Remote Work in der Diskussion

Die KI (Adobe Firefly) zeichnet das home Office als grünes Idyll – ohne spezifisches Prompting

Spätestens seit Corona zählen Home Office/ Remote Work/ mobiles Arbeiten zu den intensiv diskutierten Themen – und das gleich auf mehreren Ebenen:  persönlich in der Arbeits – und Alltagsorganisation, in Unternehmen als betriebliche Organisation, perspektivisch in Politik und Zukunftsdiskussionen. Das Thema  berührt im weiteren viele Fragen bis hin zu  Verkehrsplanung und Urbanistik.

In einem Zeitraum  Februar/ März 2024  (20.2. – 20.3.) haben wir mit der Social Listening Software Talkwalker die  deutschsprachige öffentliche Online- Kommunikation zu Remote Work und Home Office erkundet. Einbezogen wurden Nennungen in deutschsprachigen Quellen. In Talkwalker sind dabei Daten aus bis zu 20 Medienkategorien  auswählbar. Talkwalker bietet dazu weitere Funktionen, wie z.B. die Sentiment Analyse ( +/- Bewertung), die hier nicht genutzt wurden.
Beide Anglizismen sind ähnlich weit verbreitet. Home Office kam als Provisorium und meint wirklich nur den häuslichen Raum, der als Büro genutzt wird,  in der Umgangssprache verdrängte es Ausdrücke, wie Heimarbeit oder von zu Hause arbeiten.

Homeoffice im Neubezug

Remote Work  ist der weiter gefasste Begriff für vom Betriebsstandort unabhängige Arbeit – gleich ob von zu Haus, aus einem CoWorking Space oder ganz aus der Ferne als digitaler Nomade – die Orte, von denen aus Arbeit erledigt wird, sind prinzipiell gleichrangig. Der Begriff hat sich  von der IT- Branche aus verbreitet.
Vorläufer gibt es seit langer Zeit, etwa die Unterrichtsvorbereitung von Lehrern, der Schreibtisch und die Aktenordner im Einfamilienhaus, Auftragsarbeiten von Freiberuflern – aber erst mit den neuen Begriffen wird darüber ernsthaft diskutiert.
Zusammengerechnet wurden beide Begriffe 4.700 x in den Kategorien des deutschsprachigen Netz genannt. Etwas überrascht, dass Remote Work deutlich mehr (3t/1,7t) Nennungen erreicht. Ebenso der hohe Anteil  von Twitter, das als X für viele nicht mehr die erste Wahl ist. Teilweise zu erklären durch zahlreiche Re- Tweets, mit denen sich einzelne Inhalte multiplizieren.

Die %- Angaben  sind nicht direkt vergleichbar! Zu Remote Work gibt es ca. 3000 Nennungen, zu Home Office ca. 1600. Die Graphik aus Talkwalker stellt die jeweiligen % – Anteile davon dar

Die Verteilung nach Tagen (re.) zeigt immer wieder Ausschläge, an denen sich die Nennungen häufen.  Der stärkste Ausschlag folgte auf  einen Ausspruch des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder am 4.03:  Nur mit Teilzeit und Homeoffice werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen.
So spiegelt sich in den Zahlen die öffentliche Diskussion, bzw. es werden immer wieder auf eine bestimmte Wirkung ausgerichtete, oft provokative Statements von Politikern, Unternehmern und anderen Meinungs- Influencern eingeworfen, meist  gezielt platziert.

Home Office as usual

Zeitlich ganz eingrenzen lässt sich das Sample nicht: Ältere Aussagen und Argumente werden immer wieder herangezogen: So von Trigema- Chef Wolfgang Grupp: Home Office gibt es bei mir nicht. Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig-  später zwar im Zusammenhang relativiert, wurde das Statement dennoch als markig- konservativ medial verbreitet.

Arbeitnehmer befürworten das Homeoffice, während Arbeitgeber skeptisch sind  (Computerwoche, 11.03.) –  unter dieser Titelzeile werden Argumente gegen das Home Office aufgeführt, die auch in anderen Quellen erscheinen: Sinkende Produktivität, mehr Zeitaufwand für den gleichen Output.
Beschäftigte, die sich bewusst dafür entscheiden, von zu Hause aus zu arbeiten, tun dies häufig auch, weil sie dort andere Verpflichtungen haben, —  dazu wird mangelnder sozialer Austausch innerhalb der Belegschaft beklagt. Das beeinträchtige nicht nur die Stimmung im Team, sondern auch die Innovationsfähigkeit bei kreativen Aufgaben. Es werde schwieriger, sich spontan zwischen Tür und Angel mit einem bestimmten Kollegen auszutauschen, was eben Innovationsprozesse hemme. Die meisten Argumente lassen sich auch mit diversen Studien belegen – bloss bleibt unklar, wie allgemeingültig deren Ergebnisse sind.
Nicht zu vergessen sind Verweise auf IT- Sicherheit: In einer zunehmend dezentralen Arbeitsumgebung steigt die Anfälligkeit für Ransomware-Angriffe exponentiell (18.03.).

