Metaverse 2 – Building the Spatial Internet

Metaverse war der Hype vor dem KI- Hype – das räumliche Internet in 3D als neue technologische Entwicklungsstufe des WorldWideWeb. Mittlerweile wird überwiegend von Spatial Computing oder dem räumlichen Internet gesprochen – eine Evolution der ursprünglichen Metaverse-Vision.

Zum Hype wurde Metaverse als sich Facebook im Oktober 2021 zu Meta umbenannte und in der Folge 36 Mrd $¹ in seine Entwicklungsabteilung Reality Labs investierte. Der Name ist dem dystopischen Science Fiction- Roman  Snowcrash  von Neal Stephenson (1992) entlehnt.

So verbreitete sich eine bestimmte Vorstellung des Metaverse (Meta/ Über -versum) als einer parallelen Welt mit nach Wunsch und Vermögen eingekleideten Avataren und virtuellen Grundstücken – zugänglich über VR- Headsets.  Manchmal phantastisch, zumindest eskapistisch.
Eine mögliche, aber nicht zwingende Vorstellung. Spatial Computing betont dagegen eine nüchterne,  anwendungsorientierte Vision des räumlichen Internet:  digitale Informationen werden in physische Räume integriert. Es gilt der Nutzen von Simulationen, technischen (XR-)  Anwendungen aller Art, z.B. Entwürfe für die Bauwirtschaft, 3D-Visualisierungen, Remote-Zusammenarbeit.

Hintergründe bzw. Voraussetzungen zum Hype waren zum einen technische Fortschritte, so in der Graphikleistung, schnellere Internetverbindungen, kulturell  auch die Gewöhnung der Nutzer an digitale Räume in der nur kurze Zeit  zurückliegenden Pandemie. Blockchain und NFTs spielten anfangs als potenzielle wirtschaftliche Grundlage eine Rolle, verloren aber an Überzeugungskraft und Akzeptanz.

BigTech-Konzerne waren im Social Web reich geworden und drängen in Successor States des heutigen Internet – in die Next version of the Internet. Es geht um das Aufspüren und die Entwicklung neuer Geschäftsbereiche und die  Aufrechterhaltung von Marktmacht. Manche der bestehenden Geschäftsmodelle zeigen Sättigungserscheinungen. Zukunftserzählungen werden oft als unausweichlich und bombastisch inszeniert: futures appropriation. Technologie-Berichterstattung ist daran oft mehr interessiert als an aktueller Realität. Jede Entscheidung, jede Handlung, kann Folgen für den Aktienkurs haben.

Zwei wesentliche Merkmale sind festzuhalten: Das aktuelle Internet basiert technisch auf der Übertragung von Datenpaketen, die in kleinen Partikeln bei Bedarf gesendet werden (wie beim Zugriff auf Webseiten und z.B. auch bei Video-Konferenzen). Das räumliche Internet erfordert eine kontinuierliche Datenübertragung und Synchronisation für die gemeinsame virtuelle Umgebung.
Das Nutzungserlebnis des Metaverse ist das eines durchgängig verbundenen virtuellen Raums – technisch eine persistente, kontinuierliche 3D-Umgebung. Das  (Uni-)Verse im Metaverse impliziert dazu eine universelle, offene soziale Sphäre.

Als First- Mover inszenierte Meta/ Facebook den Hype, andere Konzerne zogen mit unterschiedlichen Schwerpunkten nach: Microsoft, Google investierten in VR-Headsets, in Plattformen  und technologische Infrastruktur.
Gaming-Plattformen wie Roblox, Fortnite und Minecraft boten bereits virtuelle Welten an, die als eine Art Proto-Metaverse erlebt wurden. Diese Plattformen hatten bereits Millionen von Nutzern und zeigten, dass immersive, gemeinschaftliche Erlebnisse in virtuellen Welten einen breiten Anklang finden können.
Apple vermied den Begriff Metaverse, investierte aber in AR/VR-Technologien, lancierte dann im Juni 2023 mit der  Apple Vision Pro den Begriff Spatial Computing – der dann als Spatial Internet den Begriff Metaverse verdrängte. Diese Entwicklung markierte einen Wendepunkt weg von der Vorstellung einer parallelen virtuellen Welt, hin zu einer möglichst nahtlosen Integration digitaler Elemente in die physische Umgebung.
Das Nutzungserlebnis von Spatial Computing ist das einer digital erweiterten physischen Realität – eine möglichst nahtlose Überlagerung und Integration digitaler Elemente in die physische Umgebung. Anwendungen werden für ihren jeweiligen Gebrauch erstellt bzw. programmiert.

Autor Matthew Ball, einer der einflussreichsten Analysten und Vordenker des Metaverse, hatte 2022 auf dem Höhepunkt des Hype mit ‘The Metaverse – And How It Will Revolutionize Everything‘ ein umfassendes Compendium veröffentlicht. Seine Definition des Metaverse wurde weithin als Standardreferenz akzeptiert* (s.u.).
Im August 24 erschien eine Revised and Updated Edition mit dem bezeichnenden Untertitel Building the Spatial Internet. Mehr als 70% des Inhalts wurden neu geschrieben. Im Grunde ein neues Buch, zumindest eine neue Kontextualisierung von Metaverse.
Gegenüber der Auflage von 2022 sind rund 130 Seiten und einige Kapitel hinzugekommen: insbesondere die Rolle der KI, die Weiterentwicklung der XR- Zugangsgeräte und die Integration von Spatial Computing in bestehende Technologie-Ökosysteme.

Was hat sich in den zwei Jahren an der Zukunftsvision verändert? Eine Relativierung ist sofort sichtbar:  Der Satz And How It Will Revolutionize Everything wurde gestrichen – nicht nur als Subtitle.
Nach dem Hype verschwand das Metaverse nicht. Zahlreiche Technologien und Konzepte finden  im Gaming Anwendung; Weiterentwicklung und aktuelle Diskussion finden auf den zugehörigen Plattformen statt. Monatliche Teilnehmerzahlen erreichen dort überraschende Grössenordnungen: Epic Games Store (Fortnite) nennt z.B. 75 Millionen monatlich aktive  Nutzer.
In der Gaming- Szene trifft eine an virtuelle Welten gewöhnte, sehr technikaffine Nutzerbasis auf eine ausgebaute Infrastruktur – und ist auch bereit dafür Geld auszugeben.

