Neue Medienöffentlichkeiten?

Öffentliche Orte der Begegnung

Was bleibt von Öffentlichkeit in einer Zeit, in der der öffentliche Raum zeitweise stillgelegt ist? Gibt es ein Exil im Netz bzw. einen Schub in der Entwicklung von Formaten? Welche  Impulse gehen davon aus? Öffentlichkeit soll als der Ort verstanden werden, an dem gesellschaftlicher Austausch, Konsens, eine öffentliche Meinung heranwächst bzw. ausgehandelt wird. Medien- öffentlichkeit kann ein Raum der Begegnung sein, der zwischen Lebenswelten und Erfahrungszusammenhängen synchronisiert*. Einige Überlegungen und Beobachtungen  zusammengetragen ….

Öffentliche Orte halten  Gesellschaften  zusammen. Zunächst die physischen Orte der Öffentlichkeit: Plätze, Märkte, Boulevards, Messen, Bibliotheken, Theater und andere Spielstätten, Clubs, Bars, Cafés u.s.f.  Es sind Orte der Begegnung und der Vermischung. Auf Märkten und Messen werden Waren und Geschäfte ausgehandelt; auch dort, wo nicht gehandelt wird, wird ausgehandelt – zwar nicht materiell, aber das, was sagbar, vertretbar und vorzeigbar ist, Ansichten und Haltungen, Stil und Geschmack.
Medien erweitern Öffentlichkeit über das physisch erreichbare hinaus. Spätestens mit den Zeitschriften der Aufklärung im 18. Jh. konstituierte sich eine nicht ortsgebundene Öffentlichkeit und es begann sich eine öffentliche Meinung herauszubilden.

Massenmedien sichern eine synchronisierte Vorstellung der Realität. Bild: Mike Philippe. unsplash.com

Medienöffentlichkeit bedeutete lange Zeit die Öffentlichkeit der Massenmedien: Presse, TV, Radio; Online- Medien werden nur bedingt dazugezählt. Hervorzuheben ist die Zentralität von Massenmedien, professionalisierte Macher von Medien (Sender) stehen einem medienkonsumierenden Publikum (Empfänger) gegenüber. Das Berufsbild des Journalismus hat sich daran herausgebildet. Wesentlicher Effekt ist eine synchronisierte  Realitätsannahme – Massenmedien sorgen dafür, dass die Vorstellungen von der Realität nicht allzu stark voneinander abweichen, ein grundsätzliches Vertrauen in sie vorausgesetzt. Es sind die Quellen, die herangezogen werden, um eine unsichere Nachricht zu prüfen. Was in den Medien gemeldet wurde, entsprach auch weitgehend der öffentlichen Meinung.
Zugang und mehr noch Kontrolle der Sender wurde zu einer zentralen Machtbasis. In demokratisch kontrollierten Gesellschaften nannten sich Massenmedien gern die Vierte Gewalt, auch wenn sie oft primär wirtschaftlichen Interessen folgten.
Digitale Medienöffentlichkeiten haben das System Massenmedien aufgebrochen. Zwar hat es immer alternative Medienöffentlichkeiten (der Begriff wurde erst in den letzten Jahren einschlägig gekapert und umgedeutet) gegeben, sie verstanden sich meist sub- bzw. gegenkulturell – Einfluss auf die Gesamtgesellschaft nahmen sie erst in einem langfristigen Wandel.

Die frühe Netzöffentlichkeit  der Jahrtausendwende und einiger Jahre danach, später Web 2.0 genannt, verstand sich oft als Bewegung, als eine Netzkultur.  Noch Mitte der 10er Jahre sprach man von einer Netzgemeinschaft (s. New Media Culture, 2015). Damit verbunden waren Erwartungen einer partizipatorischen Kultur und ein gewisses Mass an gesellschaftlicher Utopie, das Energien freisetzt. Heute kann man kaum mehr von einer speziellen Netzkultur bzw. -öffentlichkeit sprechen, höchstens von einer Szene neben anderen.
Seit Jahren wird das Netz von Informationsintermediären dominiert, v.a. den GAFAM**-Konzernen, Zuträgern personalisierter  Informationen und Meinungen, Inhalte und Angebote. Eine Entwicklung, die schon genauso lange kritisiert wird, bis hin zum Überwachungskapitalismus. In diesen algorithmisch figurierten, personalisierten Medienöffentlichkeiten konkurrieren private Kommunikation, redaktionelle Medien, Angebote der Unterhaltungswirtschaft und Werbung um Aufmerksamkeit.

