Zur Diskussion: Neoliberalismus, New Fusionism und Rechtspopulismus

Der letzte Beitrag mit dem Titel Der Leninismus der Populisten hatte einige kritische Reaktionen zur Folge. Zunächst hatte ich erwartet, es ginge um die Herausstellung der leninistischen Anleihen, die als zu spekulativ wahrgenommen wären.
Darum ging es aber nicht, sondern um bzw. gegen den Eindruck einer Genealogie, in der der Begriff Neoliberalismus von Anfang an eine antidemokratische, antisoziale Strategie gewesen sei, deren logische Konsequenz Trump und Milei heiße – so formulierte es  Wirtschaftsblogger Gunnar Sohn.  Frank Witt, Wirtschaftsprofessor (und Autor) kommentierte auf LinkedIn dazu, dass Hayek bei Slobodian wie ein Fürst der Finsternis erscheine. 

Friedrich von Hayek (1899-1992) war eine Leitfigur in dem Netzwerk, das den neoliberalen Denkstil prägte. Neben Keynes und Schumpeter, wohl einer der wirkungsmächtigsten Ökonomen des 20.Jh. Freiheit war für ihn durch Rechtssicherheit, Eigentum, Vertragsfreiheit bestimmt – nicht durch politische Teilhabe. Weltbekannt wurde er mit dem Nobelpreis 1974 – und als entscheidender Vordenker der marktradikalen Wende in den 1980er Jahren. So ist Hayek eine anerkannte Figur der Zeitgeschichte –  das macht es für unterschiedlichste Akteure attraktiv, an ihn anzuknüpfen.

Kann so einer als Ahnherr so umstrittener Gestalten wie Trump und Milei gelten? Eine direkte Linie sicher nicht – Wirkungsmacht heisst aber auch Wirkung in nicht beabsichtigte Richtungen.
Auch der Begriff neoliberal selber ist eng mit ihm verbunden. Er tauchte vor bald einem Jahrhundert  – 13 Jahre fehlen noch – beim Walter Lippmann Kolloquium 1938 in Paris auf (neolibéralisme). Damals ging es darum, eine liberale Perspektive gegenüber Totalitarismus, Wirtschaftskrise und sozialer Unsicherheit zu verteidigen und zu erneuern. In einem Staat, der aktiv die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Markt setzen sollte – nicht als Gegner des Marktes, sondern als Garant seiner Funktionen.

Neoliberal wurde im Laufe der Jahrzehnte zu einem der meist verwendeten Begriffe und Konzepte der politischen Diskussion – mit oft weit auseinander reichenden Konnotationen.
Von Ökonomen – zumindest solchen, die mit der Ideengeschichte ihres Faches vertraut sind, ist neoliberal zeitgeschichtlich verortet: als eine Denkschule, die 1938 ihren Ursprung nahm und mit der Mont Pèlerin Société unter Hayek institutionalisiert wurde. Es ging um einen Dritten Weg zwischen Laissez-faire-Liberalismus und Planwirtschaft: mit starken, aber begrenzten staatlichen Institutionen, die die Märkte schützen und rahmen sollten. Diese Richtung hatte maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftspolitische Neuorientierung nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der Soziologie bezieht sich neoliberal meist auf die breite politökonomische Transformation seit den 1970er, v.a. 80er Jahren: Deregulierung, Privatisierung, Zurückdrängung des Wohlfahrtsstaats und Globalisierung der Märkte. Neoliberalismus wird oft als hegemoniales Paradigma verstanden, dass die Gesellschaft bis in Details sozialer Beziehungen nach Marktprinzipien umgestaltet.
In öffentlichen Diskursen und auch im  Journalismus wird neoliberal häufig als politisches Schlagwort verwendet. Meist mit einer negativer Konnotation.  Begriffliche Präzision geht dabei meist verloren, neoliberal wird oft pauschal für alle Ereignisse verwendet, die von der Logik von Marktliberalisierung bis Marktradikalität bestimmt sind. Umgangssprachlich ist neoliberal zu einem Etikett geworden – ein Preisschild, das auf allem klebt, was der Marktlogik folgt.

