Innovation und Gesellschaft

Sind Geistesblitze Auslöser von Innovationen – oder sind sie seriell?

Innovation bzw. innovativ zählt zu den Begriffen, die derart  inflationär gebraucht werden, dass man sie oft gleich in die Buzzword Ecke legen will. Dennoch bleibt der Begriff zentral und es haftet ihm ein Zukunftsversprechen an.
Imaginationen der technologischen Zukunft
nennt der Autor Jens Beckert sein Kapitel zu Innovation. Innovationsraten haben enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Unternehmen, Regionen und ganzen Volkswirtschaften. Würden sie sich signifikant verlangsamen, würde die Wirtschaft stagnieren  (Beckert, S.  267). Das macht Innovationen zu systemimmanenten Notwendigkeiten. Doch bedeutet Innovation mehr – neues nützliches Wissen zu erkennen und zu verarbeiten, neue Lösungswege zu suchen, hat Menschen immer angetrieben – nicht nur im wirtschaftlichen Handeln. Im Gefolge der Digitalisierung ist v.a. eine Definition von Joseph Schumpeter einflussreich: „the doing of new things or the doing of things that are already done, in a new way“.

Betriebswirtschaftlich ist Innovation in mehr oder weniger institutionalisierten Verfahren durchdekliniert. Innovativ können Produkte, Prozesse, Geschäftsmodelle, Bildungsformate, Technologien, Materialien etc. sein. Es gilt nicht der Entwurf, sondern die praktische und geschäftstaugliche Umsetzung. Neue Produkte werden entwickelt, bestehende verbessert, Prozesse optimiert und digitalisiert. Open Innovation, weitergehend CoCreation bezieht externes Wissen ein.  Das kann z.B. auch Netnographie sein,  wie etwa in dem von der Münchner Fa. Hyve entwickelten Ansatz. Man unterscheidet zwischen der stetigen Weiterentwicklung (inkrementelle Innovation) und den disruptiven Innovationen, die mit einer neuen Logik bestehende Märkte neu definieren.
Innovationsmanagement in Deutschland ist strukturiert und effizienzgeleitet – Forschung & Entwicklung, Ideenmanagement + agiles Projektmanagement, Creative Hubs etc. – so erfolgreich, dass das Land nach einer Analyse des Weltwirtschaftsforums (2018) als innovationsfreundlichster Standort weltweit an erster Stelle steht. Kriterien dazu sind u.a. die Anzahl der Patente. Besondere Stärke ist das Komplexitätskapital, was bedeutet, dass eine Volkswirtschaft bzw. ein Wirtschaftscluster in der Lage ist, schwierige, komplexe Aufgaben zu lösen – es setzt voraus, dass spezialisiertes Wissen aus ganz unterschiedlichen Feldern miteinander verbunden werden kann (vgl brandeins. Innovation 2018, s.u.).

In disruptiven Innovationen setzt sich die Logik der Digitalwirtschaft durch: das möglichst unkomplizierte Matching von Anbieter zu Abnehmer. Beispiele werden seit langem immer wieder genannt: Die Disruption der Musikwirtschaft seit den 90er Jahren von Napster über iTunes zu den Streaming Diensten. Die Werbewirtschaft verlagert sich von den Printmedien zu den digitalen Intermediären – mit der Nebenwirkung der Krise des Journalismus, dessen wesentliche Finanzierung dahinschwindet. Werbung, Produkte, Dienstleistungen und auch persönliche Beziehungen (Dating) werden mit Hilfe von Algorithmen personalisiert vermittelt, die sog. Sharing- Economy fügt Bereiche, die vordem nicht ökonomisch organisiert waren, hinzu.  Gewinner sind die vermittelnden Plattformen bzw. Intermediäre. Viele der Innovationen folgen derselben Logik in ähnlichen Mustern – man könnte sie als serielle Innovationen bezeichnen.
Lange Zeit war die Steigerung von Speichervolumen ein Innovationstreiber. Erst mit der besseren Verfügbarkeit von Speichermedien konnten sich Techniken in der Breite durchsetzen (z. B. Video- Streaming) – Komprimierungsformate wie mp3 und jpg zeugen noch immer vom nötigen sparsamen Gebrauch. Heute sind es die Datenströme, die Innovationen antreiben. Datenaufzeichnung begleitet mittlerweile unser Leben. In Social Media auf das engste mit der personalisierten Werbewirtschaft verbunden, stehen weitere Felder an: autonomes Fahren ist ohne umfangreiche und detailreiche Mobilitätsdaten nicht möglich; ohne Bargeld wird jeder Zahlungsverkehr (und damit auch Bewegungsprofile) in der Aufzeichnung nachvollziehbar. Immer wird ein Verhaltensüberschuss erhoben, der mehr Informationen sammelt, als für die jeweiligen Dienste erforderlich. eue Vorhersageprodukte ermöglicht.
Innovativ kann vieles sein – Patente können auch das (rechtliche) Handtuch sein, mit dem man sich den Platz sichert. Ist etwa ein neues Material für atmungsaktive Outdoor- Kleidung, die dann beim Waschen Microplastik in den Wasserkreislauf schleust, innovativ? … oder der verschliessbare Waschbeutel aus Baumwolle, der eben das verhindern soll? Sind es Müsli- Riegel mit Öko- Marketing? … oder sind es doch nur die Produkte und Verfahren, die unser Leben verändern, zumindest beeinflussen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Möglichkeiten neu bestimmen?

