buch erscheint im Mai, der Autor hat mir vorab ein pdf zukommen lassen.

Von den Grössen seines Brotfachs lässt er nur wenige gelten, so die Klassiker Keynes und Schumpeter, von den Zeitgenossen Daron Acemoglu.
Die Philosophie von Ludwig Wittgenstein (1889-1951) und das Grundlagenwerk des Computer- Wissenschaftlers Alan Turing (1912-1954) spielen im Buch eine zentrale Rolle.
Witt beschreibt Wittgenstein als einen Wegbereiter der Entwicklung von KI.  Dazu zählt sein realistisches Verständnis der Bedeutung von Zeichen, Worten und Sätzen – definiert durch den sozialen Kontext, in dem sie verwendet werden (181). Seine Philosophie hilft zu verstehen, wie Sprache und Bedeutung funktionieren.
Turing legte die mathematischen und konzeptuellen Grundlagen dafür, wie Maschinen überhaupt denken und Probleme lösen können, ausgehend von der Frage, wie Maschinen lernen könnten und zur Metapher des Gehirns als Maschine. Auch spätere Entwicklungen, wie etwa neuronale Netze und lernende Systeme, berufen sich stärker auf Turing und kognitionswissenschaftliche Modelle, die an biologische Prozesse angelehnt sind.
Beide zusammen bilden die komplementären Säulen moderner KI: Wittgensteins kontextbasiertes Sprachverständnis liefert die theoretische Grundlage für Bedeutungserfassung, während Turings Formalisierung des Denkens die algorithmische Umsetzung ermöglichte – eine Synthese aus sozialer Kontextualisierung und mathematischer Operationalisierung des Denkens.

Das Gehirn als Vorbild für die Entwicklung von KI? – Bild: Sumaid pal Singh Unsplash+

Lernen von Maschinen geschieht zunächst durch systematisches Training, wurde aber ebenso nach dem Vorbild biologischer – menschlicher – Intelligenz entwickelt. Witt spricht in diesem Zusammenhang von einer Entkopplung von Intelligenz und menschlichem Bewusstsein. Künstliche Intelligenz setzt voraus, dass Maschinen lernen und sich selbst weiterentwickeln können – schneller als der Mensch, aber nach den Prinzipien evolutionärer Anpassung.
Orientierung an der Evolution bedeutet dabei zweierlei: Zum einen werden so langfristige Dysfunktionalitäten vermieden, zum anderen wird KI so nicht als radikale Disruption, sondern als Teil einer kontinuierlichen gesellschaftlichen Integration verstanden.

Die Erfolge aktueller KI, so der Umgang mit natürlicher Sprache incl. der Unterhaltung mit Menschen, sowie komplexe Fähigkeiten wie autonomes Fahren, Buchhaltung und Rechtsberatung sind Erfolge von  KI auf der Basis der Nachahmung biologischer Evolution. Programmierte KI – bzw.  auf der Basis klassischer programmierter Computer vorgetäuschte KI hat dagegen keinerlei Chance (179).

Fünf Fragen stellt der Autor dem Buch voran: Wie funktioniert der Mensch als Lebewesen? Wie funktioniert die globale Gegenwartsgesellschaft? Wie funktioniert das Gehirn? Wie funktioniert KI? Wie lässt sich die Zukunft prognostizieren und gestalten(24)
An diesen Fragen baut sich die Argumentationslinie auf – unterbrochen von einigen Exkursen. Es geht um einen realistischen Blick auf Gegenwart und Zukunft. Das erfordert aber auch, darzustellen, wie Wirklichkeit entsteht, sich verändert und weiter verändern wird.
Der Blick auf KI ist nicht auf isolierte technologische Phänomene gerichtet, sondern als eine Fortsetzung evolutionärer Linien. Der Ansatz erfordert ein Grundverständnis der biologischen Evolution, der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Faktoren und Prozesse, die dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Evolution versteht Witt – systemtheoretisch – als eine biologische, soziobiologische und soziale Theorie der Selbstorganisation komplexer Systeme. Die biologische Evolution wird durch Genveränderungen angetrieben, die soziale durch Kommunikation.
Die Gegenwartsgesellschaft zeichnet sich durch kumulative, d.h. sich sammelnde und ergänzende Innovationen aus – ihre Häufung beschleunigt die Entwicklungen. Sie basiert auf Kommunikation und wird daher zunehmend von Algorithmen und digitalen Plattformen gesteuert.
Genetisch ist die heutige Menschheit nach Durchlauf einiger Flaschenhälse weitgehend angeglichen.

KI geht nach Witt von einer Doppelrevolution der Biotechnologie und Informationstechnologie aus, die aufeinander aufbaut, wechselseitig zurückwirkt und sich daher enorm beschleunigt (15).
Informationsverarbeitung in grossen Datenmengen ist für das menschliche Bewusstsein aufgrund der enormen Anzahl möglicher Kombinationen und der geringen Wahrscheinlichkeit von Treffern nur schwer leistbar, für lernende Maschinen jedoch problemlos zugänglich.
Large Language Models
basieren auf der Berechnung von  Wahrscheinlichkeiten in Kontextfenstern – ein Verfahren, das in bestimmten Aspekten wie Informationsbreite und Verarbeitungsgeschwindigkeit menschliche Kommunikation übertrifft. KI verarbeitet Information nicht nach starrer mechanischer Logik, sondern nach Mustern von Bedeutung, Assoziation und Vorhersage – in gewisser Weise dem menschlichen Gehirn ähnlich, jedoch auf der Grundlage massiver paralleler Berechnungen – Parallel Computing– , die gleichzeitig enorme Datenmengen verarbeiten können.
Muster und Abweichungen, die zu Krankheiten oder zu bestimmten Eigenschaften führen, können mittlerweile besonders gut durch KI erkannt und vorhergesagt werden.

Assoziative Triangel (S.191) – volle Auflösung nach Klick

Die Graphik (li.) zeigt ein Dreieck von Beeinflussungen: Ludwig Boltzmann  (1844-1906), begründete die  statistische Mechanik. Seine Idee der Entropie als Maß für Unordnung und die Anwendung statistischer Methoden in der Wissenschaft beeinflussten Wittgensteins Denken über Ordnung und Struktur in der Welt und der Sprache.
Die Begegnung zwischen Wittgenstein und Turing 1939 in Cambridge gilt als ein Schlüsselereignis der Informationsgesellschaft. Wittgenstein suchte nach Lösungen philosophischer Fragen, Turing nach praktischen Lösungen. .
Turing war tief beeindruckt von Wittgensteins Analysen zum Zusammenhang von sprachlicher Bedeutung, Bewusstsein und Sozialisation. Turing orientierte sich bei der Imitation menschlicher Gehirnfunktionen an der Entwicklung von Kindern und ihrer Sozialisation, ihrer geistigen Fähigkeiten, Intelligenz und Fähigkeit zu denken (17). Sozialisation von Maschinen wurde so zum Paradigma der Entwicklung von KI (192). So sieht der Autor KI als Basistechnologie eines neuen, zweiten Maschinenzeitalters*.

Witts Blick auf die moderne, globale Gegenwartsgesellschaft ist durch Luhmanns Systemtheorie geprägt: Soziale Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik, Recht, Bildung und Wissenschaft erscheinen als eigenständige Stufen systemischer Differenzierung. Von KI gesteuerte Kommunikation greift zwangsläufig und zunehmend tief in diese Systeme ein – mit weitreichenden Folgen für ihre Funktionslogiken.

In einer nahen Zukunftsperspektive sieht Witt KI im Alltagsleben ebenso angekommen wie in institutionalisierter Politik, Wirtschaft und Bildung. KI, die Bilder, Sprache und Texte verstehen und generieren kann, wird – so seine These – nahezu alles verändern. Ob sie auch zur Bewältigung der multiplen Krisen der Gegenwart beitragen kann, bleibt offen und hängt wesentlich von substanziellen Veränderungen des Gesellschaftssystems ab.