Der kanadische Zeithistoriker Quinn Slobodian ist einer der einflussreichsten Deuter und Erklärer der Verflechtungen von neoliberaler Globalisierung und autoritär-populistischen Bewegungen. Eine seiner Kernthesen ist, dass die  gegenwärtige extreme Rechte besser als ein Ableger des neoliberalen Projekts zu verstehen sei als eine Gegenbewegung dazu*.
Hayek’s Bastards – das sind bei Slobodian Nachfolger, die sich rhetorisch auf Hayek berufen, seine Ideen radikalisieren und anti-demokratische, anti-egalitäre Ordnungsvorstellungen entwickeln.  Neoliberale Ökonomie wird mit  biologistischen, autoritären und technokratischen Ideologien zusammengeführt und weiterentwickelt. Demokratie wird von ihnen eher als  Bedrohung für den Kapitalismus und eine (in ihrem Sinne) geordnete Gesellschaft gesehen.  

New Fusionism meint die ideologische Vermengung libertärer Marktideologie mit Narrativen biologischer Überlegenheit, die auf Rasse, manchmal auch Geschlecht basieren.  Seine Befürworter zeigen oft eine Obsession für den IQ.  Es wird argumentiert, dass Personen mit höheren IQ-Werten mehr oder weniger alleinige politische Macht haben sollten, manchmal wird auch die Sterilisation von Personen mit niedrigeren IQ-Werten befürwortet.
Drei Hards kennzeichnen die Ausrichtung:  Hardwired Human Nature: Biologistische und genetische Argumente (z.B. IQ-Debatten, Rassentheorien) zur Legitimierung sozialer Hierarchien. Hard Money: Forderung nach Goldstandard oder Kryptowährungen als natürlicher Währungsform. Hard Borders: Ablehnung von Migration und Multikulturalismus zugunsten kultureller Homogenität.

Der von David Golumbia  beschriebene Cyberlibertarismus (vgl. die Rezension) hat eine eigenständige Entstehungsgeschichte, die eng mit der Entwicklung des Internets und der Digitalen Revolution verbunden ist.  Cyberlibertarismus überschneidet sich aber mit dem New Fusionism in technokratischen Ideologien und der Ablehnung egalitärer politischer Strukturen. Eine machtbewusste kleine Elite, die sich zunehmend als ein globales Machtzentrum sieht, wuchs heran – das, was wir heute oft BigTech Oligarchie nennen. 

Eine demokratiefeindliche  Allianz, hat sich aus allen diesen Strömungen gebildet. Eine strategische Allianz, die kaum zu überblicken ist, aber  weiter greift als die bisher bekannten.  Zu den marktradikalen, identitären, religiösen rassistischen und autoritär-konservativen Strömungen, treten Gruppen aus dem technolibertären Umfeld von Silicon Valley, der Krypto-Szene oder einfach auch Opportunisten.  Sie bilden eine neue, transnationale Allianz. Libertäres Gedankengut ist zu einem ideologischen Rückgrat von Nationalisten und Autoritären auf der ganzen Welt geworden.
Der gemeinsame  Nenner dieser vielschichtigen Koalition richtet sich gegen Gleichheit und liberale, humanistische Universalismen, gegen die Erfolge der Bürgerrechtsbewegungen. Auf einen Kapitalismus ohne Demokratie. Nennt man Namen so fallen die der “Bastards” Murray Rothbard, Hans-Hermann Hoppe,  Charles Murray, Curtis Yarvin – aus Big Tech ganz sicher Elon Musk und Peter Thiel – im weiteren natürlich Trump und Vance.
Der deutsche Rechtspopulismus weist einige Parallelen auf – ist aber viel stärker völkisch grundiert und kaum mit techno- libertären Strömungen verbunden. 

Murray Rothbards (✝1995) Gesellschaftsentwürfe wurden seinerzeit kaum ernst genommen. Sein radikal antietatistischer Anarchokapitalismus ist in der Realität schwer vorstellbar.
Was Rothbard Bedeutung verschafft, sind seine Strategiepapiere zu einer Allianz  mit leninistischen Anleihen incl. der Bereitschaft zur Demagogie. So liest sich Right-Wing Populism (1992) heute als eine Blaupause, als Anleitung des  Rechtspopulismus, incl. der Zerschlagung staatlicher Strukturen.
In den angesprochenen  Kreisen fanden sie Verbreitung und Wirkung -so bezieht sich z.B. Javier Milei ausdrücklich auf ihn. Außerhalb dieser Bewegung wurden sie erst durch Slobodian bekannter, der sie als einflussreiches strategisches Dokument und ideologische Brücke zum heutigen Trumpismus und zu autoritär-populistischen Bewegungen beschrieb.”