Empfehlenswert zum Thema ist die Diskussion “Wie entsteht Innovation” mit Wolf Lotter und Thomas Ramge. Zwei wesentliche (nicht immer entgegen gesetzte) Positionen zum Thema Innovation werden deutlich: Läuft unter dem Dauerrauschen Innovation eine Verlängerung der Logik industrieller Produktion, Effizienzsteigerung, weiter? Ist es nicht vorrangig, die neuen technischen Möglichkeiten zur Lösung von in der Folge der industriellen Logik entstandenen Probleme zu nutzen? Davon gibt es schließlich genug. Mehrwertgetriebene Produktion ging/geht oft genug zu Lasten von Mensch und Umwelt. Oder liegt die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in den datengetriebenen Innovationen, im Verlass auf aus Daten lernenden Systemen. Nicht unbedingt ein Widerspruch, aber zwei Pole in einer wesentlichen Diskussion.

Steve J. – Innovator in informellem Outfit

Wird von Innovation gesprochen, geht es oft um deren (angenommene) Träger: den in schöpferischer Zerstörung Neues schaffenden  Unternehmerpersönlichkeiten – den Entrepreneurs. Angelehnt an Schumpeter (1912) gelten sie als die innovativen Akteure der Wirtschaft, die bestehende Regeln aushebeln.  Steve Jobs ist wohl der Prototyp solcher transformatorischer Helden. Technologien ermöglichen die Umsetzung neuer Vorstellungen der Zukunft – fiktionale Erwartungen nennt es Jens Beckert (s.u.). Innovationen setzen sich durch, wenn sie von einer Kultur/Zivilisation angenommen werden. Das war so beim SmartPhone, wie es beim Buchdruck war. Oder auch beim Penicillin, beim Massengut PKW. Bei den dazu erzählten Geschichten gibt es immer einen als Held strahlenden Innovator.  Auch für gescheiterte Innovationen gibt es genügend Beispiele. Warum blieb etwa die Erfindung des Buchdrucks in China, die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger folgenlos? Einmal passte das Schriftsystem nicht, das andere mal stand keine organisierte Macht dahinter.

vgl. Jens Beckert: Imaginierte Zukunft. Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus, Berlin 2018. 568 S. – Besprechung folgt in Kürze Peter Laudenbach: Der Kapitalismus der Innovation, brandeins. Innovation 2018. S. 56 – 60 Bildnachweis (oben): Marie Maerz / photocase.de



