Corona, PhysicalDistancing und die Digitale Öffentlichkeit

Steht im Mittelpunkt: Das Corona- Virus; Bild: unsplash.com

Fast noch mehr als das Virus selber hat #Corona als Medienthema innerhalb weniger Wochen  die Öffentlichkeit überrollt. Zuerst die Bilder aus dem fernen China, dann aus dem nahen Italien. Bilder von der Abriegelung ganzer Regionen, dann die von überlasteter  medizinischer Versorgung. Schliesslich wurde #Corona/ #Covid-19 zu dem Thema, neben dem alles andere in der öffentlichen Kommunikation verschwindet.
Ansteckende Krankheiten zählten immer zu den Geisseln der Menschheit, waren einer der Apokalyptischen Reiter – und sie leiteten immer wieder gesellschaftliche Veränderungen und Umwälzungen ein. Aber jetzt ist es weniger die Furcht vor der Krankheit selber, sondern die vor den Grenzen der Beherrschbarkeit, konkret der Überlastung der medizinischen Versorgung. Das Risikomanagement ist darauf angelegt, die Verbreitungsgeschwindigkeit, den Anstieg der Kurve, zu verringern,  #flattenthecurve.  Die möglichen Übertragungswege, also die physischen Kontakte, sollen so massiv reduziert werden, dass das Virus durch deren Stillegung eingedämmt wird. Solange kein Impfstoff oder wirksame Medikamente entwickelt sind, kann aber diese Kurve immer wieder anwachsen.
Es begann mit Empfehlungen zur Handhygiene, Absagen von Grossveranstaltungen, von  immer mehr Schliessungen der Gastronomie, von Schulen, Sportstätten – allen Orten, an denen Menschen zusammentreffen,  bis schliesslich zu nie dagewesenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Grundrechten auf Bewegungsfreiheit, dem Lockdown einer ganzen Gesellschaft und Volkswirtschaft unter dem harschen Regime eines #SocialDistancing.  Der politisch durchgesetzte Begriff ist eigentlich falsch – es geht um die  rein physische, nicht die soziale Distanz – #PhysicalDistancing. Gäbe es keine Digitale Öffentlichkeit, wäre es tatsächlich Social Distancing.

#Corona wird zum Top- Thema: Twitter (D) Febr/März 2020

Scenarios und Einschätzungen zum weiteren Verlauf, für die Zeit danach und die Auswirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen gibt es mittlerweile zuhauf und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven  – und sicher geht es auch darum, auf dem Markt der Deutungen Präsenz zu zeigen. Man stellt sich auf für Forschungsprojekte und Beratungsangebote.
Welche gesellschaftlichen Verwerfungen Covid-19 und der Lockdown mit sich bringt, ist längst nicht abzusehen. Da ist die Pandemie selber, dann die Folgen und die Reaktionen auf den Lockout. Die wirtschaftliche Perspektive einer tiefen Rezession, dazu die Bedrohung zahlloser einzelner Existenzen. Was bedeutet es für eine Öffentlichkeit, wenn ihre physischen Schauplätze, Bildungseinrichtungen, Kulturbetriebe, Gastronomie, Läden, oft selbst der Park und Ausflugsziele  auf unbestimmte Zeit geschlossen sind? Wie kann das öffentliche Leben nach einem solchen “Winterschlaf” wieder Fahrt aufnehmen?
Einen Einschnitt bedeutet Corona und der Lockdown wohl überall. Die grosse unbekannte Variable ist ein medizinischer Grosser Wurf, der dem ganzen ein Ende macht.

Home Office wird zur Selbstverständlichkeit; Bild: Gunnar Sohn

Kann es überhaupt eine Situation geben, in der sich digitale Medien mehr bewähren können als unter den Bedingungen einer physischen Kontaktsperre? Nur mit digitalen Medien bleibt eine öffentliche Sphäre erhalten. Der Lockdown, beschleunigt zudem die Durchsetzung digitaler Kommunikation und Organisation in der Arbeitswelt  – Home office/Remote Work ist zunächst die einzige Möglichkeit, einen Workflow aufrecht zu erhalten. Was bis jetzt v.a. bei Soloselbständigen üblich war, wird jetzt vermehrt in Unternehmen und Behörden, sogar Ministerien akzeptiert – weil es die einzige praktikable Lösung ist. Videokonferenzen anstelle von Meetings. Ein gut ausgestattetes Home Office wird zum Standard und dem Fenster zur Welt. Ein Icon des Lockdown ist die Webcam, Zoom die Software der Stunde.

