Hypes: Metaverse – Web3 – ChatGPT – Vom Zweiten zum Dritten Netz?

Metaverse, Web3, Chat GPT Hypes darüber, was unsere digitale Zukunft sein soll, reihen sich aneinander.
Die Hypes zu Metaverse und Web3  sind  mittlerweile abgeflacht bzw. entzaubert. Beide wurden immer wieder als neue Stufen der digitalen  Evolution genannt, successor states des Internet, wie wir es kennen.

Metaverse ist mehr als immersive Technik. Graphik: Thomas Riedel

Hypes sind zumeist mit Narrativen einer zu erwartenden Zukunft verbunden.
Metaverse knüpft an aus Science Fiction bekannte Visionen einer virtuellen, aber doch sinnlich erlebbaren Welt.
Das Metaverse ist mehr als Was mit VR- Brillen. Definitionen gibt es eine Reihe, entscheidend ist eine Infrastruktur, die Nutzer bruchlos zwischen einzelnen, durch Daten erzeugte Realitätserfahrungen wechseln und sie erleben lässt. Umgebungen, in der solche – sozialen und sinnlichen – Erfahrungen möglich sind, wären tatsächlich etwas, that will revolutionize everything.
All die Fragen nach dem Wandel von Öffentlichkeit, von Vergemeinschaftung, nach einem gesellschaftlichen Common Meeting Ground, aber auch nach der Marktteilnahme und den Möglichkeiten des E- Commerce stellen sich dann erneut. Nicht miteinander verbundene, in sich geschlossene virtuelle Welten sind kein Metaverse, es sind einzelne immersive Erfahrungen, gated experiences,  die aber keine neue Infrastruktur des Internet mit sich bringen. Abgeflacht ist v.a. der von  Meta/ Ex- Facebook angefachte Hype.

Web3 galt lange Zeit als selbsterklärter Nachfolger von Web2 – jede Entwicklungsstufe des Internet fügt demnach eine neue Funktionsebene hinzu, so folge Web3  in gerader Linie auf  Web1  und Web2, von read-only to read & write to read-write-own (vgl Graphik zur Geschichte des Web, Voshmgir) – von der Plattformökonomie zur Token- Ökonomie. Begriffe und Konzepte wie Blockchain, NFTs, DAOs, Smart Contracts und Kryptowährungen sind mit Web3 verbunden. Kernstück ist die Blockchain, die dezentral angelegte, von den Nutzern gemeinsam genutzte und betriebene Datenbank.
Die Financial Times beschrieb Web3 als Bewegung, die auf dem Gedanken basiert, dass die Blockchain-Technologie, die die Krypto-Vermögenswerte aufzeichnet und verfolgt, eine neue Generation von nutzergesteuerten Online-Diensten unterstützt, die die heutigen Internet-Giganten entthronen werden (FT, 7/22).
Die ‘Bewegung Web3′ vereint dabei eine eher unübersichtliche Gemengelage von Interessen und Motivationen. Nach aussen geht es um Dezentralität, um  Datenaustausch ohne Intermediäre. Allerdings nicht um eine evolutionäre Weiterentwicklung, sondern um eine aktiv von versch. Netzwerken gestaltete Vision, etwa wie eine Landkarte, die ihr eigenes Territorium absteckt (vgl. Sadowski & Beegle, 2023). 
Die Bandbreite dieser Szene ist breit. von den  Künstlern, die in NFTs die Möglichkeit von Einkünften sehen, bis zu cyberlibertären Kreisen und einem Anarchokapitalismus in einem tendenziell staats- und politikfreien Raum. 
Selten habe ich eine so vernichtende Kritik, wie die von J. Geuter / @tante an Web3 gelesen: ein moralisch abgrundtief widerliches Projekt;  in der heutigen Form fundamental kaputt (Das Dritte Web) Ein Casino der Zocker.   Dagegen steht die Eigendarstellung: “Our passion is delivering Web 3.0, a decentralized and fair internet where users control their own data, identity and destiny.”
Sadowski & Beegle legen in ihrer Web3 Analyse (3/2023, s.u.) nahe, Web3 als eine Fallstudie zu den Innovationen innerhalb des dominierenden Modells von Venture Kapitalismus im Silicon Valley zu sehen.