Die letzten drei Beiträge überschneiden sich zum Teil.  Bei der Lektüre von Hayek’s Bastards  fielen mir Rothbards strategische Entwürfe zu einem Right-Wing Populism auf, die  geradezu ein Déjà-vu  zu den aktuellen Ereignissen vermittelten.

How free market ideas mutated into the far rightso liesse sich dieser letzte Beitrag dazu auch übertiteln – genauso wie ein aktuelles Interview (4/25) mit  Slobodian – wo er darauf verweist, dass der Rahmen den er in einem Buch darlegt, eher eine Vorgeschichte, als eine finale Diagnose der – aktuellen – Gegenwart ist, die immer wieder mit ihrem Ausmaß an  Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit überrascht.

*In: Nick Serpe: Blood-and-Soil Neoliberalism. An interview with Quinn Slobodian, the author of Hayek’s Bastards: Race, Gold, IQ, and the Capitalism of the Far Right. 29.04.25. Peter Geoghegan How free market ideas mutated into the far right. democracyforsale.substack.com/. 16.04.2025 Gunnar Sohn: Neoliberalismus ist keine Blaupause für Rednecks – Eine Replik zum Beitrag von Klaus M. Janowitz 16.05.25



Cyberlibertarianism – The Right Wing Politics of Digital Technology

Im gereizten Klima der letzten Wochen – seit der zweiten Trumpwahl, dem Bruch der Ampel, der Parteinahme von Elon Musk für die AfD, dem Kotau Zuckerbergs vor Trump usf. – gibt es ein starkes Interesse an Erklärungsmodellen  zum Schulterschluss von BigTech mit dem autoritären Rechtspopulismus von Trump und seiner Bewegung MakeAmericaGreatAgain.

Demokratisierung des Wissens, Freiheit der Information, der Aufbau digitaler  Gemeinschaften – all das unter Umgehung bestehender Hierarchien – zählten lange Zeit zur Agenda des Digitalen Fortschritts.
Digitaler Fortschritt war und ist in seinen vielfältigen Stationen aufs engste mit der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung im  späten 20. und im 21. Jahrhundert verbunden.
Manche Branchen und Institutionen zerschlug es, insgesamt wurde Digitaler Fortschritt aber mit Zuversicht bis Begeisterung aufgenommen, als Erweiterung der persönlichen Möglichkeiten und Spielräume.
Jahrzehntelang war das Netz der Ausgangsort von Veränderung. Vom frühen Cyberspace, zum Web 2.0., zu den Social Media etc. – Medienöffentlichkeiten und ihre Möglichkeiten änderten sich immer wieder, sie waren Teil der populären  Kultur. Ganze Generationen wurden mit  bestimmten Formaten medialisiert, ihr Ablauf als persönliche (Medien-) Biographien erlebt. Technologie bot immer wieder die Mittel zur Umgehung bestehender Institutionen und ihrer Restriktionen.

Cyberlibertarianism The Right-Wing Politics of Digital Technology erschien im November 2024. Autor David Golumbia (1963–2023) verstarb kurz vor Vollendung des Buches.  Peer-Reviews waren bereits abgeschlossen, einige noch bestehende Lücken wurden von George Justice anhand von Manuskripten  vervollständigt
Golumbia geht davon aus, dass Right- Wing Politics von Beginn an sowohl in der technischen wie in der sozialen Konstruktion der digitalen Welt angelegt waren. Bereits 2016 hatte er in The Politics of Bitcoin: Software as Right-Wing Extremism: Bitcoin, Digital Culture, and Right-Wing Politics  Verbindungen von rechtspopulistischen und techno-libertären Ideen im Umfeld der Kryptowährungen offengelegt.

Als Begriff tauchte Cyberlibertarismus seit den 90er Jahren auf, so in den Debatten zu J.P. Barlows Declaration of the Independence of Cyberspace (1996). Deklariert wurde damit der Anspruch auf ein sich selbst regierendes Internet und seine Unvereinbarkeit mit staatlichem Zugriff und staatlichen Regulierungen.
Eine passende Beschreibung stammt bereits aus dieser Zeit: a collection of ideas that links ecstatic enthusiasm for electronically mediated forms of living with radical, right-wing libertarian ideas about the proper definition of freedom, social life, economics, and politics (Langdon Winner, 1996).