Zoom: Grundversorgung im Lockdown; Bild: Chris Montgomery, unsplash.com

Kann man die Corona- Krise, zumal in der nun länger dauernden Phase, als ein grosses Experiment verstehen, in dem Öffentlichkeit neu erlebt wird? Ohne die Substitution von Funktionen wäre ein Lockdown, der die weitgehende Schliessung der physischen Öffentlichkeit bedeutet, gar nicht möglich gewesen, geschweige denn zu ertragen.
Wo gelingt die Substitution physischer Öffentlichkeit – und wo fühlt sie sich an als Ersatz? Was bleibt davon?  Zwar gibt es manchmal Überdruss (Zoom fatigue),  doch sind Videocall, Online-Konferenzen und -Diskussionen Neues Normal. Tatsächlich erreichen viele Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen mehr Publikum als offline. Die Formate werden bleiben, die letztlich weniger  Aufwand benötigen, als im substituierten Original für Mehrnutzen eingesetzt werden muss. Meist ist es der Wegeaufwand, der eingespart werden kann. Mit vielen Formaten wird experimentiert, die Umsetzungen reichen von sinnvoller Ergänzung zu Notlösung. Messen z.B. scheinen kaum sinnvoll ersetzt werden zu können.
Home Office klingt immer noch nach Notlösung, dabei ermöglicht bereits die gängige technische Ausstattung in vieler Hinsicht ortsunabhängige Arbeit – remote work mit all  seinen  Möglichkeiten.

Einen Hype wie den Start von Clubhouse gab es im Social Web schon lange nicht mehr. Clubhouse kommt gefühlt einer physischen Öffentlichkeit näher als alle bisherigen Social Media Formate. Es wird verglichen mit Barcamps, der re:publica, mit Thementischen und Cafés, wo man sich an den Tisch dazu setzen kann, mit Late- Night Talks und Partygesprächen. Gesprochene Sprache ist die selbstverständlichste Form menschlicher Kommunikation, sie ist definitiv O-Ton und verbürgt Authentizität. Nichts weiter lenkt davon ab, dazu Klarnamen und ein minimalistisches Interface. Themen/Sessions in den Rooms werden angekündigt und nach linearem Programmschema meist zu voller Stunde belegt. Gelegentlich wird aufgezeichnet (etwa für einen Podcast), ansonsten Netzkommunikation ohne Konservierungsmittel.
Der Zeitpunkt hätte nicht passender sein können:  Mitten im Lockdown, im grauesten Januar ohne abendliche Ablenkungen, öffnet sich direkt aus dem Wohnzimmer ein Fenster in eine Öffentlichkeit, die vermisst wird. Mit der Corona- Krise und v.a. ihrer persönlichen Bewältigung gibt es ein übergreifendes Thema, das jeden trifft. Potentiell und oft auch tatsächlich ein Ort des Austauschs und der Meinungsfindung.
Sicher sind im Clubhouse verstärkt diejenigen vertreten, die sowieso “was mit Medien” machen bzw. in öffentlicher Kommunikation aktiv sind: Journalisten, Politiker, Comedians, Social Media Aktivisten und all jene, die mit Unternehmenskommunikation ihr Geld verdienen. Ganz sicher verfolgen etliche Teilnehmer eine Agenda, jede Plattform wird auf ihre Potentiale für Marketing und Unternehmenskommunikation abgeklopft. Die längerfristige Entwicklung hängt wohl von Monetarisierungsmodellen ab.