Mediengenerationen und Digitale Biographie

prägen Medienrealitäten ein Leben lang? – Bildquelle: photocase.de/herr_specht

Digital Natives, Digital Immigrants, Generationen X, Y, Z, Golf, dazu kommen immer wieder Neuschöpfungen wie Generation Selfie oder Generation Burnout,  sind oft und gern gebrauchte Begriffe – fast inflationär werden sie benutzt, um damit Trends (+ vermeintliche) zu beschreiben. Zuerst war wohl die Vorstellung, dass Mediennutzung und -aneignung eine Frage der Generation sei, und dass es Generationen sind, die Medieninnovationen vorantreiben. Mit einem Begriff werden Alterskohorten umfasst, denen man dann bestimmte gemeinschaftliche Erfahrungen und Kompetenzen zuschreibt bzw. unterstellt. Was als Aufhänger o.k. und evtl. unterhaltsam war, wird befremdlich, wenn damit gesellschaftliche Debatten geführt und Kriterien zur Mitarbeitersuche entwickelt werden. Mit sozialwissenschaftlicher Erklärung, mit dem Verstehen unterschiedlichen Medienhandelns hat das nichts zu tun (vgl. dazu Beck, Büder, Schumann: Mediengenerationen, S. 8).
In der Zeit  konstatiert der Marburger Soziologe Martin Schröder, dass es die besonderen Unterschiede zwischen diesen Generationen nicht gibt. Bisherige Studien zu Generationen basieren auf fragwürdigen Annahmen und Methoden und enthalten  Formulierungen wie in Horoskopen (z.B. sie  – die Generation – lege viel Wert auf Emotionen und wolle die Strategien der Zukunft neu definieren).

Ein weniger plakatives Modell Digitaler Generationen stellte Kai Heddergott aus Münster auf dem Media Camp NRW vor. Dabei werden nach dem Personas– Ansatz prototypische Vertreter von Mediengenerationen (1960 bis 2020) mit der zur jeweiligen Zeit vorherrschenden Medienrealität entworfen. Medienrealität umfasst dabei alle zu Information, Unterhaltung, technischen Umsetzung und der Aufrechterhaltung sozialer Netzwerke verfügbaren Medien (incl. des pers. Gesprächs) – und diese prototypischen Medienrealitäten werden schließlich auf einer Zeitschiene als ebenso prototypische  Medienbiographien gegenübergestellt (vgl.. Medienzeitreise mit Medienwolken, Slide 15).
Bei diesem  Modell geht es v.a. um die Einbindung der vorhandenen digitalen Kompetenz von Mitarbeitern aller Generationen in Unternehmen. Darüber hinaus bringt das Konzept der Medien- bzw.  Digitalbiographie eine neue Sicht auf Mediengenerationen mit sich. Digitale Biographien beginnen mit den Einstiegspunkten in digitale Medien, vom Betriebssystem  zu Bild, Ton, Video und Games.

Jeder “state of the art” von Medienrealitäten ist irgendwann überholt

Wer heute 35, 40, 50 oder 60 Jahre alt ist, hat mehrere Jahrzehnte von Medien- bzw. Digitalem Wandel hinter sich – und es ist nicht abzusehen, dass sich Medienrealitäten nicht weiterhin wandeln. Medienkompetenz beinhaltet kommunikative, technische, performative Fähigkeiten und zählt in einer zunehmend – kommerziell – medialisierten Welt zu den beruflichen Schlüsselqualifikationen wie zu den zentralen kommunikativen Kompetenzen im Alltag. Und sie wird biographisch erworben – es gibt keine finale Kompetenz – Aus- und Fortbildungen sind in der Regel schnell überholt. Was vor einigen Jahrzehnten noch Medienprofis vorbehalten war, wird mehr und mehr  zu einer Voraussetzung der Teilnahme an der Gesellschaft.
Medienrealitäten sind immer mit  einer Kultur verbunden. Die Medienrealität der Nachkriegsjahrzehnte  war von der Verbreitung von TV und Telefon geprägt. Fernsehen brachte die Welt ins Haus, aber so, wie sie von den Programmverantwortlichen gestaltet worden war. Das Telefon erweiterte den Radius der Kommunikation, aber ausserhalb des Ortstarifs tickte der Zähler. Beide waren stark reglementiert, so sehr, dass etwa die Einführung des Tastentelefons als Veränderung wahrgenommen wurde.
Das Aufbrechen dieser Medienrealität seit den 80er Jahren war wohl ein entscheidender Anstoß im Wandel. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre dann die Durchsetzung des Internet, gleichzeitig mit der Mobiltelefonie und der Integration von Bild, Ton, später Video (damals Multimedia genannt). Gut 10 Jahre später der Durchmarsch des SmartPhone und der Social Media, wie wir sie heute kennen. Die Verbindung  über eine technische Plattform, wie dem Internet, erleichtert immer wieder die Verbreitung  neuer  Funktionalitäten