Gerade jetzt kann man drei Stufen digitaler Medien unterscheiden, die zumeist über dieselben Bildschirme übertragen werden: die grossen redaktionellen Sender- zu- Empfänger- Medien, öffentlich- rechtliche Sender und die überregionale Presse, von  ihnen wird gesicherte Berichterstattung und die Darstellung unterschiedlicher Positionen erwartet. Onlineauftritte sind längst nicht mehr ein begleitendes Zusatzangebot, mit den Zugriffen zu Mediatheken, auch Bezahl- Abos, sind sie zumindest gleichwertig zu Sende- und Printausgaben.
Dann die Ebene der Community- Medien, die eine neue Blüte erleben: Live- Schaltungen improvisierter Konzerte und anderer Kulturveranstaltungen, Diskussionen, improvisierte Radio- Programme, Bildungsangebote,  etc. – ein Exil für den vakanten öffentlichen Raum. Dieser Raum organisiert sich stärker nach dem Muster der Tribes – Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen verbinden sich darüber.
Schliesslich  die abgeschlossenere, mehr private Nutzung digitaler Medien wie sie mittlerweile flächendeckend verbreitet ist. Eine Nutzung, die aus der Telephonie herausgewachsen ist: Skype, Whats App und andere Messenger. Auch hier gibt es  Gruppenkommunikation von Menschen gleicher Interessen, – es besteht aber weder Anspruch noch Wille, Öffentlichkeit zu sein.
Von der Macht der Plattformen, die lange im Zentrum der Diskussion stand,  ist derzeit kaum die Rede – sie werden zur Adressierung genutzt.  Live- Streamings, Chats haben dort ihre Andockstellen, gewählt werden die, die beim jeweiligen Publikum am populärsten sind.

Bis jetzt (29.3.) kann man den Lockdown als gesellschaftlichen Konsens betrachten.  Reizthemen und Bruchstellen sind aber erkennbar, spürbar an Begriffen wie Ausgangssperre und der Rigidität der Einschränkungen. Wenn Polizeiwagen durch Wohnviertel patrouil­lie­ren und Bürger dazu aufrufen zu Hause zu bleiben, dann applaudieren manche dem starken Staat, andere beobachten es erstaunt, und für viele ist es einfach provokant und übergriffig. Gerade am Wochenende vor der Verschärfung der Massnahmen waren Social Media, v.a. Twitter, voller Postings mit lautstarken Forderungen zu Ausgangssperren,  geradezu einer Einheitsmeinung – manchmal hatte man den Eindruck konzertierter Propaganda. Gab es denn tatsächlich so viele sog. Corona- Parties (und was für welche), wie sie zur Begründung der Einschränkungen herangezogen wurden?
Eine andere Konfliktlinie wird im Falle Adidas deutlich – wenn von der ganzen Bevölkerung maximale Einschränkungen aus Solidarität eingefordert werden, ein milliardenschwerer Konzern sein Gewinninteresse durchsetzt – weckt es nachhaltige Ressentiments. Grundsätzliche Haltungen zur Gesellschaft  werden deutlich.

Die Verbreitungswege, die Spur der Pandemie, folgt oft den Spuren des  internationalen Tourismus, globalen Geschäftsverbindungen und Events wie Fussballmatches, die Reflexe von Rückholung und Risikomanagement sind dagegen national. Europa kommt kaum vor – Appelle richten sich an nationale Gemeinschaften der Solidarität und des Portemonnaies. Eh man sich umsah, waren Grenzen geschlossen. Was helfen dem auch offene Grenzen, der das Haus nicht verlassen  kann? Vorerst beendet ist die beschleunigte Welt der tausend Optionen, der Blick ist auf engere Fenster gerichtet.

Was auffällt:  Die eigene Gefährdung durch das Virus wird selten thematisiert, die Bedrohung eher statistisch erlebt, sie scheint mehr den Alten und ohnehin schon Kranken zu gelten. Anscheinend sieht sich kaum jemand in der digitalen Öffentlichkeit als Teil der Risikogruppe – und wenn, verlässt man sich auf die >80% mit mildem Verlauf und hofft insgeheim auf die Herdenimmunität.