Libertär stand ursprünglich für eine anti-autoritäre, anti-kapitalistische Haltung, für individuelle Freiheit als Rebellion gegen gesellschaftliche und moralische Beschränkungen.
Eine Umdeutung erfolgte in den USA der Zeit des kalten Krieges hin zum  Marktradikalismus unter dem Einfluss der Chicago school of economics, der Schriften von Ludwig v. Mises, und auch Anarcho- Kapitalisten wie  Murray Rothbard
In den aktuellen Diskussionen bezeichnet libertär meist marktradikale Strömungen, die individuelle Marktfreiheit, radikale und uneingeschränkte Eigentumsrechte sowie oft Vorstellungen von Ungleichwertigkeit vertreten: the shared view is that the most important expression of “individual freedom” is found in the individual’s ability to profit (28).
Im Tech- Kontext verschmolz die Bedeutung mit techno-utopischen Ideen und wuchs zur Fundamental- Opposition gegen jede staatliche Regulierung des Internet. Alle Einschränkungen, wie Anti- Trust Gesetze, Umweltauflagen etc. seien ein Affront gegen die Freiheit. In ihren Extremen, wie man sie etwa bei Peter Thiel sehen  kann, geht es um die Überwindung demokratischer Strukturen zugunsten einer technokratischen Elite.  Auch Elon Musk ist dieser Richtung zuzuordnen,  mehr affektiv als ideologisch unterfüttert. Wie soll man es nennen? vollkommen enthemmten, aber wirkungsbewussten Opportunismus? Ein Milliardär, der austestet, wie weit er gehen kann?

Cyberlibertär wird hauptsächlich als analytische Fremdbezeichnung verwendet – neben dem Autor Golumbia u.a. von Lincoln Dahlberg und Langdon Winner (s.u.).
Golumbia verweist auf entscheidende Glaubenssätze, die bereits früh angelegt waren:  … the view that ‘centralized authority’ and ‘bureaucracy’ are somehow emblematic of concentrated power, whereas ‘distributed’ and ‘nonhierarchical’ systems oppose that power (61) ).
Diese Einstellung lässt sich oft auf die Ansicht reduzieren, dass demokratische Regierungen das Internet nicht regulieren können oder dürfen – oder, daraus folgernd, dass das Internet ein Ort sein sollte, für den Gesetze nicht gelten.
Dabei stösst man schnell auf das entscheidende Paradox: Cyberlibertarismus lehnt gesellschaftliche Regulierung ab – die doch auf rechtsbasierten Regeln beruht – gleichzeitig wird ein weitgehend unregulierter freier Markt  befürwortet –  auf dem sich zwangsläufig Machtkonzentrationen und hierarchische Strukturen herausbilden. Letztlich bedeutet das freie Hand für Oligarchen.

Cyberlibertarianism lässt sich als unvollständige Ideologie, als Sammlung kulturell gewachsener Denk- und Handlungsmuster, oft als opportunistisch genutzte Legitimation verstehen.
Das Buch spiegelt die kulturelle und politische Geschichte der USA – mit einer Betonung auf Kalifornien und das Silicon Valley –  von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart. Es bietet einen umfassenden Blick auf die Zusammenhänge zwischen der technokulturellen Entwicklung und dem politischem Denken, was aktuell sehr brisant ist – written by the most optimistic pessimist you could ever meet (George Justice im Vorwort). 

