Content Thinking

Nachtindustrie
Content ist gefragt; Bild: pooger/ photocase.de

Lange Zeit war die Werbewirtschaft eine für alle Beteiligten einträgliche Wertschöpfungskette: Unternehmen vergaben Aufträge mit hohen Etats. Das Anzeigengeschäft sicherte den Printmedien das Auskommen, Fernsehspots erzählten die Geschichten. Die Kampagnen richteten sich auf hohe Reichweiten in TV und Print mit hoher Auflage. Werbephotographie und Werbefilm waren hochspezialisierte Dienstleistungen – Werbung tendierte zum Hochglanz, große Marken standen  im Vordergrund. Alles in allem: Aufwändig produzierte Werbung konzentrierte sich auf maximale Reichweite.
In mancherlei Form existiert dieses Zeitalter weiter. Internet und Social Media  (bzw. der Digitale Wandel) haben aber auch die Werbewirtschaft durcheinander gewirbelt – und das ist auf mehreren Ebenen sichtbar. Es sind nicht so sehr einzelne technische Innovationen, sondern der Wandel der Medienöffentlichkeiten, der die Veränderungen bewirkt. Es gibt nicht mehr das TV-Programm, das in der Primetime die Hälfte der Bevölkerung erreicht, Programme werden oft asynchron verfolgt. Der Alltag ist zwar mehr und mehr mediatisiert, aber nicht in wenigen großen, sondern in zahllosen Micro- Öffentlichkeiten. Kunden- bzw. Konsumentenansprache folgt anderen Wegen, und auch hier sind die Prinzipien von Konnektivität und Personalisierung wirksam.

Zum einen kennen wir Targeting, die auf Zielgruppenzuordnung abgestimmte Einblendung von Werbebotschaften, in Form des Re- Targeting folgen sie uns bei einmal gezeigtem Interesse in einem Webshop weiter. Bei Facebook mittlerweile perfektioniert. Das ist die automatisierte Ebene.

POSEContent Marketing hat sich seit schon mehreren Jahren im Online- Marketing verbreitet und wird von großen wie kleineren Unternehmen eingesetzt. Grundsätzlich mit dem Ziel Kundenbeziehungen und Reputation aufzubauen. Nützliche, unterhaltende und emotionale Inhalte werden über eigene, öffentliche und bezahlte/gesponsorte Kanäle gestreut (vgl. r.: Paid-Owned-Shared-Earned Media). Nutzer sollen mit der Marke verbunden werden.
Digitalisierung hat die Produktion der Inhalte, des Content, demokratisiert. Ein Video kann letztlich mit jedem SmartPhone erstellt werden – auch wenn akzeptable Qualität mehr Technik erfordert, hat sich der Aufwand reduziert.

Axel Post mit Durchblick zum Content
Axel Post mit Durchblick zum Content

Axel Post, Gründer der Agentur yukawa mit Wurzeln in Fußball und Medienwissenschaft hat ein bemerkenswertes Content Thinking Canvas erstellt, das als Whitepaper mit Creative Commons Lizenz heruntergeladen werden  kann. Im Namen wird auf die begrifflichen Bezüge Content Marketing (als Feld) und Design Thinking (als Methode) verwiesen. In der Form folgt es in etwa dem Muster des Business Model Canvas von Alexander Osterwalder, mit dem Geschäftsmodelle von StartUps visualisiert werden. Manche Experten sehen im Business Model Canvas bereits eine Abkehr vom als veraltet gesehenen Businessplan.

Einblick
Ein gänzlich neuer Einblick Bild: kallejipp/ photocase.de

Content Thinking Canvas ist Gestaltungsvorlage und Leitfaden zur Content- Entwicklung in mehreren Schritten – mit dem Angebot zur Weiterentwicklung. Es folgt den Methoden von Design Thinking, ein Kreativprozess zur Ideenfindung, der die Perspektive von Anwendern beachtet. Das Canvas führt über zehn Arbeitsschritte von der Formulierung der Kommunikationsziele bis zur Produktion eines Pilotprojektes.
Ein Unternehmen besteht zwar durchaus aus Mitarbeitern, Büros, Computern und Maschinen, aber eben auch aus Beziehungen, Erfahrungen, Know-How und Geschichten. Geschichten, die eine andere Sicht auf ein Unternehmen ermöglichen als es jede Art von Produktwerbung kann. Agenturen und Berater können Unternehmen helfen, Geschichten in der richtigen Form zu erzählen und sie über die richtigen Kanäle wirkungsvoll zu verbreiten. Der Kern der Geschichte liegt aber immer im Unternehmen selbst.Autor Axel Post kritisiert dabei eine Content– Entwicklung, die sich an den Algoritmen der Suchmaschinen ausrichtet. SEO/Suchmaschinenoptimierung bedeutet einen letzten Schliff, ist aber nicht das Gerüst für Texte und Videos. Humor, Emotion und Relevanz sind die Auslöser mit denen sich die Botschaften verbreiten – über welche Kanäle, ist dann zweitrangig.