Home Office im Termindruck

Die einen sammeln Argumente gegen etwas, die anderen sammeln Erfahrungen. Das meint Thomas Dehler, Gründer und Geschäftsführer der Gesellschaft für Telearbeit (Gefta) im Interview  mit Gunnar Sohn (28.02). Flexible Arbeit ist auf dem Vormarsch, trotz einiger Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück ins Büro holen – Dehler ist engagierter Vertreter der  flexiblen Arbeit. Remote Work ist definitiv ein Thema, wenn der Mitarbeiter im Mittelpunkt steht.
Wer Homeoffice in Frage stellt, wolle Leute rausekeln, manchmal gebe es ein rabiates Rollback. Dahinter stecke oft in Wirklichkeit die nackte Angst von Führungskräften, nicht zu wissen, wie sie die Arbeit aus der Ferne kontrollieren können.  Aber auch ein gegenseitiger Prozess: Jeder Bewerber, der an eine Marke angedockt werden möchte, wird einen Kompromiss schaffen, auch wenn er völlig remote-minded ist. Neue Organisationsformen von Arbeit lösen so  Innovationsprozesse aus.
Weiter verweist Dehler auf den Beitrag zur Dekarbonisierung. Jeder nicht gefahrene Arbeitsweg-Kilometer spart Tonnen von CO2.
Auch in anderen Quellen wird die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle betont: Mit voranschreitender technologischer Entwicklung werden die neuen Arbeitsmodelle allerdings für immer mehr Menschen zum “New Normal”  werden. Sie suchen nach Arbeitgebern, die eine damit kompatible Kultur sowie Identität bietet (Personalwirtschaft.de , 7.03.)

Manche Arbeitgeber nennen das Home Office als eine gewährte Vergünstigung: Wir bieten freie Zeiteinteilung, Homeoffice, wir haben eine Tischtennisplatte im Büro, mittwochs gibts ein kostenloses Mittagessen aus regionalen Produkten und freitags nachmittags Freibier (7.03.).
Unternehmen haben noch keine dauerhafte Lösung beim Thema Remote Work gefunden- so sagt es ein Berater aus dem Kienbaum Institut.

Home Office – bright & light

In einigen Diskussionssträngen eingestreut werden Fragen der Arbeitsmoral. Verbunden mit einem Bashing der Generation Z teilt etwa die Beraterin Susanne Nickel  in ihrer Kolumne im Focus (14.03.) aus: Remote arbeiten, was heißt: möglichst da, wo der Chef nicht plötzlich auftauchen, kritisieren und Anweisungen geben kann. Und bloß nicht zu viel und zu schwer.  Weiter: In der Generation Z werden nämlich die drei großen F’s gefeiert: Freizeit, Freiheit und Flexibilität. Das sind die „Werte“, die zählen – und nicht etwa Fleiß, Leistung und Karrierestreben.
Das Bashing hat einen Zweck: Es geht um die Bewerbung ihres Buches: Verzogen, verweichlicht, verletzt: Wie die Generation Z die Arbeitswelt auf den Kopf stellt und uns zum Handeln zwingt – erschienen am 19.03.

Aus diesem – querfeldein –  Ausschnitt von 30 Tagen erfährt man bereits viel über die verbreiteten Meinungen und Haltungen  –  aber bis dahin ziemlich wenig über die alltägliche Wirklichkeit von Home Office/ Remote Work, über die konkreten Arbeitsbedingungen. Bis hierhin ist es Medienbeobachtung, eine Exploration der öffentlichen Thematisierung in einem Ausschnitt, der  sich verbreitern oder auch enger fokussieren lässt.
Weitere Schritte zu einer Netnographie richten sich nach einer zu stellenden Forschungsfrage – die formulieren soll, was man denn wissen will. Etliche der Quellen ermöglichen einen tieferen Einstieg mit weiteren Recherchen.
Sicher enthält das Sample noch viele weitere Informationen bereit, so z.B. zur richtigen Ausstattung des Home Offices (ein Geschäftsfeld)  – bis hin zum Feng Shui

Home Office/ Remote Work verbreitete sich als temporäre Lösung während der Pandemie. Eine Entwicklung, die bereits begonnen hatte, wurde so massiv  angetrieben. Noch wenige Jahre zuvor waren digitale Medien und Techniken nur in wenigen Branchen ausreichend verbreitet. Heute gehören die Techniken zu einer wohl flächendeckend verbreiteten Infrastruktur.
Die digitale Öffentlichkeit ist mehr denn je eine Bühne der Positionierung, die von vielen Akteuren bespielt wird, die sich ihrer möglichen Wirkung bewusst sind.
Ist Remote einer der Trigger (vgl. Triggerpunkte), der Reizbegriffe, an denen Konflikte  entzündet werden? – Manchmal fühlt man sich auch an die Instrumentalisierung von Begriffen wie woke erinnert.

 

Einzelne Quellen: Wie zeitgemäße Arbeitsmodelle die Unternehmenskultur beeinflussen. Personalwirtschaft.de – 7.03.24. — Die Rückkehr ins Büro: Was steckt wirklich dahinter? Personalwirtschaft.de 4.03. 24 — Gunnar Sohn: Interview mit Thomas Dehler.  28.02.24 –  Gunnar Sohn:  Wer Homeoffice in Frage stellt, will Leute rausekeln #ZPSued  Susanne Nickel: Die Gen Z verhält sich, als ginge sie die ganze Misere im Land nichts an – Focus  14.03.24. Wirtschaftspsychologen tagten zum „New Normal“. Forschung und Praxis analysierten Ansätze zur Gestaltung der Arbeitswelt . 27.02.24   Mitarbeiterbindung versus Präsenzpflicht  — Pressemitteilung von: virtuu: Streit ums Homeoffice: Studie zeigt, dass sich Führungskräfte vor allem um den Teamzusammenhalt sorgen. 27.02.24
Warum Arbeitgeber das Homeoffice tolerieren 11.03.24.  Homeoffice- Nicht für jeden geeignet – Luckx Das Magazin. 7-03.24  — New Work schafft neue Realität. Lebensmittel Zeitung 7.03.24.  —– Bilder vom Home Office von ob. nach u.: Klaus Janowitz, Johannes Mirus, Gunnar Sohn, Birgit Eschbach,  — – z.B. auf den Seiten  der Hans- Boeckler Stiftung sind einige Studien einsehbar bzw. stehen frei zum download. 

