Demokratie braucht Begegnung

Demokratie braucht Begegnung um zu funktionieren (19) – Begegnung, Öffentlichkeit und Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden: Begegnungen ermöglichen Austausch, Öffentlichkeit bietet den Raum dafür, und Demokratie ist das politische System, das von diesem Austausch lebt.

Liberale Demokratie beruht auf zwei Prinzipien: das Volk ist der Souverän, der über sein eigenes Schicksal entscheidet. Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit garantieren individuelle Freiheitsrechte und schränken so die Macht der Mehrheit ein. Demokratie erfordert die Aushandlung von Konflikten und Entscheidungen; Kompromisse sind die Regel. Sie lebt davon, dass ihre Mitglieder sich als legitime Andere anerkennen.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt braucht Vertrauen – gegenseitig und in demokratische Institutionen – über engere Zugehörigkeiten hinaus. Nur so sind tragfähige Kompromisse möglich. Dazu braucht es Orte bzw. Räume, in denen Vertrauen entstehen und sich entwickeln kann – Orte an denen nicht-medialisierte, direkte Erfahrungen gemacht werden können.

Demokratie fehlt Begegnung – hat Rainald Manthe, Soziologe aus Berlin,  sein Buch über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts genannt.  Im Titel steckt bereits die Feststellung eines Mangels, des Verschwindens, zumindest einer markanten Veränderung der Orte der Begegnung.
Begegnung ist synchron, besteht in der direkten, nicht- zeitversetzten Interaktion, bedeutet den Austausch in irgendeiner Form. Nonverbale Signale spielen eine grosse Rolle. Begegnungen können ebenso sehr Irritationen auslösen, lassen aber meist den Spielraum der Aushandlung bzw. Klärung.
Klassische Orte von Begegnung sind/ waren meist an lokale Gegebenheiten geknüpft. Exemplarisch nennt Manthe die Dorfkneipe – genauso können es alle anderen Orte sein, die von einer Vielzahl von Menschen aufgesucht oder genutzt werden, wie Märkte, Parks, Sportplätze, Bibliotheken, Theater oder eben auch öffentliche Verkehrsmittel.
Daneben gibt es  Begegnungsorte, die von vornherein als solche gedacht sind, von der einfachen Parkbank, dem Viertels- Treff mit Repair- Café  zu Projekten der politischen Bildung.
Die meisten solcher Orte verbinden Menschen mit gleichen bzw. sich ergänzenden Interessen, sie stabilisieren die Teilhabe an lokaler, an kultureller Öffentlichkeit.

Für eine Gesellschaft ist es aber ebenso bedeutsam, dass sich Menschen anderer Lebensrealitäten und anderer Lebensziele zur Kenntnis nehmen, begegnen und austauschen.
Gerade eher unspezifische Alltagsorte sind Schnittstellen zwischen oft sehr unterschiedlichen Milieus, ermöglichen zufällige Begegnungen, informellen Austausch, die Wahrnehmung anderer Lebensrealitäten. Sie können dazu beitragen, sich gegenseitig als “legitime andere” zu akzeptieren – die Interessen dieser Anderen zu erkennen und zu berücksichtigen, Kompromisse mitzutragen. Als Erfahrung
entscheidend ist die selbstverständliche Interaktion im öffentlichen Raum, die ohne Barrieren oder besondere Voraussetzungen stattfindet.

Autor Manthe sieht ein Schwinden vieler Begegnungsorte: Der Abbau öffentlicher Infrastrukturen trifft auf eine Gesellschaft, die immer individualistischer (9) wird. Die nachlassende Bindekraft der grossen Massenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien – oft auch Träger von Vereinsleben – ist schon länger ein Thema. Posttraditionale Vergemeinschaftungen entwickeln zwar neue Begegnungsorte, die aber geographisch viel weiter gestreut sind.
Segregation verstärkt sich auch durch den angespannten Immobilienmarkt.  In Wohnorte wird man immer seltener hineingeboren – bzw. sozialisiert, man muss sie sich leisten können.
Clubs, Kneipen, Cafés stehen seit der Pandemie unter verstärktem wirtschaftlichen Druck. Das gilt noch mehr für ländliche und suburbane Räume. Das Wirtshaus im Dorf gibt es kaum mehr, nur dann, wenn ein besonderer Einsatz oder besondere Umstände dafür sorgen. Nicht- geförderte Begegnungsorte müssen Umsätze erzielen, um sich zu halten. 