Viele Dinge wurden schon immer über ihre Geschichte vermarktet – weil sie eine hatten. In manchen Branchen ist es einfacher, z.B. denen mit handwerklichen Wurzeln. Das gilt ganz besonders für das handwerklich hergestellte Essen.

Inhalte verbreiten sich in Micro- Öffentlichkeiten (manchmal auch größeren) – und diese bilden sich um gemeinsame Interessen, Erlebnisse und Leidenschaften. Ähnlich wie das Konzept der Tribes, oder auch Digitalen Figurationen. Mehr dazu in einem nächsten Blogbeiträge.

Axel Post: Content Thinking Canvas: http://www.content-thinking.de/

Bildquelle: suze (header)/pooger/kallejipp/ photocase.de 

Digital ist das Neue Normal

New-Norma
Das Neue Normal

Digital ist das neue Normal bzw. Digital is the New Normal – der Spruch ist zwar schon einige Jahre alt (2010) – bringt aber Digitalen Wandel bzw. Digitale Transformation auf den Punkt: Waren digitale Versionen zunächst etwas Besonderes, wie Textverarbeitung und Digitalkameras, ersetzten sie bald ihre Vorgänger und wurden zum normalen Werkzeug. Nicht nur das Speichermedium, auch die Möglichkeiten der Verbreitung und der Bearbeitung von Text und Bild hatten sich völlig geändert.
Der Ausdruck geht zurück auf den belgischen Autor Peter Hinssen (The New Normal, 2010; The network always wins, 2014). Hinssen sah 2010 die Halbzeit der digitalen Entwicklung erreicht. Denkt man zurück, war vor sechs Jahren die mobile Revolution in vollem Gange und Social Media waren im Alltag angekommen: Öffentliche digitale Kommunikation wurde allgegenwärtig und normal.
Heute sind wir ein paar Stellen weiter  – wenn man denn Digitalisierung als Prozess mit einem Beginn und einem Abschluß bzw. einer Vollendung betrachtet. Im großen Thema der Innovationen im digitalen Zeitalter ist jetzt die Ebene der Organisation erfasst: Konsequenz der Digitalisierung von allem ist die Vernetzung von allem.

Speicher- und Übertragungskapazitäten sind Voraussetzung für den Austausch von Daten, ein langsames Netz ist mühsam. Dass Digitalisierung aber nicht nur technische Neuerungen bedeutet, hat sich nun überall herumgesprochen. Wandel bewirken die Netzwerke, die sich mit der – zumindest weitgehend globalen – Zirkulation von Informationen und Medien (nicht nur deshalb) bilden. Das Internet, die Plattformen, Social Media, machen es einfacher, personalisierte Netzwerke zu organisieren. Das ist gemeint, wenn man von einem neuen sozialen Betriebssystem spricht.

Hashtags sind ein Zeichen vernetzter Organisation
#Hashtags sind ein Zeichen vernetzter Organisation

Bestehende Strukturen werden nicht einfach in ein neues Format übersetzt, diese unterliegen denselben Einflüssen, Kommunikation und Kollaboration folgen neuen Mustern. Von Richard Sennett stammt das Bild der Playlist für ein Prinzip flexibler Organisation: aus einer Vielzahl einzelner Funktionen werden die aneinander anschlussfähigen zusammengefügt. Produkte und Dienstleistungen sind z.B. nach diesem Prinzip personalisierbar.  So entstehen auch neue Geschäftsmodelle,
Mit dem Begriff der Digitalen Transformation werden oft zwei Bedeutungen vermischt: Die strukturelle Veränderung des gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüges – ein langfristiger Prozess – entsprechend dem, was Karl Polanyi zur  Great Transformation der industriellen Revolution und der Durchsetzung der Marktwirtschaft schrieb. Zum anderen die in den einzelnen Unternehmen und Organisationen stattfindenden, gezielt angestrebten Veränderungen – viel umworbene Einsatzgebiete von Change Management. Unter Digital Leadership wird der Wandel/Transformation in den Steuerungsaufgaben im Management diskutiert.