Veränderungen sind nie nur technische Anpassungen, sondern Ergebnis komplexer gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse – beeinflusst von politischen Entscheidungen, Machtdynamiken, zivilisatorischen Standards und Übereinkünften und nicht zuletzt einer Vielzahl unbeabsichtigter Nebenwirkungen. Zukunft ist nicht einfach ein Fortschreiten, sie verlangt Mitgestaltung auf vielerlei Ebenen.

Witts Buch ist keine leichte Lektüre – allein schon aufgrund der zentralen Rolle von Wittgensteins Philosophie, von der der Autor selbst sagt, dass sie nur wenige wirklich verstanden haben. Es verlangt die Bereitschaft, sich auf eine vielschichtige Verbindung von biologischer Evolution, sozialer Entwicklung und technologischer Innovation einzulassen.
Am Zielpunkt steht eine Sozialisation von Maschinen – als Fortsetzung der Evolution über das menschliche Bewusstsein hinaus. Die Entstehung von KI wird hier nicht als Bruch, sondern als Integration in eine sich fortsetzende Menschheitsgeschichte verstanden: zunächst durch genetische Veränderungen, später durch Kommunikation und zivilisatorischen Wandel angetrieben.
Der breite Bogen der Beschreibung wechselseitiger Prozesse erinnert des öfteren an den Zivilisationsprozess bei Norbert Elias bzw. Konzepte der Technogenese, der evolutionären Verbindung von technischem und gesellschaftlichem Wandel, die aber nicht explizit genannt werden. Allerdings wird  Polanyi genannt, der einige Parallelen dazu aufweist.

Anschliessen lassen sich  Fragen der Materialität von KI, wie sie im Atlas der KI   von Kate Crawford dargestellt werden.
Politisch und gesellschaftlich brisant sind die entstehenden Geschäftsmodelle, die an die Dominanz von BigTech in den Social Media erinnern. KI basiert auf kollektiv erzeugten Wissensbeständen und verwertet individuelle Schöpfungen in Ton, Bild und Text – was fundamentale Fragen des geistigen Eigentums aufwirft: Wurden diese Daten legal erworben und verwendet?
Droht mit der KI-Verbreitung eine weitere Landnahme mächtiger BigTech-Konzerne, oder besteht die Chance, sie als Menschheitseigentum zu etablieren?

 Empfehlenswert ist im Weiteren ein Aufsatz des Soziologen Fabian Anicker, der ebenfalls von Sozialisierten Maschinen spricht (link)

Frank H. Witt: Künstliche Intelligenz: Transformation und Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft-UVK Verlag , 220 S. ,  erscheint im Mai 25. .  auf yt: Wittgenstein und Turing: KI als kumulative Innovation  ¹ s. *+Fabian Anicker: Sozialisierte Maschinen. Zur gesellschaftlichen Funktion von Künstlicher Intelligenz. Zeitschrift für Theoretische Soziologie 1/2023; S. 79-105 ,  s. auch: Turing and Wittgenstein: An entanglement of math and philosophy. Bigthink, 12/23 – * vgl.: Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee: The Second Machine Age. orig.  2014, dt. 2018. – ** Humanismus und Berechenbarkeit: Der Dialog zwischen Ludwig Wittgenstein und Alan Turing als Ur-Ereignis der Informationsgesellschaft. S..166 – 230 In: André Schüller-Zwierlein:. Die Fragilität des Zugangs. 2022



Tech- Faschismus – Ein Mash-Up als Machtsystem

erlebter digitaler Fortschritt. unsplash + Lizenz

Digitaler – technischer – Fortschritt war lange Zeit eng mit Vorstellungen von gesellschaftlichem Fortschritt verbunden. Mehr als nur eine Mediengeneration wuchs damit heran, dass technische Innovationen stets neue mediale, kulturelle und soziale  Erfahrungen mit sich brachten. In ihrer Summe erweiterten sie Handlungsspielräume gegenüber bestehenden Machtstrukturen – in Arbeit und Freizeit, in der privaten und der öffentlichen Kommunikation. Der Weg zu einer demokratischeren und hierarchiefreien Gesellschaft schien in den default– Einstellungen der Technik selbst  vorgezeichnet.
Umso mehr verstören die Ereignisse der letzten Monate in den USA – und die Rolle, die monopolistische Digital- Unternehmen dabei spielen.

Big Tech ist zum Synonym für den Wandel des Silicon Valley zum digitalen Machtzentrum geworden. Right Wing Politics/ Cyberlibertarianism hatten wohl schon immer eine Präsenz in der digitalen Welt – ihre Bedeutung und Dominanz nahm aber erst mit dem Ausbau der Datenmonopole eine neue Dimension an.
Aus dem utopisch-emanzipatorischen Selbstverständnis der frühen Internetkultur ist eine offen machtpolitisch auftretende, teils rechtslibertäre Kraft hervorgegangen. Digitale Macht beruht auf der Disruption zahlloser Branchen und der Kontrolle der Datenströme – und sie ist in den Händen einer kleinen Elite, die nach grösseren Wirkungsmöglichkeiten greift: Silicon Valley’s titans have decided that ruling the digital world is not enough¹.
Zusammengerechnet verfügen die GAFAM*-Konzerne über eine Marktkapitalisierung von ca. 12-13 Bill. US $. Zieht man den Kreis  weiter (u.a. +  das Musk- Imperium), ergibt sich eine Summe, die ca. 75% der Wirtschaftsleistung der EU entspricht.

Ein neues Machtsystem bildet sich heraus: Ein Mash-Up, eine Verklumpung von Rechtspopulismus bzw. – extremismus und Digitalem Kapitalismus. Ein Machtsystem, dass sich gegen genau das wendet, was in den letzten Jahrzehnten als gesellschaftlicher Fortschritt galt.
Die Ziele der beiden Kräfte – MAGA und Big Tech – lagen lange Zeit weit auseinander – und ein Konfliktpotential zwischen ihnen bleibt erhalten.
Big Tech Konzerne agieren global und haben sowohl über ihre ökonomische Schwerkraft und die von ihnen dominierte digitale Öffentlichkeiten einen gewaltigen politischen Einfluss. Sie beherrschen die digitalen Märkte, incl. der digitalen Medien und ihrer Infrastruktur. Ihr Interesse liegt an einer von öffentlicher Kontrolle möglichst ungestörten – d.h. unregulierten – Ausübung und Weiterentwicklung der Geschäfte mit algoritmischer Kontrolle. 

Plattformen ermöglichten den populistischen und rechtsextremen Bewegungen mit Führungsfiguren wie Trump, eine ungefilterte, direkte Kommunikation mit ihrer Anhängerschaft aufzubauen.
Plattformen vergrössern die Reichweite wie auch die Kontrolle über die Message. Der Zusammenhalt funktioniert nach den  Mustern des Fandom: Anhänger bauen eine tiefe emotionale Bindung zu einer prominenten Person, einer Marke bzw. Bewegung auf. Bullshit, eine massive Menge oft fehlerhafter, irreführender oder falscher Informationen stört dabei nicht. Die Botschaften orientieren sich an den emotionalen Bedürfnissen der Anhänger. Die massive Flutung mit Informationen, mit Fake- News, erschwert die Unterscheidung zwischen wahr und falsch – es geht um die Durchsetzung der eigenen Agenda und die politische Mobilisierung. 