Der dritte Hype – Chat GPT – ist noch ungebrochen. Zuerst mit der kostenlosen  Version 3, seit dem 16.03. mit der leistungsfähigeren Version 4.  Im Unterschied zu Metaverse und Web3 geht es nicht um eine komplette Infrastruktur, sondern um den weitflächigen Einstieg in eine Technologie. Artificial Intelligence/ Künstliche Intelligenz  wird schon lange diskutiert, und jetzt steht sie öffentlich – zumindest in der Version 3 – kostenlos zur Verfügung.
Chat GPT und seine schnell nachgefolgten Konkurrenten (Bard)  sind Werkzeuge des maschinellen Lernens, die in riesigen Datenmengen nach Mustern suchen und statistisch wahrscheinliche Ergebnisse erzeugen. Wirklich nutzbar wird es mit Prompt Engineering,  der Technik, die eigenen Anweisungen so zu formulieren, dass sie vom System am besten verstanden werden  – und somit Ergebnisse erbringen, die den Erwartungen am nächsten kommen – bzw. sie übertreffen.

Chat GPT auf die Frage, welche 30 Berufe durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. v. Marco Petracca (erscheint auf Klick in voller Auflösung)

AI/ KI kann eine grosse Reihe von Tätigkeiten  automatisieren (s. Graphik re.). Inwieweit damit Berufe verschwinden – oder ob KI von bestimmten Arbeitsgängen entlastet,  ist eine jeweils eigene Frage. Unternehmen werden oftmals den Rationalisierungsgewinn für sich beanspruchen und einbehalten. Meist gilt:  je höher der Status desto besser die Chancen.
Kritik bzw. relativierende Beschreibung richtet sich v.a. auf das Datenmaterial, die Vorstellung von Intelligenz. Noam Chomsky konstatiert in dem viel beachteten Guest Essay The False Promise of Chat GPT  in der New York Times (8.03.23)  High-Tech Plagiarism – in der wir unsere Wissenschaft und Ethik herabstufen, indem sie in unsere Technologie eine fundamental falsche Konzeption von Sprache und Wissen einfließen lässt.
James Bridle benennt im Guardian (16.03)  eine Aneignung bestehender Kultur in einem Umfang kaum begrenzten Ausmasses durch Techunternehmen (16.03).
Weitere Kritik kommt von Ted Chiang im  New Yorker als ChatGPT is a blurry jpg of the web + dem Untertitel Der Chatbot von OpenAI bietet Paraphrasen, während Google Zitate anbietet. Was ist uns lieber? schrieb The New Yorker  Wie bei jpg und mp3 gehen Informationen bei der Datenkompressionen verloren, oft genug werden Artefakte erstellt.
Mir fällt eine Parallele ein:  Wäre ChatGPT somit für die Wissensgesellschaft das, was mp3 für die Musikkultur ist?

Der Output von ChatGPT ähnelt Stilvorlagen, entspricht oft bekannten Mustern, einem Mainstream des Internet – aber was wäre anders zu erwarten?

Hypes werden inszeniert, von Investoren angetrieben.  Gemeinsam ist allen drei Hypes, dass sie eine ganz bestimmte Zukunft als zwangsläufig inszenieren:  futures appropriation – vereinnahmte Zukünfte – zumeist nach einem von Investoren vorgezeichneten Modell.  Ergreift man diese Zukunft nicht, gerät man ins Hintertreffen. Ebenfalls gemeinsam ist ihnen ein  Energieverbrauch in noch unbestimmter Grössenordnung – das muss in Zeiten der Klimakrise vermittelbar sein. Virtuelle Welten, Blockchain und der Chatbot verbrennen viel beim Umschlag von Datenmengen …
Der Hype ums Metaverse hat immersive Technologien vorangetrieben. Mit dem Metaverse war und ist immer auch die Formel  verbunden, dass es das Metaverse noch gar nicht gibt – das hält die Vision offen. Andere Unternehmen, wie NVidia und Epic bauen an Standards, auf denen – maybe someday – ein Metaverse BtoC  entstehen kann.
Web3
scheint in dieser Form ausgebremst –  dahinter stecken aber weiter verbreitete Muster aus Tech Industry und Venture Kapitalismus, die schon  lange existieren und weiter bestehen bleiben.
An ChatGPT werden wir uns gewöhnen – auch ziemlich schnell Texte, E- Mails und andere Ausgabeformate erkennen, die damit erstellt wurden …. und wenn es sehr gut ist, dann steckt wohl doch ein Autor dahinter …