Eine andere Frage ist, ob die Diskussion zu Digitalisierung, Digital Leadership, neuen Strukturen im einzelnen tatsächlich zu Veränderung hierarchischer pyramidaler Strukturen führt. Digitalisierung trägt wohl ein großes zivilgesellschaftliches Potential mit sich – es ist aber auch die Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure dies zu nutzen. Wo es um wirkliche Machtinteressen geht, bedeutet das Sprechen von Offenheit, Transparenz und Partizipation nicht gleich, daß diese Prinzipien auch sofort gegeben sind – sie müssen auch genommen werden.

Peter Hinssen: The network always wins. How to Influence Customers, Stay Relevant, and Transform Your Organization to Move Faster than the Market. 2014, 224 S. –  The New Normal. Explore the Limits of the Digital World, 2010 Belgien: .MachMedia. 202 S.; Winfried Felser: Warum Digitalisierung mehr ist als eine 1:1-Transformation! LinkedIn 5/16 Gunnar Sohn: Psychopathen Systeme Unternehmen (Netzpiloten); *siehe auch: Harald Schirmer : Digital Transformation is – most of all – a dramatic change in how we do things (our processes), how we interact (communication & collaboration) and what our value creation will be (products / services / platforms / environments). Our tools will change, our „material“ will change, customers are changing, as well as suppliers and even the competitors. That not enough, the speed and number of involved people (and machines) will dramatically increase. Which is not so new… this is happening since years.  

Die große Transformation – Polanyi und die Digitalisierung

photocase6855993152093421(2)Digitale Transformation ist neben Digitalem Wandel eines der Buzzwords und seit einigen Jahren ein Leitbegriff in den Diskursen zur Digitalisierung. Während Digitaler Wandel sich weitgehend selbst erklärt, bzw. an Begriffe wie sozialen/kulturellen/wirtschaftlichen Wandel anschließt, schwingen bei der Transformation oft ungeklärte Bedeutungen mit.
Oft wird Digitale Transformation mit dem zielgerichteten Einsatz im Management gleichgesetzt, als Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens und Anwendungsfeld von Change Management – und der Bewerbung entsprechender BeratungsleistungenSo etwa von den  digitalen Darwinisten Ralf T. Kreuzer & Karl-Heinz Land  (vgl. Rezension) mit der Definition: „Mit dem Begriff digitale Transformation wird der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten.“
Sicher ist jedes Unternehmen bestrebt, seine Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten, jede Organisation hat ein Interesse daran unter veränderten Umständen zu bestehen. Neue Akteure wollen und müssen sich auf dem Markt durchsetzen. Das macht Transformation zu einem weiten Feld von Change- und Innovationsmanagement. Der Begriff berührt aber weitere Ebenen.

Die eigentliche Herkunft des Begriffs Transformation scheint wenig bekannt zu sein, selber wurde ich von Lutz Becker (Hochschule Fresenius) darauf aufmerksam gemacht: von dem ungarisch-österreichischen Soziologen und Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1886-1964), später an der Columbia University (New York) lehrend. In seinem Werk “The Great Transformation” (1944) geht es um die Herausbildung und Durchsetzung der Marktwirtschaft als gesellschaftlichem Organisationsprinzip in England vom 16. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist eine Geschichte der Spannung zwischen Markt und Gesellschaft: double movement – self-regulation of the market – self protection of the society. Eine zentrale These lautet „Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass das Entstehen nationaler Märkte keineswegs die Folge der langsamen und spontanen Emanzipation des ökonomischen Bereichs von staatlichen Kontrollen war. Der Markt war, im Gegenteil, das Resultat einer bewussten und oft gewaltsamen Intervention von Seiten der Regierung, die der Gesellschaft die Marktorganisation aus nichtökonomischen Gründen aufzwang“ (S.331). Verstärkt wird die Spannung durch die Einbeziehung von Arbeitskraft, Boden und Geld in die Regeln des Marktes. Die Transformation der vorindustriellen Gesellschaft nach diesen Regeln bedeutete eine Verselbständigung der Ökonomie.
Polyani und sein Transformationsbegriff wurden vor einigen Jahren in der Umweltökonomie wiederentdeckt.

Auffallend sind Parallelen zu Norbert Elias: beide waren deutschsprachige Emigranten jüdischer Herkunft, beide befassten sich mit langfristigen gesellschaftlichen Prozessen und beide schließen aus der Beobachtung dieser Prozesse auf Regelhaftigkeiten. Befasst sich Elias (in seinem Hauptwerk) mit der Genese von Verhaltensstandards und der Durchsetzung staatlichen Gewaltmonopols, geht es bei Polanyi um die Durchsetzung des Prinzips der Marktwirtschaft und die Umgestaltung der Gesellschaft unter deren Primat. Taucht heute z. B. der Begriff Technogenese (u.a bei R. Kozinets) auf, dann schließt er an Sozio- und Psychogenese an – Begriffe aus der Elias’schen Soziologie.

