Digitale Consumer Culture

Standardwerk von 1991, second edition 2007

Digital Consumer Culture ist  ein sich zunächst selbst erklärender Begriff, eine Ausweitung bzw. Spezifizierung von Consumer Culture.
Consumer Culture tauchte als Konzept seit den 80er Jahren auf, in den 90ern erschienen mit Consumer Culture and Postmodernism (1991 u. 2007) von Mike Featherstone und  Consumer Culture & Modernity (1997) von Dan Slater,  zwei heute als Klassiker angesehene Titel.
Social arrangement in which the relations between lived culture and social resources, between meaningful ways of life and the symbolic and material resources on which they depend, are mediated through markets* – so eine Definition nach Dan Slater (1998). Es überrascht nicht, dass die Diskurse zu Consumer Culture von Grossbritannien im Zeitalter Thatcher, mehr noch  Blair ausgingen,  entfaltet sich Consumer Culture doch in einem möglichst deregulierten Markt – und ist mit neoliberaler politischer Ökonomie verwoben:  Konsum als populäre Kultur, als kulturelle Praxis im globalisierten Marktkapitalismus.

Kulturelle Intermediäre in der Consumer Culture der 90er: The Face 1993 – Are nerds finally becoming fashionable?

Im Zentrum stand nicht mehr der Konsum aus einheitlicher Massenproduktion, wie er in der Nachkriegszeit typisch war. Globale Vielfalt, postmoderne Lebensstile, eine Ästhetisierung des Alltags waren hervortretende Begriffe  – auch Popkultur bzw. das, was vordem Counter Culture war, reihte sich ein in die Wahlmöglichkeiten des Konsums. Marktorientierte Professionen, wie Medien, Werbung, Design, Mode übernahmen eine Rolle als kulturelle Intermediäre – Creative Industries.
So erscheint Consumer Culture auf den ersten Blick als Synthese oder Amalgam von Popkultur und Marktwirtschaft, wie es in den damaligen Zeitgeist passte. Consumer Culture geht weit über den passiven Konsum von Produkten und Dienstleistungen hinaus, sie beinhaltet die Praktiken, die Identitäten und symbolischen Bedeutungen, die in das Leben  eingebunden sind.
Featherstones Ausführungen sind weit mehr, sie bedeuteten eine detailreiche Zeitanalyse an einem Wendepunkt der Moderne. Neben den damals verbreiteten Autoren wie Baudrillard, Foucault und Anthony Giddens, bezog sich Featherstone auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, nahm die Thesen des kulturellen Kapitals von Bourdieu auf, und Bezug auf die Elias’sche Zivilisationstheorie. So lässt sich das Buch im Kontext langfristiger gesellschaftlicher Entwicklungen betrachten –  auch nach 32 (bzw. 15) Jahren aktuell. Nur von Postmoderne spricht man heute nicht mehr, höchstens im Rückblick – stattdessen von Spätmoderne bzw. postindustrieller Gesellschaft.
Inwieweit eine Verbindung zu den zur selben Zeit aufblühenden  Cultural Studies (John Fiske, Birmingham) bestand, ist nicht ganz deutlich.  Ganz knapp gefasst geht es dort um die politische Dynamik populärer Kultur. Konsumenten/ Fans von TV, Popmusik und Markenartikeln, oder auch Games kann eine aktive Rolle nachgesagt werden, in dem sie die kulturellen Bedeutungen der Objekte definieren.
Ebenso schliesst hier das (im Blog schon oft beschriebene) Konzept der (Consumer) Tribes an – posttraditionale Vergemeinschaftungen innerhalb einer Consumer Culture. Konsum ist ein Weg, soziale Identität zu konstruieren und kann Grundlage gemeinsamer Erfahrungen sein. Consumer Culture hat im Laufe der  Jahre  ein weites Forschungsfeld geöffnet und wurde zu einem zentralen Thema in Human- und Sozialwissenschaften + Business Studies – im deutschen Sprachraum allerdings weniger verbreitet.
Consumer Culture Theory bedeutet allerdings keine grosse, das ganze Feld umfassende Theorie, sondern verweist auf die dynamischen Beziehungen zwischen den Handlungen von Konsumenten, dem Markt und kulturellen Bedeutungen, den Narrativen. CCT sieht Konsumenten als aktive Teilnehmer in diesem Feld, die die von institutionellen Medien und Werbebotschaften verbreiteten Narrative oft auch entgegen der ursprünglichen Absicht umdeuten (können).  Damit setzt sie sich gegenüber älteren Vorstellungen, dass Konsumenten Objekte medialer Manipulationen seien, ab.

Einige hervortetende Merkmale lassen sich festhalten: Die Ausbreitung der Logik des Marktes in viele Bereiche  des sozialen, kulturellen und persönlichen Lebens – was auch mit sich zieht, dass sich Markttreibende aller vorhandenen kulturellen Bedeutungen – Narrative – bedienen. Eine lange Zeit bestehende Counter Culture, wie auch ethnische oder andere tribale Sonderkulturen werden zu weiteren Trägern kultureller Bedeutungslinien.  Im weiteren das Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit mit Tendenzen, die gelegentlich als Prosumer bezeichnet werden.  Diese Entwicklungen, die bereits vor der eigentlichen Digitalisierung einsetzten, steigerten sich weiter mit ihr, bzw. nahmen entsprechende Formen an.