Spatial Computing. Foto: Erik Mclean/ Unsplash

Die Plattformen zeigen Merkmale des Metaverse: Es gibt soziale  Aktionen in virtuellen Räumen, eine Creator Economy, die auch so heisst (Fortnite), sie bieten einen gewissen Rahmen für soziale und kommerzielle Interaktionen, die über das reine Gaming hinausgehen.
Sog. Islands bieten interaktive Orte auf den Gaming- Plattformen.  Es sind bedingt soziale, experimentelle und kreative Räume die den Regeln und der wirtschaftlichen Kontrolle der Plattformbetreiber unterliegen und einen bestimmten Nutzertypus ansprechen.  Nutzungen wie virtuelle Geschäfte, soziale Treffpunkte, Markenrepräsentationen oder Aktionen wie Kunstevents und Modenschauen bleiben aber eher experimentell.
Plattformen wie Sandbox und Decentraland bestehen zwar weiterhin, haben aber deutlich an Aufmerksamkeit verloren und erreichen nur einen Bruchteil der Besucherzahlen der Gaming- Plattformen.
Einen kompakten Einblick in die Vorstellungen zum Spatial Computing gibt es übrigens in einem Rundgespräch mit Matthew Ball, Epic- Games CEO Tim Sweeney und Metaverse- Autor Neal Stephenson vom 16.07. diesen Jahres.
So sehr Gaming- Plattformen eine bedeutsame Reichweite erreicht können und so technisch gelungen sie sind –  sie bleiben subkulturelle Phänomene. Sie sind stark an spezifische Gaming-Communities gebunden, mit eigenen Codes, Ästhetiken und Kommunikationsformen, die sich auf die jeweiligen Plattformen konzentrieren.
Subkulturell bedeutet in diesem Kontext, dass es keine breitere gesellschaftliche Durchdringung gibt und kaum eine Überschneidung kultureller Grenzen. Eine universelle, offene soziale Sphäre oder immersive globale Öffentlichkeit – wie sie als collective virtual open space konzipiert wurde – ist derzeit nicht in Sicht.

Zum Hype geht Ball in Distanz. Ein immersives, räumliches Internet hält er aber für zwangsläufig: I’m certain that the future will be increasingly centered around real-time- renderes 3D virtual worlds and networks (379). ²
Die Schwankungen von Hypes, Flops, Investitionen und Rückzügen sind da nur Teilstücke langfristiger Entwicklungen.
Metaverse ist dabei als Begriff eher belastet: durch den Ursprung als Dystopie, spekulative Verwertungen im Blockchain- Umfeld, durch den shocking rise of usage und die Inanspruchnahme durch den Grosskonzern, den Ball weiterhin durchgehend Facebook nennt. Selber bevorzugt er 3D- Internet. Andere verwenden Spatial Computing (Apple) human co-experience (Roblox), hyper-digital reality (Tencent). Dennoch verwendet er Metaverse durchgehend –  immerhin ein Begriff, den er selber mitgeprägt hat.

Es gibt viel Technologiegeschichte im Buch: zur Idee des räumlichen Internet, zur Entwicklung des Personal Computers, des Internets, der Mobiltelefone, Netzwerke, Kabelinfrastruktur, von Streaming und Videospiele, zur Entwicklung von KI in den letzten Jahren – und vor allem zu den Zugängen in 3D- Welten.
Immaterielle Erfahrungen – experiences – brauchen physische  Zugangsgeräte. Der Erfolg eines Spatial Internet  hängt stark davon ab, wie weit es gelingt, kompakte, komfortable Geräte zu entwickeln, die länger und angenehmer genutzt werden können. Aktuell setzen die von Meta/ Facebook und Apple entwickelten Headsets den Standard. So leistungsstark und ergonomisch angepasst sie mittlerweile sind, bleibt ihr Einsatz auf spezifische Aufgaben beschränkt.

Smart Glasses bringen das Spatial Internet in den Alltag – können aber auch als übergriffig erlebt werden (Bild: Dall-e)

Smart Glasses sind dagegen alltagstauglich und eine Art Zugangsschneise in die allgemeine Lebenswelt. Bis jetzt eine Art SmartPhone als Facewear, haben sie noch viel Potential Funktionen des Spatial Internet mit dem Alltag zu verbinden. Problematisch ist zunächst die soziale Akzeptanz: Das Gefühl observiert zu werden, kann Unmut hervorrufen.

Spatial Computing 2024 sind vor allem die sich weiter verbreitenden Anwendungen der Virtual-/ Augmented-/ Mixed- Reality.  Zusammengefasst als XR- Reality, hat sich  XR- Technologie zu einer eigenständigen Branche mit sowohl wirtschaftlich als  technologisch wachsender Bedeutung etabliert. Entwickelt wird für jeweils spezifische Zwecke:  immersive Spiele, Bildungsplattformen, Simulationsanwendungen,   virtuelle Konferenzen, 3D-Modelle für Architektur und Bauprojekte – für das Entertainment oder auch im medizinischen Umfeld. Technisch werden die Anwendungen immer ausgereifter.
XR- Technologie ist dabei Innovationstreiber in verschiedenen Branchen. Produktentwicklung in virtuellen Räumen, Remote-Training für komplexe Maschinen, Design-Reviews in globalen Teams.
Weiterentwicklung findet eher im professionellen Bereich statt. Für Konsumenten attraktive Anwendungen werden zwar mehr – dagegen stehen hohe Kosten für die Hardware.  Ansätze zu einem Social- Metaverse sind wenig zu sehen.
Zeitnah sieht Ball ein Corporate Spatial Internet. Aufstieg und Verbreitung des (atuellen) Internet waren von einer nicht-kommerziellen Entwicklung bestimmt. Talente, Ressourcen und Ambitionen  sammelten sich zunächst im akademischen Umfeld und staatlich finanzierter Forschung. Heute ist die Online- Wirtschaft von BIgTech, Datensammlung, Werbung und der Vermarktung digitaler Produkte bestimmt.