America first. unsplash +

Die Basis ist zu allererst der America First– Nationalismus. Dahinter steht eine Vorstellung amerikanischer Ideale, Werte und Interessen, die ethnisch-kulturell an eine weisse, christliche Mittelschicht gebunden ist.
Dazu gehören radikal-evangelikale Elemente und die Allgemeingültigkeit konservativer Sozialmodelle. Wokeness ist ein Feindbild schlechthin.
Alles, was damit zu tun hat, wie Diversity, Equity & Inclusion (DEI) und USAID zu tun hat, muss beseitigt werden: gendern, LGBTQ- Rechte, Klimaschutz. Dazu gehört eine harte Linie gegenüber Migration bis hin zu Massendeportationen.
Angesprochen wird eine zur Minderheit werdende ehemalige -weisse –  Mehrheit – mit Anschlussstellen zu weißen identitären Bewegungen. Der Staatsapparat wird – anders als in Europa –  nicht als Partner für soziale Gerechtigkeit und öffentliche Infrastruktur gesehen, sondern als Bedrohung durch entkoppelte, globalistische Eliten. Ein Bildungsministerium oder Programme für soziale Gerechtigkeit sollten nicht existieren. 

Nach aussen bedeutet America First die Abkehr von der Verankerung in einer vertragsbasierten internationalen Ordnung – für die die USA oft Garantiemacht waren-  incl. des Ausscheidens aus Verpflichtungen wie dem Klimaschutz-abkommen oder internationaler Hilfe (USAID). Bis hin zu einer Abkopplung vom Wissenschafts- Austausch.  

Big Tech strebt nach uneingeschränktem, unreguliertem Zugang zu digitalen Märkten – so wurde die Ablehnung jeglicher Regulierung zum Bindeglied zwischen Big Tech und der populistischen Rechten.
Der sichtbar inszenierte Schulterschluss bei Trumps Inauguration verdeutlichte die Verbindung zweier machtbewusster
politischer Agenden: eine autoritär populistische und eine technologisch/ ökonomische.
Ein Staat müsse straff und effizient geführt werden wie ein Unternehmen,   der CEO/ Geschäftsführer müsse dazu mit aller Macht ausgestattet sein. Dahinter stecken oft wenig durchdachte Entwürfe:  Die Oligarchen haben keinen Plan zum Regieren. They will take what they can, and disable the rest. The destruction is the point. They don’t want to control the existing order. They want disorder in which their relative power will grow (Timothy Snyder, 2.02.25). 

Vibe Shift* nennt der Historiker Neill Ferguson – ein Unterstützer Trumps –  den Richtungswechsel, die Hinwendung des Silicon-Valley nach rechts. Gemeint ist ein kultureller Backlash gegen sog.  Woke-Ideologie mit einer Ablehnung der liberalen Ordnung.
Bildlich ausgedrückt heisst es bei ihm:  At home, Yale Law School and DEI committees are out. Abroad, strength and escalation are in. It’s Daddy’s Home—not the fraying liberal international order.

Vorbereitet wurde die Machtübernahme vom ThinkTank Heritage- Foundation mit dem Project 2025. Das 900- Seiten Handbuch Mandate For Leadership ist ein detaillierter Fahrplan für die Machtübernahme. Vor wenigen Tagen tauchten auch Nachrichten darüber auf, die Europäische Union zu destabilisieren (vgl. link).
Vorrangiges Ziel ist es, die Exekutive und die Macht des Präsidenten massiv auszuweiten. Dazu soll der – verfassungstreu agierende – Verwaltungsapparat systematisch umstrukturiert werden. Symbolträchtig wurden  Abrissbirne und Kettensäge als Metaphern für diesen radikalen Umbau eingestreut.

Deutlich erkennbares Ziel ist zunächst ein präsidialer Autoritarismus, der keinen Widerspruch duldet. Darunter dominieren private Unternehmen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die politische Ordnung.
Mehrere zehntausend Civil Servants wurden bisher gefeuert – neben  USAID und dem Department of Education  sind  Aufgaben wie Social Security, Gesundheitsservice, Forstverwaltung, Meteorologischer Dienst uvm. betroffen. Hinzu kommt der Druck auf Unternehmen DEI- Programme (Diversity, equity, and inclusion) zu canceln. Die Berater von Trump  sahen schon in den ersten Wochen ihre Erwartungen bei weitem übertroffen.

Kulturelle und politische  Feindbilder der Allianz sind so in erster Linie der nicht dem Präsidenten unterstellte Staatsapparat, der sog. Deep State.  Es ist die  unabhängige Justiz, soweit sie die Macht des Präsidenten einschränkt. Es sind die sog. Eliten in Medien, Bildung und Wissenschaften. Es sind alle, die mit dem sog. Woke Mind Virus in Verbindung gebracht werden, bzw. die von den emanzipatorischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte profitiert haben. Und es sind Migranten. Konzepte wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Tech-Ethik werden zu feindlicher Ideologie erklärt.

Es entsteht ein Machtsystem, das immer öfter Techno-Faschismus genannt wird. Die Bezeichnung wird nicht nur von erklärten Linken geteilt,  sondern reicht weit  in bürgerlich- liberale Kreise.
Wie dieses Machtsystem einzuschätzen, einzuordnen, zu benennen, und was ihm entgegen zu setzen ist, ist aktuell Gegenstand zahlloser Einschätzungen Diskussionen und Publikationen.

Im Verfassungsblog (9.2) beschreibt Rainer Mühlhoff den radikalen Umbau des Rechtsstaats zu einem autoritären digitalen Apparat. Davon profitieren die Akteure aus Big Tech als Betreiber einer neuen, technologischen Regierungsinfrastruktur. Eine neue Form von Faschismus – sieht er als  passende Bezeichnung für dieses politische Projekt. Dessen besonderes Kennzeichen sind  die spezifischen Möglichkeiten von Datenanalyse- und KI-Technologie.
Der erste Angriff galt der Verwaltungsinfrastruktur und geschah als  Mischung von Überrumpelung, Einschüchterung und Hacker-Taktiken–  um den Rechtsstaat auszuschalten und durch einen schlanken, auf Automatisierung und Präemption basierenden Apparat zu ersetzen. Der Zugriff auf staatliche Daten bedeutet nie dagewesene Möglichkeiten der Kontrolle, Manipulation und Bereicherung für Big Tech Konzerne.
Faschismus macht er an drei Kennzeichen  fest: (1) Ein politisches Wirken, das auf die Zerstörung des Rechtsstaats, der administrativen Abläufe und der parlamentarischen und demokratischen Ordnung abzielt. (2) Die persönliche Gewaltbereitschaft und Bereitschaft zur Gehässigkeit der Akteure, sei es sprachlich, medial, physisch oder politisch. (3) Die Indienstnahme von neuester Technologie als Machtinstrument.

Umberto Eco hatte 1995 eine Reihe von 14 Merkmalen des Faschismus aufgestellt. Er verstand sie als Gesamtheit jener Handlungen, Verhaltensweisen, Haltungen und Instinkte, die zwar die Dynamik des Faschismus im frühen 20. Jahrhundert ausmachten, aber seine historische Ausprägung überlebt haben und heute lebendiger sind als jemals zuvor.**  Die Merkmale lassen sich durchaus mit Bewegungen wie MAGA, AfD oder FPÖ abgleichen.
Bei Eco steht die Ablehnung der Moderne, an erster Stelle –  sie wird nicht als Kontinuum oder logische Weiterentwicklung der Gesellschaft, sondern als Bedrohung wahrgenommen. Bei MAGA werden etwa die 1950/60er Jahre als Inbegriff einer glorreichen Vergangenheit mit traditionellen Werte verklärt, ausgeblendet werden Kämpfe um Gleichberechtigung und Bürgerrechte – die wieder zurückgedreht werden sollen. Migration, Globalisierung und liberale Werte sind die Bedrohungen der eigenen nationale Kultur.

Das letztgenannte, 14. Merkmal fällt besonders auf: Es wird eine vereinfachte Sprache verwendet, um komplexes Denken zu verhindern. So ist die Sprache von Trump/ MAGA darauf ausgelegt, emotionale Wirkungen auszulösen.  Offensichtlicher Unsinn/ Bullshit gehört dazu,  der Umgang mit Wahrheit ist beliebig – Lügen werden etwa umbenannt zu alternativen Fakten. Wissenschaftliche Erkenntnisse – wie der Klimawandel – die nicht der eigenen Ideologie entsprechen, werden als Teil einer „linken Agenda“ dargestellt.
Elon Musk als Exponent der Rechtslibertären, gebraucht zumeist eine direkte, oft provokative Sprache, nutzt Memes und Internet-Slang, inszeniert sich als Mann der Tat, als  Visionär, Disruptor und Außenseiter.