Digitale Consumer Culture Bild: Martin Sanchez; unsplash.com

Digitale Consumer Culture wurde bisher selten als solche beschrieben, die einzelnen Merkmale hingegen immer wieder. In den 90er Jahren begannen mehr und mehr Veränderungen durch Digitalisierung in der Breite spürbar zu werden:  Desktop Publishing, E- Mail, schliesslich Digitale Photographie, mp3 – und die einzelnen Funktionen wuchsen zusammen. Den entscheidenden Wandel zeigten dann aber frühe Plattformen wie E-Bay und Napster an.

Entscheidend wurde das Wissen über die Verbindungen. Bei Napster war es wer sich für welche Musik interessiert, darüber verfügt und wer sie teilt – ein Muster, wie es sich in immer wieder neuen Bereichen wiederholte: “the global mapping of everybody and how they’re related“** – die Kartographie der Gesellschaft entlang sozialer Graphen, wie es in der Consumer Culture der 90er Jahre vorgezeichnet war.
De darauf aufbauende Plattformisierung, die Macht der Plattformen, ist so das auffallendste Merkmal der Digital Consumer Culture, das  sie von der prä- digitalen Consumer Culture abhebt. Darüber wurde in den letzten 15 Jahren ausgiebig diskutiert, ein entscheidender Punkt ist die Adressierbarkeit über (verdatete) Merkmale, die das passgenaue Zusammenführen von Angebot und Nachfrage in datenreichen Märkten möglich macht – vom B2B, zu individualisierter Werbung, zu Matchings aller Art incl. Dating. Darauf gründet das Oligopol der GAFAM+ Unternehmen.
Weitere auffallende Merkmale sind die sog. Sharing Economy, die Verbreitung von Abo- Modellen, der Auftritt von Influencerinnen als Intermediären von Konsum und die Möglichkeit einer Art seriellen Singularisierung, d.h. eieinfache Möglichkeiten Produkte und Dienstleistungen zu individualisieren.
Ein Bedarf an Valorisierung von  Konsum, ästhetisch/ kultureller Wertzumessung entsteht. Oft geschieht das durch narrative Aufladung – Storytelling.  Kulturelle Ressourcen jeglicher Herkunft, ethnischer, historischer, popkultureller stehen zur Verfügung. Man lästert schon darüber, dass jede Tafel Schokolade, fast jeder Gebrauchsgegenstand narrativ aufgeladen wird – ein breites Arbeitsfeld von Agenturen als Intermediären von Narrativen, salopp gesagt. Die Spätmoderne seit der Jahrtausendwende brachte Veränderungen der gesamten Architektur der Lebens- und Arbeitswelt mit sich und wahrscheinlich ist Digital Consumer Culture eine der passendsten Bezeichnungen unserer Gegenwart. Fast jedem ist darin die Rolle als Konsumentin vertraut. Ohne Consumer Culture wäre Digitalisierung zumindest nicht in der Form verlaufen, wie wir sie erlebt haben.

Konsum wird oft als Ersatzhandlung fern des wirklichen, authentischen Lebens trivialisiert – aber ist dennoch eine dominierende Kraft, die die gegenwärtige Weltwirtschaft aufrecht erhält. Konsumkritik hat eine lange Tradition, dennoch nehmen Kaufentscheidungen zu materiellen Gütern und Dienstleistungen einen entscheidenden Anteil an Aufwand und Zeit ein.
Konsum wird moralisiert – heute v.a.  im Sinne des richtigen, nachhaltigen Konsum von Waren und Dienstleistungen. Worte wie Flugscham machen es deutlich.

Einschränkungsflanken des Konsums – Bild: unsplash.com

Im Ausblick zur Zukunft werden die Einschränkungsflanken und damit  Grenzen von Konsum deutlich.  Was sind die Folgen von 200 Jahren steigenden Konsums?  Zumindest ist nachhaltiger  Konsum aktueller Trend, allerdings auch Greenwashing. Ein Leitmotiv der Selbstentfaltung schliesslich ist nicht erlahmt und erschöpft sich nicht in  Konsum. Selbstentfaltung bedeutet nicht nur die performative Form, kann auch ebenso die  Selbstgestaltung der  Lebensführung bedeuten. Eine Möglichkeit, in der sich Trends verschieben.

vgl.:  *Definition:  Don Slater in Consumer Culture and Modernity,  1997″ Mike Featherstone: Consumer Culture and Postmodernity.  1991 u. 2007  Consumer Culture and its Futures. Dreams & Consequences  In : Approaching Consumer Culture. 2019w  Kai- Uwe Hellmann: Der Konsum der Gesellschaft. Studien zur Soziologie des Konsums (Konsumsoziologie und Massenkultur. 2. Aufl. 2019 Mentaler Konsum: Ein Experteninterview mit Kai-Uwe Hellmann. Soziologie Magazin 1/2019. Konsum > Protest > Mobilisierung. Politischer Konsum und konsumistische Bewegungen 10/2022   **A. Iskold, “Social Graph: Concepts and Issues,” ReadWriteWeb, September 12, 2007

