Der Wert von Kultur- und Wissensarbeit im Zeitalter von KI

Wir geben uns auf nennt Autor Matthias Hornschuh seine Schrift zu KI, Kultur und die Entwertung der Wissensarbeit.
Seine Perspektive ist die der Kulturproduzenten, das Buch eine Verteidigung der Unersetzlichkeit subjektiver Erfahrung, eine Streitschrift für das Recht auf Autoren- und Urheberschaft – und eine angemessene Beteiligung an der Wertschöpfung.

Was das Buch für die weitere Diskussion interessant macht, ist die grundsätzliche  Frage nach dem Wert von Kultur- und Wissensarbeit in Zeiten von KI. Das gilt für Musik, wie für Bilder, Texte und wissenschaftliche Arbeit.

Matthias Hornschuh ist Filmkomponist, ein Zweig der Musikwirtschaft, der besonders von Einnahmeverlusten durch KI bedroht ist. In keiner anderen Branche ist der Widerstand gegen die Landnahme der KI-Konzerne so ausgeprägt wie bei Musikern. Die KI kollidiert mit ihrem Selbstverständnis: Musiker definieren sich über ihre Kunst, und ihre Einkünfte beruhen (neben Live-Auftritten) auf urheberrechtlich gesicherter Verwertung.
Jede wertschöpfende Nutzung erzeugt für die künstlerischen Urheber einen Anspruch auf Vergütung. Es gibt ein funktionierendes System von Urheberrechtsschutz und Verwertungsgesellschaften.

Genau dieses System wird durch generative KI unterlaufen. Die KI-Modelle werden millionenfach mit rechtlich geschützten Musikstücken trainiert – ohne Erlaubnis, ohne Lizenz, ohne Kompensation. Sie extrahieren aus Werken, die in künstlerischer Arbeit entstanden sind,  verwandeln sie in Rohmaterial zur algorithmischen Rekombination und setzen damit das eingespielte Vergütungssystem außer Kraft.
Entstehen daraus neue Werke, stellt sich die Frage, ob sie als eigenständige Werke  zu verstehen, oder Originalen zu ähnlich sind und damit Urheberrechte verletzen. Plagiate sind in der Musik vergleichsweise leicht nachweisbar, bereits kurze, aber prägnante Melodien sind geschützt.
Ein Musiker bzw.  Komponist, dessen Werke ohne Erlaubnis und Vergütung zum KI Training gekapert wurden, erlebt es genauso als ökonomische Bedrohung, wie als einen Übergriff auf seine Identität, ganz besonders bei  der Imitation von Stilen und dem Klonen von Stimmen.  Der Übergriff der KI- Unternehmen wird als Diebstahl erlebt und auch so genannt.  

KI-generierte Sounds haben sich vor allem dort ausgebreitet, wo Musik funktional, nicht künstlerisch ist: lizenzfreie Hintergrundmusik für Werbung, Online-Content, Games, Klangteppiche in Shopping-Malls (die tatsächlich als Beschallungspakete verkauft werden). All das, was als Muzak oder Fahrstuhlmusik geschmäht wird, hat aber als stabile Einkommensquelle ambitionierte Arbeiten oft querfinanziert.

Einschätzungen und Nutzungsmuster von KI unterscheiden sich in anderen Branchen der Kreativwirtschaft deutlich von denen in der Musikwirtschaft. Es gibt Parallelen. Generell gilt, das funktionale, routinehafte Formate, wie z.B. Stockfotografie, Technische Dokumentationen, Transkriptionen, von KI übernommen werden bzw.  es bereits sind. Kreative Formate behalten ihren Singularitätswert, mit all den Marktrisiken wie bisher.

Textarbeiter sehen sich nur selten als Künstler. Urheberrechte gelten zwar, spielen aber eine geringere Rolle. Auf der Website des Deutschen Journalisten-Verbandes heisst es zwar an prominenter Stelle Qualitätsjournalismus lebt von menschlicher Recherche. Generative KI, die nur wiederkäut, was bereits gedacht und gesagt wurde, kann keine neuen Perspektiven schaffen. In der Praxis herrscht ein  pragmatischer Umgang. Derselbe Verband bietet Fortbildungen zu KI an – wie auch fast alle anderen als Fortbilder bekannten Träger.  KI-Kompetenz wird als von jetzt an als für Journalisten wesentlich erachtet.
KI wird als Werkzeug  gesehen, das Routinen erleichtert. In diesem Sinne wird sie mit fast dem gleichen Selbstverständnis genutzt, wie Textverarbeitung und Suchmaschinen. Ihre Stärke liegt nicht in der Erstellung kompletter Texte, sondern in der Assistenz im gesamten Schreibverlauf, bei der Recherche, Strukturierung, Formulierung, Korrektur etc.