Vor mittlerweile rund zwei Jahrzehnten war das Web 2.0., eine Nutzungsevolution,  mit einem basisdemokratischen Aufbruch verbunden. Der Wunsch nach freiem Zugang zu  Wissen, Information und Austausch darüber war ein Antrieb der Verbreitung. Jede/r sollte die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen.  Auch das mobile Web, etwa seit der Einführung des  iPhone wurde weitflächig begrüsst – fast jeder wollte dabei sein.
Das Oligopol der digitalen Welt – im wesentlichen die GAFAM*- Unternehmen setzte sich irgendwann mit Social Media und der Plattformisierung durch (vgl. M. Seemann). Lange Zeit blieb es erstaunlich stabil, jetzt scheint es in Bewegung zu kommen, Konkurrenzen werden spürbar. Social Media zeigt Ermüdungserscheinungen (ein weiteres Thema). Das in Social Media verdiente Geld sucht Anlagemöglichkeiten – das sind die Triebfedern zum neuen (dritten?) Web. Von Enthusiasmus, wie damals, ist wenig zu spüren, eher Routinen. Doch prägen technische Infrastrukturen soziale Erfahrungswelten.

Jathan Sadowski & Kaitlin Beegle: Expansive and extractive networks of Web3. In:: Big Data & Society. January–June: 1–14, 2023 Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Bullshit, der (e)skaliert. Golem 16.03.23. James Bridle: The Stupidity pf AI – Artificial intelligence in its current form is based on the wholesale appropriation of existing culture, and the notion that it is actually intelligent could be actively dangerous. The Guardian 16.03.23 —  Ted Chiang: Chat GPT is a blurry jpeg of the web. The New Yorker. 9.02.23  Noam Chomsky: The False Promise of ChatGPT. New York Times 8.03.23    Natasha Lomas: Metaverse is just VR, admits Meta, as it lobbies against ‘arbitrary’ network fee . Techcrunch.com 23.03.2023. Paul Murray: Who Is Still Inside the Metaverse? Searching for friends in Mark Zuckerberg’s deserted fantasyland. Intelligencer. 15.03.23



Narrative und Innovationen – keine Rezension

Was verbindet Narrative und Innovation, wie kommt beides zusammen in einen Titel? Einer der beiden Herausgeber (Lutz Becker) verwies mich kürzlich auf den nebenstehenden Titel Narrative and Innovation aus dem Jahre 2013.  Damals ging es darum, gesellschaftliche Narrative als Ressource für industrielle wie soziale Innovationen heranzuziehen: How can innovation be derived from societal narratives contribute to industrial and social innovation? (7).  Am Anfang jeder Innovation steht eine Geschichte über die beabsichtigte Zukunft. Diese Geschichte ist gewissermaßen das Rückgrat des Innovationsprozesses: Sie ist Landkarte und Vision zugleich. In anschließenden Analysen erfolgreicher Innovationsprozesse lassen sich die Geschichten dahinter sehr gut erkennen (vgl. Müller, S. 140). Ähnlich sieht es Jens Beckert in Imaginierte Zukunft (2016/18): Innovationen sind mit  fiktionalen Erwartungen/ Imaginationen zukünftiger Zustände der Welt verbunden – Begriffe die Beckert anstelle von Visionen, Versprechen etc. verwendet. Innovationen sind dabei Imaginationen technologischer Zukunft. Er bezieht sich dabei auf Josef Schumpeter (274 ff).

Buzzwords gibt es viele und immer wieder.  Mega- Buzzwords wurden bisher noch nicht beschrieben, aber wenn, dann haben Innovation und  Narrativ(e)  mittlerweile das Zeug dazu (+ agile).
Befasst man sich mit Digitalisierung, Zukunft und langfristiger gesellschaftlicher Entwicklung stösst man unweigerlich und immer wieder  auf den Begriff Innovation, meist mit einer ganzen Reihe von Konnotationen – Narrativen – aufgeladen  (vgl. Innovation und Gesellschaft, 3/19) .