Wenn es um die Frage gesellschaftlichen Zusammenhalts geht, wird häufig die Fragmentierungsthese herangezogen. Kurz zusammengefasst besagt sie, dass mit der zunehmenden Zersplitterung der Medienangebote und des Nutzerverhaltens  Synchronisierung von Information und einer öffentlichen Meinung verloren geht. Schlimmstenfalls existieren kaum verbundene Medienöffentlichkeiten nebeneinander her. Politische Lager bzw. kulturelle Milieus, “Parallelgesellschaften”  können sich dadurch entfremden.
Common Meeting Ground“ meint den Raum, den ein (demokratisch funktionierendes) Gemeinwesen braucht, um zu erkennen, welche Themen, welche Lösungsansätze, welche Ansprüche etc. wichtig sind, in einen übergreifenden Diskurs gehören und verhandelt werden müssen.  Bleibt man beim Begriff der Synchronisation verschiebt sich deren Ort von einer zentralen Instanz, wie den institutionalisierten Massenmedien in den noch näher zu definierenden Meeting Ground.
Verwendet man den Begriff der Öffentlichen Meinung mit seiner langen Geschichte, gab es immer wieder Medienöffentlichkeiten, in denen sich eine solche herausbildete – begonnen mit dem Beispiel des gebildeten Bürgertums der Aufklärung, das eine Öffentliche Meinung gegenüber einem monarchischen Staat und v.a. einer übermächtigen Religion ins Spiel brachte. Auch später, bis hin zu Gremien wie Ethikräten etc. war es immer wieder eine Bildungselite, die eine Öffentliche Meinung definierte.

Derzeit – mit den Erfahrungen von Lockdown, Corona- Krise und deren sehr unterschiedlich zu tragenden Auswirkungen – gibt es einen kaum zu unterschätzenden Bedarf an Common Meeting Ground, an gesellschaftlicher Abstimmung über das, was als relevant gilt und kollektiver Problemlösungen bedarf (Imhof, 2008), verbunden mit weiteren Debatten zur Zukunftsgestaltung: “Ohne positives Narrativ und die Vorstellung einer wünschenswerten Zukunft gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens, der diese herbeiführen könnte”. Und: “Der größte integrative Faktor einer Demokratie ist eine gemeinsame Zukunftsvorstellung.”  (Harald Welzer, s.u.)

Ganz nebenher fällt auf, dass die plurizentrische Öffentlichkeit besser mit dem Modell der Figurationen  zu verstehen ist – die Öffentlichkeit der zentrierten Massenmedien besser mit den Begriffen der Systemtheorie.

 

* vgl.: Christian Schwarzenegger: Medienöffentlichkeit als Raum der Begegnung, Heinrich Böll Stiftung, Juni 2019, 25 S.;   Felix Stalder Kultur der Digitalität. 2016 ,  Stefan Geiß / Melanie Magin / Birgit Stark / Pascal Jürgens:Common Meeting Ground” in Gefahr? Selektionslogiken politischer Informationsquellen und ihr Einfluss auf die Fragmentierung individueller Themenhorizonte (2018); Kurt Imhof: Theorie der Öffentlichkeit als Theorie der Moderne. In C. Winter, A. Hepp & F. Krotz, Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft (2008, S. 65–89).: Videocalls mit Gunnar Sohn (ichsagmal.com),  Thomas Riedel (Future Future ) und Johannes Meier (journalistic pioneers); Harald Welzer: “Wie sieht eine nachhaltige, moderne Gesellschaft aus?” (ab 27. Min.) ZUKUNFTSFRAGEN – Konferenz zur Nachhaltigkeit| 24.11.2020.**GAFAM= Google-Apple-Facebook-Amazon-Microsoft



Influencer und Personenmarken

Influencer am Werk? Bild: unsplash.com/YouXVentures

Influencers are individuals who have the power to affect decisions of others because of their (real or perceived) authority, knowledge, position, or relationship*.
Influencer Marketing lässt sich als strategische Weiterentwicklung des word-of-mouth verstehen. Word-of-mouth war in den frühen Jahren der Social Media Buzzword, gemeint war die informelle, wertende Kommunikation von Kunden bzw. Konsumenten über Marken**. Die gab es zwar schon immer, war jetzt aber in den Foren und auf den Plattformen live zu verfolgen – und eben auch zu beeinflussen.

Mit dem Social Web sind die öffentlichen Kommunikationsräume dezentralisiert. Marken bzw. Unternehmen suchen Zugang zu den Teilöffentlichkeiten – da, wo sich tatsächliche und potentielle Kunden tummeln – und sie wollen das dort verbreitete Bild von sich zumindest mitgestalten. Aufmerksamkeit ist im Social Web die zunächst entscheidende Währung und ihre Vermittlung hat kommerziellen Wert. Werbung soll sich nicht so anfühlen wie Werbung, Marketing nicht wie Marketing, sondern sich möglichst bruchlos in die Kommunikationsabläufe einfügen. Influencer setzen ihr soziales und kulturelles, auf Bildern auch ein optisches Kapital in sozialen Medien ein.  Die Reputation baut auf Authentizität und Glaubwürdigkeit – zumindest in der Zielgruppe.