Die Sprache der Big Tech Unternehmen unterscheidet sich graduell  davon- sie orientiert sich weiterhin an den gängigen PR- Mustern, das Handeln der Unternehmen als gesellschaftlich verantwortlich darzustellen. Macht- und Herrschaftsvokabular werden vermieden, man stellt technologische Lösungen gesellschaftlicher Probleme in den Vordergrund.  – suggeriert damit Fortschritt und Verbesserung der Welt. Wesentliches propagandistisches Kommunikationsziel ist es, Regulierungen als Hindernis von  Innovationen darzustellen, mit denen das  Unternehmen die Menschheit voranbringen will.

Christoph Bettges  bezieht sich in Der neue Technofaschismus auf Habermas’ Theorie von Lebenswelt und System und erklärt, wie durch die Annexion des Staates durch das ökonomische System, wie es bei Trump und seinen Verbündeten der Fall ist, eine demokratisch legitimierte Ordnung untergraben wird. Technologischer Fortschritt und die Macht von Tech-Oligarchen, wie Musk und Thiel, tragen zur Auflösung der Gewaltenteilung bei, während die politische Öffentlichkeit zunehmend durch private Akteure kontrolliert wird.

Patrimonialismus – ein neues altes Führungsmodell . Bild: Darren Halstead – unsplash+

Der Begriff (Neo)- Patrimonialismus geht auf Max Weber zurück und wurde mehrfach als die passende Beschreibung Trump’scher Herrschaftsweise begrüsst (The Atlantic: One Word Describes Trump). 
Im Grunde schon zu Webers Zeiten ein archaisches Prinzip, das auf persönlicher Loyalität und Gunstgewährung beruht. Staat und Regierung werden geführt als wären sie persönliches Eigentum, wie das eigene Familienunternehmen. Es gibt kaum eine Unterscheidung zwischen public and private, zwischen formell und informell, manchmal auch nicht zwischen legal und illegal, denn :  – He who saves his Country does not violate any Law (Trump auf X, 2/25).
Nicht nur auf Trump trifft die Beschreibung zu, es gilt für ganze Internationale von Staatsführern, wie Orban in Ungarn, Erdogan in der Türkei – und ganz besonders für Putin – dem dienstältesten der Bosse,  dem  «capo di tutti capi»  (watson.ch. 13.03.25).

Broligarchen

Ähnlich funktioniert Broligarchie –das Kofferwort aus den Tech Brothers des Silicon Valleys und oligarchischer Herrschaft- nur auf gleichrangiger Ebene. Kommen Patrimonialismus und Broligarchie zusammen, ergibt sich Kumpanei auf höchster Machtebene von imperialer Politik und Großkapital.
Es ist die Überzeugung, dass einige Männer einer Elite über dem Gesetz stehen – und hier sind es tatsächlich fast ausschliesslich Männer. Sie fällen Entscheidungen – weil sie es tun können. Sie selber inszenieren sich als business leaders, als Great Men of History.

Ein Blueprint der Tech- Barone – mit dem Buntstift gekritzelt. The Network State ist frei zum download verfügbar

The Network State erschien bereits 2022. Autor Balaji Srinivasan ist Partner bei Andreesen & Horowitz, einer der einflussreichsten Investoren im Silicon Valley. Sucht man nach einer politischen Vision aus diesem Umfeld, entspricht The Network State dem am ehesten.
Es ist ein Staat, der vom Computer aus gegründet werden kann, ein Staat, der wie ein Startup rekrutiert, eine Nation, die aus dem Internet entsteht. Der Netzwerkstaat zielt darauf ab, demokratische Institutionen durch technologiegetriebene Governance zu ersetzen.  Die Infrastruktur wird v.a. mithilfe von Blockchain-Technologie und Krypto- Währungen organisiert.

Der Politikwissenschaftler  Dave Karpf zerreisst das Buch als unglaublich dumm, als schlechte Science-Fiction, die als Sachliteratur präsentiert wird – aber doch als ernste Bedrohung.
Es sei geradezu ein Beleg dafür, dass die Tech-Oligarchen zwar einen Plan haben, aber keinen einzigen davon durchdacht haben. Der Grund, sich dafür zu interessieren, liegt darin, dass es einen Einblick in die Zielvorstellungen rechtslibertärer Oligarchen, wie Elon Musk und seiner Gefolgschaft bei  DOGE gibt. Die Tech-Oligarchen meinen, sie sollten sich aus der Gesellschaft ausklinken dürfen. Sie wissen nicht, was der Verwaltungsstaat tut. Es interessiert sie nicht, es herauszufinden. Und sie meinen,  eine Menge Geld könne gespart werden, würde einfach alles  abgeschaltet.

Peter Thiel, Investor, Milliardär, early supporter von Trump und Mentor von Vize Vance, verbucht die Machtübernahme als einen Sieg des Internet über ein ancien Régime. A war the internet won – gemeint ist das Internet der Investoren – eben derjenigen, die wir heute Tech- Oligarchen nennen.  Medienorganisationen, Bürokratien, Universitäten und staatlich finanzierte  NGOs benennt er als diejenigen, die traditionell die öffentliche Diskussion einschränken: als Distributed Idea Suppression Complex (DISC).  Wenig nachvollziehbar ist sein Verweis auf einen 50- jährigen wissenschaftlichem und technologischen Niedergang der USA.
Thiel ist immer wieder mit der Meinung, dass Demokratie und Freiheit  nicht  vereinbar seien, hervorgetreten. Er wird auch als Pate rechtslibertärer Netzwerke bezeichnet.   Wenn jemand, dann ist es er, der für eine Sezession der Reichen steht.
Sein Text ist nachzulesen in der Financial Times.

Cyberpunk – Foto: Judeus Samson. Unsplash.com

Der Freiheitsbegriff, der noch wörtlich im Libertarismus steckt, sorgt immer wieder für Missverständnisse. Gemeint ist die wirtschaftliche Freiheit von Unternehmen. Wenn man es hart formuliert, lässt er sich mit dem sexuellen Freiheitsbegriff des Marquis de Sade vergleichen: Die absolute Freiheit gilt dem, der die Macht hat.

Die frühe Computerkultur und ihre Nutzungsphilosophie entwickelte sich in Subkulturen, der Counter- Culture. Dazu gehörte Freiheit von institutioneller Kontrolle in einem Raum, der tatsächlich noch relativ machtfrei war. Etwas von diesem Habitus wird immer noch gepflegt, so in informeller Kleidung und in den  Umgangsformen. Es ist ein rhetorischer Trick, wenn BigTech-Unternehmen sich auf die Tradition der frühen Internetkultur berufen, während sie gleichzeitig monopolistische Strukturen aufbauen und verteidigen.   
Ein anderer zwiespältiger Begriff sind die Eliten: Populisten polemisieren  gegen die Eliten – gemeint sind meist akademische Eliten, Medien, Kultureliten.  Die  von Populisten an die Macht gebrachte Führung rekrutiert sich weitgehend aus Reichtumseliten.