 



Metaverse – die Rückkehr des Virtuellen

Als sich Facebook im letzten Herbst zu Meta umbennante  wurde  Metaverse zum Buzzword, zum Hype. Nicht erst seitdem ist  das Netz voll von Texten,  Podcasts, Live- Streams etc. zum Thema, einer Fülle von Meinungen und Erklärungen und natürlich werben Anlageberater für frühzeitige Anlagestrategien. Und oft ist dabei von NFTs (Non-Fungible Tokens) die Rede  – aber das ist bereits ein erweitertes Thema.
Als Topos, als Gemeinplatz ist das Metaverse seit  dem  Science-Fiction- Klassiker Snow Crash (Neal Stephenson, 1992) in der Welt. Im Roman ist es ein mit Datenbrillen zugängliches Paralleluniversum, an dem Menschen als Avatare ihrerselbst teilnehmen.  Nicht nur Snow Crash, auch weitere SF- Romane  – manche davon verfilmt – so Ready Player One, auch The Matrix sind Vorlage.  Games- und Games- Plattformen wie Fortnite, Minecraft, Sandbox und Roblox werden als Proto- Metaverses genannt.
Oft wird das Metaverse mit einzelnen Technologien verbunden, der Gedanke an Second Life (das immer noch existiert) kommt schnell. VR/ Virtual Reality kennen wir meist als Guides aus Museen oder Produktvorführungen – eine Art und Weise virtuelle Räume zu erleben. Wesentliches Kriterium des Metaverse ist ein miteinander verbundenes Netz virtueller 3D-Welten, das schließlich als Einstieg  zu den meisten Online-Erfahrungen dient – eine Welt, die vorerst in Science Fiction und Games entworfen wurde.

Als Definition kann die von Matthew Ball, dem vllt. einflussreichsten Autor und Essayisten zum Metaverse dienen: “The Metaverse is a massively scaled and interoperable network of real-time rendered 3D virtual worlds which can be experienced synchronously and persistently by an effectively unlimited number of users with an individual sense of presence, and with continuity of data, such as identity, history, entitlements, objects, communications, and payments.”

Das Metaverse ist Hype – aber vorerst eine Projektion von etwas, was es noch nicht gibt. Niemand hat ein Monopol darauf, auch wenn Facebook/ Meta es sich in den Namen geschrieben hat.  FB präsentiert sich selbst als Social Technology Unternehmen, dass es “Menschen ermöglicht, sich miteinander zu verbinden”.  Die Stellung hat es durch die Einnahme des sozialen Graphen erreicht, eine Landnahme des Sozialen im technischen Raum, ergänzt durch Zukäufe wie instagram und WhatsApp (vgl. Seemann, Die Macht der Plattformen). Eine Flucht nach vorn ins Metaverse, um die bröckelnde Dominanz im Social Web  abzufedern?
Das Internet hat bis heute eine ganze Reihe von Entwicklungsstufen durchlaufen. Antrieb ist zum einen die technische Verbesserung v.a. der Bandbreiten, zum anderen Nutzungsevolution und damit die Verbreitung in immer mehr Lebensbereichen. Die aktuelle Entwicklungsstufe, das von wenigen Giganten (GAFAM/ FAANGM) und etlichen anderen monopolisierenden Unternehmen (z.B. Booking, Airbnb, Spotify, Zalando, Uber) dominierte Internet der Plattformen hat sich als Infrastruktur weitgehend durchgesetzt, und es ist seit Jahren erstaunlich stabil. Die gesamte zeitgenössische Alltags- und Popularkultur, der Wandel von Moden und Konsummustern, die Herausbildung öffentlicher Meinung und v. m.  ist ohne diese Infrastruktur  kaum noch vorstellbar.
Metaverse wird  als eine zu erwartende nächste Entwicklungsstufe des Internet erwartet. Der Weg wird aber sicher länger dauern als noch innerhalb dieses Jahrzehnts.

What is the Metaverse? – Graphik von Thomas Riedel – öffnet sich nach Klick in voller Auflösung in neuem Fenster