Symbole der kalifornischen Ideologie: Lady Liberty auf dem Burning Man Festival. Foto: Jeremy Bishop unsplash.con

Californian Ideology ist eine beliebte Story zu dem, was in der Innovationskultur zusammenkam:  die Counterculture der Hippies und die vorhergende der Beatniks, ein ausgeprägter Hedonismus, die neuen Möglichkeiten der Technologie-  dazu eine Landschaft und ein Klima, die alles bieten, weltbekannte Universitäten und Forschungseinrichtungen  und schon früh viel Geld v.a. aus dem Verteidigungsetat. Im gleichnamigen Text wurden bereits 1996 wesentliche Elemente, die auf  Cyberlibertarismus zutreffen, beschrieben (s.u.¹)

Das Internet wurde schliesslich zur Electronic Frontier, zum neuen grenzenlosen Raum individueller Freiheit, frei von staatlicher Kontrolle – unreguliert.  Dazu passt auch das Ideal eines autarken Individuums.
Statt der Freiheitsideen der Hippies verbreiteten sich längerfristig die  genannten wirtschaftlichen Freiheitsideen. Ein spezifischer Habitus und informelles  Auftreten blieben, verweisen aber nicht auf eine Aufweichung von Machtstrukturen.
Zur Expansion der Tech Unternehmen gibt es eine ganze Reihe von Modellen. Das Modell der Landnahme schliesst anschaulich an das der Electronic Frontier an: der Ausbau von Reichweiten, die Erschliessung und Strukturierung des Digitalen Neulands.  Aufbau und Verbreitung der Plattformen ist ein zentrales Ergebnis der digitalen Landnahme. Digitale Sozialformate haben sich daran entwickelt. 

Der zentrale Konflikt zwischen staatlicher bzw. gesellschaftlicher Regulierung vs. der Reichweiten- Macht von BigTech bleibt. Die propagierte Freiheit befördert  letztlich  die Entstehung von Privat-Monopolen.
Der wesentliche Kipppunkt liegt dort, wo die digitale Ordnung der Dinge bedeutender wird als die bislang bestehende. Zunächst werden die Plattformen als neue Möglichkeiten erlebt. Sind sie soweit gewachsen. dass sie unumgehbar für die Teilhabe an Medien, Kultur und Geschäftsmöglichkeiten sind, werden sie zu einem faktischen Monopol.
Hier trifft der Anspruch von demokratisch legitimierten Staaten, Bedingungen zu regulieren, auf die wachsende Macht von Tech-Unternehmen, die inzwischen zu den kapitalstärksten globalen Akteuren gehören.
In libertärer Lesart wird diese Marktmacht jedoch nicht als Problem, sondern als natürliche Folge individueller Freiheit und unternehmerischer Autonomie betrachtet. (Cyber-)libertäre Ideologie wird so zunehmend zur Rechtfertigung der immer stärkeren Präsenz und des Machtanspruchs großer Tech-Unternehmen genutzt. Their freedom doesn’t mean your freedom – heisst es in einem Video zum Thema.
Digitale Konzerne können durch ihre enorme Marktmacht faktisch wie private Gesetzgeber agieren, es entsteht ein Markt- Pseudo-Staat, dessen Regeln weder demokratisch legitimiert noch rechtlich angemessen kontrolliert sind.

In der Praxis läuft Cyberlibertarismus oft mit technologischem Determinismus zusammen: Plattformen wie Google, Meta oder Amazon propagieren, dass ihre Technologien unaufhaltsame Fortschritte bringen – deterministisch – während sie gleichzeitig betonen, dass diese Fortschritte den Einzelnen und freien Märkten zugutekommen – libertär.
Soweit zu den Grundlinien des Cyberlibertarismus. David
Golumbia beleuchtet in Cyberlibertarianism eine ganze Reihe weiterer Stränge, manchmal esoterischer und kryptischer bis hin zu cyberfaschistischer Art im politischen Denken des Silicon Valley. So finden sich jeweils ausführliche Abschnitte zu  Nick Land and the Cybernetic Roots of Contemporary Fascism (381ff),  zur Alt- Right Bewegung etc. und auch zu Vorstellungen posthumanistischer Welten. 

Einige wesentliche Bezüge ziehen sich durch den ganzen Text:
Surveillance Capitalism von Shoshana Zuboff (2018/19) war die erste massive Kritik an den Geschäftsmodellen von BigTech- sie traf v.a. Google: the human expectation of sovereignty over one’s own life and authorship of one’s own experience” (521)werde von digitalen Technologien bedroht. Als einzige Lösung sieht Zuboff, dass Demokratien über Gesetzgebung und Regulierung wieder Hoheit über den politischen Raum beanspruchen. Zwar schärfte ihre Kritik die öffentliche Diskussion und veränderte die Wahrnehmung von Big Tech, führte jedoch nicht zu grundlegenden Veränderungen.