Man kann es drehen: Welche Narrative bedient Innovation?und: Was ist so innovativ an Narrativen?
Allein vom Namen her stehen Innovationen in einem Fortschrittsnarrativ, sie sind dessen einzelne Bausteine.  Zunächst bedeutet Innovation  geplante und kontrollierte Veränderung, Neuerung und Anwendung neuer Ideen und Techniken in einem sozialen System durch Anwendung neuer Ideen und Techniken, bisher unbekannter Produkte oder Rollen in einem sozialen System oder Subsystem … Initiativen dazu gehen meist von kreativen einzelnen aus – so steht es im Lexikon zur Soziologie (2007). Gemeint ist meist die wirtschaftlich erfolgreiche Umsetzung von Erfindungen und Ideen, ein Transfer von Forschung und Wissenschaft in die Industrie bzw. Wertschöpfung – etwas das gezielt gefördert wird, und das man auch messen kann.
Innovationen sind ein Grundstein kapitalistischer Dynamik, Wachstum wird durch die Einführung neuer Produkte, durch eine effizientere Produktion  und die Ausweitung von Marktbeziehungen angetrieben. Innovationsraten haben enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Unternehmen, Regionen und ganzen Volkswirtschaften. Würden sie sich signifikant verlangsamen, würde die Wirtschaft stagnieren  (Beckert, S.  267ff).  Innovationen können ganz unterschiedlicher Art sein, im Alltag begegnen sie uns als spürbare Neuerungen, wie das SmartPhone oder  medizinischer Fortschritt – oder eben auch als kompostierbares Acetat, aus dem die stylische Sonnenbrille gefertigt wurde,  oder dem mit seinen Nutzern gemeinsam entworfenen Basketballschuh. Mit Digitalisierung, der Entwicklung von Computer- und Netztechnik ist ein wesentlicher Schub von Innovationen verbunden, ausgelöst durch  Basisinnovationen in der zu Grunde liegenden Technologie. Wenn der Investor und Silicon Valley Oligarch Peter Thiel in seinem Buch  Zero to One Innovation als Rettung unserer Gesellschaft beschreibt, dann verfolgt er einen eigenen Narrativ des technischen Fortschritts, den man auch als kalifornische Ideologie bezeichnet.

Narrativ/f als Adjektiv im Sinne von erzählend gab es im Deutschen, wie auch in anderen Sprachen schon lange. Die heutige Bedeutung Sinnstiftende Erzählung geht auf eine Übersetzung der grands récits bzw. Metaerzählungen   von J.F. Lyotard vom Französischen ins Englische  (SZ, 25.08.17)* zurück. Gemeint waren die  Hauptströme der abendländischen Philosophie im Gefolge Kants und Hegels – daraus wurden dabei die grandes narratives, die es nach Lyotard zu überwinden galt.. In diesem Sinne  ist Narrativ als Substantiv im Deutschen  erst seit 1994 belegt.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Verbindung technologische Innovation/ ökonomischer Fortschritt ein zentraler Gedanke. Ein Satz wie Deutschlands wirtschaftliche Stärke hängt von der Innovationskraft der Unternehmen ab*² entspricht  allgemeiner Überzeugung – und kann als ein zentrales Narrativ und Ausdruck  von Identität als führende Industrienation gelten.
Innovation ist wirtschaftspolitischer Impetus, ohne Innovationen kein Wachstum. Der Zwang bzw. Druck zur Innovation ist aber auch Treiber der Beschleunigung, die Hartmut Rosa beklagt – ein gegenläufiges Narrativ. Manchmal entsteht der Eindruck, dass es oft dieselben Menschen sind, die Beschleunigung betreiben, um sie dann  besinnlichen Stunden zu beklagen.

Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen von Samira El Ouassil und Friedemann Karig, ist  ein ziemlich erfolgreiches,  lesenswertes und unterhaltsames,  im Stil essayistisches Sachbuch, erschienen 10/21. Ein Buch, das Narrative als Konstanten menschlicher Zivilisation ausbreitet, von antiken Dramen zu  Netflix- Serien, ganz besonders in den Genres der Popularkultur, dem Film und der Popmusik. Eine Fundgrube der Narrative und ihrer Verzweigungen, das Buch sammelt ein, was den Begriff populär gemacht hat.  Die Geschichte der Menschheit ist auch die Summe der geteilten Geschichten.  Ganz zum Schluss steht der Satz Unsere These war und ist, dass Narrative, verpackt in mächtige Kulturprodukte, politische Programme oder platte Popsongs, heute die größte transformative Kraft besitzen (274). Mir scheint das zweifelhaft: Dass Narrative transformative Kraft ausdrücken können, macht  sie nicht  zu der Kraft selber. 