Ein Staat kann vieles sein: ein straff geführtes Regelsystem,  das Gehorsam, zumindest Eingliederung in vorgesehene Rollen verlangt, ein Machtgefäss, das von Anführern/ Oligarchen erbeutet werden kann,  eine  Res Publica – in der seine Bürger ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten aushandeln. Manche Rechtslibertäre meinen ein Staat solle als durch KI und Software unterstützte Diktatur geführt werden.

erscheint am 15. April

Rechtspopulismus wird  häufig als Gegenreaktion auf den Neoliberalismus gedeutet. Quinn Slobodian, kanadischer Zeithistoriker, stellt dem entgegen, dass die Strömungen der extremen Rechten innerhalb der neoliberalen intellektuellen Bewegung entstanden und nicht gegen sie. Was in den letzten Jahren als ideologische Gegenreaktion gegen die neoliberale Globalisierung bezeichnet wurde, ist oft eher Gegenreaktion auf eine politische Gegenreaktion (frontlash). Die Forderungen der Rechtspopulisten nach Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkungen ähneln im Großen und Ganzen denen, die führende Politikerinnen und Politiker weltweit in den letzten dreißig Jahren propagiert haben. Das Buch erscheint am 15. April.

 

*Tricia Wang Technofascism is here. We have one way out. fortune.com 9.03.25   Timothy Snyder: The Logic of Destruction. And how to resist it. Dave Karpf: The Tech Barons have a blueprint drawn in crayon. 16.02.25  Drew MitnickThe Tech Right: Silicon Valley’s Ascendant Illiberalism. 7.10.24 Martin Andrée : Wir müssen uns von den USA befreien  – FAZ- 11.03.25. Simon Hurtz: Ihr Gott ist die KI. SZ 10.11.23 Kyle Chayka: Techno-Fascism Comes to America The New Yorker 26.02.25 Christian Bettges: Der Neue Technofaschismus. 11.02.25 , Rainer Mühlhoff: Trump und der neue Faschismus: Warum der Griff nach dem Verwaltungsapparat so gefährlich ist, Verfassungsblog, 9.02.25, Dave Karpf: . Why can’t our tech billionaires learn anything new.  18.10.23 – On technological optimism and technological pragmatism. 18.02.23.  Jonathan Rauch: One Word Describes Trump  The Atlantic 24.02.25- Gil Duran: Bursts of authoritarianism. The Nerd Reich  5.03.25 . Inside Musk’s Aggressive Incursion Into the Federal Government. NewYork Times 4.02.25 – Peter Thiel: A time for truth and reconciliation. Financial Times 10.01.25. ¹Kara Swisher: Move fast and destroy Democracy. The Atlantic 9.03.25. Quinn Slobodian: Hayek’s Bastards: The Neoliberal Roots of the Populist Right – erscheint 15.04.25 .  ds. & David Benkowski Der Vordenker des neuen Rechtspopulismus Beiträge zur polit. Ökonomie 25.01.25.
Trump und MAGA ist eine Variante von Faschismus (zu den 14 Merkmalen des Faschismus von Umberto Eco ) Désiree Schneider: Trump kämpft gegen die Wissenschaft – Diese Menschen bieten ihm die Stirn. 22.02.25. Patrick Bahner: Niall Ferguson erklärt: Donald Trump, Modezar. FAZ 23.03.25 Niall Ferguson: The Vibe Shift Goes Global 12.12.24—  *GAFAM =  Die Top-5-BigTech-Unternehmen Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta  —** aus: Umberto Eco
Der ewige Faschismus.   vgl.: Right-wing push to dismantle the EU: Heritage Foundation’s private workshop –  The Network State ist frei zum download verfügbar

 



Cyberlibertarianism – The Right Wing Politics of Digital Technology

Im gereizten Klima der letzten Wochen – seit der zweiten Trumpwahl, dem Bruch der Ampel, der Parteinahme von Elon Musk für die AfD, dem Kotau Zuckerbergs vor Trump usf. – gibt es ein starkes Interesse an Erklärungsmodellen  zum Schulterschluss von BigTech mit dem autoritären Rechtspopulismus von Trump und seiner Bewegung MakeAmericaGreatAgain.

Demokratisierung des Wissens, Freiheit der Information, der Aufbau digitaler  Gemeinschaften – all das unter Umgehung bestehender Hierarchien – zählten lange Zeit zur Agenda des Digitalen Fortschritts.
Digitaler Fortschritt war und ist in seinen vielfältigen Stationen aufs engste mit der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung im  späten 20. und im 21. Jahrhundert verbunden.
Manche Branchen und Institutionen zerschlug es, insgesamt wurde Digitaler Fortschritt aber mit Zuversicht bis Begeisterung aufgenommen, als Erweiterung der persönlichen Möglichkeiten und Spielräume.
Jahrzehntelang war das Netz der Ausgangsort von Veränderung. Vom frühen Cyberspace, zum Web 2.0., zu den Social Media etc. – Medienöffentlichkeiten und ihre Möglichkeiten änderten sich immer wieder, sie waren Teil der populären  Kultur. Ganze Generationen wurden mit  bestimmten Formaten medialisiert, ihr Ablauf als persönliche (Medien-) Biographien erlebt. Technologie bot immer wieder die Mittel zur Umgehung bestehender Institutionen und ihrer Restriktionen.

Cyberlibertarianism The Right-Wing Politics of Digital Technology erschien im November 2024. Autor David Golumbia (1963–2023) verstarb kurz vor Vollendung des Buches.  Peer-Reviews waren bereits abgeschlossen, einige noch bestehende Lücken wurden von George Justice anhand von Manuskripten  vervollständigt
Golumbia geht davon aus, dass Right- Wing Politics von Beginn an sowohl in der technischen wie in der sozialen Konstruktion der digitalen Welt angelegt waren. Bereits 2016 hatte er in The Politics of Bitcoin: Software as Right-Wing Extremism: Bitcoin, Digital Culture, and Right-Wing Politics  Verbindungen von rechtspopulistischen und techno-libertären Ideen im Umfeld der Kryptowährungen offengelegt.

Als Begriff tauchte Cyberlibertarismus seit den 90er Jahren auf, so in den Debatten zu J.P. Barlows Declaration of the Independence of Cyberspace (1996). Deklariert wurde damit der Anspruch auf ein sich selbst regierendes Internet und seine Unvereinbarkeit mit staatlichem Zugriff und staatlichen Regulierungen.
Eine passende Beschreibung stammt bereits aus dieser Zeit: a collection of ideas that links ecstatic enthusiasm for electronically mediated forms of living with radical, right-wing libertarian ideas about the proper definition of freedom, social life, economics, and politics (Langdon Winner, 1996).

Libertär stand ursprünglich für eine anti-autoritäre, anti-kapitalistische Haltung, für individuelle Freiheit als Rebellion gegen gesellschaftliche und moralische Beschränkungen.
Eine Umdeutung erfolgte in den USA der Zeit des kalten Krieges hin zum  Marktradikalismus unter dem Einfluss der Chicago school of economics, der Schriften von Ludwig v. Mises, und auch Anarcho- Kapitalisten wie  Murray Rothbard
In den aktuellen Diskussionen bezeichnet libertär meist marktradikale Strömungen, die individuelle Marktfreiheit, radikale und uneingeschränkte Eigentumsrechte sowie oft Vorstellungen von Ungleichwertigkeit vertreten: the shared view is that the most important expression of “individual freedom” is found in the individual’s ability to profit (28).
Im Tech- Kontext verschmolz die Bedeutung mit techno-utopischen Ideen und wuchs zur Fundamental- Opposition gegen jede staatliche Regulierung des Internet. Alle Einschränkungen, wie Anti- Trust Gesetze, Umweltauflagen etc. seien ein Affront gegen die Freiheit. In ihren Extremen, wie man sie etwa bei Peter Thiel sehen  kann, geht es um die Überwindung demokratischer Strukturen zugunsten einer technokratischen Elite.  Auch Elon Musk ist dieser Richtung zuzuordnen,  mehr affektiv als ideologisch unterfüttert. Wie soll man es nennen? vollkommen enthemmten, aber wirkungsbewussten Opportunismus? Ein Milliardär, der austestet, wie weit er gehen kann?