Gesellschaftliche Polarisierung wird zwar oft beklagt – ist aber empirisch wenig bestätigt. Es gibt keine grossen Lager die einander ablehnen. Als Standard aktueller Gesellschaftsanalyse dazu scheint Triggerpunkte von Steffen Mau et al. (2023) akzeptiert zu sein.  Eine Micro- Quintessenz daraus: Konflikte: vorhanden, Polarisierung: kaum, politisierte und radikalisierte Ränder ja.
Der Autor bestätigt in Verweisen auf andere Studien, dass der soziale Zusammenhalt erstaunlich gut (26) ist. Dass ein ausreichendes Vertrauen in das grosse Ganze und in unsere Mitmenschen vorhanden ist, ist wichtig für gesellschaftliche Handlungsfähigkeit (26). Allerdings nimmt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, genannt wird ein Drittel, kaum mehr an Diskussionen über die Ausgestaltung des Gemeinwesens teil. Bei den jüngeren (unter 29) liegt derAnteil  höher, bei 45 %.  Zugenommen hat eine Politik(er)ferne, man spricht von einem übergreifenden Repräsentationsdefizit (29) – es sind diese letzten beiden Erkenntnisse, die aufhorchen lassen.
Auffallend ist, dass die nähere Umgebung meist als besser empfunden wird, als die Gesamtgesellschaft eingeschätzt wird.

Ort von Begegnung: Forum Groningen (NL)

Wie lässt sich die Bedeutung  der Begegnungsorte  mit anderen  Konzepten verbinden?
Auf das Konzept des  Common Meeting Ground  war ich während der Corona- Lockdowns gestossen – in einer Zeit,  als die Frage auftrat, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn Öffentlichkeit – damit auch Begegnungen  –  fast ausschliesslich über Medien vermittelt wird.
Der Begriff geht auf den Schweizer Soziologen Kurt Imhof (✝2015) zurück: Jede Gesellschaft braucht einen Common Meeting Ground gemeinschaftlich als wichtig empfundener Themen, um darüber verhandeln und selbst bestimmen zu können, was in ihr als relevant gilt und kollektiver Problemlösungen bedarf (2008).

Common Meeting Ground lässt sich zum einen als eine Medienöffentlichkeit verstehen, die einen Informationsstand soweit synchronisiert, dass er einen konsensuellen Boden  öffentlicher politischer Kommunikation bietet.  Ein Boden – in diesem Falle abstrakt – auf den Themen, Lösungsansätze, Ansprüche in einen übergreifenden Diskurs gestellt werden können – zu denen Entscheidungen, also meist Kompromisse, ausgehandelt werden.
Ebenso lässt sich Common Meeting Ground als der lebensweltliche, physische Ort verstehen, an dem Gesellschaft erlebt und erfahren wird.  In dem als relevant empfundene Themen und akzeptables Verhalten verhandelt werden. Nicht in Form medialisierter Inhalte, sondern als selbst erlebte Eindrücke und der Resonanz darauf: Wahrnehmung, Reaktion und Interaktion.
Gesellschaft bedeutet nicht Gleichartigkeit, sondern zunächst miteinander auszukommen, dann Austausch, Begegnung . Es geht um die Erfahrung  gegenseitiger Bezogenheit, in der Folge um Prozesse der Aushandlung:  von Umgangsformen, von Akzeptanz, darüber, welche Sprache angemessen ist.  Und auch darüber, was schön ist – so entsteht etwa ein Streetstyle aus  Begegnungen im öffentlichen Raum.

In einer der trübsten Phasen des Lockdowns im Januar 2021 gab es den kurzen Hype der Plattform Clubhouse. Clubhouse kam gefühlt einer physischen Öffentlichkeit näher als andere Social-Media-Formate – die Kommunikation verlief nicht zeitversetzt, sondern sie erfüllte ein wesentliches Merkmal von Begegnung, Synchronität. Clubhouse wurde verglichen mit Barcamps,  mit Thementischen und Cafés, wo man sich an den Tisch dazu setzen kann, mit Late- Night Talks und Partygesprächen – kurzum Begegnungsorten der analogen Welt.
Der Hype versandete rasch – zeigte aber deutlich ein aufgestautes Verlangen nach Austausch und Begegnung.

Digitale Räume haben durchaus Potenzial, Orte von Begegnung zu sein,  Demokratie zu stärken. Ob sie das sind, hängt von ihrer jeweiligen Beschaffenheit ab.
Das von einem Pioniergeist geprägte frühe Social Web, Web 2.0, wurde damals als neuer Ort von Begegnung erlebt. Nutzer verstanden sich als Pioniere, die einen neuen Meeting Ground gestalteten. Vernetzung bedeutete die Summe von Begegnungen, , die nicht mehr so leicht verloren gingen.  Man verstand sich als Community/ Netzgemeinschaft. 
Die Welt der Social Media in den 20er Jahren stellt sich anders dar: Plattformen betreiben ihre Agenda, haben ihre Einflusszonen entlang sozialer Graphen eingenommen. Algorithmen regieren.
Es haben sich neue Formen einer Influencer & Creator Ökonomie entwickelt, die zwar einige Spielräume für Begegnungen lassen, v.a. aber den Gesetzmässigkeiten einer Aufmerksamkeitsökonomie nachkommen. Der Ton hat sich verändert – Pöbelei – aggressive Kommunikation ist keine Seltenheit mehr.
Das grösste Problem: Digitale Begegnungsorte sind im Besitz weniger Konzerne – BigTech. Für die Weiterentwicklung spielen demokratische Prozesse keine Rolle. Es zählen Unternehmensentscheidungen – ein Eigentümerwechsel, wie das Beispiel Twitter/ X zeigt, oder eine Änderung der Unternehmensziele, kann Plattformen rapide umkrempeln.