Vgl. u.a.: Andreas Häckermann: Soziologisches zur Pandemie. Eine Sammlung aktueller Wortmeldungen- Soziopolis – gedankenstrich.org: Coronia- Krise und Soziologie. Blog von Jan- Felix Schrape. Yuval Harari: „Wir werden in einer anderen Welt leben, wenn die Krise vorbei ist“, Handelsblatt, 28.3.; Was die Corona Virus-Krise für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet, Zukunftsinstitut.de.  Sondergutachten 2020: Die Gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona- Pandemie . auf Youtube: Wer #RemoteWork sagt, muss auch #NewWork sagen



Overtourism – eine (kleine) Netnographie

Overtourismus ist Buzzword und war in den letzten Jahren immer wieder Nachrichtenthema – man verbindet damit Bilder gigantischer Kreuzfahrtschiffe vor zerbrechlichen Altstadtkulissen, Proteste in Barcelona, Schlange stehen beim Aufstieg nach Machu Picchu und zum Gipfel des Mount Everest, Bierbikes in Innenstädten oder > 15.000 Airbnbs allein in Lissabon.
Overtourismus ist eine Antithese zu nachhaltigem Reisen. “An excessive number of tourist visits to a popular destination or attraction, resulting in damage to the local environment and historical sites and in poorer quality of life for residents(Oxford English Dictionary) kann als Definition dienen.  Es  beinhaltet die Überlastung natürlicher wie kultureller und sozialer Ressourcen. Für Bewohner bedeutet Overtourismus eine Disruption, die Übernahme der Infrastruktur, in Folge oft des Immobilienmarktes durch touristische Bewirtschaftung (manchmal auch Touristifizierung genannt), in Naturgebieten die Störung des oft fragilen ökologischen Gleichgewichts.
Wie wird über Overtourismus im Netz gesprochen, wie umfangreich ist die Diskussion zum Thema, welche Aspekte und welche Standpunkte  treten hervor – und welche Öffentlichkeit wird angesprochen?

Verteilung der Quellen im ausgewählten Zeitraum (erscheint nach Klick in voller Auflösung) Quelle: Radarly, linkfluence

Ein Werkzeug dazu ist Radarly die Monitoring- bzw. Listening Software von linkfluence. Ausgewählt wurde ein Zeitraum von einem Monat zum Begriff #overtourism, ohne sprachliche Einschränkung  – das heisst v.a. auf Englisch. Die Graphik rechts gibt einen Überblick zur Verteilung. Deutschsprachige Quellen mit dieser Schreibweise kamen v.a. aus der Schweiz. Ergänzt wurden die mehr oder weniger eingedeutschten Varianten Overtourismus und Übertourismus, dazu eine Suche bei youtube nach denselben Stichworten. Im wesentlichen sind es Textbeiträge aus Blogs und redaktionellen Medien, auch der Grossteil der Nennungen bei Twitter und Facebook sind Verweise zu längeren Textbeiträgen – (oft sind diese Beiträge etwas älter als der gewählte Zeitraum). Zum einen sind es Sites,  die sich an eine breitere Öffentlichkeit wenden (z.B. National Geographic, CNN, Süddeutsche, NYT),  zum anderen Reiseblogs als Teil einer Travel- Community. In den deutschsprachigen Reiseblogs wird Overtourismus weniger thematisiert, es gibt allerdings eine Liste der Unfluencerungeschminkte Reiseblogs, die davor warnen, wenn denn ein Ort zu touristisch wird.
In den kurzen Formen der Social Media Kommunikation kommt #overtourism überraschend selten vor, das gilt etwa auch für das deutschsprachige TripAdvisor.