Thomas Riedel, Technikjournalist aus Köln, hat  in der nebenstehenden Graphik die Entwicklungsstufen des Internet auf technischer Ebene dargestellt. Infrastrukturen, die jeweils bestimmte Erfahrungswelten ermöglichen. Zunächst das Prä-Internet der Stand-alone Geräte, die mit Kabeln und Austauschmedien verbunden wurden. Darüber  das Internet, wie wir es heute kennen: Eine Infrastruktur auf der Nutzer auf Websites, Plattformen, Dienste über Bildschirme zuerst stationär und später auch mobil zugreifen konnten.  Darüber steht das -noch projektierte – Metaverse mit der Erfahrung virtueller Realitäten, zwischen denen Nutzer nahtlos wechseln können. In den Diskussionen spricht man von Experiences/Erfahrungen – und es sollen möglichst lebensechte sein.
Metaverse wäre/wird eine mindestens genauso transformative Innovation, wie es das Internet seit den 90er Jahren in mehreren Entwicklungsstufen gewesen ist. Blickt man zurück, war das World Wide Web zunächst ebenso ein Cyberspace voll von Raum für Projektionen. Frühe Versuche, Modelle von Gated Communities durchzusetzen scheiterten, die anfangs dominierenden Portale verschwanden, das “freie” Netz setzte sich zunächst durch, bevor es von der Plattformökonomie  – mit Geschäfts- und Finanzierungsmodellen, die vordem nicht bekannt waren – “eingefangen” wurde. Seitdem sind die Wege im Netz gepflastert – paved, wie es im Internet- Speech heisst.

Global platforms are in the business of world building.  … They wish to create the entire environment within which we live.* World Building – nach fiktionalen Vorlagen –  bekommt im Falle Metaverse eine noch pointiertere Bedeutung für den Griff nach einem Raum ausgedehnter immersiver Erfahrungen: Physische und virtuelle Welten sollen mit einer voll funktionsfähigen Wirtschaft und der Möglichkeit der nahtlosen Übertragung von Inhalten zwischen verschiedenen Erfahrungsebenen verschmelzen.: the Metaverse will be a place in which proper empires are invested in and built, and where these richly capitalized businesses can fully own a customer, control APIs/data, unit economics, etc. (Matthew Ball, 2020). Fragt sich, wie weit das Modell der Abschöpfung von Verhaltensdaten trägt.
So stellt sich  auch die Frage nach Dezentralität. Eine von wenigen hegemonialen Unternehmen konstruierte virtuelle Realität wäre wahrscheinlich zentral designt und auf bestimmte Geschäftsmodelle angelegt  –  ein Boulevard von Showrooms wäre im Angebot,  Disney liess bereits die Modelle für Themenparks patentieren. Games, Showrooms und Theme Parks stehen vorerst im Vordergrund – bezahlte Attraktionen, Werbewelten und Spiele als Innovationstreiber. Und sicherlich werden pornographische Angebote die Möglichkeiten austesten. Kann so ein Common Meeting Ground**, in dem eine Gesellschaft sich ihrer selbst bewusst wird, entstehen?
Soziale  Konsequenzen treten dann hervor. Ein paralleles Universum entwickelt eine ganz eigene soziale Dynamik, deren Wirkung noch gar nicht abzuschätzen ist. Zu jeder sozialen Umgebung gehören Konflikte, je lebensechter die Experiences, so lebensechter auch die Konflikte.  Geht es  um Geld bzw Token, wird es damit verbundene Kriminalität geben, auch sexuelle Belästigung wird spürbarer als im Social Web. Wenn schon in den bestehenden Social Media – Formaten Pöbelei als Verhaltensmuster beklagt wird, wird die Zivilisierung digitaler Öffentlichkeit noch dringender.
Nebenbei: ganz sicher wird es Feldforschung geben, Studien zum Nutzungs- und Konsumverhalten …..   Metnographie klingt im Deutschen allerdings seltsam 😉 Und ebenso wird es bald Experten für PR und Marketing im Metaverse geben.
Man fühlt sich öfters an die Diskussionen der 90er bis frühen 00erJahre erinnert, als der jetzt zurückkehrende Begriff virtuell, oft symbolisiert durch das @ allgegenwärtig war. Die sich durchsetzenden Social Media empfand man später nicht mehr als virtuell.

Bleibt, das Metaverse an der Aussage messen, nach dem sich Techniken nur dann durchsetzen, wenn sie ganz offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft treffen? (A. Nassehi)  Treiber ist zunächst ein lange herangereifter Drang zur Umsetzung des nun technisch möglichen – Themen,  Vorlagen, die Narrative der Szenarios sind in einigen Communities (Games, SF, Tekk) seit langem virulent, der Drang eine neue Dimension zu entdecken (Explorer) – und die Grenzen zwischen virtueller und physischer Welt zu verwischen.  Teile der Wirtschaft – wie etwa FB, Disney, wahrscheinlich Pornographie,  wollen ihre Geschäftsmodelle in neuer Dimension umsetzen. Ein Potential für Bildungs- und Unterhaltungsanwendungen. Für das Gros der Nutzer zunächst eine Sensation, ein besonderes Erlebnis – für den  Alltagsgebrauch aber viel zu unbequem – verglichen mit dem immer- dabei SmartPhone.
Die Möglichkeiten des Internet hatten in seiner Frühzeit viele Utopien beflügelt – dazu zählte die Vision Wissen und Information für alle  frei zugänglich zu machen, die Vorstellung fluider Demokratie. Das Metaverse  weckt  zunächst spekulative Gedanken und Phantasien – darauf beruht die besondere Attraktivität. Meine eigenen ersten Gedanken waren Luzide Träume – das Erleben von Wunschwirklichkeiten – dann ganz praktische Dingen, wie das Erledigen von Terminen, die man allerdings oft schon heute über Videochats abhalten kann.

erscheint im Juli 2022

Soweit mein erster, noch ungeordneter Einstieg ins Thema Metavers – angestossen von Thomas Riedel und dem Podcast mit Dirk Songür – vielen Dank. Im Sommer erscheint das erste grössere Werk zum Metaverse von Matthew Ball. Man kann gespannt sein. Gedruckte Bücher sind immer noch ein führendes Medium,  in sich abgeschlossenes Wissen zu publizieren. Bis dahin sei auf die unten angegebenen Link verwiesen.