Begegnung steht an der Basis gesellschaftlicher Wirklichkeit – Menschen können sich überall wo sie sind, begegnen – und entscheiden, wie sie zueinander stehen und wie sie miteinander umgehen.

Ein weiteres soziologisches Konzept lässt sich anfügen: Das Begriffspaar  Community vs Consociality. Community wurde oft überstrapaziert, bedeutet bereits eine Zugehörigkeit über gemeinsame Identität, Interessen, Ziele. Der Begriff steht in einer Tradition des Konzepts Gemeinschaft bei Ferdinand Tönnies.
Bei Consociality geht es nicht um Gemeinschaft, sondern um Begegnungen in einem weiteren gesellschaftlichen Rahmen.

Rainald Manthe: Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte sozialen Zusammenhalts, 139 S. Transcript Verlag, 2024. auch: Alltägliche Begegnungsorte der Demokratie, 11.10.2024. 24 Vgl. auch : Christian Schwarzenegger: Medienöffentlichkeit als Raum der Begegnung, Heinrich Böll Stiftung, Juni 2019, 25 S – Sarah Wohlfeld, Laura-Kristine Krause: Begegnung und Zusammenhalt: Wo und wie Zivilgesellschaft wirken kann, 2021. 27 S. Kurt Imhof: Theorie der Öffentlichkeit als Theorie der Moderne. In C. Winter, A. Hepp & F. Krotz, Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft (2008, S. 65–89) .- Zahlenangaben in Klammern nennen die Seitenzahl im Buch “Demokratie fehlt Begegnung”

 



Community vs Consociality- Digitale Sozialität

So sieht Chat GPT *Community

Im letzten Beitrag zur Aktualisierung des Netnographie–  Ansatzes hatte ich die  Unterscheidung Community – vs. Consocialitybased Netnography thematisiert.
Beide Begriffe bezeichnen Vorstellungen von Sozialität. Der eine Begriff – Community – ist weit verbreitet, allerdings oft überstrapaziert, mit einer breiten Bedeutungsstreuung. Consociality ist wenig geläufig und erklärungsbedürftig.

Die Gegenüberstellung beider Konzepte öffnet den Blick auf Entwicklungen digitaler Sozialität, über den engeren Kontext hinaus. Es gibt Parallelen zu Ferdinand Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft (1887), doch sind die Konzepte des 19. Jh. so nicht übertragbar – dazu abschliessend mehr.

Community bedeutet grundsätzlich eine freiwillige Vergemeinschaftung  auf der Basis identitätsbestimmender  Merkmale, gemeinsamer Interessen, Ziele  etc – entscheidend ist ein Gefühl von Zu- und Zusammengehörigkeit.  Mittlerweile im deutschen gebräuchlich, liegt die Bedeutung in etwa zwischen Gemeinde und Gemeinschaft.
Es ist eines der ältesten Konzepte in den Sozialwissenschaften. Als soziale und kulturelle Wesen leben Menschen in Gemeinschaften. Sie bedeuten das interaktive Umfeld aus dem sich Identität und Selbstverständnis der Einzelnen ableiten.
Der Community– Begriff im heutigen Sinne verbreitete sich mit den Cultural Studies von ethnisch definierten Communities (Ethnicity), wie z. B. black/ aboriginal/ migration diaspora  Community über solche, die sich abseits der Mehrheitsgesellschaft sahen (wie gay/ deafCommunity),  zu einer Vielzahl subkulturell definierter  Gemeinschaften, die sich in Popular- und Jugendkulturen  herausbildeten. Manche davon als Fankulturen, bis hin zu den Fans von Marken/ Brands- oft nach sehr vagen Kriterien: Style constitutes a group of identity ( Barker & Jane, 559)
Mit dem Konzept der Tribes gibt es Überschneidungen – so v.a. die gefühlte Gemeinsamkeit. Communities weisen aber ein gewisses Mass an Organisiertheit auf.

Online- Communities sieht der Image Creator so. – Promptings mit Konflikt- Bezügen führt der Chat Bot aber nicht aus

Digital Communities waren von Beginn an ein zentrales Konzept digitaler Sozialität. Oft herausgewachsen aus bereits bestehenden Sub- und Fankulturen, wie etwa zu Star Trek, im Gaming und im Tech- Umfeld, zu erlebnis- intensiven Sportarten, als Selbsthilfe, zur Verbindung mit Gleichgesinnten u.v.m. Identitäten abseits des Mainstream nahmen sich ihren Platz. Oft genug wurden Digital Communities zu einem wichtigen Teil des  Lebens ihrer Mitglieder.  
Allein die Möglichkeit der translokalen Vernetzung brachte Interessengruppen jeder Art zusammen. Community passte zum basisdemokratischen Aufbruchsgefühl des Web 2.0: Freie, nicht- hierarchische Assoziation auf der Grundlage gemeinsamer Interessen. Die digitale Öffentlichkeit als Ganzes wurde oft als Netzgemeinde angesprochen. Das geschieht heute kaum mehr – hingegen hat sich die Ansprache als Community in vielen Branchen und ihrem Umfeld verbreitet.