Oft werden Geschichten von halluzinierenden Antworten der KI, erzählt,  so von Anwälten, die ungeprüft KI- erzeugte Plädoyers einreichen etc., so auch in  Hornschuhs Text. Jeder, der sich bislang mit KI befasst hat, hat wohl die Erfahrung gemacht, das man den Ergebnissen nicht blind vertrauen kann. Komplette Automatisierung gelingt nur bei niedriger Komplexität.
Für komplexere Aufgaben muss KI gezielt eingesetzt, geradezu bespielt  werden, nicht nur mit Prompts. Was KI nicht kann, ist eigenständige Recherche, kritisches Urteil. Sie kann Muster erkennen, aber nicht Neues denken, das über diese Muster hinausgeht.

KI-Training klingt harmlos, aber allein im Musikbereich geht es um mindestens 100 Millionen Songs – das gesamte verfügbare Repertoire von Spotify, YouTube, SoundCloud. Manchmal ist vom gesamten digital verfügbaren Kulturerbe der Menschheit die Rede, von der umfangreichsten kulturellen Aneignung der Geschichte. Der Begriff der Landnahme trifft diese Dimension.

Es gibt ein Grundproblem, den Elefanten im Raum, das sich seit dem Social Web und dem Plattformkapitalismus fortsetzt. Es ist die übergrosse und dazu bislang juristisch privilegierte  Macht der Intermediäre, der Vermittler von Inhalten, die sie zwar nicht selber erstellen, aber durch algorithmische Auswahl, Aggregation und  Präsentation vermitteln.
We are building a brain for the world – Sam Altmans Satz in einem Interview im Juni 2025  erschreckt durch sein imperiales Wir. Gemeint ist die gesamte Branche, nicht Open AI allein.
Ist die Tech- Branche dazu ermächtigt, Wissensgewinn, Kreativität und Kommunikation für uns alle neu zu gestalten? Was zuvor Gemeingut oder urheberrechtlich geschützt war, Internet, Kultur, Wissen – wird nun von Tech-Konzernen eingehegt. Sie trainieren auf der digitalen Allmende – und privatisieren die Erträge.  Es geht um  Landnahme, die Einnahme und Monopolisierung des durch die Wirkung neuer Technologien entstehenden Raumes.
KI kann hervorragend Werke und Texte nach erkannten Mustern produzieren.  Die spannendsten Momente entstehen allerdings nicht durch deren perfekte Beherrschung, sondern durch deren überraschende Brechung. Es setzt+ voraus, dass jemand will, dass etwas anders läuft – eine Intention, die KI allein nicht haben kann.

Eine grundsätzliche Kritik hatte Kate Crawford bereits 2021 im Atlas of KI (Rezension) formuliert: die Kultur der Extraktion – Gemeint ist die Abschöpfung von Zulieferungen materieller, operativer und ideeller Art. Hinzuzufügen ist kulturelle Extraktion. Lässt sich anschliessend an den Überwachungskapitalismus (Shoshana Zuboff) von einem Extraktionskapitalismus sprechen?

Wie Kunst entsteht, was dafür nötig ist, welcher Aufwand von wem an welcher Stelle zu treiben ist, darüber legen die Produkte der Arbeit keine Rechenschaft ab (19).  Ein Song mag in zehn Minuten geschrieben sein, aber er ist das Destillat jahrelanger Übung, gescheiterter Versuche, durchlebter Erfahrungen. Ein Text wirkt mühelos, weil die Mühe unsichtbar wurde. Am Ende zählt die Wirkung, die Bereicherung, oder die gelungene Unterhaltung. (vgl. 19)  Kunst verschleiert ihre eigenen Produktionsbedingungen – und KI radikalisiert diese Verschleierung: Sie produziert in Sekunden, was wie das Ergebnis jahrelanger Arbeit aussieht, ohne je etwas erlitten, durchgearbeitet, verworfen zu haben.