 

Thomas Riedel: Futures Lounge – Was ist das Metaverse?   Metaverse- Podcast & Newsletter; The Metaverse by the book   Matthew Ball: The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It –  Dirk Songuer: Fieldnotes from the Metaverse   Tony Parisi: The seven rules of the metaverse. A framework for the coming immersive reality. *James Muldoon – Platform Capitalism (12) 

** Common Meeting Ground: Jede Gesellschaft braucht einen „Common Meeting Ground“ gemeinschaftlich als wich-tig empfundener Themen, um darüber verhandeln und selbst bestimmen zu können, wasin ihr als relevant gilt und kollektiver Problemlösungen bedarf (Imhof, 2008).



Innovation und Technogenese

War Pepper  eine Innovation? Oder mehr eine Attraktion für Events? (auf der re: publica 2018)

Innovation ist das wahrscheinlich beliebteste Buzzword von allen: The Most Important and Overused Word schrieb Wired bereits 2013. Innovationen gelten als der Schlüssel zur Zukunft, stehen  für Wettbewerbsfähigkeit und sind die verbreitete Antwort auf die Frage, was notwendig ist, um erfolgreich zu sein. Die heute gängige Verwendung folgt der Definition Joseph Schumpeters, nach der nicht allein die technische  Neuerung, sondern erst  deren erfolgreiche Durchsetzung Innovation bedeutet. Die gleichsam heldenhafte Figur des   Entrepreneurs als kreativen Zerstörers**  beruht darauf.
In diesem Sinne ist der Entrepreneur die ausführende Gestalt des Innovators der den Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung mit der Einführung neuer Produkte, neuer Märkte und Vertriebswege in Gang hält. Unternehmer wie Steve Jobs oder Elon Musk werden weltweit als Innovatoren gefeiert und haben Fans wie Popstars. Sicher stehen SmartPhone und E-Mobilität oft im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit, Felder der Innovation reichen in ihrer Bedeutung aber von  der Krebsforschung bis zum Snackriegel – zudem schmückt der Begriff zahllose Werbekampagnen. Innovation als dauerhafte kreative Anstrengung und systematische Durchsetzung des Neuen gilt als Kerninstitution moderner Wirtschaft (W. Rammert, 2015).

In der öffentlichen Wahrnehmung, den Medien und in der Politik ist die Verbindung technologische Innovation/ ökonomischer Fortschritt ein zentraler Gedanke. Ein Satz wie Deutschlands wirtschaftliche Stärke hängt von der Innovationskraft der Unternehmen ab* ist allgemeine Überzeugung – und Ausdruck der Identität als führende Industrienation. Schon etwas älter (2006) ist die Broschüre Deutsche Stars: 50 Innovationen, die jeder kennen sollte, u.a. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung herausgegeben. Buchdruck, Computer, der Dübel, Aspirin, Sozialversicherung und mp3, zur Auflockerung sind auch Currywurst und Haribo- Goldbär dabei, werden als Früchte des nationalen Erfindergeistes vorgestellt – eine positive Stereotypisierung im globalen Wettbewerb um wirtschaftliche Innovationskraft, mit der das Land nach innen und aussen Identität vermitteln bzw. darstellen will.  Ob auch die Jeans, das Bier, das Telephon national zu vereinnahmen sind, ist eine andere Frage.

Die Dynamik technischer Innovationen besteht seit der industriellen Revolution und ist seitdem nicht mehr abgeebbt. Sie ging immer mit institutionellen – rechtlichen und organisatorischen – Innovationen einher, die die Führung effizienter Betriebe ermöglichten. Innovatives Handeln bedeutet  die Veränderung eingespielter Gleichgewichtszustände – bei Produkten, Prozessen, der Marktaufteilung u.v.m. Erfolgreiche Innovationen finden Nachahmer, verdrängen innovationsschwache Unternehmen, es bilden sich neue Markt-, Preis-, Qualitäts- und Produktionsgleichgewichte.   (vgl. Rammert, 2015).
Die Innovationen der letzten Dekaden wurden – in mehreren Schüben – von Digitalisierung angetrieben. Entsprechend der Theorie der langen Wellen (Schumpeter u. Kuznets), erneuert sich etwa alle 50 Jahre die technologische Produktionsstruktur grundlegend. Die aktuelle von Computer- und Netztechnik geprägte Phase wurde von der Halbleitertechnologie ausgelöst, die in diesem Rahmen als Basisinnovation gilt  (Rammert 2015).
Soziale Innovationen wurden als solche erst in den letzten Dekaden thematisiert. Von einem EU- finanzierten Forschungsprojekt wurden sie folgend definiert: „New approaches to addressing social needs. They are social in their means and in their ends. They engage and mobilise the beneficiaries and help to transform social relations by improving beneficiaries’ access to power and resources” Oft haben sie einen Hintergrund in Emanzipationsbewegungen und zur Nachhaltigkeit;  Open Source, CoWorking zählen dazu – in etwa das, was auch unter Social Entrepreneurship diskutiert wird. Was sie von anderen gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungen unterscheidet ist ein gewisser institutioneller Rahmen. Dennoch gingen sie oftmals aus informellen Zusammenhängen, bzw. auch oppositionellen Teilkulturen hervor, bis sie irgendwann in einem institutionellen Rahmen als Innovationen sichtbar werden.