Einige Parallelen  zur KI fallen auf: Bis KI vor zwei Jahren den Durchbruch erlebte, sprach man von KI- Wintern und KI- Frühlingen als Phasen nachlassenden und erneuten Interesses. Ähnlich wechselt das Interesse an einem Metaverse bzw. einem räumlich erlebten Internet, bis zurück zu den Zeiten von Second Life.
Künstlich geschaffene Intelligenz ebenso wie eine parallele Welt sind Themen, die menschliche Phantasie beschäftigen. Beide greifen zurück bis auf uralte Mythen und werden  immer wieder kulturell aufgegriffen.
KI ist zwar längst nicht vollendet, hat aber eine Stufe erreicht, auf der sie in der Breite der Gesellschaft als nützlich erlebt wird. Spatial Computing bietet zwar immer mehr attraktive Anwendungen – sie bleiben aber auch mittelfristig insulär.
Das Spatial Internet kann die digitale Gesellschaft zwar nach und nach durchdringen, stösst aber an Konfliktlagen und Grenzen, die Ball nicht ganz auslässt.
In einem tatsächlich global funktionierenden Metaverse – entsprechend der Definition als eines immersiven, persistenten und nahtlos verbundenen digitalen Raumes – würden sich zudem Strömungen und Konflikte der Weltgesellschaft in einem nicht vorhersehbaren Ausmass spiegeln,  mit kaum einschätzbaren Konflikten um Einflusszonen, wirtschaftliche und politische  Macht.
Interaktivität, Grafikqualität, die Aufrechterhaltung von Persistenz würden zudem exponentiell mehr Rechenleistung erfordern und Energie verbrauchen als das heutige Internet. Kann ein solches System nachhaltig und gesellschaftlich akzeptiert sein?

Matthew Ball: The Metaverse. Building the Spatial Internet  8/ 2024,  446 S.  Metaverse expert Matthew Ball still believes in the 3D internet – Interviewing Meta CTO Andrew Bosworth on the Metaverse, VR/AR, AI, Billion-Dollar Expenditures, and Investment Timelines .  On Spatial Computing, Metaverse, the Terms Left Behind and Ideas Renewed. ² – noch stärker: The very idea of a Metaverse means an ever-growing share of people’s lives, labor, leisure, time, wealth, happiness, and relationships wil be spent inside virtual worlds , rather than just extended or aided through digital devices and software. (379).
*
Die Definition von Ball (2022): A massively scaled and interoperable network of real-time rendered 3D virtual worlds that can be experienced synchronously and persistently by an effectively unlimited number of users with an individual sense of presence, and with continuity of data, such as identity, history, entitlements, objects, communications, and payments.” 
¹ 36 Mrd  wurden  in Berichten der US-Börsenaufsicht SEC genannt



KI im zweiten Jahr des Hype – BigTech wird zu BigAI

So sieht sich Chat GPT selber

Auch Technologien brauchen eine Geschichte, um verstanden zu werden, oder zumindest um eine Erwartung an sie aufzubauen.  Und es ist ein länger währender Prozess, bis sie zum Teil unserer Zivilisation werden.
Das Internet wurde als  Beginn einer neuen Medienepoche der Menschheitsgeschichte* begrüsst – und war mit einer Aufbruchsstimmung zu einer partizipatorischen Kultur verbunden. Historisch wurde der Einschnitt oft mit der Einführung des Buchdrucks verglichen.
Das Metaverse knüpfte an Bilder einer parallelen Welt oder eines begehbaren Internet an, die aber langsam verschwanden bzw. zurückgefahren wurden. Der Hype ist abgeflacht, die Entwicklung geht aber in Richtung immersive Technologie bzw. räumliches/ Spatial Computing voran.

KI ist mit zahlreichen Mythen der Popularkultur verbunden, vom Golem bis zum Supercomputer HAL. Chat GPT und seine Mitbewerber wurden anfangs oft wie eine Art Zauberkasten wahrgenommen, der auf erstaunliche und oft unerwartete Weise ganz unterschiedliche Aufgaben löst.
Öffentliche Wahrnehmung und Diskussion haben sich seit Beginn des Hype erweitert und differenziert – in der Kritik, wie im Ausbau der Nutzung.
Es fallen Vergleiche zu Innovationen, die die industrielle Entwicklung ausgelöst oder erneuert haben: zur Dampfmaschine, zur Elektrizität. Rafael Laguna de la Vera,  Chef der Bundesagentur SPRIND setzte noch einen drauf: Wenn der Computer das Fahrrad fürs Hirn (Steve Jobs) ist, dann ist KI die Rakete Die 🚀  wird übrigens – informell – als Emoji für KI- generierte Inhalte verwendet 
KI und der Hype dazu – das sind zwei verschiedene Phänomene. KI ist ein technologisches Konzept mit seinen eigenen Grundlagen und Möglichkeiten, ein Fundament für verschiedenste technologische Anwendungen und Entwicklungen, die noch längst nicht zu Ende gedacht, noch weniger umgesetzt sind. Die heutigen Modelle der generativen KI sind eher frühe Versionen von dem, was möglich ist. Für manche sind sie bereits  ein Aufbruch in eine neue Zeit. Der Hype lässt sich als Vorbote einer neuen technologischen Revolution verstehen ( vgl. Gunnar Sohn 8/24).

Der Hype ist ein ökonomisches und popular- kulturelles Ereignis.  Er ist nicht gratis, weder ökonomisch, noch nach Kriterien der Nachhaltigkeit. Tech companies übertreffen sich gegenseitig im massiven finanziellen Einsatz. Es gibt jedoch noch kein klares Geschäftsmodell, abgesehen von der Steigerung der Cloud-Gewinne für Big Tech. Starke finanzielle Anreize treiben die Entwicklung an und lassen sie  heisslaufen – so übersteigt der Hype oft die tatsächlichen technologischen Möglichkeiten.
Schon die bisherigen Investionen sind gewaltig. Rechnet man veröffentlichte Zahlen zusammen, kommt man schnell auf mehrstellige Mrd – Beträge Investitionsvolumen. Bis 2025 werden 200 Mrd angenommen (vgl. ai-investment- statistics). I don’t care if we go through $500 million, $5 billion, or $50 billion a year, as long as we’re moving the needle on AI – so ein Statement von Sam Altman (5/23), das den Willen zur Umsetzung verdeutlicht.