Moderierte bzw. gemanagete Communities stellen eine besondere Ausformung dar. Meist werden sie von Organisationen, Medien, Sendern und anderen Unternehmen betrieben – entscheidend ist aber auch hier ein Gefühl von Verbundenheit, die Entwicklung einer Beziehung untereinander über die Plattform hinaus.  So gibt es Bezüge zur Unternehmenskommunikation, evtl. CoCreation, die Moderation hält v.a. einen Fixpunkt und einen Standard digitaler Öffentlichkeit in manchmal schwierigen Feldern aufrecht. (vgl die Links zu Definitionen von Online- Communities unten)
Die Frage ist immer, was eine Community zusammengebracht hat – bzw. was sie zusammenhält.

So weit es auch gefasst ist, deckt das Konzept Community nur einen Teil digitaler Sozialität ab. Wie weit reichen Konzepte wie Gemeinschaft, Kultur, Identität in digitalen Umgebungen? Die tatsächlichen Erfahrungen sind oft von instabilen Kontexten bestimmt.

Consociality stellt der Image Creator weniger eingängig dar

Consociality, wurde als Consociation zuerst in The trouble with community (Amit/ Rapport, 2002) thematisiert. Gemeint waren kontextuelle Gruppierungen, meist abhängig von bestimmten Aktivitäten, in denen sich aber kaum kollektives Bewusstsein entwickelt. Es ist die Vielzahl oft alltäglicher und instrumenteller oder beiläufiger sozialer Ereignisse, die vormals oft keine Rolle gespielt haben – unter den Bedingungen von Social Media aber eine eigene Bedeutung erlangen.

In einem älteren Beitrag hatte ich dafür das Bild des #Hashtag gewählt: Soziale Verortung mit einzelnen Attributen. Menschen mit gleichen bzw. kompatiblen Interessen – oder auch nur Impulsen und Affekten – werden so zusammengeführt. Contextual fellowship bedeutet noch keine Gemeinschaft – erhält aber auf den Plattformen Bedeutung.
Consociality bezieht sich auf die physische und/oder virtuelle Kopräsenz sozialer Akteure in einem Netzwerk, die eine Möglichkeit zur sozialen Interaktion zwischen ihnen bietet. Übereinstimmungen, Kompatibilitäten, Ansichten, Impulse werden so relevant und bieten sowohl Möglichkeiten der Kooperation – wie sie sich auch einfach summieren und aufschaukeln können.

Mittlerweile ist ein grosser Teil des Alltags mit dem Internet verbunden. Digitale Sozialität  wird massgeblich durch die Plattformen strukturiert. Aktionen und Verhalten richten sich oft strategisch danach aus.
Ein endloser Strom von Nachrichten – echt und fake – Bildern, Video- Clips, Eindrücken, unterschiedlichster Provenienz setzt oft neue, manche noch in ihrer Konsequenz unbekannte Dynamiken in Gang.

Themen wie Online- Kultur, Communities, posttraditionale Vergemeinschaftungen etc. wurden bis vor ca. 10 Jahren in grösserem Umfang diskutiert. Damals waren sie oft mit positiven Zukunftsvorstellungen belegt – wahrscheinlich wurden einige davon auch verwirklicht und werden heute als selbstverständlich wahrgenommen. Andere Entwicklungen werden als problematisch wahrgenommen, als eine Verwahrlosung der digitalen Öffentlichkeit – in den USA Enshittification – thematisiert.
Ein Rückbezug zu Tönnies: Grundsätzlich kann man eine Polarität Gemeinschaft/ Gesellschaft als allgemeingültig annehmen: Hier die Ebene der Verbundenheit – dort die formalisierte Gesellschaft. Man braucht aber nur daran zu erinnern, dass die Grenzen der Gemeinschaft zu Tönnies’ Zeiten für die meisten Menschen einengend waren.
Community ist ein mit Werten verbundener Begriff (was nicht immer stimmen muss) – Consociality/ Consozialität kann ein Konzept sein, mit dem die Realität digitaler Sozialität besser beschrieben werden kann.

We are all interrelated beings in an interdependent world

Vered Amit, Nigel Rapport: The trouble with community: anthropological reflections on movement, identity and collectivity. Pluto Press, London 2002,  192 S.  Hanell, F.  &  Jonsson Severson, P.: Netnography: Two Methodological Issues and the Consequences for Teaching and Practice. The 6th Digital Humanities in the Nordic and Baltic Countries Conference, Uppsala, Sweden,  3/ 2022   Kozinets, Robert V.: Netnography. The Essential Guide to Qualitative Social Media Research.. 3d Edition 2019, SAGE Publications Ltd. 460 S. ., Ronald Hitzler, Anne Honer, Michaela Pfadenhauer: Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnografische Erkundungen, 2009 358 S.  – Chris Barker & Emma A. Jane: Cultural Studies. Theory and Practice, Sage Publ. 2016, 760 S.
Definitionen von Online- Communities: Tanja Laub 3/21 auf Community-Management.deVivian Pein  9/23 auf –socialmediamanager.de –  auch: Tom Klein: Manipulative Kommunikation…. kurz und knapp erklärt .. Whitepaper 2024

 



Netnographie 2024 – Community vs Consociality

Netnography is about obtaining cultural understandings of human experiences from online social interaction and/or content, and representing them as a form of research (* längere Definition, 2022, s.u.).