 

 



Community vs Consociality- Digitale Sozialität

Chat GPT Image Creator  stellt  *Community” mit einer Baumsymbolik dar

Im letzten Beitrag zur Aktualisierung des Netnographie–  Ansatzes hatte ich die  Unterscheidung Community – vs. Consocialitybased Netnography thematisiert.
Beide Begriffe bezeichnen Vorstellungen von Sozialität. Der eine Begriff – Community – ist fast allgegenwärtig, oft überstrapaziert, mit einer breiten Bedeutungsstreuung. Consociality ist wenig geläufig und erklärungsbedürftig.

Die Gegenüberstellung beider Konzepte öffnet den Blick auf Entwicklungen digitaler Sozialität, über den engeren Kontext hinaus. Es gibt Parallelen zu Ferdinand Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft (1887), doch sind die Konzepte des 19. Jh. so nicht übertragbar – dazu abschliessend mehr.

Community bedeutet grundsätzlich eine freiwillige Vergemeinschaftung  auf der Basis identitätsbestimmender  Merkmale, gemeinsamer Interessen, Ziele  etc – entscheidend ist ein Gefühl von Zu- und Zusammengehörigkeit.  Mittlerweile im deutschen gebräuchlich, liegt die Bedeutung in etwa zwischen Gemeinde und Gemeinschaft.
Es ist eines der ältesten Konzepte in den Sozialwissenschaften. Als soziale und kulturelle Wesen leben Menschen in Gemeinschaften. Sie bedeuten das interaktive Umfeld aus dem sich Identität und Selbstverständnis der Einzelnen ableiten.
Der Community– Begriff im heutigen Sinne verbreitete sich mit den Cultural Studies von ethnisch definierten Communities (Ethnicity), wie z. B. black/ aboriginal/ migration diaspora  Community über solche, die sich abseits der Mehrheitsgesellschaft sahen (wie gay/ deafCommunity),  zu einer Vielzahl subkulturell definierter  Gemeinschaften, die sich in Popular- und Jugendkulturen  herausbildeten. Manche davon als Fankulturen, bis hin zu den Fans von Marken/ Brands- oft nach sehr vagen Kriterien: Style constitutes a group of identity ( Barker & Jane, 559)
Mit dem Konzept der Tribes gibt es Überschneidungen – so v.a. die gefühlte Gemeinsamkeit. Communities weisen aber ein gewisses Mass an Organisiertheit auf.

Online- Communities sieht der Image Creator so. – Promptings mit Konflikt- Bezügen führt der Chat Bot aber nicht aus

Digital Communities waren von Beginn an ein zentrales Konzept digitaler Sozialität. Oft herausgewachsen aus bereits bestehenden Sub- und Fankulturen, wie etwa zu Star Trek, im Gaming und im Tech- Umfeld, zu erlebnis- intensiven Sportarten, als Selbsthilfe, zur Verbindung mit Gleichgesinnten u.v.m. Identitäten abseits des Mainstream nahmen sich ihren Platz. Oft genug wurden Digital Communities zu einem wichtigen Teil des  Lebens ihrer Mitglieder.  
Allein die Möglichkeit der translokalen Vernetzung brachte Interessengruppen jeder Art zusammen. Community passte zum basisdemokratischen Aufbruchsgefühl des Web 2.0: Freie, nicht- hierarchische Assoziation auf der Grundlage gemeinsamer Interessen. Die digitale Öffentlichkeit als Ganzes wurde oft als Netzgemeinde angesprochen. Das geschieht heute kaum mehr – hingegen hat sich die Ansprache als Community in vielen Branchen und ihrem Umfeld verbreitet.

Gemanagete bzw. moderierte Communities stellen wohl eine besondere Ausformung dar. Meist werden sie von Organisationen, Medien, Sendern und anderen Unternehmen betrieben. So gibt es Bezüge zur Unternehmenskommunikation, evtl. CoCreation, sie halten v.a. einen Fixpunkt und einen Standard digitaler Öffentlichkeit in manchmal schwierigen Feldern aufrecht. (vgl links zu Definitionen von Online- Communities u.)
Die Frage ist immer, was eine Community zusammengebracht hat – bzw. was sie zusammenhält.

So weit es auch gefasst ist, deckt das Konzept Community nur einen Teil digitaler Sozialität ab. Wie weit reichen Konzepte wie Gemeinschaft, Kultur, Identität in digitalen Umgebungen? Die tatsächlichen Erfahrungen sind oft von instabilen Kontexten bestimmt.