Sinnstiftende Erzählungen gab es zu allen Zeiten, die meiste Zeit waren sie mythologisch, religiös, zumindest philosophisch eingebunden: in Meta- Narrative – auch diesen Begriff gibt es. Gemeint sind die übergeordneten Ideen und Weltanschauungen und diese waren lange Zeit religiös, später von der Philosophie der Aufklärung bestimmt. Auch die Werke von  Max Weber und Karl Marx werden als solche, genauso wie Arbeit und Sparsamkeit als zentrale gesellschaftliche WerteMeta-Narrative bilden den Humus, aus dem konkrete politische Überzeugungen erwachsen, zumal in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wo Vorstellungen von Gerechtigkeit und Anstand zentral sind *³.

Warum wurde ein Begriff wie Narrativ gerade jetzt so attraktiv? Meine Vermutung: Unterschiedliche Sinnangebote und Erzählstrukturen der Realität (z.B. Querdenker) stehen im Social Media Zeitalter sichtbar nebeneinander, oft ganz banal in der Twitter- Timeline. Will man die Angebote nutzen, muss man erkennen, was zusammenhängt und was nicht. Narrative sind die erkannten Pfade im Dschungel der öffentlichen Kommunikation unserer Zeit. Ist die wahrgenommene Realität dann der erkannte Narrativ?
Den Social Media vorausgegangen sind  Erfahrungen in den Popularkulturen. Filme und Popmusik verwiesen immer wieder, versteckt oder offen, auf übergreifende Erzählungen, Stimmungen und Moden. Referentialität meint die “Nutzung bestehenden kulturellen Materials für die eigene Produktion” (s. Kultur der Digitalität, F. Stalder, 2016) und wohl auch der  eigenen Argumentation; wir kennen es aus Remixes, Collagen, MashUps, Coverversionen, Inszenierungen wie Cosplay: Einzelne Elemente werden mit neuer Bedeutungszuweisung zusammengeführt.

Aus dem übermässigen Gebrauch einzelner Begriffe werden dann Buzzwords. Die auf Wirkung bedachten Kommunikationsagenten in WErbung, PR und Unternehmensberatung sind die Verbreiter davon. Es ist wie in der Küche: wenn ein Begriff sich verbreitet und dabei noch klug klingen soll, schmeckt eine Zeitlang alles nach Balsamico.

vgl. Innovation und Gesellschaft –  *s. Sueddeutsche Zeitung vom 25.08.2017: Anfang der Achtzigerjahre fingen angelsächsische Geisteswissenschaftler allerdings an, das Wort “Narrativ” gehörig aufzublasen. Schuld war der Versuch, Jean-François Lyotard, den französischen Gründervater der Postmoderne, ins Englische zu übertragen. Aus dessen “grands récits” oder “Metaerzählungen” – gemeint waren die Hauptströme der abendländischen Philosophie im Gefolge Kants und Hegels – wurden dabei die “grandes narratives”, die es nach Lyotard zu überwinden galt. *² aus: Innovation: digital und mit Begeisterung. Impact Mediaverlag , Juli 2021. Samira El Ousassil & Friedemann Karig: Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen, 2021, 522 S. *³ Henrik Müller im Manager Magazin, 4.07.2022  Jens Beckert: Imaginierte Zukunft. Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus, Berlin 2018. 568 S. –  Andreas P. Müller & Lutz Becker (Eds.) Narrative and Innovation: New Ideas for Business Administration, Strategic Management and Entrepreneurship (Management – Culture – Interpretation). darin: Michael Müller: How Innovation become Successful through Stories, 139 ff.)



Buzzwords z. B. Transformation, 2.0 und 4.0, Big Data

Wortwolken

Mit Buzzwords ist es so eine Sache. Es fällt leicht, sich über sie lustig zu machen (z. B. Buzzword Bingo): Begriffe, die auftauchen, auf wichtig tun, zum Hype werden, und irgendwann wieder verflauen. Manchmal treffen sie den Zeitgeist – oft ist es Wortgestöber. Meist sind sie auf Englisch, der Sprache der Digitalisierung.
Ein wenig funktionieren sie wie Popsongs: Sind sie gut, drücken sie das aus, was noch unbenannt in der Luft liegt. Das löst Interesse, Diskussionen und Erklärungsbedarf aus. Zumindest eine Zeitlang sind sie ein Vehikel, mit dem sich neue Gedanken, Techniken und Haltungen verbreiten. Wer sich Deutungshoheit verschafft hat, kann sich über Einladungen und Aufträge zu Workshops und Seminaren freuen – Expertenstatus.
Aber genau wie Popsongs, oder eigentlich alle Dinge, die Moden unterworfen sind, verschleissen (oder verflauen) Buzzwords mehr oder weniger schnell. Zu häufiger, oft unbestimmter Gebrauch, oder die Entwicklung geht über sie hinweg, irgendwann passt der Bedeutungszusammenhang  nicht mehr.