Mit den Investitionen entsteht eine globale Infrastruktur:  Die Cloud- basierten Services der BigTech Giganten, die nun auch zu BigAI Giganten werden: There is no AI without Big Tech.  Sie bieten Plattformen und Werkzeuge, die als Rückgrat von KI-Innovationen dienen und es ermöglichen, KI in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft und des täglichen Lebens zu integrieren.
Es gibt aber noch kein klares Geschäftsmodell, abgesehen von der Steigerung der Cloud-Gewinne für Big Tech durch die Bündelung von KI-Diensten mit Cloud-Infrastruktur. Und ein Geschäftsmodell ist wichtig, wenn es um Systeme geht, deren Training und Entwicklung Hunderte Millionen Dollar kosten kann (vgl.  Amba Ka et al., s.u.). 
Welche Rollen, welche Funktionen von KI eingenommen werden, ist noch längst nicht klar. Chatbots wie Chat GPT, werden etwa oft als eine Art persönlicher Assistent genutzt, haben aber im professionellen Einsatz bislang  ihre Grenzen.

Share of Industry Employment Exposed to Automation by AI. Quelle: Goldman Sachs. Global Economics Analyst – öffnet sich nach Klick in voller Auflösung

Singularisierte Automatisierung – gemeint sind KI-basierte Anwendungen, die jeweils spezifische Prozesse oder Funktionen automatisieren.. Es bedeutet die Automatisierung jeweils einzelner, spezifischer Prozesse oder Funktionen. Automatisierungen, die sich nach den jeweils erkannten Mustern richten – und in sehr unterschiedlichen Kontexten eingerichtet werden können.

Die Durchdringung von Branchen durch KI verläuft sehr unterschiedlich. Pharma- und Biotechnologiebranche profitieren etwa stark von generativer KI. Allgemein dringt KI dort am schnellsten vor, wo eine stark strukturierte Kommunikation vorherrscht, wie etwa in Kundensupport-Systemen, in IT, Marketing und Vertrieb. Branchen, die von standardisierten Verwaltungstätigkeiten oder strukturierten Prozessen geprägt sind – wie die Rechtsbranche mit ihrer präzisen Argumentation – gehören ebenfalls zu den Vorreitern (s. Abb.).
Aber niemand  sollte sich bei Problemlösungen allein auf einen Chatbot verlassen:  Vorsicht vor Botshit: ein Schlagwort für unwahre, ungenaue, unsinnige Chatbot- Inhalte, die unreflektiert übernommen werden (André Spicer, s.u.).  Qualitätskontrolle bleibt notwendig.

KI ist selbst ein bedeutendes und lukratives Feld von Weiterbildung und Beratung. Klassische betriebswirtschaftliche Argumente  wie Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit und Standort, Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Zeitersparnis, Kosten- aber auch Personaleinsparung -streuen sich ein. Es geht um Effizienzsprünge, manche Schätzungen sprechen von Produktivitätszuwächsen von bis zu 70%.“
Diese Versprechungen sind wohl nur in ganz bestimmten Workflows und mit darauf zugeschnittenen Lösungen erreichbar.  So brüstete sich der schwedische Finanzdienstleister Klarna kürzlich, nach der Einführung von KI die Hälfte seiner Mitarbeiter einsparen, d.h. entlassen zu können.
Ob die mit KI verbundenen Versprechen von enormen Produktivitätssteigerungen tatsächlich gesamtwirtschaftlich realisiert werden können, bleibt abzuwarten. Der Return on Investment (ROI) scheint bislang keine zentrale Rolle zu spielen.

Zwei allgemein bekannte Muster von Hypes lassen sich sicherlich auch auf den KI- Hype beziehen:  der Gartner Hype Cycle– mit den auf- und absteigenden Kurven der Aufmerksamkeit. Ebenso Amaras Gesetz   Menschen neigen dazu, die Auswirkungen einer Technologie anfangs zu überschätzen, auf lange Sicht aber zu unterschätzen.
Die wesentlichsten Wirkungen des KI- Hypes liegen wohl anderswo: Hunderte Millionen Menschen haben Generative KI ausprobiert bzw. getestet – sie machten dabei einige ähnliche Erfahrungen:  ganz vorn steht die, mit Computern in der eigenen Sprache umzugehen – das Betriebssystem, das Menschen am besten verstehen.
Generative KI hat unsere Fantasie beflügelt,  die Hoffnungen und Ängste vieler Menschen über den Aufstieg intelligenter Maschinen genährt: grenzenlose Produktivität, grenzenlose Informationen, grenzenlose Fehlinformationen. Prompten ist die Kulturtechnik, gezielte Ergebnisse zu erreichen.  Zu den Möglichkeiten gehört aber genauso die erleichterte Produktion von mit Absicht erstellten Fakes und ihre Verbreitung.

KI ist nicht nur eine Querschnittstechnologie, die in vielen Branchen Veränderungen auslöst, genauso wirkt sie auf zahllose gesellschaftliche Bereiche ein. Chatbots sind als popular- kultureller Motor wahrscheinlich bedeutsamer  denn als technisches Werkzeug.
Zwei Beispiele in denen KI kulturelle Verwerfungen mit sich bringt: In einem der letzten Blogbeiträge hatte ich Digital Afterlife  thematisiert, das Weiter- Bestehen der Kommunikation mit den Avataren von Verstorbenen   –  ein Format, das tief in unsere Vorstellungen von Tod und Trauer eingreift.
Ein ganz anderes Beispiel: Der spanische Fast Fashion Gigant Mango meldete, statt menschlicher Models nur noch KI- generierte Models einzusetzen.
Es lässt sich als  Schritt in eine Synthetisierung von Schönheitsidealen lesen. Bildgenerierungen erinnern tatsächlich oft an über- standardisierte Stock- Photos –  genauso können sie als ästhetisches Experimentierfeld dienen.

