2018 – 10 Jahre Social Media

Abb.: Social Media Map 2018; nach Klick Ansicht in voller Auflösung

Social Media (immer im Plural) sind seit gut 10 Jahren Thema. Damals  hatte der Begriff  den des Web 2.0 abgelöst. Web 2.0 war partizipativ konnotiert,  Kennzeichen der Social Media ist User Generated Content auf einer von Betreibern bereitgestellten Plattform. Und letztlich bestimmen die Betreiber auch die Regeln. Teilhabe am Social Web wurde damit einfach, kaum schwieriger als eine TV- Fernbedienung zu bedienen. Das mobile Netz brachte dann den großen Sprung nach vorn – Inhalte ließen sich nun jederzeit, von jedem Ort,  verbreiten, gute Verbindung vorausgesetzt. Die Nutzung von Social Media breitete sich auf (fast) die gesamte Gesellschaft aus, wurde zur Massenerscheinung.  Social Media wachsen weiter – und stehen dabei immer öfter in der Kritik.

Vergleicht man Übersichten, wie die obenstehende Social Media Map 2018 mit  der von 2014, oder auch die Graphik Social Media Landscape 2018 mit denen von 2012 und 2016 scheint sich in den letzten Jahren wenig verändert zu haben. Facebook ist seit seiner Gründung ununterbrochen gewachsen, von der Zahl der User, ebenso wie in den Funktionen. Instagram, seit 2012 im Facebook- Imperium,  begann als Sharing App von Handy-Photos und erweiterte sich zur führenden Plattform visueller Inhalte zur Sofort- Veröffentlichung. YoutubeLinkedIn und Twitter machen den Kernbereich vollständig. LinkedIn hat sich zur im professionellen Bereich (Xing spielt nur im deutschsprachigen Raum eine Rolle) führenden Plattform entwickelt. Twitter hat weniger Nutzer, seine Bedeutung erhält es durch die schnelle Nachrichtenverbreitung.
Man kann den gesamten Umfang von Social Media in Kategorien fassen, in der Social Media Map sind es 24, oder auch einigen Grundfunktionen zuordnen: Publishing, Sharing, Networking, Messaging, Discussing, Collaborating, wie in der Social Media Landscape  von F. Cavazza. Die meiste aktuelle Entwicklung zeigt der Bereich Collaborating. Auch in den einzelnen Kategorien dominieren einzelne Plattformen, man denke etwa an TripAdvisor oder Spotify

Die grundlegenden Geschäftsmodelle sind nicht neu:  Monetarisierung des Publikums durch Werbung. Die Schaltung von Werbung war immer der lukrativste Teil der Medienwirtschaft. So ist es in unterschiedlichem Ausmaß bei den meisten Medien, im Privat- TV vollständig. Der Unterschied ist, dass SocialMedia- Plattformen  keine Redaktion betreiben – das Publikum erstellt das Programm und hinterlässt seine Datenspuren. Und diese ermöglichen die personalisierte Ansprache. Werbung, Marketing und PR gehen immer dorthin, wo die Menschen sind.

Jaron Laniers  Buch “Zehn Gründe … ” ist ein  Rant, eine Art Brandrede, Beschimpfung, streckenweise pöbelig,   gegen BUMMER (Behaviors of Users Modified, and Made into an Empire for Rent). Manipulationen, Fake-Profile, Sucht, Hasskommentare  – die Liste der Kritikpunkte ist lang und hart und es wird wenig ausgelassen – und das Buch entstand noch vor dem Cambridge Analytica Skandal.
Manipulative Werbetreibende und machtbesoffene Technologiekonzerne (89) betreiben Verhaltensmodifikation, so in etwa. Die meisten Einwände hat man schon oft gehört, einige davon lassen sich zumindest einfach relativieren. Medien haben grundsätzlich ein Potential zur Manipulation, es ist und bleibt die Aufgabe jedes einzelnen zu entscheiden, welchen Quellen man vertraut – Social Media haben keine redaktionelle Bearbeitung.
Suchtpotential wurde immer wieder jeweils Neuen Medien vorgehalten, bereits im 18. Jahrhundert, später Film, TV, Comics und anderen Genres. Medien können Menschen neue Welten erschliessen und von anderen abkoppeln – das ist ihr Potential. Als Sender kann jeder im Social Web Aufmerksamkeit und Anerkennung gewinnen, das kann beflügeln bzw. zu Dopaminausschüttungen führen. Aber lässt sich der Effekt automatisieren? Mit Klingeltönen? Menschen erkennen schnell, ob eine Anerkennung von Belang ist, ob wir wirklich gemeint sind oder eben Bots und Fake- Profile so eingestellt wurden. Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, eine begrenzte Kapazität bewussten Erlebens (G. Franck).

Sammeln einzelne Unternehmen allzuviel Macht und Einfluß, wecken sie Mißtrauen und werden dementsprechend beobachtet. Derzeit gilt es dem Facebook- Imperium und seiner Marktmacht. Um die Jahrtausendwende war es Microsoft mit den quasi- Monopolen Windows und Office, vordem IBM. Die Frage, welche Macht ein Unternehmen wie Facebook tatsächlich hat, bleibt. Was Facebook bietet, ist v.a. Convenience im Social Web mit all seinen Möglichkeiten.