Sicher gibt es  kollektive Erinnerungen jeder Generation, etwa an TV- Serien, an Formen der Medienpraxis, wie der Zusammenstellung von Musikkassetten, an den C 64, Updates von Betriebssystemen oder das Geräusch des Einwahlmodems. Aber es sind eher die anheimelnden Ach- Effekte von Mediennostalgie, vergleichbar mit den Erinnerungen an Popsongs, Moden, Frisuren und dem Design von Konsumgütern.
Dass dieselben Medientechniken auf die jüngeren Generationen grundlegend andere Auswirkungen haben als auf andere Generationen, zeigt sich nicht.

vgl. auch: Klaus Beck, Till Büser, Christiane Schubert : Mediengenerationen. Biografische und kollektivbiografische Muster des Medienhandelns. UVK Verlag  2016, ISBN: 978-3-7445-0882-7;  202 S. 



Live-Streaming und Social Media 2016

Live Stream
Ursula Vrancken und Gunnar Sohn zu Digital Leadership (Live-Stream Aufzeichnung öffnet sich nach Klick)

Live Streaming macht Social Media komplett, jeder kann damit zum Live-Berichterstatter werden – und derzeit ist es einer der wesentlichen online-Trends. Mit Google Hangout on Air fing es 2011 an, Meerkat, das von Twitter erworbene Periscope und Bambuser folgten. Seit wenigen Monaten Facebook Live, und auch Google plant ein youtube Live. Technisch reicht ein aktuelles Smart Phone aus – besseres Equipment bedeutet aber auch bessere Ergebnisse.

Live-Streaming ist in erster Linie ein Dialog- Tool und lebt von der Interaktion mit den Zuschauern, die dadurch zu Teilnehmern werden. Hangout On Air und Periscope können im voraus angesetzte Termine anlegen – Programm mit Ankündigung. Später ist der Stream als gespeichertes Video unter der vergebenen URL abrufbar. Facebook live bietet mehr an Interaktion, ist in die Timeline integriert, der Stream wird Teil des Streams – und bleibt dort nach Sendeschluß als Videokonserve. Klickt man sich ein, ist man umgehend Teilnehmer und braucht sich kaum zu wundern, einbezogen zu werden. Pionier Gunnar Sohn sieht viele Möglichkeiten zum Einsatz von Live-Streaming/Social TV: als eigenständiges journalistisches Format v. a. für Solopreneure, in der Unternehmenskommunikation, oder ganz einfach als Nachbarschafts- und Community TV. Aktuell z.B. bei der Rheumaliga – Communities zu chronischen Erkrankungen entwickeln oft ein besonderes und kontinuierliches Engagemant in Social Media.
Kaum ein anderes Social Media Format beinhaltet solche Möglichkeiten (Teil-) Öffentlichkeiten  zu schaffen und zu stärken – und sie sind noch längst nicht ausgereizt. Live-Streaming hat das Potential zum Lagerfeuer der jeweiligen Gemeinschaft bzw. Szene.

SocialMedia 2016
SocialMedia Landschaft 2016 nach Fred Cavazza – Creative Commons

Der französische Blogger Fred Cavazza stellt jedes Jahr eine Graphik zur SocialMedia Landschaft als Creative Commons bereit. Vergleicht man die Übersicht links von 2016 mit älteren von 2012 und 2011, hat sich zwar einiges, aber doch erstaunlich wenig verändert – wenn man etwa die Entwicklung nochmals fünf Jahre weiter zurückverfolgt: Social Media sind erstaunlich stabil.
Publishing, Networking, Sharing, Discussing sind die wesentlichen Anwendungen von Social Media. Selber vermisse ich die vormalige Kategorie Gaming. Hinzugekommen sind Messaging und Collaborating. Messaging bedeutet Kommunikation von Person zu Person oder innerhalb geschlossener Gruppen – Messages treten an die Stelle kurzer Telephonate; Collaborating geht bereits eine Stufe weiter und verweist auf den Wandel in Arbeitsleben und Arbeitsorganisation.