Was ist neu am Phänomen Influencer? Neu ist zunächst der Aufbau von Personenmarken mit hohen Reichweiten in Teilöffentlichkeiten. Personenmarken bauen auf die Angebote, das Image und zumeist auf den Stil einer Person, die damit eine interessierte Teilöffentlichkeit erreicht. Das reicht vom Model, das Mode präsentiert, über spezialisierte Reiseblogger zum Journalisten, der moderierte Livestreams zu Wirtschaftsthemen sendet – um einige Beispiele zu nennen. Es gilt der auf Paul Lazarsfeld zurückgehende Satz vom Menschen, der von anderen geschätzt wird und dessen Meinung daher maßgeblich ist – was bedeutet das sie diese Meinung zielgerecht in (Teil-) Öffentlichkeiten verbreiten und auf Einschätzungen und Entscheidungen Dritter Einfluss nehmen.

Personenmarken sind dabei in ganz unterschiedlichem Ausmass werbe- und marketingorientiert. Redaktionell bearbeitete Angebote sind es weniger, zumindest weniger direkt.  Ganz sicher abhängig von der Branche: Mode, Kosmetik sind per se werbeaffin, geht es doch um die Präsentation von Produkten. Und sie werden oft so vorgestellt, wie man es auch aus Modezeitschriften kannte – bekannte Influencerinnen (z. B. Caro Daur) präsentieren sich und die Mode wie Models der 90er Jahre. Andere Modeblogs nehmen hingegen bezug auf popkulturelle Diskurse.
Tourismus findet derzeit zwar nur eingeschränkt statt, bleibt aber ein sehr ausdifferenziertes Feld mit vielen Spezialgebieten: Reiseziele, Sport- und Kulturinteressen, Kulinarisches, Sprachen u.v.m. Tourismusmarketing ist zumeist in die Erzählungen von Erlebnissen eingebunden.  Eng mit Tourismus verbunden sind die Werbemärkte zu Sport- und Freizeitaktivitäten wie Segeln, Tauchen, Klettern, bedingt Radfahren etc. – Tribes, die eine Begeisterung teilen; überall haben sich Influencer etabliert, die ihre oft gut geführte Personenmarke monetarisieren.
Nicht jede Branche, nicht alle Marken erhalten dieselbe Aufmerksamkeit. Es sind diejenigen, über die schon immer gerne und ausführlich gesprochen wurde. Etwa Wein mit seinen vielfältigen kulturellen Bezügen und einer gesprächsfreudigen Klientel. In einigen Branchen sind Produzenten, Handel und Konsumenten Teil einer gemeinsamen Öffentlichkeit, in der ausgiebig diskutiert wird, manchmal durch gemeinsame Werte zusammengehalten, so Nachhaltigkeit bei fairer Mode und anderswo. Und manche Unternehmen haben es gar nicht nötig Influencer und Sponsored Content zu bezahlen – über Apple- Produkte spricht man sowieso. Allesamt spannende Felder für eine Netnographie.

P.O.S.E. Modell von 2014 – (wird nach Klick in neuem Fenster in voller Größe angezeigt)

Nach dem P.O.S.E Modell ist Sponsored Content bezahlte Werbung – Paid Media – die im Umlauf der geteilten Inhalte – Shared Media – verbreitet wird.  Generell ist der Raum der Shared Media zum Verteilungszentrum von Medieninhalten(Content) geworden, und genauso zum  Konkurrenzraum um Aufmerksamkeit.

Influencer- Marketing ist zu einem eigenen Geschäftszweig geworden. Wieviel Werbung verträgt eine Online- Präsenz, eine Community, eine Plattform – ohne das Klientel zu verprellen?Instagram etwa wuchs als Foto- Sharing Plattform, macht mittlerweile oft den Eindruck einer Impuls- Shopping Plattform – im Stream der Bilder von Freunden und Prominenten tauchen immer öfter gesponserte Inhalte mit Link zum Online- Shop auf.

Werbung und Marketing gehen dahin, wo (potentielle) Kunden sind. Ein paar Jahrzehnte stand das TV im Vordergrund – mit oft aufwändigen Spots für ein Massenpublikum, dazu eine eingespielte Balance zwischen Presse und bezahlter Werbung. Öffentlichkeit ist kleinteiliger geworden – singualisierte Märkte und Teilöffentlichkeiten.  Es geht auch um eine neue Balance.