Cyberlibertär wird hauptsächlich als analytische Fremdbezeichnung verwendet – neben dem Autor Golumbia u.a. von Lincoln Dahlberg und Langdon Winner (s.u.).
Golumbia verweist auf entscheidende Glaubenssätze, die bereits früh angelegt waren:  … the view that ‘centralized authority’ and ‘bureaucracy’ are somehow emblematic of concentrated power, whereas ‘distributed’ and ‘nonhierarchical’ systems oppose that power (61) ).
Diese Einstellung lässt sich oft auf die Ansicht reduzieren, dass demokratische Regierungen das Internet nicht regulieren können oder dürfen – oder, daraus folgernd, dass das Internet ein Ort sein sollte, für den Gesetze nicht gelten.
Dabei stösst man schnell auf das entscheidende Paradox: Cyberlibertarismus lehnt gesellschaftliche Regulierung ab – die doch auf rechtsbasierten Regeln beruht – gleichzeitig wird ein weitgehend unregulierter freier Markt  befürwortet –  auf dem sich zwangsläufig Machtkonzentrationen und hierarchische Strukturen herausbilden. Letztlich bedeutet das freie Hand für Oligarchen.

Cyberlibertarianism lässt sich als unvollständige Ideologie, als Sammlung kulturell gewachsener Denk- und Handlungsmuster, oft als opportunistisch genutzte Legitimation verstehen.
Das Buch spiegelt die kulturelle und politische Geschichte der USA – mit einer Betonung auf Kalifornien und das Silicon Valley –  von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart. Es bietet einen umfassenden Blick auf die Zusammenhänge zwischen der technokulturellen Entwicklung und dem politischem Denken, was aktuell sehr brisant ist – written by the most optimistic pessimist you could ever meet (George Justice im Vorwort). 

Symbole der kalifornischen Ideologie: Lady Liberty auf dem Burning Man Festival. Foto: Jeremy Bishop unsplash.con

Californian Ideology ist eine beliebte Story zu dem, was in der Innovationskultur zusammenkam:  die Counterculture der Hippies und die vorhergende der Beatniks, ein ausgeprägter Hedonismus, die neuen Möglichkeiten der Technologie-  dazu eine Landschaft und ein Klima, die alles bieten, weltbekannte Universitäten und Forschungseinrichtungen  und schon früh viel Geld v.a. aus dem Verteidigungsetat. Im gleichnamigen Text wurden bereits 1996 wesentliche Elemente, die auf  Cyberlibertarismus zutreffen, beschrieben (s.u.¹)

Das Internet wurde schliesslich zur Electronic Frontier, zum neuen grenzenlosen Raum individueller Freiheit, frei von staatlicher Kontrolle – unreguliert.  Dazu passt auch das Ideal eines autarken Individuums.
Statt der Freiheitsideen der Hippies verbreiteten sich längerfristig die  genannten wirtschaftlichen Freiheitsideen. Ein spezifischer Habitus und informelles  Auftreten blieben, verweisen aber nicht auf eine Aufweichung von Machtstrukturen.
Zur Expansion der Tech Unternehmen gibt es eine ganze Reihe von Modellen. Das Modell der Landnahme schliesst anschaulich an das der Electronic Frontier an: der Ausbau von Reichweiten, die Erschliessung und Strukturierung des Digitalen Neulands.  Aufbau und Verbreitung der Plattformen ist ein zentrales Ergebnis der digitalen Landnahme. Digitale Sozialformate haben sich daran entwickelt. 

Der zentrale Konflikt zwischen staatlicher bzw. gesellschaftlicher Regulierung vs. der Reichweiten- Macht von BigTech bleibt. Die propagierte Freiheit befördert  letztlich  die Entstehung von Privat-Monopolen.
Der wesentliche Kipppunkt liegt dort, wo die digitale Ordnung der Dinge bedeutender wird als die bislang bestehende. Zunächst werden die Plattformen als neue Möglichkeiten erlebt. Sind sie soweit gewachsen. dass sie unumgehbar für die Teilhabe an Medien, Kultur und Geschäftsmöglichkeiten sind, werden sie zu einem faktischen Monopol.
Hier trifft der Anspruch von demokratisch legitimierten Staaten, Bedingungen zu regulieren, auf die wachsende Macht von Tech-Unternehmen, die inzwischen zu den kapitalstärksten globalen Akteuren gehören.
In libertärer Lesart wird diese Marktmacht jedoch nicht als Problem, sondern als natürliche Folge individueller Freiheit und unternehmerischer Autonomie betrachtet. (Cyber-)libertäre Ideologie wird so zunehmend zur Rechtfertigung der immer stärkeren Präsenz und des Machtanspruchs großer Tech-Unternehmen genutzt. Their freedom doesn’t mean your freedom – heisst es in Video zum Thema.
Digitale Konzerne können durch ihre enorme Marktmacht faktisch wie private Gesetzgeber agieren, es entsteht ein Markt- Pseudo-Staat, dessen Regeln weder demokratisch legitimiert noch rechtlich angemessen kontrolliert sind.

In der Praxis läuft Cyberlibertarismus oft mit technologischem Determinismus zusammen: Plattformen wie Google, Meta oder Amazon propagieren, dass ihre Technologien unaufhaltsame Fortschritte bringen – deterministisch – während sie gleichzeitig betonen, dass diese Fortschritte den Einzelnen und freien Märkten zugutekommen – libertär.
Soweit zu den Grundlinien des Cyberlibertarismus. David
Golumbia beleuchtet in Cyberlibertarianism eine ganze Reihe weiterer Stränge, manchmal esoterischer und kryptischer bis hin zu cyberfaschistischer Art im politischen Denken des Silicon Valley. So finden sich jeweils ausführliche Abschnitte zu  Nick Land and the Cybernetic Roots of Contemporary Fascism (381ff),  zur Alt- Right Bewegung etc. und auch zu Vorstellungen posthumanistischer Welten. 

Einige wesentliche Bezüge ziehen sich durch den ganzen Text:
Surveillance Capitalism von Shoshana Zuboff (2018/19) war die erste massive Kritik an den Geschäftsmodellen von BigTech- sie traf v.a. Google: the human expectation of sovereignty over one’s own life and authorship of one’s own experience” (521)werde von digitalen Technologien bedroht. Als einzige Lösung sieht Zuboff, dass Demokratien über Gesetzgebung und Regulierung wieder Hoheit über den politischen Raum beanspruchen. Zwar schärfte ihre Kritik die öffentliche Diskussion und veränderte die Wahrnehmung von Big Tech, führte jedoch nicht zu grundlegenden Veränderungen.

Überraschend kritisch steht Golumbia zu Julian Assange, dem er vorhält sich als heroische Zentralfigur eines Anti-Establishment-Kampfs zu inszenieren. Seine vermeintlich anarchistischen Positionen habe faktisch rechtspopulistische Narrative unterstützt. Generell sieht er immer wieder in vermeintlich techno-utopischen oder cyber-anarchistischen Positionen ein Einfallstor, das in der Praxis rechten Bewegungen in die Hände spielt.

Der Blick auf das ganze Bild  zeigt eine breite, v.a. in der kalifornischen Bay- Area angesiedelte Szene, die die Möglichkeit hatte, eine neu entstehende digitale Welt zu gestalten. Technisch getrieben, aber auch mit popkulturellen Wurzeln (Verweis auf die Grateful Dead). Angeschoben durch Geldströme  aus staatlicher Förderung und Venture Capital. Hervorgebracht hat sie die Blockchaim, den Überwachungs- Kapitalismus, das Metaverse auf der Wunschliste. Mental oft berauscht durch die Erfolge der Umsetzung.  Schliesslich eine machtbewusste kleine Elite, die sich zunehmend als globaler Machtfaktor sieht.

Golumbias Urteil ist knapp und vernichtend: An einer Stelle (279) heisst es: Cyberlibertarian politics in a nutshell: antidemocracy portraying itself as both democracy and “above” politics, when it is anything but.
Zusammenfassen lässt sich sein Fazit so:  Demokratische Werte können nur dann behauptet werden wenn wir das Digitale wieder in unseren eigenen Händen verankern. Ansonsten wird es zur Spielwiese weniger Akteure bzw. einer kleinen Elite, die einem neuen Autoritarismus den Weg ebnen.