Im Zentrum scheint es gleich geblieben zu sein: Facebook, Google und Twitter stehen an derselben Stelle. Die Schlüsselstellung halten sie dank ihrer APIs, die den Zugang zu weit mehr Diensten gewähren: LogIn with Facebook/Google/Twitter. Dahinter verschieben sich die Gewichte. Twitter hält sich, Facebook hat seine Position gestärkt. Dazu tragen Erwerbungen und Weiterentwicklungen bei. Auch ohne instagram und Whats App mitzurechnen, erreicht Facebook nach aktuellen Zahlen* 1,6 Mrd. Nutzer – mehr hat niemals ein Medienkonzern erreicht. Facebook Live ergänzt das Angebot – und Facebook setzt dabei ganz auf die convenience, die es erfolgreich macht (ob es dadurch zum sozialen Betriebssystem wird, ist eine andere Frage). Google+ ist schon länger aus dem Spiel. Es verwundert, wie sehr Google seine eigenen Entwicklungen vernachlässigt. Michael Zachrau, SEO- Experte aus Köln, sieht bereits den Anfang vom Ende des Google- Zeitalters heraufziehen.

Social Media sind mehr mit dem Real Life verbunden als in den Anfangsjahren und erfüllen ganz praktische Dienste. Messaging Dienste sind in den Alltag integriert. Hinzuweisen ist auch auf Erfolg und Verbreitung der Dating- Plattformen. Live- Streaming mit seinem hohen Bedarf an Bandbreite verbreitet sich als nunmehr letztes Genre von Social Media.

siehe auch: Gunnar Sohn: Livestreaming in der Unternehmenskommunikation Michael Zachrau: Google ist nicht mehr das Maß aller Dinge – auch nicht für SEO   *vgl.:  Social Media User -Statistics 2016

Innovation & Transformation (Rez.)

InnovationsstauCole_Digi_TRans

Zwei Bücher in denen es um Innovationsfähigkeit, um die “Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsnation” (Cole S. 197) geht.
Es gibt ein oft idealisiertes Bild der deutschen Wirtschaft. Dazu zählen die hidden champions aus der ostwestfälischen oder schwäbischen Provinz, die mit hochspezialisierten Produkten und herausragender Innovationskraft im Weltmarkt vorne stehen. Und es gibt leistungsstarke auf Effizienz getrimmte Konzerne. Zusammengehalten wird das von einer Kultur der Zuverlässigkeit und der Sachlichkeit. Das sichert dem Land Exporte aus der Produktion und den Wohlstand.
Beide Bücher lenken den Blick auf Schwachstellen der Innovationskraft hinter diesem Bild, und sehen sie u.a. in vorherrschenden Unternehmenskulturen und im Umgang mit dem Rohstoff Kreativität.
Digitale Transformation (daneben steht der Begriff Digitaler Wandel, darin sind die kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen einbezogen) ist ein globaler Prozess. Tim Cole bringt die einzelnen zugehörigen Themen, wie Industrie 4.0, Big Data, neue Branchen wie Video- und Musik-Streaming, Cloud Services, 3D- Druck als Fertigungsverfahren und die Customer Journey flüssig zusammen. Weiten Raum nimmt die Darstellung der neuen Rollen von Kunden, Herstellern und Mitarbeitern ein. Industrialisierung der Wissensarbeit ist ein Trend, komplexe Aufgaben werden in einfache Module zerlegt und über das Netzwerk an Personen vergeben, die die dafür notwendige Kompetenz haben (S. 177).
Trotz all dieser Änderungen gelten in der Alltagswirklichkeit oft noch die gleichen starren Regeln – und das sieht er als ein speziell deutsches Problem, an dem Arbeitgeber und -nehmer, Konsumenten und Politiker gleichsam an einer konservativen Mentalität teilhaben. Deutsche Chefs bestehen allzuoft (75% der Firmen verlangen Präsenz) auf Aufsicht und Kontrolle: Ohne Kontrolle keine Produktivität. Schließlich hat “Digitale Transformation” auch Züge eines Ratgebers. Cole entwirft Scenarios von Marketing, Arbeit und Organisation, am Ende der Kapitel  stehen jeweils “Zehn Fragen, die Sie sich in diesem Moment stellen sollten” – Checklisten, mit deren Hilfe Entscheider ihren Stand in der Digitalen Transformation prüfen können.