Consociality stellt der Image Creator weniger eingängig dar

Consociality, wurde als Consociation zuerst in The trouble with community (Amit/ Rapport, 2002) thematisiert. Gemeint waren kontextuelle Gruppierungen, meist abhängig von bestimmten Aktivitäten, in denen sich aber kaum kollektives Bewusstsein entwickelt. Es ist die Vielzahl oft alltäglicher und instrumenteller oder beiläufiger sozialer Ereignisse, die vormals oft keine Rolle gespielt haben – unter den Bedingungen von Social Media aber eine eigene Bedeutung erlangen.

In einem älteren Beitrag hatte ich dafür das Bild des #Hashtag gewählt: Soziale Verortung mit einzelnen Attributen. Menschen mit gleichen bzw. kompatiblen Interessen – oder auch nur Impulsen und Affekten – werden so zusammengeführt. Contextual fellowship bedeutet noch keine Gemeinschaft – erhält aber auf den Plattformen Bedeutung.
Consociality bezieht sich auf die physische und/oder virtuelle Kopräsenz sozialer Akteure in einem Netzwerk, die eine Möglichkeit zur sozialen Interaktion zwischen ihnen bietet. Übereinstimmungen, Kompatibilitäten, Ansichten, Impulse werden so relevant und bieten sowohl Möglichkeiten der Kooperation – wie sie sich auch einfach summieren und aufschaukeln können.

Mittlerweile ist ein grosser Teil des Alltags mit dem Internet verbunden. Digitale Sozialität  wird massgeblich durch die Plattformen strukturiert. Aktionen und Verhalten richten sich oft strategisch danach aus.
Ein endloser Strom von Nachrichten – echt und fake – Bildern, Video- Clips, Eindrücken, unterschiedlichster Provenienz setzt oft neue, manche noch in ihrer Konsequenz unbekannte Dynamiken in Gang.

Themen wie Online- Kultur, Communities, posttraditionale Vergemeinschaftungen etc. wurden bis vor ca. 10 Jahren in grösserem Umfang diskutiert. Damals waren sie oft mit positiven Zukunftsvorstellungen belegt – wahrscheinlich wurden einige davon auch verwirklicht und werden heute als selbstverständlich wahrgenommen. Andere Entwicklungen werden als problematisch wahrgenommen, eine Verwahrlosung der digitalen Öffentlichkeit – in den USA Enshittification – thematisiert.
Ein Rückbezug zu Tönnies: Grundsätzlich kann man eine Polarität Gemeinschaft/ Gesellschaft als allgemeingültig annehmen: Hier die Ebene der Verbundenheit – dort die formalisierte Gesellschaft. Man braucht aber nur daran zu erinnern, dass die Grenzen der Gemeinschaft zu Tönnies’ Zeiten für die meisten Menschen einengend waren.
Community ist ein mit Werten verbundener Begriff (was nicht immer stimmen muss) – Consociality/ Consozialität kann ein Konzept sein, mit dem die Realität digitaler Sozialität besser beschrieben werden kann.

We are all interrelated beings in an interdependent world

Vered Amit, Nigel Rapport: The trouble with community: anthropological reflections on movement, identity and collectivity. Pluto Press, London 2002,  192 S.  Hanell, F.  &  Jonsson Severson, P.: Netnography: Two Methodological Issues and the Consequences for Teaching and Practice. The 6th Digital Humanities in the Nordic and Baltic Countries Conference, Uppsala, Sweden,  3/ 2022   Kozinets, Robert V.: Netnography. The Essential Guide to Qualitative Social Media Research.. 3d Edition 2019, SAGE Publications Ltd. 460 S. ., Ronald Hitzler, Anne Honer, Michaela Pfadenhauer: Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnografische Erkundungen, 2009 358 S.  – Chris Barker & Emma A. Jane: Cultural Studies. Theory and Practice, Sage Publ. 2016, 760 S.
Definitionen von Online- Communities: Tanja Laub 3/21 auf Community-Management.deVivian Pein  9/23 auf –socialmediamanager.de –  auch: Tom Klein: Manipulative Kommunikation…. kurz und knapp erklärt .. Whitepaper 2024

 



Netnographie 2024 – Community vs Consociality

Netnography is about obtaining cultural understandings of human experiences from online social interaction and/or content, and representing them as a form of research (* längere Definition, 2022, s.u.).

Netnographie blickt bereits  auf drei Dekaden zurück, in denen sich online social interaction (and/or content) ebenso veränderte, wie das Netz selber. Die kurze Definition aus dem Jahre 2015  ist ebenso einprägsam, wie sie einen weitgezogenen Rahmen absteckt – und damit auch den Anspruch als Forschungsprogramm der Wahl für ein sich ständig weiter entwickelndes, umfangreiches Forschungsfeld.

Ein kurzer Rückblick: Virtual Communities waren das Einstiegsfeld in eine online practice of ethnography. Im Grunde eine Erweiterung des Forschungsfeldes um ein field behind the screen. Naheliegend war es bestehende Methoden auf die neuen Räume sozialer Interaktion anzuwenden: Ethnographie umfasst einen weitgefassten Methoden- und Anwendungskoffer – basierend auf Beobachtung, Ko- Präsenz und Teilnahme. Angewandt in der eigenen Gesellschaft geht es um soziale und kulturelle Differenzierungen und auch darum, wie diese geteilte Gegenwart hergestellt, aufrecht erhalten und verändert wird.