 

Gretzel, U. (2017). Social Media Activism in Tourism. Journal of Hospitality and Tourism, 15(2), 1-14. Mariah L. Wellman, Ryan Stoldt, Melissa Tully & Brian Ekdale (2020) Ethics of Authenticity: Social Media Influencers and the Production of Sponsored Content, Journal of Media Ethics, 35:2, 68-82 * MarketingProfs.com (2016). Build Social Relationships with Influencer Marketing. Accessed online (August 26, 2016). ** Wirtschaftslexikon Gabler  Stefan Schicker: Corporate Influencer Strategien brauchen ein rechtliches Fundament, 9/20 vgl. auch Blogparade zu Personenmarken.



Inside Facebook (Rez.)

Gegenüber dem nüchterneren Original Facebook – The Inside Story klingt der deutsche Titel Facebook- Weltmacht am Abgrund reisserisch, hält manche wohl eher vom Kauf ab. Das Buch erschien  im Februar 2020, kurz vor der Corona- Krise. Autor Stephen Levy ist Technik-Redakteur, Kolumnist und Senior Editor (Wired, Newsweek).
Das Buch (688 S.) beruht v.a. auf über 300 Interviews, die Levy mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern von Facebook geführt hat, darunter sieben mit CEO Mark Zuckerberg – aber auch mit Wettbewerbern, Gesetzgebern, Kritikern etc. Der weitreichende Zugang zu Interna wurde ihm in der amerikanischen Rezeption vorgehalten:  In short, don’t believe everything you read—especially when written by journalists who boast about years of access to billionaires and their accomplices. Access journalism isn’t journalism, it’s corporate propaganda, and this is sadly no different (so FB- Kritiker Aaron Greenspan).  Genauso das Gegenteil: Levy cannot write for more than a few pages without hurling insults at Facebook, Zuck, or any of its many employees. Seriously – open up and read any few pages at random to see for yourself. There’s nothing objective about this writing; a smear campaign, at best (anon./amazon)

Tatsächlich liest sich das Buch als kritisch- analytische Geschichte des – oft aggressiven- Wachstums vom StartUp im Universitäts- Umfeld zum global agierenden so-gut-wie Monopolisten. Dass ein solcher Aufstieg nicht ohne Konflikte, Skandale und ein beträchtliches Macht- und Sendungsbewusstsein gelingt, versteht sich.
Von Beginn an war für die Entwickler klar, dass FB eine Anwendung ist, die für jeden Menschen auf der Welt infrage käme. Allerdings galt dies grundsätzlich für die Möglichkeiten des Web 2.0 – FB ist es gelungen, sie zu bündeln, Konkurrenten auszuspielen und kommerziell zu verwerten. FB wurde zum globalen Gebilde, zum Netz im Netz. Nutzer brauchten kaum mehr technische Kenntnisse, um daran teilzunehmen.

Grossen Raum nehmen die Jahre des Aufstiegs und des unbedingten Willens zum Wachstum bis ca. 2012/13 ein. Move fast and break things ist das Motto dieser Jahre,  die Arbeitshaltung wird als The Hacker- Way beschrieben.  Hacker im Sinne davon, Dinge möglichst schnell auf den Markt zu bringen, um sie später zu verbessern. Liessen sich Konkurrenten nicht kaufen, kopierte man die Funktionen.
Offene Registrierung und der persönliche Newsfeed – mit einem möglichst stetigen Stream von Ereignissen – waren von Beginn an charakteristische Kennzeichen. Einige Merkmale kamen hinzu: der Like- Button, der schnell zum weltbekannten Logo wurde, die Vorschlagsliste people you may know (PYMK) – und damit verbunden die Sammlung von Informationen zu Nicht- Nutzern, sog. Schattenprofile. Hinweise darauf, dass FB mehr Informationen sammelt, als wissentlich mitgeteilt werden.
Wer nicht zahlt, wird selber zum Produkt – ein oft wiederholter Satz. Wahrscheinlich lässt sich das Geschäftsmodell FB am besten als Dreiecksgeschäft beschreiben: je mehr FB von seinen Nutzern weiss, desto besser lässt sich personalisierte Werbung verkaufen. Ohne Mehrwert für Nutzer funktioniert das Geschäft aber nicht. Der Mehrwert ist v..a. Convenience – die einfache Nutzung der Möglichkeiten des Social Web: eine Gruppe anzulegen und Diskussionen anzustossen, Veranstaltungen zu bewerben, live streamen, der Zugang zu (Teil-) Öffentlichkeiten ohne weiteren Aufwand u.v.m – Social Web unter einem Dach.  Werbetreibende Unternehmen kaufen genau diese Zugänge zu klar umrissenen Zielgruppen ein. Darüber wurde  FB- Marketing zu einer neuen (Teil-) Branche des Marketing.