Netnographie blickt bereits  auf drei Dekaden zurück, in denen sich online social interaction (and/or content) ebenso veränderte, wie das Netz selber. Die kurze Definition aus dem Jahre 2015  ist ebenso einprägsam, wie sie einen weitgezogenen Rahmen absteckt – und damit auch den Anspruch als Forschungsprogramm der Wahl für ein sich ständig weiter entwickelndes, umfangreiches Forschungsfeld.

Ein kurzer Rückblick: Virtual Communities waren das Einstiegsfeld in eine online practice of ethnography. Im Grunde eine Erweiterung des Forschungsfeldes um ein field behind the screen. Naheliegend war es bestehende Methoden auf die neuen Räume sozialer Interaktion anzuwenden: Ethnographie umfasst einen weitgefassten Methoden- und Anwendungskoffer – basierend auf Beobachtung, Ko- Präsenz und Teilnahme. Angewandt in der eigenen Gesellschaft geht es um soziale und kulturelle Differenzierungen und auch darum, wie diese geteilte Gegenwart hergestellt, aufrecht erhalten und verändert wird.

Research zu Virtual Communities passte sich ein in Konzepte, die sich mit Lebenswelten in den zeitgenössischen, oft als postraditionell bezeichneten Gesellschaften befassen: Cultural Studies – the whole way of life of a group of people –  befassen sich oft mit Sub- und Popularkulturen als Teil des sozialen, politischen und ökonomischen Gefüges;  das  Konzept Consumer Culture betrachtet Konsum als Ausformung populärer Kultur; das Modell der Tribes, Vergemeinschaftungen gefühlter gemeinsamer Identität- wurde mehrfach in diesem Blog beschrieben – u.a. Consumer Tribes
Brand Communities (1995ff) verweisen  auf  vergemeinschaftende Effekte von  Konsum. Einige Beispiele werden immer wieder genannt: Apple, Nike, manche sog. Kultmarken. Der Aufbau einer Brand Community gilt als Erfolgsziel des Marketing.

Ethnographische Ansätze wurden  mehrfach, oft auch ad-hoc,  auf Online- Welten angewandt. Neben Netnographie hat dabei Virtual Ethnography der britischen Soziologin Christine Hine Verbreitung erlangt.
Was Netnographie vor den anderen Ansätzen auszeichnet, ist die über drei Jahrzehnte gewachsene Kontinuität als adaptive Forschungspraxis, die den Wandel der technologischen und kulturellen – technokulturellen – Infrastruktur spiegelt. Vorangetrieben wurde Netnographie seit Beginn  von dem kanadischen Kulturanthropologen und Marketer Robert Kozinets – gelegentlich etwas scherzhaft als Godfather of Netnography tituliert.
Netnographie hat sich seitdem international verbreitet, so findet Ende Mai 2024 die Netnocon- Conference in Mailand statt. Im deutschsprachigen Raum weniger, bekannt ist die  Münchner Firma Hyve mit einem auf Netnography Insights basierenden Workflow zur Produktentwicklung (verbunden mit dem Ansatz Open Innovation nach Eric v. Hippel). Einige Marktforschungs- Institute führen Netnographie in ihrem Portfolio auf.

Online- Kommunikations- Welten verändern und entwickeln sich ständig – von technologischer, sozial/ kultureller wie von kommerzieller Entwicklung angetrieben. Vom experimentellen  Cyberspace zum Netz der  Forum- typed Online Communities,  vom partizipatorischen Web 2.0 zur Landnahme und Dominanz der Social Media Plattformen, bis hin zum heutigen Netz mit seiner vielschichtigen Integration mit der physischen Welt.
Das frühe Internet fühlte sich irgendwie subkulturell an – von Nerds und zahllosen Communities belebt, die sich um Fantum jeder Art, gemeinsamen Interessen und Leidenschaften bildeten.  In den späteren Entwicklungsstufen wurde das Netz  immer mehr zu einer übergreifenden  Infrastruktur der Gesamtgesellschaft.