nicht alle Innovationen setzen sich in der technischen Evolution durch

Technogenese meint die evolutionäre Verbindung von technischem und gesellschaftlichem Wandel, fortlaufendes Ergebnis ist die Herausbildung der materiellen Zivilisation. Bislang ist der Begriff weniger geläufig, er wurde 2012 zuerst von dem franz. Medientheoretiker Bernard Stiegler formuliert und seit 2015 im Forschungsprogramm Netnographie aufgegriffen. Technogenese steht parallel zu den Konzepten Psychogenese und Soziogenese bei Norbert Elias, der langfristigen Herausbildung von Gesellschafts – und Persönlichkeitsstrukturen, wie sie von Elias anhand historischer Prozesse herausgearbeitet wurde. Mit Technogenese  schliesst der Prozess der Digitalisierung an den Prozess der Zivilisation an.
Prozesse der Psycho- und Soziogenese lassen sich ebenso beobachten wie manchmal auch ablesen, ein Beispiel:  Innovators DNA etwa ist eine Formulierung wünschenswerter Fähigkeiten und Eigenschaften, Skills von Innovatoren,  darunter  Empathievermögen und die Fähigkeit scheinbar unverbundene Gedanken zusammenzuführen- ein Leitbild für Führungspositionen wird abgesteckt.
Technologische Innovationen entstehen in einem sozialen Umfeld und setzen sich in einem meist grösseren Umfeld durch.  Sie bewähren sich in der gesellschaftlichen Adaption. Im besonderen Interesse stehen derzeit E- Mobilität, 3D- Druck und der Einsatz künstlicher Intelligenz.  Leitbilder dazu sind im Wandel bzw. werden neu ausgehandelt.

Beliebtes Beispiel zu Umsetzung technischer Innovation ist immer wieder mP3, bei Fraunhofer entwickelt, aber anderswo verwertet. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre eine Kompressionstechnik von Musikdateien kaum der Rede wert gewesen, aber damals  überwand sie das Hindernis der schmalen Bandbreite und ermöglichte so  nacheinander die so unterschiedlich verfassten Plattformen Napster, iTunes und Spotify.  Die technische Innovation mp3 bekam erst in diesem Kontext Bedeutung. Michael Seemann hat in Die Macht der Plattformen  Napster als eine Urform der Plattformen, wie wir sie heute kennen, dargestellt. Wegweisend war das Verfügen über die Informationen darüber, wer sich für welche Musik interessiert, darüber verfügt und wer sie teilt – Wissen über Verhalten und Verbindungen der Nutzer wurde fundamental für die entstehenden Plattformen.   Sozialer Graph von Napster war die Gruppe der Popmusik – Nerds, die sich an einer plötzlichen Verfügbakeit eines globalen Soundarchivs begeisterte.  Andere und neue Plattformen bildeten sich um andere soziale Graphen, wie dem Kauf von Gebrauchtwaren, der Suche nach Sex oder professioneller Vernetzung – Durchsetzung von Technik oder sozialer Prozess? Beides, in co- evolutionären Prozessen.

Digitalisierung bedeutet – neben vielem anderen – Produktivitätsfortschritte durch Automatisierungsprozesse, die menschliche Arbeitskraft freisetzen. Die digitalisierte Arbeits-  und Lebenswelt lässt einen grossen Spielraum zur Neuorganisation und damit für soziale und kulturelle Innovationen. Manchmal sind es Konsumentscheidungen, die über den Markt geregelt werden – fundamentaler sind aber Fragen der Gestaltung von Arbeitsprozessen und von sozialer Absicherung, der von urbanen und anderen Umgebungen, der Bewältigung von Mobilität, allgemein neuen Ansätzen zu sozialen Bedürfnissen, zusammengefasst in der Frage wie wollen wir leben?  Das rückt  soziale   Innovationen in die vordere Linie politischer Entscheidungen.
Der Begriff und das Konzept Technogenese können hilfreich sein, technologischen und gesellschaftlichen Wandel gemeinsam und als gestaltbar zu denken.