Letztlich wird der Hype um KI aber angetrieben durch die geschäftlichen Interessen von BigTech – es geht um die Landnahme in einem neuen Feld: Big Tech erweitert zu BigAI.
Ohne signifikante Eingriffe wird der KI-Markt letztlich dieselben Unternehmen belohnen und stärken, die bereits von den Gewinnen des invasiven Geschäftsmodells der Überwachungsgesellschaft profitiert habe, das das kommerzielle Internet angetrieben hat – oft auf Kosten der Öffentlichkeit (vgl.  Amba Ka et al., s.u.).
Konzentrierte Macht ist nicht nur für Märkte ein Problem. Sind wesentliche Teile der Infrastruktur in den Händen weniger Unternehmen oder Entscheidungsträger, wird dies zu einem Problem für Demokratie, Kultur sowie individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit.

KI bleibt ein zentrales Thema öffentlicher Aufmerksamkeit, sie verbreitet sich zunehmend in unserem Alltag. In ihrem Gebrauch bilden sich mehr und mehr Alltagsroutinen.
Nach und nach, aufeinander folgend gab es die Hypes zur Blockchain/ Web3, zum Metaverse und nun KI.  Gemeinsam ist allen, rechenintensive Stromfresser  zu sein. So steht  der enorme Energieverbrauch der neuen KI- Infrastruktur in der Kritik. Ohne breit verfügbare erneuerbare Energie kann sich der Planet KI in diesem Ausmass   nicht leisten.

 

*vgl. : Dirk Baecker: 4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt – ² Gunnar Sohn 8/24 –P. McCarthy, Timothy R. Hannigan, and André Spicer: The Risks of Botshit  AI And Machine Learning. In : Harvard Business Review 17.07.2024  André Spicer: .Beware the ‘botshit’: why generative AI is such a real and imminent threat to the way we live. The Guardian 3.01.2024. Matteo Wang: What ChatGPT Has Changed in Its First Year – The Atlantic. 16.01.24  – Silicon Valleys Trillion Dollar Leap of Faith: Tech companies are spending as if AI’s transformative uses are a foregone conclusion. They’re not. The Atlantic 29.07.2024 —  Charlie Warzel: This Is What It Looks Like When AI Eats the World. The Atlantic  Thomas Ramge: Wie sieht eine gute Zukunft mit KI aus? Eine Fortschrittserzählung Juli 2024. Robert Peters, Klaus Burmeister, Wenke Apt: Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz , fünf Kurzszenarien zur „Mensch-Technik- Interaktion 2030“ Holger Schmidt: Generative KI bringt aktuell mehr Produktivität, aber kaum Umsatzzuwachs. FAZ 24.07.2024. Der Hype nähert sich dem Ende.  D2030 FuturesLounge 3.07.2024: KI-ein Schlüssel zur Welt von morgen. Passt er zur deutschen KI-Strategie?Jaron Lanier: How to Picture A.I. ´The New Yorker. 01.03. 2024. Jupus: KI im Anwaltssekretriat  — vgl. auch:  L’I.A. est un concept. pas un produit Daron Acemoglu:  The Simple Macroeconomics of AI* 05/2024. Fred Cavazza: L’ I.A. est un concept, pas un produit. 06/2024.   Doris Aschenbrenner, Robert Peters: KI ist tot! Es lebe die hybride Intelligenz. Tagesspiegel 2.08.24. – — From Burnout to Balance: AI-Enhanced Work Models. Upwork.com 23.07.24. – Amba Kak et al: Make no mistake—AI is owned by Big Tech. MIT Technology Review 05.12.2023 , Melissa Heikillä: Here’s how people are actually using AI. MIT Technology Review 14.08.2024



Digital Afterlife – Become Virtually Immortal

Become Virtually Immortal – Screenshot Trailer “Eternal You”. 3.15

Zur Vorstellung eines gelebten Lebens gehört es, etwas zu hinterlassen, das in der Erinnerung, in der Wirkung auf andere, weiterlebt.
Es kann vieles sein, nicht nur ein festgemauertes Lebenswerk mit Inschrift und Festrede – genauso sehr die Summe der kleinen Gesten, ein gewisser Stil, eine Aura, eine spezifische Haltung, die nicht nur Angehörige in ihrem Leben inspiriert.  Man kann es Vermächtnis bzw. Legacy nennen.

Generative KI erkennt Muster in dem Material, das in sie eingespeist wurde, extrahiert daraus relevante Merkmale, und kann, darauf basierend, neue Inhalte generieren.
So kann generative KI auch Muster in dem erkennen, was ein menschliches Leben hinterlässt. Noch nicht lang zurück, war das Material rar. Denke ich an meine Eltern, gab es Fotos, ein paar Ton- und Videoaufnahmen, handschriftliches etc.  Heute sind digital gespeicherte Medien allgegenwärtig – als Text, Bild, Video, gesprochene Sprache. Genug, um aus dem passenden Datenmaterial einen Avatar zu klonen.
Je mehr und um so passenderes Datenmaterial ihr zugeführt wird, desto realitätsnäher liegt die Ausgabe der KI, bis hin zu den einzigartigen Charakteristika der Stimme mit ihren wechselnden Emotionen und Tonalitäten. So kann die KI ein Gespräch (oder einen Monolog), nicht nur als Text, sondern auch als persönlich erkennbare, gesprochene Stimme synthetisieren.

Ganz neu ist das Konzept nicht. Vor zehn Jahren (2014) erschien im New Yorker der Essay How to Become Virtually Immortal. Es war die Zeit des grössten Hypes um Social Media – das Konzept scheint sich stark auf Social Media Daten bezogen zu haben. Ein echter KI- Dienst entwickelte sich daraus noch nicht. Das damals genannte Start Up Eterni.me ist jedenfalls nicht mehr auffindbar.
Ein Film und ein Pionier zwischen Vision und Vermächtnis brachten das Thema in den letzten zwei Monaten in die öffentliche Aufmerksamkeit.