Seit etwa Beginn der 10er Dekade, verstärkt in den letzten Jahren, wurde diese Veränderung thematisiert: Online- Communities blieben lange Zeit das Modell, Online- Sozialität zu verstehen. Damit verbunden ist die Vorstellung von wechselseitigen Interaktionen, Teilhabe incl. einem Beziehungsaufbau. Die Frage ist immer, was eine Community zusammengebracht hat – bzw., was sie zusammenhält.
Digitale Interaktionen sind oft situativ, auf einzelne Funktionen bezogen, sozial instabil, generell variabel. Mit dem Konzept Community lassen sich viele dieser digitalen  sozialen Erfahrungen nicht beschreiben.
Als Gegenstück zum Konzept Community hat sich das Konzept Consociality herausgebildet -es wird definiert als the physical and/or virtual co-presence of social actors in a network, providing an opportunity for social interaction between them. 

Die schwedischen Autoren Pernilla Jonsson & Fredrik Hanell unterscheiden demnach zwei Ausformungen von Netnographie (vgl. Hanell, F.  &  Jonsson Severson 2022 u. 2023):
Community-based Netnography, using the notion of community, focused on
interactions characterized by (lasting) communal ties and practices. Consociality-based Netnography, using the notion of consociality, focusing on interactions characterized by (fleeting) connections in contextual fellowships.

Netnography Procedures. aus: Netnography evolved. Kozinets 2023 (s.u.) – nach Klick in voller Auflösung

Netnographie kann viele Formen annehmen, unterschiedliche Methoden der Datenerhebung und unterschiedliche Analyse- und Interpretationsmethoden anwenden.
Die nebenstehende Graphik zeigt einen – prototypischen – Ablauf, Stand  von 2023,  ausgehend von der Initiation incl. der entscheidenden Forschungs-frage.
Kurz zusammengefasst bedeuten die einzelnen Schritte: Initiation (ausgehend von einer Forschungsfrage) konzentriert die Recherche auf ein ausgewähltes Thema/Phänomen; Immersion, meint den Prozess des Erlebens, Beobachtens, Nachdenkens und Aufzeichnens; Investigation: Recherche und Sammlung vorhandener Quellen,  konzentrierte und selektive Suche; Interaktion, einschließlich Datenerhebung; Integration, meint die Verbindung von Analyse und Interpretation schliesslich Incarnation, der Akt der Darstellung und Präsentation  von Ergebnissen. (vgl.: Kozinets, R. V., 2023.  Netnography evolved s.u.).. Entsprechend den Fieldnotes der physischen Ethnographie wird ein immersion journaling – Aufzeichnung empfohlen.
Diese genannten Schritte sind als Orientierungsvorgaben zu verstehen – jede einzelne Netnographie ist  hand- tailored – den Quellen, dem beabsichtigten Umfang und v.a. der Forschungsfrage entsprechend, die eben das definiert, was man wissen will.

Ein nützliches Pairing ergibt Netnographie + Social Intelligence Software (vormals  Social Media Monitoring, später – Listening), wie sie die Softwaredienstleiter Linkfluence, Talkwalker, Brandwatch anbieten.
Die Software ermöglicht den Zugriff auf – öffentlich verbreitete – Online- Kommunikationsdaten, die bis auf mehrere Jahre zurückreichen können. Die Datenquellen lassen sich – entsprechend dem Forschungsinteresse – nach Vorgaben filtern und auswählen. Quellen können so schnell ausfindig gemacht, Verbindungen entdeckt werden.  Social Intelligence Software ist meist für die Begleitung und Erfolgsmessung von Social Media Kampagnen optimiert, incl.  Sentimentanalyse*.
Netnographie + Social Intelligence Software erleichtert vor allem eine Consociality- based Netnographie. So kann zu häufig diskutierten Fragen oft sehr effektiv recherchiert werden. Etwa die Verbreitung von  Einstellungsmustern, der Akzeptanz von Veränderungen: Wo, wie häufig werden Themen diskutiert, welche Einstellungen sind verbreitet, welcher Tenor herrscht dabei vor  etc.
Die Such- Ergebnisse bedeuten allerdings längst keine automatisierten Forschungsergebnisse. Nicht alle aufgefundenen Quellen sind im jeweiligen Zusammenhang  aussagekräftig.  Kommunikation in Social Media unterliegt  oft bestimmten Absichten, strategisch konzipierte Marketing- Kommunikation. Es bedarf einer skilled interpretation. Eine nützliche Variante ist die Exploration eines Themas als Vorstudie, die dann mit den jeweils geeigneten gewählten Methoden fortgesetzt werden kann.

Der Gegenstand bzw. das Forschungsfeld von Netnographie kann sehr vielfältig sein, von relativ einfachen Recherchen bis zu aufwändigeren (und damit teureren) Studien.
Ein spannendes Feld sind thematische Cluster, die sich über ein gemeinsames Interesse und Engagement bilden. Solche, die Erzeuger, Handel und Konsumenten umfassen. Man findet sie dort, wo Konsum, Identität und/ oder Engagement für eine Sache zusammenkommen: Beispielsweise zu den Themen  vegan und Fairtrade  – besonders zu den Zeiten, als sie in den Mainstream einsickerten. Zu Genussmitteln wie Kaffee, Schokolade, Craft Beer oder Vin Naturel, besonders, da wo sie neu erlebt werden, im weiteren  Style- Communities, wie etwa New Heritage. Insbesondere  Tourismus und Sportarten mit hohem Engagement sind Felder, die vielfältig mit Social Media bzw. Online- Kulturen verbunden sind.