Einige Destinationen werden immer wieder genannt: europäische Altstädte, wie Venedig, Dubrovnik, Prag, Amsterdam (vgl. die Entwicklung von Airbnb in Amsterdam 09-19), Barcelona, die Ägäis- Insel Santorini, Plätze an der norwegischen Fjordküste, im deutschsprachigen Raum das österreichische Hallstatt und oft auch Berlin. Ausserhalb Europas klassische Sehnsuchtsorte der Ferne: Bali, Inseln und Strände in Thailand, Angkor Vat, Machu Picchù in Peru, Galapagos, die Osterinsel, Uluru/Ayers Rock in Australien, neu dabei ist Neuseeland; in den USA einige Nationalparks, Big Sur und Lake Tahoe. Dazu manche Orte, die bisher für Zivilisationsferne schlechthin standen, wie Island und der Mount Everest.
Die Reihe lässt sich ausweiten. Die Anziehung von Reisezielen beruht nicht allein auf besonderen Attraktionen, sondern auf ihrem Vibe – den Bildern und Geschichten, die sie bekannt gemacht haben und weiter verbreitet werden. Alle diese Orte haben eine Geschichte, im historischen Sinne oder dem einer Story – das macht sie unverwechselbar, singulär. Städtereisen stellen singuläre Erlebniswerte hervor: Kunstevents, Kulinarik, Nachtleben, Shopping. Berlin steht etwa für the Right to Party: …”the German capital subsists on the debaucherous reputation of clubs like the notorious Berghain” (insider.com). Brooklyn wird als the hippest of hip neighborhoods vermarktet.
Drehorte erfolgreicher Filme und Serien (z.B. Game of Thrones in Dubrovnik und Island) sind ein weiterer Magnet – und auch der begehrte  Unesco- zertifizierte Titel Weltkultur- bzw. -naturerbe treibt Besucherzahlen in die Höhe, setzt eine Roadmap. Oft stehen sie auf einer persönlichen bucket- list von Orten, die man einmal im Leben gesehen haben sollte. Ganz aktuell (5.12.) wurde im Business Insider  eine Liste von 22 destinations that were ruined by tourists over the past decade veröffentlicht. Overtourism wird dort beklagt, wo er die besondere Aura, ein kulturelles Biotop zerstört (s. auch Overtourism.map unten).

Kreuzfahrtschiff in Venedig

Kreuzfahrtschiffe stehen ganz oben in der Kritik. Zum einen wegen der übermässigen Belastung von Umwelt, Klima und Gesundheit mit Abgasen und Abwässern. Ein einziges Kreuzfahrtschiff stösst am Tag so viel CO2 aus wie fast 84.000 Autos, so viel Stickoxide wie etwa 421.00 Autos, so viel Feinstaub wie etwa über 1 Million Autos und so viel Schwefeldioxid wie gut 376 Millionen Autos (vgl. Nabu).
Vor wenigen Jahren und für viele immer noch Traumschiff, sind  die gigantischen Schiffe für andere nur noch Monster der Meere. Städte auf dem Meer, die bei einem Landgang >5.000 Passagiere in die aufgesuchten Stadtzentren entlassen. Kreuzfahrtouristen reisen all inclusive und  lassen nur einen geringen Teil ihrer Ausgaben vor Ort.

Instagramability: hotspot Trolltunga überm Fjord. Bild: hpmoellers / photocase.de

Bücher, Filme (+TV-Serien), Fotos haben schon immer die Lust am Reisen beflügelt.  Iconische Bilder, die früher von der Touristikwerbung  bereitgestellt wurden, werden heute über Social Media und ganz besonders instagram global verbreitet. Instagramability bedeutet die wirksame Inszenierung auf der Plattform- promotional power – oft sind es ganz spezifische Orte, die bereits einem geringeren Ansturm kaum gewachsen sind. Nicht nur instagram, auch andere Plattformen sind voll von iconischen Bildern von Stränden, Stadtsilhouetten und anderen Attraktionen. Reisen werden dokumentiert.
Von Beginn an waren Social Media mit Tourismus bzw. Reisen verbunden. Auch entlegene Orte wurden damit in einen übergreifenden Kommunikationsraum einbezogen. Der Einfluss auf das Reiseverhalten ist doppelseitig. Zum einen verbreiten sich darüber Trends, verstärken sie den Hype und damit Druck auf singuläre Reiseziele, zum anderen bieten sie die umfangreichsten Möglichkeiten zu Information und Planung – gerade auch während der Reise. Sie ermöglichen auch kleineren Akteuren auf dem touristischen Markt die gezielte Kommunikation mit ihrem Klientel – Tribes.  Social Media einen neuen Rahmen der Öffentlichkeit für alle Stakeholder (vgl. Gretzel: The Role of Social Media in Creating and Addressing Overtourism, 2019) 