Transformation
Transformation betrifft die großen Systeme wie Arbeit, Bildung, Mobilität

Kennzeichnend für Transformations-prozesse sind Konvergenz, Emergenz und schließlich die Transformation. Konvergenz bedeutet die parallele Entwicklung einzelner Elemente, Emergenz die Herausbildung neuer Strukturen und Transformation schließlich die Etablierung eines neustrukturierten Systems.
Die heutige Transformation erfasst große Systeme wie Arbeit, Bildung, Mobilität. Es ist die Frage, ob diese nach reinen Marktstärken oder in einem gesellschaftlichen Prozess neu ausgerichtet werden. Treibende Kraft ist die Informationswirtschaft, in ihrer Folge Mediatisierung und eine Neustrukturierung von Öffentlichkeit. Einmal eingeschlagene Innovationen sind unumkehrbar. Man spricht über Sharing-Ökonomie, Neue Mobilität, Smart Home, Industrie 4.0 und Next Economy*. Der Begriff der Digitalen Transformation beleuchtet mit diesem Hintergrund die aktuelle Entwicklung,  in seiner Verwendung wird dies nicht immer deutlich.

Im Rahmen der Internetwoche Köln (24. – 29. Oktober 2016) planen wir eine Veranstaltung zum Thema “Transformation der Systeme: Arbeit, Bildung, Mobilität, Vergemeinschaftung.”

Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944; dt. 1977 Europa Verlag, Wien): 1978 Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 394 S.; Vortrag Lutz Becker auf der NEO 15, Bonn: http://de.slideshare.net/gsohn1/linuxprinzipien-fr-die-netzkonomie-neo15-session-
*Dazu die “Innovationsgesetze nach Lutz Becker
1. Innovation ist die Verbesserung von Fähigkeiten 
 im Bezug auf neue Umweltbedingungen lemlösung führt wieder zu neuen 
 Problemen 3. Alle Technologien sind Technologien des 
 Übergangs zu neuen Technologien 4. Bei allem, was technologisch möglich erscheint, arbeitet irgendwo jemand an der Realisierung 5. Es setzen sich immer die Innovationen durch,
 die das höchste Rationalsierungspotenzial haben, also Aufwand minimieren oder Nutzen maximieren;
Bildquelle (oben): bna / photocase.de

Facebook – oder wer ist das soziale Betriebssystem?

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BrandEins und der Blaue Daumen 05/16 S. 53

In der letzten Ausgabe der Brand Eins (05/16) gibt es einen mehrseitigen Artikel mit der Unterzeile (im Inhaltsverzeichnis) „Wie Facebook zum Betriebssystem für unser Miteinander   werden konnte“. Die Metapher ist nicht neu: Die kanadisch/US- amerikanischen Soziologen Lee Rainie und Barry Wellman untertitelten 2012 die Gesellschaftsanalyse Networked mit “The New Social Operating System“, damit war aber nicht Facebook, sondern Vernetzte Sozialität/ Networked Sociality als solche gemeint.
Betriebssysteme stellen die grundlegenden Funktionen eines Computers bereit, ermöglichen die Ausführung spezialisierter Software und von Apps, durch sie werden digital Devices erst wirklich nutzbar – das macht aus ihnen ein naheliegendes Sprachbild. Lange Jahre war die Wahl des Betriebssystems eine Entscheidung, die die Art und Weise, wie Digitalisierung erlebt und genutzt wurde, bestimmte.
Windows definierte einen Standard und prägte im Verbund mit Microsoft Office (man denke an Excel-Tabellen und Powerpoint- Präsentationen) die Bürokultur. MacOS, seit 2001 das Unix- Derivat MacOSX, stellte die intuitive Bedienung in den Vordergrund. Vom Benutzer wurde nicht verlangt, sich weiter mit der Technik auseinander zu setzen, sie sollte ganz dazu dienen seinen Intentionen zu folgen, möglichst im Flow. Linux verlangt mehr Kenntnisse von Code und Installation, und ist dazu eine Aussage für den Open Source Gedanken.

