Social Media 2014

Es sind schon einige Jahre vergangen, seit der Begriff  Social Media den des Web  2.0 abgelöst hat. Betonte Web 2.0 vor allem die Nutzungsevolution des Internets und sein partizipatorisches Potential (wie auch der Begriff  Blogosphäre), stehen bei Social Media die Plattformen und Netzwerke auf denen öffentliche Kommunikation stattfindet im Vordergrund. Die nebenstehende Social Media Map 2014 (wird nach Klick in voller Größe auf einer neuen Seite angezeigt) zeigt diese Plattformen in einer katalogisierten Übersicht in 23 Kategorien an. Sicherlich können diese Kategorien auch anders und enger gefasst werden (wie etwa in der Übersicht von Fred Cavazza, 2012), die Map weist auf die Vielfalt hin, sie kann nicht vollständig sein, das Feld ändert sich ständig. Dienste entstehen neu oder werden eingestellt (so studi-vz, wer-kennt-wen oder Orkut). Die Nutzung von SocialMedia ist genauso selbstverständlich geworden, wie die der Mobiltelephonie – kein Wunder, wird doch beides sehr oft von denselben Endgeräten aus bedient. Zählt man Messengerdienste, wie WhatsApp, Threema etc. hinzu, überschneiden sich die Funktionen.

Mobil ist der eine Trend, visuell ein weiterer. Chrakteristisch für Online-Kommunikation war und ist eine Art verschriftlichte gesprochene Sprache. Hinzu treten immer mehr visuelle Elemente, hier fällt das etwas seltsame Wort Bewegtbild:  So werden Videos und Filme im Netz genannt. Youtube ist das Schwergewicht mit einer eigenen Landschaft, in gewisser Art Nachfolger von MTV, von Sendeformaten, dazu weitere Portale,  Web TV-Sender, Live- Übertragungen, Streamingdienste, Videoblogs – und podcasts, Microvideos wie Vine. Zu unterscheiden ist, ob das Netz v.a. als Vertriebskanal genutzt wird, oder ob sie Teil der Online-Kommunikation sind.
Aufnahme und Verbreitung von Webvideos sind einfach geworden, seitdem jedes SmartPhone, jeder Laptop und jede Digitalkamera mit einer Video-Funktion ausgestattet ist – das bedeutet nicht, dass guter Inhalt genauso einfach zu erstellen wäre, bzw. einfache Technik immer ausreicht. Weinverkostungen, Modepräsentationen, anwaltliche Kommentare zu Rechtslagen als Bewegtbild – all das ist längst Alltag im SocialWeb. Mit Google Hangout on Air  gibt es eine einfach zu handhabende Möglichkeit der öffentlichen Übertragung, live oder auf Abruf – und damit ganz neue journalistische Möglichkeiten. Bewegtbild- Formate entwickeln eine eigene Formsprache, dabei lohnt es sich auch die Trickfilm-ähnlichen Möglichkeiten von Microvideos wie Vine zu beachten. Bewegtbild im Netz ist auch ein Experimentierfeld neuer Formate in Unterhaltung und Information, die Produktionskosten sind zunächst gering. Sehgewohnheiten verändern sich, lineare Programmschemata  weichen auf.

POSE
Paid, Owned, Shared, Earned Media

Social Media sind kein Marketingwerkzeug, Marketing findet dort statt. Für die Akteure – vom Freiberufler bis zur Weltmarke, kommt es darauf an, ein konsistentes Bild, eine Reputation zu entwickeln. Von den meisten Unternehmen und Organisationen werden SocialMedia zur Marken- und Kundenkommunikation genutzt. Hier sei nochmals auf das Modell Paid, Owned, Shared & Earned Media (s. rechts) verwiesen – ein grundlegendes Konzept der Medienplanung, ergänzt durch die Kategorie Shared Media – das sind die Inhalte, wie sie in den auf der SocialMedia Map verzeichneten Plattformen geteilt werden. Ein meßbarer Erfolg sind Earned Media, Owned Media die eigenen Präsenzen – unverzichtbar für alle die selber als Akteure im Netz wahrgenommen werden wollen. Paid Media sind schließlich bezahlte Auftragsleistungen.