Golden Age of Budget Tourism heisst es in einem britischen Blog (6/19). Reisen war niemals so einfach, günstig und gefahrlos, so zugänglich für  breite Schichten. Offene Grenzen (für Touristen), die Möglichkeit der Verständigung auf Englisch, evtl. Spanisch. Billige Flüge, günstige Bus- und Zugverbindungen und ein Angebot an Unterkünften jeder Art und jeder Preiskategorie – alles bequem online, oft per App zu buchen. Der Aufwand etwa auf die Kanaren zu reisen, ist nicht grösser als die friesischen Inseln zu erreichen. Kaum ein Ort der Erde, der nicht auf sein touristisches Potential abgeklopft ist.
Fernreisen und Wochenendtrips zählen zum Lebensstil der  Mittelschichten. Ein halbes Jahr Südamerika, Südostasien oder Australien nach Schulabschuss ist keine Seltenheit. Und es sind weltweit mehr geworden, denen dies möglich ist.  1,4 Mrd.  Ankünfte von Touristen weltweit nennt die World Tourism Organization für 2018,  Tendenz steigend um weitere 4 – 6%  pro Jahr.  und international. Wachstum bringt insbesondere der asiatische Markt.

Kritik am Massentourismus gibt es solange es ihn gibt. Massentourismus folgt der Logik der Massenproduktion und ist möglichst effizient organisiert. Massentourismus lenkt die Besucherströme in meist eigens dazu geschaffene Umgebungen abseits gewachsener Strukturen. Der Standort ist oft nur Kulisse, Architektur und Angebot meist austauschbar, örtliche Kultur bestenfalls Folklore – Fake.  Auffallend ist aber, dass in der Diskussion zu #overtourism, abgesehen von Mallorca (+ Ibiza) und evtl. Mykonos kaum klassische Zentren des Massentourismus genannt werden. Orte, die ausschliesslich touristischen Zwecken dienen, kommen in der Kritik nicht vor: There is no overtourism in Las Vegas. Im Falle Mallorca geht es auch eher um die vollständige Inanspruchnahme der Lebenswelt von ca. 880.000 Einwohnern durch touristische Verwertung.
Individualtourismus verstand sich oft als Gegenbewegung zum Massentourismus. Backpacker und Bildungsreisende suchen v.a. authentische Erfahrungen:  Act like the locals. Individualtouristen werden meist lieber Reisende bzw. Traveller genannt und wollen ihre Erfahrungen und Bilder davon selber machen.
Overtourism wird meist mit Mainstream verbunden: Popularisiert von early adopter Travelern, meiden dieselben Kreise allzu populär gewordene Ziele und ziehen weiter, zum next place to be. Spricht man mit Bourdieu geht es um kulturelles Kapital, um Coolness. Öfters wird Overtourism asiatischen Touristen, der neuen Grösse im Tourismus, zugeschoben. Manchmal mit einem rassistischen Unterton:   Es tut mir leid es so formulieren zu müssen aber die Massen von Asiaten, die als große Gruppen über Busse und Schiffe zu den Orten gebracht und dann von ihren Reiseführern durch die Attraktionen gepeitscht werden sind ein(!) großes Problem (anonymer O- Ton). Stimmt das? Einige Studien sehen das Reiseverhalten von Asiaten nicht grundsätzlich verschieden, als das von Europäern und Nordamerikanern.

In der englischsprachigen digitalen Öffentlichkeit ist Overtourism seit längerem ein geläufiger Terminus. Die Diskussion im Deutschen folgt zumeist noch den spektakulären Erscheinungen. Im Alpenraum geht es dazu um eine weitere Erschliessung von Skigebieten.
Was wird empfohlen? Lokal kann wohl einiges eingedämmt werden, manche singuläre Attraktion wird nicht mehr so einfach erreichbar sein. Manchmal heisst es simpel “ein paar Strassen” weiter oder nicht in der Hochsaison, Ausweichziele werden genannt, etwa Valencia statt Barcelona, Linz statt Wien. Das ändert nichts am Druck, der auf attraktiven Zielen lastet. Ähnlich wie Gentrification den Druck auf attraktive Wohngebiete bezeichnet.  Die Abgrenzung von Massen- und Individualtourismus ist immer weniger zeitgemäss. Infrastrukturen werden von allen genutzt, entscheidend sind billige Flüge und schnelles Internet. Tourismus verteilt sich nach kleinteiligen digitalen Mustern. Dabei entstehen neue Lebensstile, wie neomadische Tribes. Die Diskussion zum Tourismus berührt die zu Mobilität und Migration.