Die Wiederbegegnung mit der verstorbenen Tochter. Screenshot von 03.08. –  Die Doku “Eternal You” über KI und das Ende der Endlichkeit

Der Dokumentarfilm Eternal You startete am 20.06.24 in den Kinos, entstammt aber nicht dem aktuellen KI- Hype. Die Idee ist etwas älter. Die Dreharbeiten waren von Corona unterbrochen worden, Fertigstellung und Kinostart schoben sich so etwas hinaus.
Der Film ist eine Montage mehrerer dokumentarischer Stränge. Einige unterschiedliche Szenarios sind  erkennbar.
Zunächst in schriftlicher Dialogform –  Der Text kommt aus dem Ticker, wie wir es von Chat GPT her kennen; ein Angebot zum schriftlichen Dialog. Ein Mann chattet mit dem Avatar seiner verstorbenen Geliebten, andere Situationen sind vorstellbar. Nebenbei, lernt die KI in den Dialogen weiter? Dann müsste sie sich im weiteren Verlauf verändern, weiterentwickeln …
In einem zweiten Szenario kommt eine Stimme aus dem Off – grundsätzlich wirkt sie in dieser Form als Monolog dominant – als wolle sie posthum  in das Leben der anderen hinein regieren.
Das dritte Szenario wirkt aufwühlend und befremdlich. In der südkoreanischen TV- Show Meeting You  versucht eine Mutter von ihrer verstorbenen Tochter in einem VR- Raum Abschied zu nehmen. Die Tochter erscheint lebensecht, bleibt aber unfassbar – die Mutter kann sie nicht in die Arme schliessen.  Im weiteren stirbt der Avatar der Tochter einen zweiten, virtuellen Tod, die Mutter konnte Abschied nehmen. Sie bekräftigte, dass ihr diese Begegnungen geholfen haben.  Virtual Reality als Traumatherapie?

VR hat sich seitdem (2020) weiterentwickelt, der heutige Stand würde weit detailliertere Szenarios ermöglichen. Und sicherlich kommen manch seltsame Gedanken auf: ein Totenreich im Metaverse – in dem Verstorbene aufgesucht werden können? Mir fiel dabei die Szene aus der Odyssee ein, in der Odysseus dem Schatten seiner Mutter im Hades begegnet – eine solche Wiederbegegnung ist ein uraltes, archetypisches Motiv.
Vielleicht ist manches in Zukunft möglich.  Jetztsind es v.a. Menschen, die plötzlich und unerwartet Angehörige verloren haben, die solche Angebote aufgreifen.  Als eine Möglichkeit zur vermissten Auseinandersetzung oder dem verpassten Abschied.

Michael Bommer

Michael Bommer war der erste Kunde des Start Ups Eternos Life.
In jeder Hinsicht ein idealtypischer Pionier. Selber war er lange Jahre Software- Manager, als solcher bestens vertraut mit den technischen Hintergründen. Pionier in Sachen Kundenkommunikation, deren Entwicklung und Verbesserung er entscheidend mitgestaltet hat – dazu begabt darin, komplexe Innovationen und Technologien verständlich zu erklären.
Michael Bommer war seit zwei Jahren an Krebs erkrankt und  warf sich in seinen letzten Monaten mit Verve in sein letztes Projekt zwischen technischer Vision und persönlichem Vermächtnis. Beeindruckend ist seine Begeisterung, die aktive Beteiligung daran,  kurz vor seinem Tod …. dass ich in den letzten Tagen meines Lebens noch etwas gefunden habe, was mich begeistert, was mich mitreißt, was ich sozusagen mit Anlauf mit ins Grab nehme. Für ihn eine tiefe emotionale Erfahrung. 
Seine Geschichte ging durch die Medien: Zeit, Spiegel, FAZ, ZDF berichteten.  Gunnar Sohn hat ein Book-on-demand dazu gestaltet und mir zur Verfügung gestellt.
Im Gegensatz zu anderen Beispielen von Digital Afterlife wurde Bommers Geschichte ausschliesslich positiv kommuniziert – im Respekt vor seiner überzeugenden Offenheit.
Technisch beruht die hier entwickelte KI auf allen verfügbaren Quellen von Erinnerungen, Wissen, Meinungen, Erfahrungen etc. aus Videos, Bilder, Dokumenten. 315  Phrasen, 150 Geschichten aus versch. Lebensphasen wurden eingespeist – in unterschiedlichen Tonalitäten und Stimmungen. Das Leben bleibt aber endlich. Am 25.06. starb Michael Bommer.

Das Gedächtnis an Verstorbene, ihre Bestattung, ihr Afterlife war immer zentraler Bestandteil menschlicher Zivilisationen. Beim Bau von Pyramiden und Megalithgräbern haben sich z.B. die damaligen Kulturen in ihren technischen Möglichkeiten selbst übertroffen.  Manche Zivilisationen wurden von ihrem Totenkult dominiert.  In anderen Kulturen gehören die Verstorbenen genauso zur Familie, zum  persönlichen Umfeld, wie die Lebenden. Manche Vorstellungen erscheinen heute bizarr.
Jetzt erscheinen neue Möglichkeiten. Ein synthetisch erzeugtes –  dialogfähiges Gegenüber ist etwas bislang nicht dagewesens. Was es vordem nur als Vorstellung gab, wird auf trickreiche Weise erlebbar gemacht. An der  Endlichkeit des Leben ändert es nichts.

Wie man dieses Neue nennen kann, ist noch unklar. Bezeichnungen wie  Digitaler Zwilling, Ghost Bot, Verwandlung in eine KI fallen in den Beschreibungen. Mehrfach schliesst sich ein kritischer Verweis auf Geschäft und Kommerzialisierung an – als ob die  Dienste herkömmlicher Bestatter nicht ebenso geschäftlich organisiert wären. Es ist ein kultureller Prozess, was davon weiterentwickelt und als Dienstleistung angeboten wird. In Zukunft vom  StartUp Bestatter?