Unter den Branchen, die in die Social Media vertreten sind, zählt die Versicherungsbranche wohl zu den konservativeren, aber auch finanzstarken. Marko Petersohn hat dazu die auf Facebook und youtube veröffentlichten Inhalte – Shared Media –  untersucht. Wie agieren Versicherungen dort, und was ist Ihre Erfolgsperspektive? Welche Strategien verfolgen einzelne Gesellschaften? Mit welchem Erfolg? Was ist die richtige Contentstrategie auf Facebook? Und wie lässt sich das alles erklären? – Diese Fragen lassen sich auch zu anderen Branchen stellen.

Spricht man von Social Media denkt man zumeist an die bekannten Plattformen, allen voran an Facebook. Sicher zählt Facebook, neben Google, Apple und Amazon zu den  dominierenden Grössen im Netz – mit den Zukäufen instagram und WhatsApp ein SocialMedia Imperium. Doch gibt es im Netz immer wieder neue Entwicklungen. Die Möglichkeiten des Internet stehen immer mehr Menschen zur Verfügung – weltweit mit den grössten Auswirkungen aufWirtschaft, Arbeit und Gesellschaft. In Zukunft wird man wahrscheinlich mehr und mehr vom digitalen Wandel sprechen.

Qualitative Datenanalyse (Rez.)

Derart spezialisierte Handbücher erscheinen wohl nur noch in englischer Sprache, auch wenn Herausgeber und viele der Autoren deutschsprachig sind. Im Juni 2014 erschien The Sage Handbook of Qualitative Data Analysis mit 40 Beiträgen namhafter Wissenschaftler aus dem angloamerikanischen und deutschen Sprachraum, zumeist Inhaber von Lehrstühlen in Soziologie oder Psychologie.
Unter qualitativer Datenanalyse versteht man die Klassifizierung und Interpretation der im Forschungsprozess angefallenen zunächst unstrukturierten Daten,  d.h. bedeutungstragende Elemente meist  sprachlicher, aber auch non-verbaler bzw. generell visueller Natur. Sie verbindet zunächst gröbere Zusammenfassungen  mit der Ausarbeitung von Kategorien, hermeneutischer Interpretation, der Identifizierung von Mustern. Ziel ist es, über den Abgleich unterschiedlicher Materialien allgemeingültige Aussagen treffen zu können (vgl. S. 5). Zumeist wird dabei sog. QDA- Software, wie MAXQDA, NVivo, AtlasTi (oder auch manche als Shareware vertriebene Lösung) eingesetzt, das ist aber nicht zwingend.
Interviews, Focusgruppen, Transkriptionen und Beobachtungsprotokolle sind die traditionellen Datenquellen, zu diesen treten neuere Formen: visuelle, virtuelle, akustische u.a. Daten. Damit zeigt sich die Erweiterung der gängigen Kommunikationswege und der Dokumentation individueller und sozialer Erfahrungen. Video- und Tonaufnahmen, Social Media zeigen relevante Aspekte der Lebenswelt im 21. Jahrhundert.
Die einzelnen Essays decken fast alle Bereiche ab: Kapitel zu seit langem etablierten analytischen Strategien wie Grounded Theory, Inhaltsanalyse, Hermeneutik, Phänomenologie und narrativer Analyse, zu den unterschiedlichsten Typen von Daten und ihrer Analyse: Dokumente, Interviews, Bildern, Sounds, Video, SocialMedia etc.,  zu Mischmethoden, Re- und Meta-Analysen, zur Forschungsethik.