Überraschend kritisch steht Golumbia zu Julian Assange, dem er vorhält sich als heroische Zentralfigur eines Anti-Establishment-Kampfs zu inszenieren. Seine vermeintlich anarchistischen Positionen habe faktisch rechtspopulistische Narrative unterstützt. Generell sieht er immer wieder in vermeintlich techno-utopischen oder cyber-anarchistischen Positionen ein Einfallstor, das in der Praxis rechten Bewegungen in die Hände spielt.

Der Blick auf das ganze Bild  zeigt eine breite, v.a. in der kalifornischen Bay- Area angesiedelte Szene, die die Möglichkeit hatte, eine neu entstehende digitale Welt zu gestalten. Technisch getrieben, aber auch mit popkulturellen Wurzeln (Verweis auf die Grateful Dead). Angeschoben durch Geldströme  aus staatlicher Förderung und Venture Capital. Hervorgebracht hat sie die Blockchaim, den Überwachungs- Kapitalismus, das Metaverse auf der Wunschliste. Mental oft berauscht durch die Erfolge der Umsetzung.  Schliesslich eine machtbewusste kleine Elite, die sich zunehmend als globaler Machtfaktor sieht.

Golumbias Urteil ist knapp und vernichtend: An einer Stelle (279) heisst es: Cyberlibertarian politics in a nutshell: antidemocracy portraying itself as both democracy and “above” politics, when it is anything but.
Zusammenfassen lässt sich sein Fazit so:  Demokratische Werte können nur dann behauptet werden wenn wir das Digitale wieder in unseren eigenen Händen verankern. Ansonsten wird es zur Spielwiese weniger Akteure bzw. einer kleinen Elite, die einem neuen Autoritarismus den Weg ebnen.

Oligarchie – Konsequenz des Cyberlibertarismus?

Das Buch ist erst vor zwei Monaten erschienen – der Text von Golumbia war spätestens im Sommer 23 fertig gestellt. Seitdem haben sich Weltlage und der globale Vibe so sehr verändert, wie man es kaum für möglich gehalten hatte.
Exakt während des Lesens und des Schreibens dieser Rezension folgte die nächste Stufe der Eskalation: Trumps Inauguration. Eine Inszenierung von Macht und Geld mit dem Spalier der Milliardäre aus der Tech- Branche. Territorialansprüche werden an verbündete Staaten gestellt.  Der Nazigruss von Elon Musk als inszenierte Provokation.

Offen bleibt, wie stabil die Machtstrukturen sind. Wie stabil ist die Achse von MAGA und Big Tech? Wie stark sind die Protagonisten tatsächlich?  Musk tritt derzeit als globaler Toxiker auf, der massiv wirtschaftliche und mediale Macht politisch einsetzt, dabei auch den deutschen Wahlkampf aufmischt. Wäre etwa ein Metaverse aus dem Hause Meta/Facebook als erweiterter gesellschaftlicher Raum wünschenswert? .

Ein Meinungs- Fundstück zum Nazigruss von Elon Musk:  It was a display of power, and a signal: the tech oligarchy is here, and it will do what it wants.

 

David Golumbia und George Justice: Cyberlibertarianism: The Right-Wing Politics of Digital Technology, 481 S. 11/2024. David Golumbia: The Politics of Bitcoin. Software as Right- Wing Extremism. University of Minnesota Press. 2016.  Cyberlibertarianism: . Clemson University. 2013 Means TVWhy Is Elon Musk Like That? – Introduction to Cyberliberatarianism – Maik Fielitz & Holger Marcks. Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus. Duden Verlag, Berlin 2020. Langdon Winner: Cyberlibertarian Myths and the Prospects for Community 1997/2018 Lincoln Dahlberg: Cyber-Libertarianism 2.0: A Discourse Theory/Critical Political Economy Examination. Cyberlibertarianism
¹Information technologies … empower the individual, enhance personal freedom, and radically reduce the power of the nation-state. Existing social, political and legal power structures will wither away to be replaced by unfettered interactions between autonomous individuals and their software. Indeed, attempts to interfere with these elemental technological and economic forces, particularly by the government, merely rebound on those who are foolish enough to defy the primary laws of nature. aus: Barbrook, Richard, and Andy Cameron. 1996. “The Californian Ideology.” Science as Culture 44-72.  



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