In den frühen Jahren des Social Web standen die demokratischen Effekte der Vernetzung im Vordergrund der Wahrnehmung. So wurde FB als ein Motor des arabischen Frühlings gefeiert. Das Bild änderte sich. Die Marketingmaschine FB kann genauso gut politische Propaganda zielgenau auf ein empfängliches Publikum richten – bei der Trump- Wahl 2016 konnte  dessen Team die Möglichkeiten perfekt nutzen. Die Teilöffentlichkeiten  des Netzwerks sind nicht nur Orte des Austauschs mit Respekt: Hasskommentare, Desinformation/Fake News, simple vulgäre Pöbelei treten immer wieder hervor. Die Datenskandale, v.a. Cambridge Analytica – werden im Buch ausführlich behandelt.
Zu FB gehören der als App ausgelagerte Messenger und die Zukäufe instagram und What’s App, die sich in den letzten Jahren beide besser als die Mutterfirma entwickelt haben. Alle sind sie Teil der Alltags – bzw. Popularkultur geworden.  Instagram  blieb bis jetzt relativ eigenständig, soll in Zukunft stärker integrierte werden. What’s App läuft meist unter dem Radar  und spielt eine enorme Rolle in der Alltagskommunikation und als Treiber von digitalem Tribalismus. In der Kritik steht v.a. das Auslesen der Kontaktlisten von Nutzern.

Facebook ist das jüngste der GAFAM*-Imperien und Mark Zuckerberg der jüngste im Kreise ihrer Herrscher, der einzige aus der Generation, die selber mit dem Computer aufgewachsen ist. FB ging als The winner takes it all des Web 2.0 hervor, 3 Milliarden Menschen nutzen täglich die Dienste des Konzerns zum Kommunikationsaustausch. Macht und Einfluss von FB beruhen auf der Adressierbarkeit von Personen und Zielgruppen im Rahmen der Struktur, die FB bietet.
Thema des Schlusskapitels ist die im März  2019 verkündete Strategie The Next Facebook als Paradigmenwechsel  zu A Privacy Focused Vision for Social Networking. Levy sieht sie zumindest kritisch. Dahinter steht sicher die Frage, wie Unternehmen, die sich in  einer Medienrevolution rasend schnell entwickelten, ihre Bedeutung in einer Welt halten,. die ja nicht  aufhört, sich zu verändern.

Das Buch liest sich flüssig, ist detailreich recherchiert und soweit anekdotisch, dass Personen und Atmosphäre vorstellbar werden. Als ein erzählendes Sachbuch steht es irgendwo zwischen Unternehmensbiographie, Langzeitreportage aus Silicon Valley und einer Kulturgeschichte der Gegenwart zum Medienwandel. Personell tritt neben Zuckerberg v.a. Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg hervor.
Die umfangreichen Quellenangaben,  Sach- und Personenregister  machen es einfach im analog gedruckten Text zu navigieren.

Stephen Levy:  Facebook. Weltmacht am Abgrund    Droemer Knaur, München 2020.  687 S.  26,- € – Orig.: Facebook: The Inside Story,   GAFAM = Google/Alphabet, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft

 