Research zu Virtual Communities passte sich ein in Konzepte, die sich mit Lebenswelten in den zeitgenössischen, oft als postraditionell bezeichneten Gesellschaften befassen: Cultural Studies – the whole way of life of a group of people –  befassen sich oft mit Sub- und Popularkulturen als Teil des sozialen, politischen und ökonomischen Gefüges;  das  Konzept Consumer Culture betrachtet Konsum als Ausformung populärer Kultur; das Modell der Tribes, Vergemeinschaftungen gefühlter gemeinsamer Identität- wurde mehrfach in diesem Blog beschrieben – u.a. Consumer Tribes
Brand Communities (1995ff) verweisen  auf  vergemeinschaftende Effekte von  Konsum. Einige Beispiele werden immer wieder genannt: Apple, Nike, manche sog. Kultmarken. Der Aufbau einer Brand Community gilt als Erfolgsziel des Marketing.

Ethnographische Ansätze wurden  mehrfach, oft auch ad-hoc,  auf Online- Welten angewandt. Neben Netnographie hat dabei Virtual Ethnography der britischen Soziologin Christine Hine Verbreitung erlangt.
Was Netnographie vor den anderen Ansätzen auszeichnet, ist die über drei Jahrzehnte gewachsene Kontinuität als adaptive Forschungspraxis, die den Wandel der technologischen und kulturellen – technokulturellen – Infrastruktur spiegelt. Vorangetrieben wurde Netnographie seit Beginn  von dem kanadischen Kulturanthropologen und Marketer Robert Kozinets – gelegentlich etwas scherzhaft als Godfather of Netnography tituliert.
Netnographie hat sich seitdem international verbreitet, so findet Ende Mai 2024 die Netnocon- Conference in Mailand statt. Im deutschsprachigen Raum weniger, bekannt ist die  Münchner Firma Hyve mit einem auf Netnography Insights basierenden Workflow zur Produktentwicklung (verbunden mit dem Ansatz Open Innovation nach Eric v. Hippel). Einige Marktforschungs- Institute führen Netnographie in ihrem Portfolio auf.

Online- Kommunikations- Welten verändern und entwickeln sich ständig – von technologischer, sozial/ kultureller wie von kommerzieller Entwicklung angetrieben. Vom experimentellen  Cyberspace zum Netz der  Forum- typed Online Communities,  vom partizipatorischen Web 2.0 zur Landnahme und Dominanz der Social Media Plattformen, bis hin zum heutigen Netz mit seiner vielschichtigen Integration mit der physischen Welt.
Das frühe Internet fühlte sich irgendwie subkulturell an – von Nerds und zahllosen Communities belebt, die sich um Fantum jeder Art, gemeinsamen Interessen und Leidenschaften bildeten.  In den späteren Entwicklungsstufen wurde das Netz  immer mehr zu einer übergreifenden  Infrastruktur der Gesamtgesellschaft.

Seit etwa Beginn der 10er Dekade, verstärkt in den letzten Jahren, wurde diese Veränderung thematisiert: Online- Communities blieben lange Zeit das Modell, Online- Sozialität zu verstehen. Damit verbunden ist die Vorstellung von wechselseitigen Interaktionen, Teilhabe incl. einem Beziehungsaufbau. Die Frage ist immer, was eine Community zusammengebracht hat – bzw., was sie zusammenhält.
Digitale Interaktionen sind oft situativ, auf einzelne Funktionen bezogen, sozial instabil, generell variabel. Mit dem Konzept Community lassen sich viele dieser digitalen  sozialen Erfahrungen nicht beschreiben.
Als Gegenstück zum Konzept Community hat sich das Konzept Consociality herausgebildet -es wird definiert als the physical and/or virtual co-presence of social actors in a network, providing an opportunity for social interaction between them. 

Die schwedischen Autoren Pernilla Jonsson & Fredrik Hanell unterscheiden demnach zwei Ausformungen von Netnographie (vgl. Hanell, F.  &  Jonsson Severson 2022 u. 2023):
Community-based Netnography, using the notion of community, focused on
interactions characterized by (lasting) communal ties and practices. Consociality-based Netnography, using the notion of consociality, focusing on interactions characterized by (fleeting) connections in contextual fellowships.

Netnography Procedures. aus: Netnography evolved. Kozinets 2023 (s.u.) – nach Klick in voller Auflösung

Netnographie kann viele Formen annehmen, unterschiedliche Methoden der Datenerhebung und unterschiedliche Analyse- und Interpretationsmethoden anwenden.
Die nebenstehende Graphik zeigt einen – prototypischen – Ablauf, Stand  von 2023,  ausgehend von der Initiation incl. der entscheidenden Forschungs-frage.
Kurz zusammengefasst bedeuten die einzelnen Schritte: Initiation (ausgehend von einer Forschungsfrage) konzentriert die Recherche auf ein ausgewähltes Thema/Phänomen; Immersion, meint den Prozess des Erlebens, Beobachtens, Nachdenkens und Aufzeichnens; Investigation: Recherche und Sammlung vorhandener Quellen,  konzentrierte und selektive Suche; Interaktion, einschließlich Datenerhebung; Integration, meint die Verbindung von Analyse und Interpretation schliesslich Incarnation, der Akt der Darstellung und Präsentation  von Ergebnissen. (vgl.: Kozinets, R. V., 2023.  Netnography evolved s.u.).. Entsprechend den Fieldnotes der physischen Ethnographie wird ein immersion journaling – Aufzeichnung empfohlen.
Diese genannten Schritte sind als Orientierungsvorgaben zu verstehen – jede einzelne Netnographie ist  hand- tailored – den Quellen, dem beabsichtigten Umfang und v.a. der Forschungsfrage entsprechend, die eben das definiert, was man wissen will.