Unten die Overtourism map, auf der Orte von Berichten zu Overtourism zusammengetragen sind. Die Auswahl beruht u.a. auf Fallstudien einer Studie des Europäischen Parlamentes. So ist die deutsche Vertretung ausgerechnet die Nordseeinsel Juist.

Vgl. u.a.: Ulrike Gretzel: The role of Social Media in creating and adressing overtourism. In: Overtourism: Issues, realities and solutions (De Gruyter Studies in Tourism, Band 1), München 2019.  250 S.  Karlheinz Wöhler: Overtourism . In: Bauwelt 13., 2019  S. 22 – 25.; ‘Overtourism’? Understanding and Managing Urban Tourism Growth beyond Perceptions. Executive Summary. www.unwto.org; Zukunft des Tourismus #NEO19x



The Art of Coding – Weltkulturerbe Demoscene?

Demoscene -The Art of Coding

Weltkulturerbe, Unesco-zertifiziert  ist eine ganz besondere, global wahrgenommene Auszeichnung. Zunächst verbindet man damit charismatische Stätten wie die Akropolis, Venedig, Versailles oder das Bauhaus, die man einmal im Leben gesehen haben will. Oft sind es touristische Mega- Attraktionen. Andere Monumente erhielten erst mit dem Status  grössere Aufmerksamkeit bzw. eine Neubewertung, wie die Zeche Zollverein in Essen  oder die  Kulturlandschaft Mittelrhein. Jedenfalls verweisen Städte und Regionen mit grossem Stolz darauf.

Weniger bekannt ist die 2003 ins Leben gerufene Liste des Immateriellen Kulturerbes. Gemeint ist hier lebendiges und an Menschen gebundenes Kulturerbe, das kreativ weiterentwickelt wird und gesellschaftlichen Transformationen unterliegt (s. Dt. Unesco- Kommission). Zunächst  sammelten sich in dieser Liste  die einem Volkskultur. So der Geigenbau in Cremona, Yoga aus Indien, weltweit Tänze, Lieder, Rituale und Handwerkstechniken – die sehr oft genau definierten Traditionen folgen. Bisher wenig vertreten sind weniger traditionelle Popularkulturen, enthalten sind z.B. afroamerikanische Musikstile wie der Reggae aus Jamaica, Rumba aus Kuba und der Frevo aus Nordost- Brasilien. Ein weiter gefasster Kulturbegriff zeigt sich bei einigen kulturellen Traditionen, so bei der Mittelmeerküche und dem französischen gastronomischen Mahl (5- Gänge Menü). Vorschläge zum Immateriellen Kulturerbe können von einzelnen, wie auch gemeinsam von mehreren Mitgliedsländern eingebracht werden (vgl. Unesco- Übereinkommen).
Deutschland trat dem Abkommen erst 10 Jahre später bei, und bis jetzt wird das immaterielle Kulturerbe durch den Orgelbau, den Blaudruck und die Falknerei, d.h. bewahrenswertes, aber kaum gesellschaftlich prägendes Kulturerbe, vertreten  – daraus hervor sticht das Genossenschaftswesen – und in der Bewerbungsliste steht die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft. Eine Ebene unter dem Weltkulturerbe gibt es ein bundesweites Verzeichnis  lebendiger kultureller Traditionen und Ausdrucksformen, die in Deutschland praktiziert und weitergegeben werden. 97 Einträge sind darin enthalten, darunter der Rheinische Karneval mit all seinen Varianten, die deutsche Brotkultur, das Skatspiel, als einzige popkulturelle Form hat es der deutschsprachige Poetry-Slam in die Liste geschafft.

Digitale oder auch popkulturelle Kulturen sind ansonsten bisher nicht vertreten.  Das soll sich mit der Bewerbung der Demoscene nun ändern –  auf der Gamescom Konferenz im August in Köln wurde der Antrag vorgestellt – übrigens eine international getragene Bewerbung von Finnland und Deutschland.
Warum gerade die Demoscene?  Wer einmal auf einem Event der Demoscene, wie der Evoke (s. Video Evoke 2016) war, dem fällt neben der sehr nerdigen Festivalatmosphäre v.a. die weitgehende Überschneidung von Publikum und Wettbewerb auf der Bühne auf: anarchisch – kooperativ. Die Szene geht zurück auf das frühe  Computerzeitalter von C64 und Amiga, die immer noch Werkzeuge der Wahl sind. Eine kulturelle Praxis, in der technische Fähigkeiten und gestalterische Phantasie im Digitalen entwickelt werden.