Immersive Netnographievon Kozinets bereits in einem Paper entworfen, ist ein Vorgriff auf bislang höchstens ansatzweise bestehende soziale Umgebungen in einem erweiterten technokulturellen Raum – Virtual Reality, Augmented Reality, Spatial Reality – mögliche Metaverse– Kontexte.  Wo Menschen miteinander interagieren, machen sie soziale Erfahrungen – ob in einem physischen, einem medial vermittelten, oder in rein virtuellen Räumen. Technologisch vermittelte Welten sind Teile der Lebenswelt: Identitäten werden konstruiert, Verbindungen aufgebaut, Verhaltensmuster bilden sich heraus – und es gibt ein kommerzielles Interesse daran, wie sich diese in Konsummustern niederschlagen. Das Konzept von Ethnographie, als Beobachtung der Lebenswelt ist darauf genauso übertragbar, wie es der Cyberspace der 90er Jahre war  (vgl.: Kozinets, R. V., 2022.  Immersive netnography, s.u.).

Soweit eine kurze Aktualisierung von Netnographie unter Berücksichtigung aktueller Veröffentlichungen. Viele einzelne Punkte sind angesprochen- wird fortgesetzt ….

Überarbeitet 16. Februar

Definition ¹aus Netnography Evolved, 2023:  Qualitative research approach for gaining cultural understanding that involves the systematic, immersive, and multimodal use of observations, digital traces, and/or elicitations. It is based on a set of guidelines combined with flexible procedures that emphasize researcher engagement, ethical considerations, and contextualization.
* Sentiment: positiver bzw. negativer Tenor von Aussagen

Gambetti, R. C., & Kozinets, R. V. (2022). Agentic Netnography. New Trends in Qualitative Research, 10.: Weijo, H., et al., New insights into online consumption communities and netnography, Journal of Business Research (2014). Hanell, F.  &  Jonsson Severson, P.: An open educational resource for doing netnography in the digital arts and humanities. In:  Education for Information · 6/2023.  Hanell, F.  &  Jonsson Severson, P.:Netnography: Two Methodological Issues and the Consequences for Teaching and Practice. The 6th Digital Humanities in the Nordic and Baltic Countries Conference, Uppsala, Sweden,  3/ 2022 Kozinets, Robert V.: Netnography. The Essential Guide to Qualitative Social Media Research.. 3d Edition 2019, SAGE Publications Ltd. 460 S.  ¹Kozinets, R. V. Netnography evolved: New contexts, scope, procedures and sensibilities. In: Annals of Tourism Research · December 2023 Kozinets, R. V. (2022). Immersive netnography: a novel method for service experience research in virtual reality, augmented reality and metaverse contexts. Journal of Service Management, 34(1), 100-125..  Kozinets, R. V. (2021): Netnography Explained. Kozinets, R. V. Everyday activism: an AI-assisted netnography of a digital consumer movement. In: Journal of Marketing Management 01/2024.  Kozinets, R., (2022). How to Conduct Netnography: Using an Immersion Journal SAGE Publications 2022
Kaoukaou, M.: Netnography: towards a new sociological approach of qualitative research in the digital age. https://doi.org/10.1051/shsconf/202111901006
Chris Barker & Emma. A. Jane: Cultural Studies. Theory and Practice, Sage Publ. 2016, 760 S, 


Common Meeting Ground (und Fragmentierungsthese)

In den Sozialwissenschaften werden immer wieder Begriffe geprägt, mit denen sich verändernde bzw. sich neu gewichtende oder bis dahin wenig beschriebene Zusammenhänge bezeichnet werden. Manche davon haben eine geringe Halbwertszeit, andere setzen sich in einem gewissen Rahmen durch. Einige davon propagiere ich, so etwa Consozialität/Consociality oder Technogenese, das eine parallele Entwicklung von Technik und Gesellschaft ins Blickfeld stellt.

Common Meeting Ground: Gemeinsam als wichtig erachtete Themen werden verhandelt, re:publica Berlin, 2018. eigenes Bild