dahinter ist Neues zu entdecken

Digitale Transformation klingt gewichtiger als Digitaler Wandel, schließlich wandelt sich die Welt fortwährend – eine Transformation erlebt man aber seltener. Und Transformation geht aufs Ganze: Die ganze Wirtschaft, ganze Systeme, wie Bildung, Arbeit, Handel, Mobilität transformieren sich. Begriffe wie Disruption werden überdacht. Oft wird Digitale Transformation im verkürzten Sinn verwendet, der Begriff erschliesst sich erst im längerfristigen Zusammenhang.  Letztlich geht es um eine Neu- Justierung bestehender Systeme in Folge der Digitalisierung.
Vor mehr als zehn Jahren brachte Web 2.0 die Stimmung nach dem Crash des Börsenbooms der Jahrtausendwende auf den Punkt – und damit wurde es eines der erfolgreichsten Buzzwords. Web 2.0 betonte einen Neubeginn des Internet und stellte das partizipatorische Potential in den Vordergrund. Ein Mitmachweb mit Blogs, Podcasts und Social Software – parallel dazu eine Kultur von BarCamps. Zumindest in der Idee basisdemokratisch. In den Hintergrund geriet der Begriff nachdem man immer mehr von Social Media sprach – und damit waren v.a die großen Plattformen gemeint. Die Möglichkeiten der Teilnahme vereinfachten sich, aber es entstanden Oligopole.
Die metaphorische Versionsnummer fand immer wieder Nachfolger – seit einiger Zeit Industrie 4.0. Hier soll auf eine vierte industrielle Revolution verwiesen werden – letztlich eine Frage der Zählweise. Was bei der Industrie noch nachvollziehbar ist, ist es in der weiteren Übertragung nicht – es erscheinen dann Wortgebilde wie Bildung 4.0, Arbeit 4.0, Mobilität 4.0, auch Gesundheit 4.0 wurde schon entdeckt. Alle bezeichnen digital vernetzte – transformierte – Systeme, die gestaltet werden sollen. Welcher Sinn wird mit der Versionsnummer 4.0 vermittelt? Was war eigentlich Gesundheit 3.0 oder 2.0? War Arbeit 1.0 die reine Fron – und 3.0 die prä- neoliberale Vollbeschäftigung? Wenn man böse ist, kommt man auf Reich 3.0. Man hat den Eindruck, eine Agentur hätte Bundes- und Landesregierung ein Konzept verkauft, das nun überall verbreitet wird.
Big Data ist an sich ein simpler, undifferenzierter Begriff, der Staunen und Mißtrauen über die Fülle auswertbarer Datenbestände ausdrückt, Big Brother klingt an. Big steht für Datenvolumen, die Bandbreite/Vielfalt der Quellen und die Geschwindigkeit der Generierung. Als Buzzword hält sich Big Data schon erstaunlich lange, ohne von differenzierteren Bezeichnungen von Datenanalysen ersetzt zu werden.

Warum spielen Buzzwords eine solche Rolle in allen Diskussionen rund um die Digitalisierung? Zum einen benennen sie neu auftretende, oft  noch unbestimmte Phänomene und es sind nicht die exakten Bedeutungszuweisungen, die sie ausmachen. Auch aktuell werden Phänomene anhand von Buzzwords wie Filterblase, Fake News und postfaktisch diskutiert. Sprache formatiert menschliches Wahrnehmen und Denken und es sind gerade die Assoziationen, Gedankenbrücken und Anmutungen die Begriffe ausmachen. Dann wollen neue Begriffe geklärt werden. Das bringt Vorteile in der Aufmerksamkeitsökonomie. Naheliegend ist das Marketing am anfälligsten für Wortgeklingel im Gefolge, schließlich ist es seine Aufgabe für Aufmerksamkeit und letztlich Umsatz zu sorgen.
Und noch eins: Die Suchsysteme (im wesentlichen Google) sind auf  Begriffe, nicht auf lange Erklärungen ausgerichtet. Auch das macht Buzzwords strategisch zentral.

Bildquellen:.: Doppelte Tür time. / photocase.de; Monitore: mmk / photocase.de

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