Corona, PhysicalDistancing und die Digitale Öffentlichkeit

Steht im Mittelpunkt: Das Corona- Virus; Bild: unsplash.com

Fast noch mehr als das Virus selber hat #Corona als Medienthema innerhalb weniger Wochen  die Öffentlichkeit überrollt. Zuerst die Bilder aus dem fernen China, dann aus dem nahen Italien. Bilder von der Abriegelung ganzer Regionen, dann die von überlasteter  medizinischer Versorgung. Schliesslich wurde #Corona/ #Covid-19 zu dem Thema, neben dem alles andere in der öffentlichen Kommunikation verschwindet.
Ansteckende Krankheiten zählten immer zu den Geisseln der Menschheit, waren einer der Apokalyptischen Reiter – und sie leiteten immer wieder gesellschaftliche Veränderungen und Umwälzungen ein. Aber jetzt ist es weniger die Furcht vor der Krankheit selber, sondern die vor den Grenzen der Beherrschbarkeit, konkret der Überlastung der medizinischen Versorgung. Das Risikomanagement ist darauf angelegt, die Verbreitungsgeschwindigkeit, den Anstieg der Kurve, zu verringern,  #flattenthecurve.  Die möglichen Übertragungswege, also die physischen Kontakte, sollen so massiv reduziert werden, dass das Virus durch deren Stillegung eingedämmt wird. Solange kein Impfstoff oder wirksame Medikamente entwickelt sind, kann aber diese Kurve immer wieder anwachsen.
Es begann mit Empfehlungen zur Handhygiene, Absagen von Grossveranstaltungen, von  immer mehr Schliessungen der Gastronomie, von Schulen, Sportstätten – allen Orten, an denen Menschen zusammentreffen,  bis schliesslich zu nie dagewesenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Grundrechten auf Bewegungsfreiheit, dem Lockdown einer ganzen Gesellschaft und Volkswirtschaft unter dem harschen Regime eines #SocialDistancing.  Der politisch durchgesetzte Begriff ist eigentlich falsch – es geht um die  rein physische, nicht die soziale Distanz – #PhysicalDistancing. Gäbe es keine Digitale Öffentlichkeit, wäre es tatsächlich Social Distancing.

#Corona wird zum Top- Thema: Twitter (D) Febr/März 2020

Scenarios und Einschätzungen zum weiteren Verlauf, für die Zeit danach und die Auswirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen gibt es mittlerweile zuhauf und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven  – und sicher geht es auch darum, auf dem Markt der Deutungen Präsenz zu zeigen. Man stellt sich auf für Forschungsprojekte und Beratungsangebote.
Welche gesellschaftlichen Verwerfungen Covid-19 und der Lockdown mit sich bringt, ist längst nicht abzusehen. Da ist die Pandemie selber, dann die Folgen und die Reaktionen auf den Lockout. Die wirtschaftliche Perspektive einer tiefen Rezession, dazu die Bedrohung zahlloser einzelner Existenzen. Was bedeutet es für eine Öffentlichkeit, wenn ihre physischen Schauplätze, Bildungseinrichtungen, Kulturbetriebe, Gastronomie, Läden, oft selbst der Park und Ausflugsziele  auf unbestimmte Zeit geschlossen sind? Wie kann das öffentliche Leben nach einem solchen “Winterschlaf” wieder Fahrt aufnehmen?
Einen Einschnitt bedeutet Corona und der Lockdown wohl überall. Die grosse unbekannte Variable ist ein medizinischer Grosser Wurf, der dem ganzen ein Ende macht.

Home Office wird zur Selbstverständlichkeit; Bild: Gunnar Sohn

Kann es überhaupt eine Situation geben, in der sich digitale Medien mehr bewähren können als unter den Bedingungen einer physischen Kontaktsperre? Nur mit digitalen Medien bleibt eine öffentliche Sphäre erhalten. Der Lockdown, beschleunigt zudem die Durchsetzung digitaler Kommunikation und Organisation in der Arbeitswelt  – Home office/Remote Work ist zunächst die einzige Möglichkeit, einen Workflow aufrecht zu erhalten. Was bis jetzt v.a. bei Soloselbständigen üblich war, wird jetzt vermehrt in Unternehmen und Behörden, sogar Ministerien akzeptiert – weil es die einzige praktikable Lösung ist. Videokonferenzen anstelle von Meetings. Ein gut ausgestattetes Home Office wird zum Standard und dem Fenster zur Welt. Ein Icon des Lockdown ist die Webcam, Zoom die Software der Stunde.