Eternos Life:Testimonial Michael BommerGunnar Sohn:  Michael Bommer. Zwischen Vision und Vermächtnis. Sohn & Sohn Schriftenreihe Band 3, 148 S., 6/2024 Bestellen/ Die Zeit. Nr. 25./2004  18.0.24 S.66 / Unsterblich dank Künstlicher Intelligenz. ZDF 18.05.2024 – Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit.  Film von Hans Block & Moritz Riesewieck, D, USA 2024; 87 Min. Website: https://eternalyou-film.de/ –  Laura Parker: How to Become Virtually Immortal . The New Yorker. 14.04. 2014.  Using A.I. to Talk to the Dead… s.auch: Lilli Berger: Virtuelle Erinnerungsräume, Die Zukunft Des Trauerns |  TEDxPotsdam, yt 2023 —  Simulate the Dead- Project December. James Trew:  Digital ‘immortality’ is coming and we’re not ready for it 7/2023

 



Remote Work in der Diskussion

Die KI (Adobe Firefly) zeichnet das home Office als grünes Idyll – ohne spezifisches Prompting

Spätestens seit Corona zählen Home Office/ Remote Work/ mobiles Arbeiten zu den intensiv diskutierten Themen – und das gleich auf mehreren Ebenen:  persönlich in der Arbeits – und Alltagsorganisation, in Unternehmen als betriebliche Organisation, perspektivisch in Politik und Zukunftsdiskussionen. Das Thema  berührt im weiteren viele Fragen bis hin zu  Verkehrsplanung und Urbanistik.

In einem Zeitraum  Februar/ März 2024  (20.2. – 20.3.) haben wir mit der Social Listening Software Talkwalker die  deutschsprachige öffentliche Online- Kommunikation zu Remote Work und Home Office erkundet. Einbezogen wurden Nennungen in deutschsprachigen Quellen. In Talkwalker sind dabei Daten aus bis zu 20 Medienkategorien  auswählbar. Talkwalker bietet dazu weitere Funktionen, wie z.B. die Sentiment Analyse ( +/- Bewertung), die hier nicht genutzt wurden.
Beide Anglizismen sind ähnlich weit verbreitet. Home Office kam als Provisorium und meint wirklich nur den häuslichen Raum, der als Büro genutzt wird,  in der Umgangssprache verdrängte es Ausdrücke, wie Heimarbeit oder von zu Hause arbeiten.

Homeoffice im Neubezug

Remote Work  ist der weiter gefasste Begriff für vom Betriebsstandort unabhängige Arbeit – gleich ob von zu Haus, aus einem CoWorking Space oder ganz aus der Ferne als digitaler Nomade – die Orte, von denen aus Arbeit erledigt wird, sind prinzipiell gleichrangig. Der Begriff hat sich  von der IT- Branche aus verbreitet.
Vorläufer gibt es seit langer Zeit, etwa die Unterrichtsvorbereitung von Lehrern, der Schreibtisch und die Aktenordner im Einfamilienhaus, Auftragsarbeiten von Freiberuflern – aber erst mit den neuen Begriffen wird darüber ernsthaft diskutiert.
Zusammengerechnet wurden beide Begriffe 4.700 x in den Kategorien des deutschsprachigen Netz genannt. Etwas überrascht, dass Remote Work deutlich mehr (3t/1,7t) Nennungen erreicht. Ebenso der hohe Anteil  von Twitter, das als X für viele nicht mehr die erste Wahl ist. Teilweise zu erklären durch zahlreiche Re- Tweets, mit denen sich einzelne Inhalte multiplizieren.

Die %- Angaben  sind nicht direkt vergleichbar! Zu Remote Work gibt es ca. 3000 Nennungen, zu Home Office ca. 1600. Die Graphik aus Talkwalker stellt die jeweiligen % – Anteile davon dar

Die Verteilung nach Tagen (re.) zeigt immer wieder Ausschläge, an denen sich die Nennungen häufen.  Der stärkste Ausschlag folgte auf  einen Ausspruch des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder am 4.03:  Nur mit Teilzeit und Homeoffice werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen.
So spiegelt sich in den Zahlen die öffentliche Diskussion, bzw. es werden immer wieder auf eine bestimmte Wirkung ausgerichtete, oft provokative Statements von Politikern, Unternehmern und anderen Meinungs- Influencern eingeworfen, meist  gezielt platziert.

Home Office as usual

Zeitlich ganz eingrenzen lässt sich das Sample nicht: Ältere Aussagen und Argumente werden immer wieder herangezogen: So von Trigema- Chef Wolfgang Grupp: Home Office gibt es bei mir nicht. Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig-  später zwar im Zusammenhang relativiert, wurde das Statement dennoch als markig- konservativ medial verbreitet.

Arbeitnehmer befürworten das Homeoffice, während Arbeitgeber skeptisch sind  (Computerwoche, 11.03.) –  unter dieser Titelzeile werden Argumente gegen das Home Office aufgeführt, die auch in anderen Quellen erscheinen: Sinkende Produktivität, mehr Zeitaufwand für den gleichen Output.
Beschäftigte, die sich bewusst dafür entscheiden, von zu Hause aus zu arbeiten, tun dies häufig auch, weil sie dort andere Verpflichtungen haben, —  dazu wird mangelnder sozialer Austausch innerhalb der Belegschaft beklagt. Das beeinträchtige nicht nur die Stimmung im Team, sondern auch die Innovationsfähigkeit bei kreativen Aufgaben. Es werde schwieriger, sich spontan zwischen Tür und Angel mit einem bestimmten Kollegen auszutauschen, was eben Innovationsprozesse hemme. Die meisten Argumente lassen sich auch mit diversen Studien belegen – bloss bleibt unklar, wie allgemeingültig deren Ergebnisse sind.
Nicht zu vergessen sind Verweise auf IT- Sicherheit: In einer zunehmend dezentralen Arbeitsumgebung steigt die Anfälligkeit für Ransomware-Angriffe exponentiell (18.03.).