Werner Rammert: Technik und Innovationen: Kerninstitutionen der modernen Wirtschaft Technology Studies Working Papers TUTS-WP – 4 – 2015. 36 S. –   – Die Innovationen der Gesellschaft. In:   Jan-Hendrik Passoth & Werner Rammert: Fragmentale Differenzierung und die Praxis der Innovation: Wie immer mehr Innovationsfelder entstehen    Wired: Innovation: The Most Important and Overused Word in America.   * Axel Novak: Innovation. Digital und mit Begeisterung. —  Benoît Godin: The Invention of Technological Innovation: Languages, Discourses and Ideology in Historical Perspective (2020). vgl auch Innovation und Gesellschaft, 2019. ** auf den Hintergrund der Zuschreibung der “kreativen Zerstörung” wies mich Schumpeter- Kenner Gunnar Sohn hin: Link



Technogenese – technische Innovation und gesellschaftlicher Wandel

Treibt Technik gesellschaftlichen Wandel an? Bild: Andrew Reshetov on Unsplash

Was war zuerst – technische Innovationen oder gesellschaftlicher Wandel? Die Wechselwirkung – Interdependenz –  von Gesellschaft und Technik ist ein immer wiederkehrendes und zentrales Thema.
Dass Innovationen in Technik und Medien weitreichende, oft nicht voraussehbare, unabschätzbare Wirkungen haben, ist unbestritten. Historische Wendungen werden mit der Verbreitung neuer Techniken und Medien verbunden. So wird immer wieder gern erzählt, dass die Erfindung des Buchdrucks die Ausbreitung von Renaissance und Reformation erst ermöglicht hat.
Manche Entdeckungen versandeten aber auch ohne weitere Resonanz. Letztlich  setzen sich Techniken nur dann durch, wenn sie ganz offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft treffen (Nassehi).

Technik – materielle Zivilisation – ist integraler Bestandteil von Gesellschaften. Ihre Nutzung macht Gesellschaft erst zu einer solchen.  Man könnte schon mit dem Faustkeil anfangen, spätestens seit dem Neolithikum,  mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht, Keramik, Textilherstellung und Hausbau, leben Menschen in einer menschengemachten Umgebung, deren Fortbestand und Weiterentwicklung von der Beherrschung der entwickelten Techniken abhängt. Innovative Sprünge mit weitreichenden Folgen gab es immer wieder in der Historie*.

Technik ist nicht nur menschengemachte Umwelt einer Gesellschaft, sie ist auch konstitutiv für die Entstehung, Gestaltung und Erhaltung gesellschaftlicher Formen.
Technikgeneseforschung klingt schon fast wie Technogenese. Sie befasst sich mit der gesellschaftlichen Konstruktion von Techniken, den Entstehungsbedingungen von Innovationen. Frage ist, welche gesellschaftlichen ‚Logiken’ und strategischen Akteure beobachtet werden können, die die technische Entwicklung mit ihren Ressourcen organisieren und in ihrer Richtung orientieren? (Rammert 2006)  Vorherrschend sind ökonomische, politische und kulturelle Logiken, oft miteinander vermengt. Anschauliches Beispiel wäre etwa die Geschichte der Elektromobilität: Gleichzeitig mit dem Verbrennungsmotor entwickelt, dann in Nischen verdrängt. Der Ausbau der Infrastruktur folgte dem einmal durchgesetzten Pfad des Verbrennungsmotors –  bis dann wieder Elektromobilität gesellschaftlich erwünscht ist und mit staatlicher Förderung angeschoben wird  – alle drei genannten Logiken sind zu erkennen.

Technikdeterminismus sieht eindeutig Technik als den Motor des Geschehens an. Eine Sichtweise, die heute als überholt gilt, in den 50er und 60er Jahren aber dominant war. Grob: die Beherrschung komplexer Technik in der maschinenbasierten Großindustrie setzte Regeln und forderte Anpassung. Sachzwänge dienten der Legitimation, mit Auswirkungen auf das politische Handeln und die gesellschaftliche Wirklichkeit. Damit verbunden war eine eher statische, funktionale Vorstellung von Gesellschaft. Modernisierung bedeutete die Ausrichtung an den Erfordernissen technischen Fortschritts.  Der gelegentlich auftauchende, von Industrie 4.0 abgeleitete Begriff  Gesellschaft 4.0 spiegelt noch diese Haltung.
Die These des „cultural lag(W. Ogburn,1937) – die kulturelle Phasenverschiebung in der Adaption neuer Techniken, bedeutet einen abgeschwächten Technikdeterminismus. Gesellschaftlich/kultureller Wandel in Institutionen  und Werten hängt demnach der technischen Innovation  hinterher  (vgl. Remmert, 2006).
Technikfolgenabschätzung geht im Ursprung darauf zurück, hat sich aber seitdem  weit ausdifferenziert und dient der Abschätzung von Risiken und Nebenwirkungen, v.a. in der Politikberatung.