Social Media 2018, das ist mittlerweile ein weitgefasster Gattungsbegriff, der unterschiedlichste Dienste und Plattformen umfasst. Messaging Dienste wurden zu Werkzeugen der Alltagskommunikation. Wie die E- Mail Adresse ist der Social Media Account zu einem Boarding Point des Social Web geworden. Hatte das Web 2.0 teilweise den Charakter einer basisdemokratischen Bewegung (wie man es auf Barcamps oder auf der alljährlichen re:publica noch spürt), sind Social Media 2018 ein Massenmedium, zudem ein Kristallisationspunkt des Digitalen Kapitalismus.   Personenbezogene Daten dienen der personalisierten Ansprache und individualisierter Angebote.
Es gibt einzelne Phänomene, wie twitternde Politiker, die Unmittelbarkeit popularisieren, einen gigantischen Resonanzboden der Selbstinszenierung aller Art von Micro- Celebrities.
Kurzum: Nach 10 Jahren sind Social Media omnipräsent und wesentlicher Teil der Digitalen Ökonomie – der Begriff hat allerdings seine Halbwertszeit überschritten. Die Kritik am Monetarisierungsmodell nimmt zu, hat aber kaum Auswirkungen auf die Nutzung.

Social Media Map 2018: https://www.ovrdrv.com/overdrive-releases-2018-social-media-map/ Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum Du Deine Social Media Accounts sofort löschen musst. 2018,  204 S. – Eine detailliertere Besprechung dieses Buches folgt in Kürze. 



Das Kapital sind wir. Zur Kritik der Digitalen Ökonomie (Rezension)

Das Kapital sind wir von Timo Daum erschien bereits im Herbst 2017, aber erst auf der re-publica 18 wurde ich darauf aufmerksam.  Das Buch hält weitgehend, was der Titel verspricht – zudem ist es so flüssig geschrieben, dass man es an beinahe jeder Stelle aufschlagen und in den Text einsteigen kann.
Der Kapitalismus hat sich als Digitaler Kapitalismus neu erfunden. Ein neues Akkumulationsmodell hat sich herausgebildet und das fordistische Modell von Massenproduktion und -komsum abgelöst. Dem neuen Modell  gelingt es,  die gesamte Gesellschaft mit ihren Gedanken und Tätigkeiten in den Dienst zu nehmen und mit Information, Algoritmen und User Generated Content Geld zu verdienen (21/22). Freier Austausch wird ermöglicht – und gleichzeitig kommerziell als Rohstoff genutzt. Soweit bekannt, und so in etwa der Einstieg.

Ähnlich wie Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge in Das Digital nimmt Timo Daum bezug auf Karl Marx. Was hätte Marx zum Digitalen Kapitalismus gesagt? steht als rhetorische Frage im Hintergrund.
Bei Ramge und Mayer- Schönberger steht das Konzept der Datenreichen Märkte als Voraussetzung der Nutzung und Verbreitung von KI im Vordergrund – eine Perspektive, die grundlegend bejaht wird. Problem bleibt das Ungleichgewicht bei der Verteilung der Digitalen Dividende.

Die Digitale Vermessung der Welt erfasst immer mehr Lebensbereiche (Bild: kallejipp photocase.de)

Daum greift die ganze Breite von Themen auf, die seit längerem zum Netz, zur Digitalisierung und dem damit verbundenen Wandel diskutiert werden. Sharing Economy, Kreativwirtschaft und die Digitale Bohème, der Solo- Kapitalist (Solopreneur), das bedingungslose Grundeinkommen etc., samt der jeweils mehr oder weniger ideologischen Begleitmusik (so in der Sharing Economy oder der Weltverbesserungsagenda von Facebook, S. 131).
Die digitale Vermessung der Welt stellt immer mehr Lebensäußerungen in ihren Dienst, die vormaligen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.  Arbeit und Einkommen entkoppeln sich, der Begriff von Arbeit an sich verändert sich.
Daum versteht sich als Linker, wer aber eine rundum- Kritik am digitalen Kapitalismus erwartet, wird enttäuscht. So etwa die Rezensenten der Buchvorstellung in Hamburg, die geradezu entsetzt sind über die überraschend versöhnliche Haltung zum Kapitalismus.
Denn ganz so kritisch sieht Daum den Digitalen Kapitalismus nicht: der freie und kostenlose Zugang zu Informationen und Diensten ist ihm zu verdanken (236). Dem alten fossilen, konsumorientierten Kapitalismus ist hingegen nicht nachzutrauern (241). Arbeiterbewegung und Gewerkschaften hatten darin über die Jahrzehnte Rechte, Sicherheiten und Teilhabe erkämpft, eine Tradition zu der eine Parallele in der digitalen Gesellschaft noch fehlt.
Unternehmen des Digitalen Kapitalismus übernehmen Aufgaben globaler Dimension. Erst mit den Inhalten der Nutzer (Prosumer) werden die Plattformen zum Leben gebracht. Ein treffendes Bonmot: Der Digitale Kapitalismus schafft es, frei verfügbares Wissen zu kolonisieren, als proprietären Service neu zu verpacken und diesen wiederum zu verwerten (235).
Wenn es eine abschließende Aussage zum Digitalen Kapitalismus gibt, dann ist sie dezent platziert: Der Kapitalismus ist keine fremde, uns knechtende Macht: Wir selbst sind der Kapitalismus. Wir schaffen selbst die Abstraktionen, von denen wir uns beherrschen lassen (123).

Ein Ausblick: Der digitale Kapitalismus dringt in neue Bereiche vor: Mobilität, Energie, Transport, Logistik. Wir brauchen eine kostenlose Grundversorgung für die digitale Stadt, einen New Deal, bei dem die Bewohnerinnen ihre Daten beisteuern (241), und eine algoritmische Alphabetisierung. Digitaler Kapitalismus wäre vom Standpunkt des Neuen, Möglichen zu kritisieren – nicht von dem des Alten.

Timo Daum: Das Kapital sind wir. Zur Kritik der Digitalen Ökonomie. Edition Nautilus, Hamburg 09/2017.  268 S. ISBN: 978-3-96054-058-8



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