Ein möglichst knapper Code, bei eindrucksvoller optischer Wirkung, gilt als Königsklasse, 4 KB als ein Limit. Der Wettbewerb ist Schaulaufen mit der Ambition des Codens als Kunstform: Was gezeigt wird, kann man als Kompositionen in Code bezeichnen. “Es geht darum den Rechner dazu zu bringen, das coolste machen zu lassen was man je einen Rechner hat machen lassen sehen.” Ist es denn Kunst oder Codehandwerk? Kann es ebenso sein, wie Werke aus Sprache, Tönen oder Bewegung/Tanz – aber das ist eine andere Diskussion. Es geht um gelebte Kultur, die kreativ weiterentwickelt wird.
Kommerzielle Ziele spielen kaum eine Rolle, allerdings werden durchaus beachtliche Preisgelder gezahlt. Es geht um den spielerischen Umgang mit technischen Möglichkeiten bei der Kreation audiovisueller Objekte. Um wirklich teilzunehmen, braucht es einige entwickelte Fertigkeiten, die Begeisterung und ein längeres Engagement voraussetzen. Ein Freestyle von Programmierern, aber eben auch Kompetenzreservoir der Kreativwirtschaft (Games).
Was bedeutet ein digitales Kulturerbe? Ein Bewusstsein davon, dass Digitalisierung ebenso kulturell gestaltet werden kann, wie andere Ausdrucksmittel. Der Begriff Weltkulturerbe ist populär und medienwirksam.

Die Initiatoren selber fassen die Bewerbung so zusammen:  The Demoscene, which is born at the heart of the home computer revolution, has been showing how skills and creativity can be stimulated and implemented in a dynamic cultural practice adopted to digital contexts. Many of its techniques and mindsets became core techniques and influences of the digital change, and are still vibrant today. Seven decades after the invention of computers we think it’s time to push for the next step to take born-digital culture seriously as part of our cultural heritage, starting an initiative to bring the demoscene onto the list of the UNESCO intangible world cultural heritage. So we invite all sceners and non-sceners to join us and support the initiative in the upcoming years.” Andreas Lange & Tobias Kopka  Quelle: http://demoscene-the-art-of-coding.net/


Als Beispiel das Video *YouShould by Haujobb* das auch Einladung zur Evoke 2010 war –  zum download.

 

 



instagram – populäre Kultur und Marketingfarm

manche Orte sind besonders instagrammable

Neben Facebook, youtube, Twitter und LinkedIn, evtl. Snapchat ist instagram eine der Grössen der Social Media, seit April 2012 Teil des Facebook- Konzerns. Im Juni 2018 gab das Unternehmen die Zahl der aktiven instagram Accounts erstmals mit >1 Milliarde an – weltweit. 2012, nach dem Kauf waren es 80 Mill. Täglich werden knapp 100  Mill. Bilder hochgeladen, die gesamte Zahl hochgeladener Bilder ist kaum noch darstellbar. Was für alle Social Media gilt, zeigt sich auch bei instagram: Inhalte/Content werden von Nutzern erstellt, die Plattform von einem Digitalkonzern bewirtschaftet. Zu Beginn eine Foto- Sharing Community, ist instagram heute eine globale visuelle Öffentlichkeit – auf der immer mehr Unternehmen und andere Akteure passende Zielgruppen ansprechen wollen. Diese Öffentlichkeit sortiert sich nach den Prinzipien gemeinsamer Themen und Interessen, wie es aus den Konzepten der Tribes oder von Consozialität bekannt ist.