Damit stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wie kommt in Zukunft das Neue in die Welt? Wenn der Zufluss neuer, innovativer und vielfältiger Inhalte versiegt – weil Kreative verdrängt, entwertet, prekarisiert werden –, dann müssen sich Staat, Gesellschaft und Volkswirtschaft auf eine geistige Dürre einstellen. KI konstruiert das Wahrscheinliche den Mean, erfindet aber nicht das Unwahrscheinliche. Sie kann Muster rekombinieren, aber keine Muster brechen. Innovation entsteht aber nicht aus Daten, sondern aus Subjekten, die Daten überschreiten.

Bild: unsplash +

In den 90er Jahren hatte man begonnen, Kultur- und Kreativwirtschaft als eigenständige Wirtschaftsfaktoren zu vermessen. Die heute verbreitete Vorstellung, dass diese Branchen ökonomisch und gesellschaftlich zentral sind, geht wesentlich auf Richard Florida zurück – auch wenn sein Konzept mittlerweile umstritten ist. Seine 2002 beschriebene Creative Class galt als Träger des Übergangs von einer industriellen zu einer postindustriellen, wissensbasierten Gesellschaft.

Der Begriff Creative Class war von Beginn an weit gefasst: Gemeint sind alle, die neue Ideen, Technologien und kreative Inhalte schaffen – von Wissenschaft, Technik und Forschung über Management und Beratung bis zu den Künstlern der einzelnen Genres. Als gesamtes Cluster sollten sie Wirtschaftswachstum anstoßen.

Zentral war der Dreiklang von Technologie, Talent, Toleranz, als maßgeblicher Standortfaktor und Rezept für erfolgreiche urbane Entwicklung. Städte warben mit lebendigen Kreativszenen: Berlins zeitweiliges Motto „arm, aber sexy”, der Boom in Barcelona, unzählige Kreativzentren von Lissabon bis Tallinn. Die Creative Class gilt weiterhin als Trendsetter für neue urbane Konsumgewohnheiten – von Craft Beer bis zur Öffnung des Konsums zur Popularkultur.
Der Alltag liegt allerdings zwischen Glamour und Prekarität. Kreative haben den Wert zahlloser Stadtviertel erhöht, in denen sie sich die explodierenden Mieten oft selbst nicht mehr leisten können. Kreative Metropolen wurden oft zu Hotspots von  Gentrification und  Overtourismus, zwischen denen die Kreativen oft zerrieben werden.

Was bleibt? Man kann die Entwicklung kulturpessimistisch sehen und eine Welt erwarten, die immer mehr von Algorithmen gesteuert wird. Man kann einen Crash des KI-Hypes voraussehen – aber was bleibt dann davon? Es gibt zentralistische Übergriffe, puristische Verweigerer und begeisterte Nutzer – und es gibt den regulatorischen Bedarf.
Gegen Kulturpessimismus spricht, dass sich kreative Branchen, insbesondere Popularmusik, bisher immer neue Techniken angeeignet haben.

 

Matthias Hornschuh : Wir geben uns auf. KI, Kultur und die Entwertung der Wissensarbeit. 96 S.  Carl Auer Verlag. Update Gesellschaft. 9/2025. – u.: Den Kreativen steht das Wasser bis zum Hals. Börsenblatt 1.10.24 – Sounds of Science – Podcast zum. Buch  vgl.: Neue Studie belegt: KI-Training verletzt Urheberrechte. – KI in der Musikproduktion – Kreativer Partner oder Bedrohung für die Musikkultur? Maximilian Burger: Urheberrecht Urheberrecht bei KI-generierten
Beiträgen: Handlungsbedarfe und Nutzungschancen für den Bildungskontext 2/2025. – KI in der Musikproduktion – Kreativer Partner oder Bedrohung für die Musikkultur? 16.6.25 (musik23)  – Franziska Busse, Jan Philipp AlbrechtKünstliche Intelligenz als Kreativschaffende?  25.04.25 (Heinrich- Böll Stiftung). 



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