Ein nützliches Pairing ergibt Netnographie + Social Intelligence Software (vormals  Social Media Monitoring, später – Listening), wie sie die Softwaredienstleiter Linkfluence, Talkwalker, Brandwatch anbieten.
Die Software ermöglicht den Zugriff auf – öffentlich verbreitete – Online- Kommunikationsdaten, die bis auf mehrere Jahre zurückreichen können. Die Datenquellen lassen sich – entsprechend dem Forschungsinteresse – nach Vorgaben filtern und auswählen. Quellen können so schnell ausfindig gemacht, Verbindungen entdeckt werden.  Social Intelligence Software ist meist für die Begleitung und Erfolgsmessung von Social Media Kampagnen optimiert, incl.  Sentimentanalyse*.
Netnographie + Social Intelligence Software erleichtert vor allem eine Consociality- based Netnographie. So kann zu häufig diskutierten Fragen oft sehr effektiv recherchiert werden. Etwa die Verbreitung von  Einstellungsmustern, der Akzeptanz von Veränderungen: Wo, wie häufig werden Themen diskutiert, welche Einstellungen sind verbreitet, welcher Tenor herrscht dabei vor  etc.
Die Such- Ergebnisse bedeuten allerdings längst keine automatisierten Forschungsergebnisse. Nicht alle aufgefundenen Quellen sind im jeweiligen Zusammenhang  aussagekräftig.  Kommunikation in Social Media unterliegt  oft bestimmten Absichten, strategisch konzipierte Marketing- Kommunikation. Es bedarf einer skilled interpretation. Eine nützliche Variante ist die Exploration eines Themas als Vorstudie, die dann mit den jeweils geeigneten gewählten Methoden fortgesetzt werden kann.

Der Gegenstand bzw. das Forschungsfeld von Netnographie kann sehr vielfältig sein, von relativ einfachen Recherchen bis zu aufwändigeren (und damit teureren) Studien.
Ein spannendes Feld sind thematische Cluster, die sich über ein gemeinsames Interesse und Engagement bilden. Solche, die Erzeuger, Handel und Konsumenten umfassen. Man findet sie dort, wo Konsum, Identität und/ oder Engagement für eine Sache zusammenkommen: Beispielsweise zu den Themen  vegan und Fairtrade  – besonders zu den Zeiten, als sie in den Mainstream einsickerten. Zu Genussmitteln wie Kaffee, Schokolade, Craft Beer oder Vin Naturel, besonders, da wo sie neu erlebt werden, im weiteren  Style- Communities, wie etwa New Heritage. Insbesondere  Tourismus und Sportarten mit hohem Engagement sind Felder, die vielfältig mit Social Media bzw. Online- Kulturen verbunden sind.

Immersive Netnographievon Kozinets bereits in einem Paper entworfen, ist ein Vorgriff auf bislang höchstens ansatzweise bestehende soziale Umgebungen in einem erweiterten technokulturellen Raum – Virtual Reality, Augmented Reality, Spatial Reality – mögliche Metaverse– Kontexte.  Wo Menschen miteinander interagieren, machen sie soziale Erfahrungen – ob in einem physischen, einem medial vermittelten, oder in rein virtuellen Räumen. Technologisch vermittelte Welten sind Teile der Lebenswelt: Identitäten werden konstruiert, Verbindungen aufgebaut, Verhaltensmuster bilden sich heraus – und es gibt ein kommerzielles Interesse daran, wie sich diese in Konsummustern niederschlagen. Das Konzept von Ethnographie, als Beobachtung der Lebenswelt ist darauf genauso übertragbar, wie es der Cyberspace der 90er Jahre war  (vgl.: Kozinets, R. V., 2022.  Immersive netnography, s.u.).

Soweit eine kurze Aktualisierung von Netnographie unter Berücksichtigung aktueller Veröffentlichungen. Viele einzelne Punkte sind angesprochen- wird fortgesetzt ….

Überarbeitet 16. Februar

Definition ¹aus Netnography Evolved, 2023:  Qualitative research approach for gaining cultural understanding that involves the systematic, immersive, and multimodal use of observations, digital traces, and/or elicitations. It is based on a set of guidelines combined with flexible procedures that emphasize researcher engagement, ethical considerations, and contextualization.
* Sentiment: positiver bzw. negativer Tenor von Aussagen

Gambetti, R. C., & Kozinets, R. V. (2022). Agentic Netnography. New Trends in Qualitative Research, 10.: Weijo, H., et al., New insights into online consumption communities and netnography, Journal of Business Research (2014). Hanell, F.  &  Jonsson Severson, P.: An open educational resource for doing netnography in the digital arts and humanities. In:  Education for Information · 6/2023.  Hanell, F.  &  Jonsson Severson, P.:Netnography: Two Methodological Issues and the Consequences for Teaching and Practice. The 6th Digital Humanities in the Nordic and Baltic Countries Conference, Uppsala, Sweden,  3/ 2022 Kozinets, Robert V.: Netnography. The Essential Guide to Qualitative Social Media Research.. 3d Edition 2019, SAGE Publications Ltd. 460 S.  ¹Kozinets, R. V. Netnography evolved: New contexts, scope, procedures and sensibilities. In: Annals of Tourism Research · December 2023 Kozinets, R. V. (2022). Immersive netnography: a novel method for service experience research in virtual reality, augmented reality and metaverse contexts. Journal of Service Management, 34(1), 100-125..  Kozinets, R. V. (2021): Netnography Explained. Kozinets, R. V. Everyday activism: an AI-assisted netnography of a digital consumer movement. In: Journal of Marketing Management 01/2024.  Kozinets, R., (2022). How to Conduct Netnography: Using an Immersion Journal SAGE Publications 2022
Kaoukaou, M.: Netnography: towards a new sociological approach of qualitative research in the digital age. https://doi.org/10.1051/shsconf/202111901006
Chris Barker & Emma. A. Jane: Cultural Studies. Theory and Practice, Sage Publ. 2016, 760 S, 