Neue Verbreitungsmedien bringen neue Möglichkeiten der Verknüpfung von Kommunikation mit sich. Zu Beginn des Jahrzehnts war Digitale Bildkommunikation etwas Neues, sie bündelte die Möglichkeiten, die sich mit dem SmartPhone eröffneten: die sofortige (instantly) Verbreitung  von Bildern an einen Kreis von Abonnenten (abgel. von telegram).
Bilder prägen unseren Blick auf die Welt, und ganz besonders die Konsumwelt. Für jedes neue Medium, jede neue Kulturtechnik lässt sich die Frage stellen,  an welche Stelle sie treten, welche Medien und Techniken sie verdrängen, welchen Platz sie in der populären Kultur einnehmen. Die ständig griffbereite Handy- Kamera, verbunden mit der Möglichkeit der unmittelbaren Weitergabe definierte Photographie neu. Die Bilder von der Welt und vom Konsum verbreiteten sich mehr und mehr über das kleine Format im Stream, weniger über grossformatige Werbephotographie. Das bedeutet nicht, dass Bilder auf instagram nie sorgfältig inszeniert werden, bloss wirken soll es casual und authentisch.

CraftBeer – Consumer Culture der digitalen Zeit

Wie social ist instagram? Wie Twitter, und anders als Facebook, funktioniert instagram nach dem Follower- Prinzip, d.h. solange ein Account nicht auf privat gestellt ist, kann man ihm folgen – abonnieren.  Hashtags (#), die von jedem Nutzer ausgewählt und auch neu eingeführt werden können strukturieren, verschlagworten die Inhalte – und das funktioniert sehr gut. Haben einige der meist verwendeten #, wie #instagood, #photooftheday  kaum inhaltliche Bezüge, verweist  #fashion auf Platz vier  bereits auf eines der primären Themenfelder. Fashion, Food & Travel sind die herausragenden Themen bei instagram.  Dazu kommen nah verwandte Themen wie #beauty, #fitness, #outdoor – vorrangig Lifestyleund dazu gehört das Essen genauso wie Mode, Reisen und Sport – wie geschaffen für die Ausdeutung von Konsumpräferenzen. Es geht um einen singularisierten Konsum, d.h. die konsumierten Güter sind mit Werten und Präferenzen im persönlichen Lebensstil verbunden.
Sicherlich lassen sich nicht alle Themenfelder so offensichtlich Konsumfeldern zuordnen, etwa Landschaft, Architektur, Flora & Fauna – und natürlich sind Haustiere, beileibe nicht nur Hund und Katz, ein ganz ausgeprägtes Feld der digitalen Bildkommunikation  – Tiere gehen immer, und es ist weit mehr als simpler Catcontent.
Es geht immer wieder um Gemeinschaftseffekte über Themen, Interessen und Leidenschaften. Manchmal um ganz bestimmte Erlebnisse, wie z.B.  #myfirsttattoo

instagram hotspot Trolltunga überm Fjord.

Instagram ist Teil einer globalen Popularkultur, mit Erscheinungs-formen wie dem Selfie,  oder Influencerinnen statt Models.  Spektakuläre Orte werden wieder und wieder inszeniert, wie etwa die nebenstehende Trolltunga in Norwegen. Ausserhalb des Bildformats warten schon die Nachfolgenden für den nächsten Shot.
Auch mit Twitter lassen sich Bilder verbreiten, sie sind aber eine “Zugabe” zum Text.  Twitter ist zudem viel stärker aktualitätsbezogen. Den Brand von Notre Dame vor im April 19 liess sich damit etwa so zeitaktuell verfolgen, wie es Sendeanstalten nicht möglich ist. Instagram hat dazu zuwenig journalistisches Potential, Bilder sind nur selten auf Aktualität ausgerichtet.
Wieviel Werbung, Kommerz verträgt ein Netzwerk, ohne dass es die Nutzer nervt und verschreckt? Dort, wo Kunden, Produzenten, Anbieter, Berichterstatter eine Community bilden, gehört es im jeweiligen Maße dazu.  Marketing auf instagram erinnert ansonsten oft an einen Concept Store bzw. Cross Selling, wo immer noch ein passendes Zubehör verkauft werden soll. Kaffeefahrt mit Influencern nennt es die t3n in einem Artikel –  und wie lässt sich Authentizität behalten und gleichzeitig Sales nach oben geschraubt werden (t3n – 4/19)? Interessiert das die Nutzer?

Quellen zur Statistik: statista; brandwatch , futurebiz , https://top-hashtags.com/instagram
Bildquellen: eigene, unten (Trolltunga): hpmoellers / photocase.de



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