Auf den Begriff Common Meeting Ground bin ich in der tiefsten Phase  des Lockdown gestossen, als die Frage auftrat, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn Öffentlichkeit fast ausschliesslich über Medien hergestellt wird. Spielt physische Öffentlichkeit überhaupt eine konstituierende Rolle?
Jede Gesellschaft braucht einen Common Meeting Ground gemeinschaftlich als wichtig empfundener Themen, um darüber verhandeln und selbst bestimmen zu können, was in ihr als relevant gilt und kollektiver Problemlösungen bedarf – so schrieb 2008 der 2015 verstorbene Schweizer Mediensoziologe Kurt Imhof. Geht dieser „Common Meeting Ground“ verloren, gefährdet das den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Genau das besagt die Fragmentierungsthese – bekannter unter den Stichworten Filterblasen und Echokammern: Digitale Öffentlichkeiten fragmentieren das Publikum der Massenmedien und damit auch die gemeinsame  politische Informationsbasis der Bürger. (Politische) Öffentlichkeit zersplittert in immer kleinere Teilöffentlichkeiten, zwischen denen die Verständigung immer schwieriger wird. Die algorithmische Personalisierung und die sozialen Filter  der Intermediäre schaffen Filterblasen  – soweit kurz gefasst.
In dem Aufsatz “Common Meeting Ground in Gefahr? …” (2018, s.u.) wird diese so gern vorgelegte  anschauliche beschriebene These zwar nicht widerlegt, aber doch stark relativiert: Weder soziale Medien noch Suchmedien als politische Informationsquellen führen zu einer geringeren Anschlussfähigkeit der individuellen Themenhorizonte, weder allein noch in Interaktion mit der Extremität politischer Einstellungen. Und weiter: Bedrohliche Folgen des Aufstiegs algorithmenbasierter Intermediäre sind derzeit nicht in der Breite der Gesellschaft zu suchen, sondern in Subpopulationen unter spezifischen Bedingungen das ist in etwa die Conclusio der Studie. Noch mehr in der Folgestudie (s.u.), in der die These  als masslos überschätzt heruntergestuft wird. Tatsächliche werden algoritmisch personalisierte Quellen selten zu politischer Information genutzt (mehr: Magin et al. 9/10, s.u.).

In diesem Sinne bedeutet Common Meeting Ground den informationellen – gesellschaftlich synchronisierten – Boden, ein Fundament  politischer Kommunikation.
Genauso kann Common Meeting Ground der lebensweltliche, physische Ort sein, an dem Gesellschaft erlebt und erfahren wird, an dem als relevant empfundene Themen und Verhalten verhandelt werden. Nicht in Form medialisierter Inhalte, sondern als selbst erlebte Eindrücke und der Resonanz darauf: Wahrnehmung, Reaktion und Interaktion. Öffentliche Orte können sicher auch Orte von Gefahr, von  Bedrängnis und Belästigung sein, es geht aber um die Erfahrung von gegenseitiger Bezogenheit, in der Folge um Prozesse der Aushandlung von Umgangsformen, von Akzeptanz und auch von Stil (z.B. Streetstyle).  Gesellschaft bedeutet nicht Gleichartigkeit, sondern zuerst miteinander Auskommen, Ertragen, dann Austausch, in der Interaktion dann etwas Neues. Zusammenleben pendelt sich ein.
Man kann den Common Meeting Ground weiterdenken, bis hin zu einem möglichen Metaverse – das erst mit der Verbindung einzelner Experiences/Erfahrungswelten zu einem Verse/ Versum würde. Nebenher: Selbst der tägliche Pendler- Stau kann ein Common Meeting Ground sein, wenn es der Ort ist, an dem Gesellschaft erlebt wird: ein Boden, auf dem relevante Entscheidungen getroffen werden können.

Common Meeting Ground im Modell – Forum Groningen

Wenn ich an einen physischen Common Meeting Ground denke, fällt mir sofort das Forum Groningen (NL) ein, das mich im letzten Herbst  sehr beeindruckt hatte: Ein zentrales Gebäude mit einem Mix aus Biblio/ Mediathek, Veranstaltungsräumen, Gastronomie, CoWorking, einer Storyworld zu Comics und Games  und u.a. einer Dachterrasse mit weitem Rundblick. Sicherlich ein Vorzeigeprojekt,  dass sich nicht jede Stadt leisten kann. Aber das Muster eines gestalteten, inklusiven öffentlichen Ortes von Begegnung und Austausch, Samenleving.  Sicher kosten die Kinokarte, der Kaffee genausoviel wie anderswo – aber gänzlich verschieden von kommerziell betriebenen Orten, an denen es in erster Linie um Konsum gegen Bezahlung geht.

Soweit ein Versuch zur Breite eines Konzepts Common Meeting Ground – einer gemeinsamen Grundlage von Verhandelbarkeit – ohne die eine Gesellschaft  fragmentieren würde. Fragmentierung bedeutet nicht  unterschiedliche Meinungen, sondern auseinanderdriftende Horizonte.

Kurt Imhof: Theorie der Öffentlichkeit als Theorie der Moderne. In C. Winter, A. Hepp & F. Krotz, Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft (2008, S. 65–89) . Stefan Geiß, Melanie Magin, Birgit Stark, Pascal Jürgens: “Common Meeting Ground” in Gefahr? Selektionslogiken politischer Informationsquellen und ihr Einfluss auf die Fragmentierung individueller Themenhorizonte JIn: M&K Medien & Kommunikationswissenschaft, Jahrgang 66 (2018). Heft 4, S. 502-525Melanie Magin, Birgit Stark, Pascal Jürgens: Maßlos überschätzt. Ein Überblick über theoretische Annahmen und empirische Befunde zu Filterblasen und Echokammern In: Eisenegger, R. Blum, P. Ettinger & M. Prinzing (Eds.), Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Springer VS. 2020



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