Oligarchie – Konsequenz des Cyberlibertarismus?

Das Buch ist erst vor zwei Monaten erschienen – der Text von Golumbia war spätestens im Sommer 23 fertig gestellt. Seitdem haben sich Weltlage und der globale Vibe so sehr verändert, wie man es kaum für möglich gehalten hatte.
Exakt während des Lesens und des Schreibens dieser Rezension folgte die nächste Stufe der Eskalation: Trumps Inauguration. Eine Inszenierung von Macht und Geld mit dem Spalier der Milliardäre aus der Tech- Branche. Territorialansprüche werden an verbündete Staaten gestellt.  Der Nazigruss von Elon Musk als inszenierte Provokation.

Offen bleibt, wie stabil die Machtstrukturen sind. Wie stabil ist die Achse von MAGA und Big Tech? Wie stark sind die Protagonisten tatsächlich?  Musk tritt derzeit als globaler Toxiker auf, der massiv wirtschaftliche und mediale Macht politisch einsetzt, dabei auch den deutschen Wahlkampf aufmischt. Wäre etwa ein Metaverse aus dem Hause Meta/Facebook als erweiterter gesellschaftlicher Raum wünschenswert? .

Ein Meinungs- Fundstück zum Nazigruss von Elon Musk:  It was a display of power, and a signal: the tech oligarchy is here, and it will do what it wants.

 

David Golumbia und George Justice: Cyberlibertarianism: The Right-Wing Politics of Digital Technology, 481 S. 11/2024. David Golumbia: The Politics of Bitcoin. Software as Right- Wing Extremism. University of Minnesota Press. 2016.  Cyberlibertarianism: . Clemson University. 2013 Means TVWhy Is Elon Musk Like That? – Introduction to Cyberliberatarianism – Maik Fielitz & Holger Marcks. Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus. Duden Verlag, Berlin 2020. Langdon Winner: Cyberlibertarian Myths and the Prospects for Community 1997/2018 Lincoln Dahlberg: Cyber-Libertarianism 2.0: A Discourse Theory/Critical Political Economy Examination. Cyberlibertarianism
¹Information technologies … empower the individual, enhance personal freedom, and radically reduce the power of the nation-state. Existing social, political and legal power structures will wither away to be replaced by unfettered interactions between autonomous individuals and their software. Indeed, attempts to interfere with these elemental technological and economic forces, particularly by the government, merely rebound on those who are foolish enough to defy the primary laws of nature. aus: Barbrook, Richard, and Andy Cameron. 1996. “The Californian Ideology.” Science as Culture 44-72.  



Demokratiedämmerung? – Der Winter der Oligarchen

Blickt man  auf das Jahr 2024 zurück, bleibt man an einem Datum hängen: dem 6. November – der Tag der zweiten Trumpwahl: Am Morgen wurde die Wahl bestätigt, am Abend flog die Ampel auseinander – zwei Einschnitte an einem Tag.
Die zweite Trumpwahl war kein Unfall mehr. Trump, der lächerliche Prahler, der short fingered vulgarian¹, der keine Vulgarität und keine absurde Anschuldigung auslässt, der als scheidender Präsident den Sturm auf das Capitol, das Monument der US- amerikan. Demokratie anfeuerte, wurde mit tatsächlicher Mehrheit zu ihrem obersten Repräsentanten gewählt.
Sein Wahlsieg verdankt sich u.a. dem Bündnis mit dem derzeit reichsten der BigTech Oligarchen, dem Hektomilliardär Elon Musk, größter Einzelspender und lautstärkster Befürworter von Trumps Wahlkampagne.  Belohnt  wurde Musk mit dem für ihn massgeschneiderten Department of Government Efficiency.
Neu dabei ist, dass ein Geschäftsmann an politischen Entscheidungen beteiligt ist, die sich auf ihn selber auswirken. Schon jetzt nahm er bereits eine parastaatliche Position ein, da sich seine zahlreichen Technologieunternehmen immer mehr in internationale Angelegenheiten einmischen (vgl. The New Yorker).

Die beiden Einschnitte rückten dann kurz vor Weihnachten in einen ganz direkten Zusammenhang. Musk mischte sich persönlich in den deutschen Wahlkampf auf Seiten der Rechtsaussen- AfD  ein. Deren Kandidatin fühlte sich geschmeichelt, was zu erwarten war.
Noch mehr überraschte der folgende Tweet: Christian Lindner, noch wenige Wochen zuvor Finanzminister und Dritter im Rang der Exekutive biederte sich als alternativer Ansprechpartner zur AfD an, und bat um ein Date …

Es folgte der in der Welt am Sonntag platzierte Wahlaufruf, nach aussen als Meinungsäusserung verbrämt. Seitdem Beschimpfungen und eine weitreichende Empörung – gut möglich, dass sich Musks Übergriffigkeit in ihrer Wirkung umdreht.
Lässt sich von einem Schulterschluss von Rechtspopulismus und BigTech, sprechen? Zumindest von dem einiger exponierter Vertreter. BigTech  Milliardäre haben soviel Macht angehäuft, dass sie sich als politische Akteure in der Grössenordnung von Staaten verhalten.
Grundsätzliches Problem ist, das sich wirtschaftliche, mediale und politische Macht, ohne öffentliche Kontrolle verbinden. Der US- amerikanische Präsident ist nicht mehr Führungsfigur der Freien Welt, sondern steht als Primus in einer Achse von Autokraten und Oligarchen. 

Kekius Maximus: Eine Inkarnation des Oligarchen -ein Mix aus Internet-Insiderhumor, Machtsymbolik,  bewusster – rechtsextremer – Provokation  + Verweis auf den  Namen eines Kryptocoin  (Quelle:X)

Schaut man auf drei der aktuell mächtigsten Männer der Welt –  Trump, Musk, Putin: ohne jeden Zweifel Machtmenschen, die sich für charismatisch und unersetzlich halten und denen wenig an konstitutioneller Verankerung liegt.

Flood the zone with shit² – meint den öffentlichen Diskurs so stark mit Desinformation – Bullshit – zu  überschwemmen, dass es nahezu unmöglich wird, Fakten von Fiktionen zu unterscheiden. Es geht um den manipulativen Einsatz digitaler Medien. Eine  Strategie, die von Trump und Musk, aber auch von Putin genutzt wird. Medien und soziale Plattformen werden zur Disruption von Öffentlichkeiten und liberaler Demokratie eingesetzt.
Trump nutzt soziale Medien intensiv, oft mit beleidigenden und provokanten Inhalten. Musk kontrolliert seit 2022 das vormalige Twitter, als X immer noch eine der  bedeutendsten Plattformen digitaler Öffentlichkeit. Putin kontrolliert intern staatliche Medien, extern setzt er eine Armee von Trollen zur Destabilisierung demokratischer Gesellschaften ein.
FunFact: Putin hatte eine Obsession mit dem Buchstaben Z – der als Symbol seines Angriffskrieges gegen die Ukraine diente – Musk mit dem X, dass in seinen Unternehmungen immer wieder auftaucht, ebenso beim Namen seines Sohnes: X Æ A-12 .

Die Wiederherstellung nationaler Grösse ist eines der zentralen Themen  in populistischen Bewegungen, so auch das Motto Trumps MakeAmericaGreatAgain – entsprechende Parallelen gibt es in fast allen Ländern – mit den  jeweiligen nationalen Besonderheiten. Auch der besonders aggressive Anspruch auf Grossrussland zählt in diese Reihe. 
Was eint eine Achse von Populisten und Oligarchen? Es geht v.a. um das Ausspielen und Durchsetzen von Machtpositionen. Dennoch gibt e unterschiedliche ideologische Hintergründe – und darin liegen durchaus Konfliktpotentiale, etwa zwischen MAGA und den global ausgerichteten Interessen von BigTech.