Innovationen sind manchmal einfach da Bildnachweis: kallejipp / photocase.de
Innovationen sind manchmal einfach da Bildnachweis: kallejipp / photocase.de

Jürgen Stäudtner verbindet mit Maschinenbau, Bildender Kunst und BWL Qualifikationen, die man selten zusammen findet. Er macht Ideen- und Innovationsmanagement, rollt  das Thema aus langjähriger Erfahrung auf. Es geht ihm darum, Arbeit und Wirtschaft zielführender zu gestalten, aufzuzeigen, “wie Ideen und Leidenschaft, wie Empathie für den Kunden, der Mut zum Scheitern und zur modernen Vermarktung zu Innovation führen.
Stäudtner bezieht Ansätze wie Open Innovation ein. Er zieht aber auch Schlüsse aus eigenen Beobachtungen in Arbeitsalltag und Produktentwicklung, das macht sein Buch empfehlenswert. 
Als Hemmschuh von Innovation sieht er ein teilweise oligarchisches System: Viele der in Deutschland angesammelten Vermögen sind in den Händen weniger Reicher,  denen es mehr um Erhalt von Vermögenssicherheit und der damit verbundenen Privilegien geht und die meist wenig Interesse an Investition in Innovation haben. Die Deutschen sind stolz auf technisch ausgereifte Produkte mit hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards. Da wirkt der offensichtliche Betrug von VW bei den Abgaswerten wie ein Menetekel. Innovationen entstehen dann, wenn man mit Gewohntem bricht.

Einen Gedanken kann man beiden Büchern hinzufügen – und das ist die kulturelle und gesellschaftliche Dimension des Digitalen Wandels. Die wird nicht verschwiegen, aber sie bleiben in der Sphäre der Wirtschaft. Zukunft wird nicht allein von technischer Machbarkeit und ökonomischen Entscheidungen bestimmt. Genauso von der Attraktivät kultureller Muster.
Die Frage warum bisher kein deutsches oder europäisches Unternehmen mit einem der “Großen Vier” (Apple, Google, Facebook, Amazon) der digitalen Welt mithalten kann, tritt immer wieder auf. Die USA haben Silicon Valley hervorgebracht, wie sie Hollywood hervorgebracht haben:  Ein riesiges Cluster global wirksamer populärer Kultur.
Zumindest drei der Großen Vier haben entscheidende Kulturtechniken der online-Welt, wie wir sie heute kennen, geprägt.  Apple blickt schon auf mehrere Jahrzehnte zurück und blieb einem Grundprinzip treu: Technik sollte intuitiv zu bedienen sein. Im Laufe der Zeit erbrachte dies eine Fülle von Innovationen, die uns heute selbstverständlich sind: den ersten ‘persönlichen Computer’, die graphische Benutzeroberfläche, die Bedienung der SmartPhones u.v.m.  Kennzeichen all dieser Innovationen ist  plug and play – der direkte Anschluß an die Intentionen der Benutzer – von denen nicht verlangt wurde, sich weiter mit der Technik auseinander zu setzen. Dafür wurde Apple geliebt wie sonst nur Pop- Stars.
Die unprätentiöse Google– Suche machte das Internet erst wirklich als Informationsquelle nutzbar und beendete das Internet der Portale (erinnert sich noch jemand daran?). Facebook hat Social Media nicht erfunden, aber in seiner Form auf der Welt verbreitet. Das alles sind Kulturtechniken, die sich weltweit schnell verbreiteten. Sie vereinfachten und verbesserten die Nutzung der neuen online-Welt  – sie wurden niemandem aufgezwungen.

Tim Cole: Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt getan werden muss! Verlag Franz Vahlen München; 2015, 24.90,  212 S. Jürgen Stäudtner: Deutschland im Innovationsstau: Wie wir einen neuen Gründergeist erschaffen. Books on demand ISBN:978-3-7347-6742-5;  2015, 183 S., 19.95 €;  .

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