Digitale Techniken verändern Wirtschaft und Gesellschaft so schnell wie zuvor noch keine andere technische Revolution – ein Satz, wie er so oder so immer wieder gesagt wird. Manchmal heisst es zudem, Digitalisierung treibe gesellschaftliche Verhältnisse vor sich her.
Der Prozess der Digitalisierung ist allerdings kein einheitlicher Prozess, er verläuft nicht nach einheitlicher Logik. Zwar wurde/wird Digitalisierung in vielen Fällen zentral durchgesetzt, ihr Erfolg gründet sich aber in der breiten Akzeptanz in der Lebenswelt – man denke zurück an all die Stufen der Verbreitung: Textverarbeitung und Desktop- Publishing, Digitalphotographie, E-Mail, Musik u.v.m. – all diese Anwendungen erreichten eine schnelle und breite Resonanz in Arbeits- und Lebenswelt.
Ganz sicher ist die Durchsetzung an den Ausbau der Infrastrukturen gebunden: Kabelnetze, 3G, 4G, 5G Mobilfunknetze, Speichermöglichkeiten intern und in der Cloud, verbesserte Rechenleistungen etc.  Jede Steigerung von Schnelligkeit und Volumen erweitert die Möglichkeiten, erleichtert neue Formen der Arbeitsorganisation und bedingt letztlich Veränderungen von Berufs-, Branchen-  Beschäftigungsstrukturen – und Lebensentwürfen.

In Die Macht der Plattformen bezieht sich Michael Seemann auf das Konzept der Affordanz (16), das er als einen abgeschwächten Technikdeterminismus einordnet: Technik gibt nicht die Struktur vor, aber sie ermöglicht sie bzw. macht sie wahrscheinlich. Affordance Theory meint zunächst den Gebrauch von Angeboten in der unmittelbaren Umgebung, etwa einen Tisch im Strassencafé, eine Parkmöglichkeit in der Wohnstrasse oder eben die Nutzung technischer Möglichkeiten. Objekte haben einen Angebotscharakter und legen einen bestimmten Gebrauch nahe. Der Erfolg der GAFAM- Unternehmen ist damit gut zu erklären: Googles Suchergebnisse, das bruchlose Einkaufserlebnis bei Amazon, die Einfachheit, Convenience der Vernetzung bei Facebook sind Angebote, die bei aller oft in Diskussionen geäusserten Skepsis von Nutzern/Kunden angenommen werden.

Technogenese/Technogenesis bedeutet die parallele Entwicklung, die Co- Evolution  von  Technik und Gesellschaft. Evolution ist generell keine beabsichtigte Entwicklung. Der Begriff stammt von dem französischen Medientheoretiker  Bernard Stiegler (✝2020) in Anlehnung an Anthropogenese.
Genauso offensichtlich klingt Technogenese  an die Konzepte Sozio– und Psychogenese bei Norbert Elias an. Geht es dort um langfristige Wandlungen von Gesellschafts – und Persönlichkeitsstrukturen,  um die Herausbildung eines Habitus, kann man Technogenese als Herausformung  der jeweils spezifischen technischen/materiellen Zivilisation verstehen.
Technogenese richtet den Blick auf die Interdependenz technischer und gesellschaftlicher Entwicklung. Im Forschungskontext Netnographie wurde  Technogenese seit 2015 aufgegriffen. 2019 im Essential Guide to Qualitative Social Media Research (116) als ontologische Grundlage von Netnographie bezeichnet.  Technogenese ist ein Schlüsselbegriff für die Verbundenheit gesellschaflicher, medialer und technischer Entwicklung – der so auch Social Media in die Perspektive historischer Prozesse stellt. Eine Assemblage menschlich/technisch/medialer Umgebung. Derzeit als digitaler Konsumkapitalismus beschreibbar – der an einer Richtungsänderung steht.
Digitale Lebenswelt bedeutet eine fortwährende Adaption neuer Techniken, Dienste und Produkte. Zivilisation evolviert mit ihrer technischen Ausstattung. Politische, ökonomische und kulturelle Chancen sind damit verbunden.  Technische Neuerungen können oft das freisetzen, was in einer Gesellschaft längst vorhanden ist.

Parallel zur Digitalen Transformation wird die kulturelle Transformation von der industriellen Moderne zur postindustriellen Spätmoderne diskutiert. Wahrscheinlich ist es v.a. die Feinstruktur der Digitalität, die sie an die Prozesse der Individualisierung anschliesst und von der vorhergenden unterscheidet: so etwa die Adressierbarkeit jede/s/r einzelnen  im Gegensatz zur  Ansprache über  Massenmedien.

Kozinets, Robert V.: Netnography Redefined. SAGE Publications Ltd; Second Edition edition (July 24, 2015),  S. 49 ff – Netnography. The Essential Guide to Qualitative Social Media Research.. Third Edition 2020, S. 113 ff. Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaften, Kap.  IX. Technik, S. 235 ff  Michael Seemann: Die Macht der Plattformen. Politik in Zeiten der Internetgiganten,
Werner RammertTechnik, Handeln und Sozialstruktur: Eine Einführung in die Soziologie der Technik. 2006

*Ein Beispiel von vielen: Neue Techniken der Schiffskonstruktion brachten Stämmen am europäischen Rand, den Wikingern, einen Vorsprung, den sie militärisch (d.h. plündernd) und im Ausbau eines Handelsnetzes über bis dahin kaum verbundene Weiten, nutzten.

 


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