Liberal und libertär entstammen derselben Wortwurzel, stehen aber für politisch konträre Positionen: Liberal ist ein zwar dehnbarer Begriff, aber mit dem Konzept der liberalen Demokratie verbunden: Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sichern individuelle Freiheitsrechte gegenüber Machtstärkeren.
Libertär lässt sich bis auf den Marquis de Sade zurückverfolgen, meinte einmal eine heroisch- anarchistische Pose, den radikalen Bruch mit Konventionen. Die heutige Vorstellung wurde mit der Autorin Ayn Rand im Silicon Valley populär. Für Libertäre stellt der Markt das Äquivalent zu Gesellschaft dar. Der Markt ist die Gesellschaft.
Einen Schritt weiter geht Anarcho- Kapitalismus. Mit dem klassischen Anarchismus hat er wenig gemein, ausser der Ablehnung des Staates und einer Rhetorik des Individualismus. Es geht um uneingeschränkte Privatwirtschaft und Eigentumsrechte, Ideal ist eine Privatrechtsgesellschaft. Hierarchische Strukturen, die aus kapitalistischer Marktordnung entstehen,  werden begrüsst.

Cyberlibertarismus war zunächst eine Art ideologischer Treiber der digitalen Revolution. Das Internet erschien als Electronic Frontier, als Raum unbegrenzter Möglichkeiten jenseits staatlicher Kontrolle. Damit verbunden waren eine Demokratisierung des Wissens, die Umgehung bestehender Hierarchien und die Entstehung neuer digitaler Gemeinschaften.

Ambivalenzen traten später hervor – als aus StartUps digitale Machtzentren herauswuchsen. Positionen, wie die Ablehnung staatlicher Regulierung, der absolute Glaube an Marktmechanismen, das Ideal des genialen Entrepreneurs wurden weiterhin vertreten. Der aus dem Cyberlibertarismus stammende Freiheitsbegriff verkam mehr und mehr zur  Legitimation ungehemmter Gewinnmaximierung der mittlerweile kapitalstärksten Unternehmen der Geschichte.  Their freedom doesn’t mean your freedom – heisst es in einem Video zu den im BigTech– Umfeld umlaufenden Ideologien.

Persönlich hat mich das Modell der Machtbalance und der Interdependenzen von Norbert Elias seit langem überzeugt: Macht ist erst durch das Mitdenken der Gegenkräfte jeder Macht verstehbar. Machtbalancen sind demnach überall dort vorhanden, wo eine funktionale Abhängigkeit  – Interdependenz –  zwischen Menschen besteht.  
Was balanciert die Macht von Oligarchen? Oligarchen zeichnet  ökonomische Macht durch Kontrolle wichtiger Wirtschaftszweige und
eine enge Verflechtung mit politischen Entscheidungsträgern aus –   als Krönung die Verfügung über Medien mit grosser Reichweite. Ihre Macht und ihr Einfluss reicht weit über den wirtschaftlichen Bereich hinaus. In funktionierenden Demokratien wird kumulierte Macht durch gesellschaftliche Kontrolle balanciert. Ansonsten entwickeln Oligarchen parastaatliche Strukturen.
Oligarchen steigen auf in Zeiten des Umbruchs – das traf auf das Ende der Sowjetunion zu, als die Macht vakant war.
Tech-Oligarchen stiegen auf, als sie in den neu entstehenden digitalen Infrastrukuren Quasi- Monopole aufbauten. Technische und regulatorische Lücken ermöglichten ein systematisches Abschöpfen von Nutzerdaten, darauf aufbauend wurden neue Märkte geschaffen und dominiert.
Tech-Oligarchen legitimieren ihren Einfluss mit Innovation und Disruption.  bauen aber gleichwohl auf kollektiver Leistung und staatlicher Förderung auf.

Elon Musk ist der reichste und lauteste, aber nicht der einzige Tech- Oligarch. Etwas diskreter agiert der deutschstämmige  Peter Thiel, der sein Vermögen mit Palantir, Facebook und Paypal gemacht hat und  offen anti-demokratische Positionen vertritt, bis hin zur  Abschaffung des Wahlrechts für Frauen.  Anders als nach der ersten Trumpwahl arrangieren sich andere Tech- Granden, wie Jeff Bezos von Amazon, Marc Zuckerberg von Meta/ Facebook, und Alphabet/ Google mit Trump. Auch ihr Auftreten, ihr Habitus nimmt mehr und mehr die Züge von Oligarchen an.

Nur wenige Tage, und das Jahr 2025 hat schon ein iconisches Bild: der brennende Tesla vor dem Trump- Hotel in Las Vegas – erinnert mich an David Lynch

Titel wie Demokratiedämmerung haben seit einigen Jahren Konjunktur. Ausgangspunkt ist  Twilight of Democracy: The Seductive Lure of Authoritarianism (dt.: Die Verlockung des Autoritären) von Anne Applebaum, 2020.
Solche Titel passen wohl zu einer Stimmung, sollten aber nicht bedeuten, dass es sich um eine zwangsläufige Entwicklung handelt. Der zeitweilige (?) Erfolg der internationalen populistischen Rechten kann mit einer ganzen Reihe von Modellen erklärt. Die Ausführung des Politikwissenschaftlers
Veith Selk (10/23) wurden relativ breit rezipiert.  Er setzt an der Progessions– These an, die liberale Demokratie sei durch eine progressive Entwicklungstendenz gekennzeichnet, die auf der Annahme der Kumulation von Fortschritten beruht. Ansätze, die eine nähere Betrachtung wert sind.
In der Folge interessiert mich selber die Bedeutung des Cyberlibertarismus. Dazu habe ich mir das Buch von David Golumbia Cyberlibertarianism: The Right-Wing Politics of Digital Technology 8/2024) vorgenommen.
Er argumentiert, dass der digitale Evangelismus zu einer weltweiten Verschiebung nach rechts geführt hat.  Golumbia stützt sich auf mehr als ein Jahrzehnt Forschung, um aufzuzeigen, wie cyberlibertäre Rhetorik und Strategien die Diskussionen über digitale Technologie, Regierung, Politik und soziale Themen prägen. Er hinterfragt die vorherrschende Ansicht, dass das Internet von Natur aus freiheitsfördernd und dezentralisierend sei.  Dazu in Kürze mehr. 

¹vgl. Sueddeutsche Zeitung 12.04.2017 Franz C. Mayer, LL.M. (Yale) Demo­k­ra­tie­däm­me­rung. Was folgt auf Trumps Wahlsieg  Ali BrelandElon Musk’s X Endgame: The world’s richest man has become a new kind of oligarch. The Atlantic 20.12.2024Kyle ChaykaHow Elon Musk Rebranded Trump. The New Yorker.  13.11.2024  YouTube, Google & Co: Die Elefanten, gegen die unsere Medien kaum eine Chance haben? Telepolis. 16.12.2024. Maura Reynolds: ‘Everything Is Subservient to the Big Guy’: Fiona Hill on Trump and America’s Emerging Oligarchy. Politico 28.10.2024 Martin AndréeElon Musk, WamS und rechte politische Bündnisse. (WDR- Audio) 30.12.2024. : Means TVWhy Is Elon Musk Like That? – Introduction to Cyberliberatarianism. ² Steve Bannon, zitiert nach Michael ZürnWie kann eine demokratische Gesellschaft ihre Vernunft ver­lieren? – FAZ 30.12.2024 – Niklas MaakDas Zeitalter des Elonismus ist angebrochen. FAZ. 5.01.2025 Anne Applebaum: Twilight of Democracy: The Seductive Lure of Authoritarianism. 07/2020 – deutsch:Die Verlockung des Autoritären: Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist . 2022  Veith Selk: Demokratiedämmerung. Eine Kritik der Demokratietheorie. 10/2023. Gerhard Oberlin: Demokratiedämmerung.Wie der Wohlstand die Demokratie gefährdet. 06/ 2023.

 



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