Home Office im Termindruck

Die einen sammeln Argumente gegen etwas, die anderen sammeln Erfahrungen. Das meint Thomas Dehler, Gründer und Geschäftsführer der Gesellschaft für Telearbeit (Gefta) im Interview  mit Gunnar Sohn (28.02). Flexible Arbeit ist auf dem Vormarsch, trotz einiger Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück ins Büro holen – Dehler ist engagierter Vertreter der  flexiblen Arbeit. Remote Work ist definitiv ein Thema, wenn der Mitarbeiter im Mittelpunkt steht.
Wer Homeoffice in Frage stellt, wolle Leute rausekeln, manchmal gebe es ein rabiates Rollback. Dahinter stecke oft in Wirklichkeit die nackte Angst von Führungskräften, nicht zu wissen, wie sie die Arbeit aus der Ferne kontrollieren können.  Aber auch ein gegenseitiger Prozess: Jeder Bewerber, der an eine Marke angedockt werden möchte, wird einen Kompromiss schaffen, auch wenn er völlig remote-minded ist. Neue Organisationsformen von Arbeit lösen so  Innovationsprozesse aus.
Weiter verweist Dehler auf den Beitrag zur Dekarbonisierung. Jeder nicht gefahrene Arbeitsweg-Kilometer spart Tonnen von CO2.
Auch in anderen Quellen wird die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle betont: Mit voranschreitender technologischer Entwicklung werden die neuen Arbeitsmodelle allerdings für immer mehr Menschen zum “New Normal”  werden. Sie suchen nach Arbeitgebern, die eine damit kompatible Kultur sowie Identität bietet (Personalwirtschaft.de , 7.03.)

Manche Arbeitgeber nennen das Home Office als eine gewährte Vergünstigung: Wir bieten freie Zeiteinteilung, Homeoffice, wir haben eine Tischtennisplatte im Büro, mittwochs gibts ein kostenloses Mittagessen aus regionalen Produkten und freitags nachmittags Freibier (7.03.).
Unternehmen haben noch keine dauerhafte Lösung beim Thema Remote Work gefunden- so sagt es ein Berater aus dem Kienbaum Institut.

Home Office – bright & light

In einigen Diskussionssträngen eingestreut werden Fragen der Arbeitsmoral. Verbunden mit einem Bashing der Generation Z teilt etwa die Beraterin Susanne Nickel  in ihrer Kolumne im Focus (14.03.) aus: Remote arbeiten, was heißt: möglichst da, wo der Chef nicht plötzlich auftauchen, kritisieren und Anweisungen geben kann. Und bloß nicht zu viel und zu schwer.  Weiter: In der Generation Z werden nämlich die drei großen F’s gefeiert: Freizeit, Freiheit und Flexibilität. Das sind die „Werte“, die zählen – und nicht etwa Fleiß, Leistung und Karrierestreben.
Das Bashing hat einen Zweck: Es geht um die Bewerbung ihres Buches: Verzogen, verweichlicht, verletzt: Wie die Generation Z die Arbeitswelt auf den Kopf stellt und uns zum Handeln zwingt – erschienen am 19.03.

Aus diesem – querfeldein –  Ausschnitt von 30 Tagen erfährt man bereits viel über die verbreiteten Meinungen und Haltungen  –  aber bis dahin ziemlich wenig über die alltägliche Wirklichkeit von Home Office/ Remote Work, über die konkreten Arbeitsbedingungen. Bis hierhin ist es Medienbeobachtung, eine Exploration der öffentlichen Thematisierung in einem Ausschnitt, der  sich verbreitern oder auch enger fokussieren lässt.
Weitere Schritte zu einer Netnographie richten sich nach einer zu stellenden Forschungsfrage – die formulieren soll, was man denn wissen will. Etliche der Quellen ermöglichen einen tieferen Einstieg mit weiteren Recherchen.
Sicher enthält das Sample noch viele weitere Informationen bereit, so z.B. zur richtigen Ausstattung des Home Offices (ein Geschäftsfeld)  – bis hin zum Feng Shui

Home Office/ Remote Work verbreitete sich als temporäre Lösung während der Pandemie. Eine Entwicklung, die bereits begonnen hatte, wurde so massiv  angetrieben. Noch wenige Jahre zuvor waren digitale Medien und Techniken nur in wenigen Branchen ausreichend verbreitet. Heute gehören die Techniken zu einer wohl flächendeckend verbreiteten Infrastruktur.
Die digitale Öffentlichkeit ist mehr denn je eine Bühne der Positionierung, die von vielen Akteuren bespielt wird, die sich ihrer möglichen Wirkung bewusst sind.
Ist Remote einer der Trigger (vgl. Triggerpunkte), der Reizbegriffe, an denen Konflikte  entzündet werden? – Manchmal fühlt man sich auch an die Instrumentalisierung von Begriffen wie woke erinnert.

 

Einzelne Quellen: Wie zeitgemäße Arbeitsmodelle die Unternehmenskultur beeinflussen. Personalwirtschaft.de – 7.03.24. — Die Rückkehr ins Büro: Was steckt wirklich dahinter? Personalwirtschaft.de 4.03. 24 — Gunnar Sohn: Interview mit Thomas Dehler.  28.02.24 –  Gunnar Sohn:  Wer Homeoffice in Frage stellt, will Leute rausekeln #ZPSued  Susanne Nickel: Die Gen Z verhält sich, als ginge sie die ganze Misere im Land nichts an – Focus  14.03.24. Wirtschaftspsychologen tagten zum „New Normal“. Forschung und Praxis analysierten Ansätze zur Gestaltung der Arbeitswelt . 27.02.24   Mitarbeiterbindung versus Präsenzpflicht  — Pressemitteilung von: virtuu: Streit ums Homeoffice: Studie zeigt, dass sich Führungskräfte vor allem um den Teamzusammenhalt sorgen. 27.02.24
Warum Arbeitgeber das Homeoffice tolerieren 11.03.24.  Homeoffice- Nicht für jeden geeignet – Luckx Das Magazin. 7-03.24  — New Work schafft neue Realität. Lebensmittel Zeitung 7.03.24.  —– Bilder vom Home Office von ob. nach u.: Klaus Janowitz, Johannes Mirus, Gunnar Sohn, Birgit Eschbach,  — – z.B. auf den Seiten  der Hans- Boeckler Stiftung sind einige Studien einsehbar bzw. stehen frei zum download. 

 

 



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