Influencers & Creators. Business, Culture and Practice (Rezension)

Netnographie auf aktuellem Stand, vom Autorinnen- Trio Rossella Gambetti (Universita cattolica, Mailand), Ulrike Gretzel und Robert Kozinets (beide USC, Los Angeles), dem Godfather of Netnography ;-).

Influencers & Creators sind Erscheinungen der fortgeschrittenen Social Media – zwar lassen sich rückwirkend ebensolche schon    früher beschreiben, doch geht es um das Ecosystem, in dem sie sich entwickeln. Ecosystem ist aus der Ökologie übernommen  und meint ein vielfältig miteinander verflochtenes, im besten Falle kooperierendes System – hier die Beteiligten eines digitalen Mediensystems, das rund um Werbung und Marketing gewachsen ist.
Influencer betreiben Marketing, ihr Einsatz ist – wie auch immer erworbenes – soziales Kapital mit dem Kunden generiert werden sollen.  Digital Creators produzieren den oft genannten hochwertigen Content, ob es nun Podcasts, Videos, Texte, Live- Streams, Micro- Kochshows, Snack- Comedy* oder etwa die immersiven Angebote  für ein zukünftiges Metaverse sind.

Influencer Marketing wird seit Beginn des Social Web thematisiert. So gibt es Zuschreibungen, Rollen (und Rollenklischees) davon, was  Influencer tun, wie sie sich verhalten und was sie erreichen sollen, best practice. Das Geschäft beruht darauf, soziale Interaktionen – soziales Kapital – zu monetarisieren, für eigene Ziele oder als Auftragsarbeit. Die Bandbreite ist enorm, gestaffelt in  Prominenz und Reichweite von Nano über Micro, Macro zu Mega– Influencern.  Figuren wie Kim Kardashian und Chiara Ferragni stechen zunächst hervor, erstere als eine Art It- Girl des ungehemmten Konsumismus,  die zweite  als selbstvermarktendes Model, das darauf eine eigene Art von Unternehmen aufgebaut hat. Celebrities verfügen kraft ihrer Prominenz – die sie etwa im TV,  Sport, Popmusik oder auch Gossip erworben haben, über soziales Kapital. Influencer  haben  es ansonsten im Social Web selber aufgebaut.

Influencer und damit verbundene Konzepte (19)

Influencer inszenieren sich in der Regel als real people – mit ihrem realen Namen, mit einem breiten Einblick in die persönliche Sphäre. Authentizität von Person und Umgebung ist entscheidend für die Reputation – personal branding beruht darauf.
Die Rollen von Influencern überschneiden sich mit anderen Rollen, ohne mit ihnen identisch zu sein (s. nebenstehenden Graphik). Microcelebrities sind eine Entsprechung in kleineren Öffentlichkeiten – sie sehen und behandeln ihr Publikum als Fans. Meinungsführer entstammen zumeist den jeweiligen Communities und haben dort  Reputation aufgebaut. Markenbotschafter stehen in einem direkten, formalisierten Auftragsverhältnis. Digital Marketers verstehen sich als Professionals,  vermarkten aber nicht ihre eigene Person.
Glaubwürdigkeit von Influencern beruht auf dem Aufbau von Reputation im anvisierten Feld durch Authentizität und/oder Expertise. Abhängig von  Branchen bzw. Interessenfeldern zeigen sich ganz unterschiedliche Muster und Typologien von Influencern, oft ganz andere Ansätze der Monetarisierung. Fashion & Beauty, aber auch Fitness folgen Schönheitsidealen und entsprechenden Konsummustern. TourismusEssen und Trinken sind Themenfelder mit zahlreichen Nischen.  Dann gibt es Themen, in denen es grundsätzlich ein grosses Engagement gibt, insbes. Sport und damit verbundene Hobbies, wie z.B. Segeln. Das kann in einigen Branchen, in denen es ein starkes gemeinsames Interesse von Kunden, Herstellern und Vermittlern gibt, gut funktionieren.  Vanlife, das Leben als Digital Expat etc. bringen wiederum andere Möglichkeiten von Storytelling und Engagement mit sich.
Eine spezielle Ökonomie wird daraus, wenn Marken sich in Reichweite und Interaktion einkaufen. Dann lässt sich die Rolle des Influencers als “mediated authenticity”vermittelte/kontrollierte Authentizität bezeichnen – was sich auch als eine spezielle Form des Storytelling verstehen lässt.
Influencer sind nicht zwangsläufig  kommerziell ausgerichtet – es gibt genügend Beispiele zu Feldern wie soziale Integration, body positivity etc.