Facebook ist überall
Facebook ist überall

Facebook ist v.a. convenience. Man muß sich nicht viel kümmern. Facebook standardisierte die Möglichkeiten des Web 2.0 und machte sie für jeden zugänglich -weltweit. Nebenbei wurde der Klarname im Netz durchgesetzt.
Facebook erleichtert Zusammenschluss und Zusammenarbeit, Vernetzung und Verständigung für alles und für jeden” (S. 55). Account oder eine Seite sind schnell angelegt, ebenso Gruppen zur Diskussion und für den Grillabend. Fast jedes Unternehmen und jede Organisation wirbt um Likes, unzählige Veranstaltungen werden beworben.
In der Timeline laufen die Stränge zusammen: Nachrichten aus aller Welt und dem weiteren Bekanntenkreis, Diskussionen, in die man sich einklinken kann, Geburtstagswünsche, lustige gifs, Marketingbotschaften aller Art, zunehmend werden auch die Beiträge abonnierter Medien von hier aus gelesen bzw. betrachtet. Weitere Funktionen ergänzen das Angebot: so Messaging und seit einiger Zeit Live- Streaming. Der ständige Fluß hält das Interesse aufrecht – und weil sowieso (fast) jeder auf Facebook ist, findet man sie auch. Nie war es einfacher, Kontakte zu halten. All das, was man tut, und woran man Interesse zeigt, fließt in Algorithmen, die die Auswahl der Timeline und der Werbebotschaften bestimmen.
So lässt sich das Betriebssystem Facebook als ein personalisiertes Medienzentrum, das früher getrennte Sphären vereint, mit Anschluß an eine personalisierte Shopping Mall und angetrieben von einer Symbiose mit der Werbewirtschaft, verstehen. Die Timeline ist das gefühlte neue Lagerfeuer – wie einst das TV- Programm am Samstagabend.

Hier ist „Networked Sociality“ das Betriebssystem
Hier ist „Networked Sociality“ das Betriebssystem

Anders liest sich die Metapher des Sozialen Betriebssystems bei Rainie und Wellman in Networked. Vernetzter Individualismus verlangt demnach neue Strategien und Fähigkeiten der Problemlösung in Kollaboration zu entwickeln. Es kostet Zeit und Energie, die Kunst des Netzwerkens – und zwar aktiv – auszuüben (vgl. S. 9). Networked Sociality stützt sich auf die These der Triple Revolution – des dreifachen Wandels: der ohnehin stattfindende gesellschaftliche Wandel, die Internet- und die mobile Revolution.
Facebook erfüllt zwar viele der Funktionen – man sollte aber zwischen dem Anbieter und dem Bedarf unterscheiden.
Plattformen neigen zum Monopol, nach ihren Regel kann sich dort jeder einrichten und seinen Erfolg suchen. Facebook hat eine Vielzahl an Communities überflüssig werden lassen (vgl. Vehmeier, 2015), weil es die Funktionen bündelt. Machtballung einzelner Unternehmen schafft aber Unbehagen: “Je mehr Menschen ihr Leben über das Netzwerk organisieren, um so größer sind die Nachteile für denjenigen, der sich entzieht”(Koch S. 58). Manchmal spricht man vom “Digitalen Feudalismus“. Zum Vernetzten Individualismus gehört aber auch Selbstmanagement – nicht Einordnung in vorgesteckte Möglichkeiten.
BrandEins Autor Koch sieht die Position von Facebook, dem Gewinner der Social-Media- Epoche, auf absehbare Zeit gefestigt – v.a. weil es die mobile Revolution nicht verschlafen hat. Die digitalen Epochen schreiten aber weiter, kaum jemand kann über die nächsten drei, vier Jahre hinausblicken. Immer wieder hat es Unternehmen gegeben, deren Macht ständig zu wachsen schien. Manche sind verschwunden, die meisten davon bestehen weiter, stehen aber nicht mehr im Zentrum des Interesses.
Meine Meinung: Die Gesellschaft zersplittert nicht (wie die BrandEins titelt) in voneinander getrennte Blöcke oder Milieus (jedenfalls nicht in mehr, als es sie bereits vorher gab), sie konstituiert sich in sich jeweils neu konfigurierende Teilöffentlichkeiten – nach dem Prinzip der personalisierten Vergemeinschaftung. Übrigens überschneidet sich dies mit dem Modell der Figuration nach Norbert Elias – digitale Figurationen wäre ein Begriff, der auch Ökonomen interessieren könnte.

Christoph Koch: Wer hat Angst vorm blauen Daumen? Die Gesellschaft zersplittert, Facebook wird immer größer. Aber hat das noch was mit Gemeinschaft zu tun? BrandEins 05/16 S. 52 – 58  Lee Rainy & Barry Wellman (2012) Networked: The New Social Operating System. Cambridge, MA and London: MIT Press Thomas Vehmeier: Plattformen, Offenheit und Kooperation (Blog, 2015). Gunnar Sohn: Facebook,Google und die Vorzensur #KP China

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