Gerade jetzt kann man drei Stufen digitaler Medien unterscheiden, die zumeist über dieselben Bildschirme übertragen werden: die grossen redaktionellen Sender- zu- Empfänger- Medien, öffentlich- rechtliche Sender und die überregionale Presse, von  ihnen wird gesicherte Berichterstattung und die Darstellung unterschiedlicher Positionen erwartet. Onlineauftritte sind längst nicht mehr ein begleitendes Zusatzangebot, mit den Zugriffen zu Mediatheken, auch Bezahl- Abos, sind sie zumindest gleichwertig zu Sende- und Printausgaben.
Dann die Ebene der Community- Medien, die eine neue Blüte erleben: Live- Schaltungen improvisierter Konzerte und anderer Kulturveranstaltungen, Diskussionen, improvisierte Radio- Programme, Bildungsangebote,  etc. – ein Exil für den vakanten öffentlichen Raum. Dieser Raum organisiert sich stärker nach dem Muster der Tribes – Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen verbinden sich darüber.
Schliesslich  die abgeschlossenere, mehr private Nutzung digitaler Medien wie sie mittlerweile flächendeckend verbreitet ist. Eine Nutzung, die aus der Telephonie herausgewachsen ist: Skype, Whats App und andere Messenger. Auch hier gibt es  Gruppenkommunikation von Menschen gleicher Interessen, – es besteht aber weder Anspruch noch Wille, Öffentlichkeit zu sein.
Von der Macht der Plattformen, die lange im Zentrum der Diskussion stand,  ist derzeit kaum die Rede – sie werden zur Adressierung genutzt.  Live- Streamings, Chats haben dort ihre Andockstellen, gewählt werden die, die beim jeweiligen Publikum am populärsten sind.

Bis jetzt (29.3.) kann man den Lockdown als gesellschaftlichen Konsens betrachten.  Reizthemen und Bruchstellen sind aber erkennbar, spürbar an Begriffen wie Ausgangssperre und der Rigidität der Einschränkungen. Wenn Polizeiwagen durch Wohnviertel patrouil­lie­ren und Bürger dazu aufrufen zu Hause zu bleiben, dann applaudieren manche dem starken Staat, andere beobachten es erstaunt, und für viele ist es einfach provokant und übergriffig. Gerade am Wochenende vor der Verschärfung der Massnahmen waren Social Media, v.a. Twitter, voller Postings mit lautstarken Forderungen zu Ausgangssperren,  geradezu einer Einheitsmeinung – manchmal hatte man den Eindruck konzertierter Propaganda. Gab es denn tatsächlich so viele sog. Corona- Parties (und was für welche), wie sie zur Begründung der Einschränkungen herangezogen wurden?
Eine andere Konfliktlinie wird im Falle Adidas deutlich – wenn von der ganzen Bevölkerung maximale Einschränkungen aus Solidarität eingefordert werden, ein milliardenschwerer Konzern sein Gewinninteresse durchsetzt – weckt es nachhaltige Ressentiments. Grundsätzliche Haltungen zur Gesellschaft  werden deutlich.

Die Verbreitungswege, die Spur der Pandemie, folgt oft den Spuren des  internationalen Tourismus, globalen Geschäftsverbindungen und Events wie Fussballmatches, die Reflexe von Rückholung und Risikomanagement sind dagegen national. Europa kommt kaum vor – Appelle richten sich an nationale Gemeinschaften der Solidarität und des Portemonnaies. Eh man sich umsah, waren Grenzen geschlossen. Was helfen dem auch offene Grenzen, der das Haus nicht verlassen  kann? Vorerst beendet ist die beschleunigte Welt der tausend Optionen, der Blick ist auf engere Fenster gerichtet.

Was auffällt:  Die eigene Gefährdung durch das Virus wird selten thematisiert, die Bedrohung eher statistisch erlebt, sie scheint mehr den Alten und ohnehin schon Kranken zu gelten. Anscheinend sieht sich kaum jemand in der digitalen Öffentlichkeit als Teil der Risikogruppe – und wenn, verlässt man sich auf die >80% mit mildem Verlauf und hofft insgeheim auf die Herdenimmunität.

Vgl. u.a.: Andreas Häckermann: Soziologisches zur Pandemie. Eine Sammlung aktueller Wortmeldungen- Soziopolis – gedankenstrich.org: Coronia- Krise und Soziologie. Blog von Jan- Felix Schrape. Yuval Harari: „Wir werden in einer anderen Welt leben, wenn die Krise vorbei ist“, Handelsblatt, 28.3.; Was die Corona Virus-Krise für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet, Zukunftsinstitut.de.  Sondergutachten 2020: Die Gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona- Pandemie . auf Youtube: Wer #RemoteWork sagt, muss auch #NewWork sagen



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