Unterschiede und Ähnlichkeiten von Influencern und Digital Creators. (Figure 1.1., 16)

Digital Creator findet sich mittlerweile häufig als Selbstbezeichnung etwa in instagram und youtube Profilen.  Es sind Urheber der in den Social Media verbreiteten Inhalte – die Kreativschaffenden des Social Web. Sie erstellen die attraktiven Inhalte, den qualitativ hochwertigen Content, der das Netz interessant macht und Besucher anzieht – und sie werden wohl die immersiven Welten des Metaverse ausbauen …

Dreizehn Kapitel decken ein weites Spektrum ab – in einem thematischen Bogen von den makrosozialen Grundlagen bis zur Kampagnenplanung (220).  Man kann das Buch als eine Art Compendium zum Themenfeld auffassen – durchgängig gespickt mit Tabellen, eingerahmten oder farblich hervorgehobenen Info- Boxen, hervorgehobenen Überschriften. Fast jeder in Frage kommende Begriff ist erklärt – vom Neoliberalismus als Überideologie und Superstruktur von Influencer Marketing (47) zu Cancel Culture und zum Return of Invest (ROI) und den key elements of influencer and creator contracts (264 – 267). . Diversity, Equity und Inklusion (135 ff) hat ein eigenes Kapitel, man ist auf der woken Seite. Auch Regulierungen sind nicht ausgeblendet. Am Ende jedes Kapitels steht jeweils eine Summary und Literaturempfehlungen.  Exercises and Questions zum Abschluss weisen auf einen Übungs- bzw. Anleitungscharakter.
Was nirgends im Wortlaut vorkommt, ist Netnographie  – allerdings steht der Begriff bei diesen AutorInnen, die darüber bekannt geworden sind, immer im Hintergrund. Es geht zumeist nicht um die (n)ethnographische Perspektive, sondern anwendungsbezogen um Marketingpraxis. Was mich daran interessiert? Es ist das Konzept eines technokulturellen Ecosystems, mit dem sich unsere Gegenwart und Zukunft beschreiben, verstehen und damit auch gestalten lässt.

Figure 4.1.: Influencer & Creator Ecosystem aus Marketing- Perspektive — (erscheint nach Klick in voller Auflösung) S. 89

So lassen sich das Ecosystem in dem sich Influencer und Digital Creators entfalten, aus zwei Perspektiven betrachten: in der Abb. links als ein ökonomisches Cluster- aber ebenso auch als gesellschaftliche Formationen, die in einer gesellschaftlichen Dynamik stehen.  Nebenbei: die Bedeutung von Pet Influencern ist in der Graphik wohl etwas übertrieben 😉

Influencer Marketing ist mittlerweile zu einer Industrie mit Umsätzen in Milliardenhöhe** angewachsen, international werden 13.8 Mill. $ (2021) angegeben – allerdings ist das Feld oft schwer abzugrenzen.
Gegenüber konventionellen Werbeformaten haben viele Menschen Resistenzen entwickelt. Influencer Marketing rückt nach, verspricht den Werbetreibenden einen direkten, “authentischen” Weg zum Kunden, Berufseinsteigern einen eigenen Weg in die Existenzgründung. So hatte mir Niklas Hartmann 2021 sein Buch Erfolgreich Influencer werden: Mehr Follower, Reichweite und Einkommen.  zugestellt. Eine Anleitung dazu, was man wissen und können muss.
Sind Influencer in diesem Sinne Werbetreibende, sind Digital Creators (im Buch) begrifflich outgesourced. Fotografen, Texter, Moderatoren, Illustratoren auch Moderatoren etc. haben immer Werbekampagnen mitgestaltet und manchmal zeitgeschichtliche und zeitästhetische Werke geschaffen – also an sich nichts neues.  Neue Möglichkeiten werden sich v.a. in den immersiven Umgebungen, genannt Metaverse ergeben – im Buch heisst es  Avatar Economy (334).
Skeptisch machen mich Handlungsweisen, in denen soziale Beziehungen,  ökonomisch  instrumentalisiert werden – es hat immer einen Beigeschmack. So können Influencer nach Followerschaft gebucht werden, der Follower und potentielle Kunde wird ungewollt zur Ware, anstatt zum Dialogpartner.  Zukünftig wird sich das Bild vom Influencer weiter ausdifferenzieren,  viele unterschiedliche Konzepte sind darin vereint: es geht von Ausläufern, manchmal Handlangern der Werbewirtschaft zu eigenständigen Impulsgebern, die ihre eigenen Fähigkeiten, ihren Stil und ihr Wissen einsetzen.

 

Robert V. Kozinets, Ulrike Gretzel, Rossella Gambetti: Influencers & Creators. Business, Culture & Practice. Sage Publ. 2023. 371 S – Mariah Wellman, Ryan Stoldt, Melissa Tully, Brian Ekdale:  Ethics of Authenticity: Social Media Influencers and the Production of Sponsored Content. 3/ 2020. Journal of Media Ethics 35(2):68-82 —  s. auch Influencer und Personenmarken.  Gunn Enli (2015). Mediated authenticity: how the media constructs reality. New York, NY: Peter Lang..—-Niklas Hartmann: Erfolgreich Influencer werden. 300 S., 2021  —  * Snack- Comedy:  gemeint sind Sketche von <1 Min dreizehn  v.a. im Format Reels   ** nach Statista 990 Mio. in der DACH – Region 2019; 



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