Mich selber interessieren v.a. zwei Texte: der von Robert Kozinets et al. “Netnographic Analysis: Understanding Culture through SocialMedia Data” (S. 262 – 276) und “Cultural Studies” (S. 247 – 261) von Rainer Winter. Cultural Studies und Netnographie verbindet mehr als zumeist gedacht, Forschungsfelder überschneiden sich. Feld der Cultural Studies, ist “the whole life of a group of people“, ethnographische Studien meist jugendlicher Subkulturen und Medienanalysen stehen im Vordergrund, auch als Popularkultur bezeichnet. Auch Netnographie befasst sich in vielen Fällen mit Popularkultur. Man denke allein an die Studie zu StarTrek,  andere zu Fans von TV-Serien, und generell: aktuelle Popularkultur findet online und offline statt. Wenn wir uns für solche Themen interessieren, sei es veganes Essen oder die Verbreitung von Tattoos, die Resonanz von TV-Serien (diese Themen hatte ich kürzlich als Beispiele bei einem Workshop gewählt) oder allgemeiner neuen Vergemeinschaftungen, dann finden wir online reichhaltiges Material dazu – Popularkultur nutzt und zeigt sich offline und online.
Der Beitrag von Kozinets enthält im wesentlichen die bereits 2010 ausgeführten methodischen Grundlagen (nachzulesen in Netnography. Doing Ethnographic Research Online).

Zu einem weiteren Handbuch: The Handbook of Anthropology in Business erschien ebenfalls im Juni 2014. Hier beteiligten sich 65 Autoren in 43 Beiträgen, international etwas stärker gestreut. In zweien davon geht es um das Thema Netnographie.  Der Mailänder Soziologe Alessandro Caliandro, u.a. Autor einer Netnographie-Studie zu Heimwerkern (Netnografia dell’ Homemaking), entwirft eine Klassifikation von Ansätzen netz-basierter Ethnographie und unterscheidet zwischen Netnographie, digitaler Ethnographie und einer Ethnographie virtueller Welten (vgl. S. 674). Während sich letztere (Forschungsfeld etwa World of Warcraft, Second Life) leicht abgrenzen lässt, sehe ich wenig Sinn in der generellen Unterscheidung zwischen Netnographie und digitaler Ethnographie. Netnographie wäre eine formalisiertere, stärker auf Konsumforschung ausgerichtete Form, die sich auf Communities of Practice richtet; digitale Ethnographie eine weniger formalisierte, die sich auf eine digitale Öffentlichkeit bezieht – um es sehr kurz fassen. In der Praxis wäre eine Grenze schwer zu ziehen, fast jedes Forschungsdesign ist wieder ein anderes. Es sind gerade solche Studien, wie die von Caliandro, die die online-Lebenswelt erschliessen. Interessant sind übrigens auch die methodischen Abschnitte zur Netzwerk- und zur Diskursanalyse (S. 670 ff).
Kozinets’ Beitrag handelt v.a. von der Entwicklung von Netnographie, der Spezifierung in der Konsumforschung und geht im weiteren auf die neueren Möglichkeiten in Social Media und der mittlerweile weit verbreiteten Monitoring– Software ein. Im Zentrum steht das kulturelle Verstehen von Kultur, Inhalt, Kontext und Konsum in der Lebenswelt des Marketing (vgl. S. 785) .

Beide Handbücher gibt es sowohl als gedrucktes Buch, wie als E-Book. Zwar sind mir gedruckte Bücher lieber, doch sprach der  jeweilige Preis von 40 €, gegenüber jeweils ca. 120 €, für die E-Book Version. Beide Bände sind von Umfang und Inhalt Schwergewichte, die ihr jeweiliges Feld weitgehend abdecken.

Flick, Uwe (Hrsg.): The Sage Handbook of Qualitative Data Analysis. London 2014. 634 S.

Denny, Rita & Sunderland,Patricia (Hrsg.): Handbook Anthropology in Business. Walnut Creek (Ca) 2014. 838 S.

Handbuch Online-Forschung

9783869620909Am 22.10. wurde das von meinem Fachverband, der DGOF (Deutsche Gesellschaft für Online – Forschung) herausgegebene Handbuch Online-Forschung vorgestellt. Ich freue mich sehr mit dem Beitrag Netnografie (hier in der eingedeutschten Schreibweise) vertreten zu sein. In Kürze folgt dazu ein etwas ausführlicherer Blogbeitrag. Bis dahin das Abstract des Herbert von Halem Verlages.

Online-Forschung befindet sich in einem dynamischen Wandel. Zum einen führen technische Innovationen zur Weiterentwicklung von Auswertungs- und Analysemethoden. Zum anderen lassen soziale Veränderungen neue Erhebungsinstrumente entstehen.

Das Handbuch Online-Forschung bietet einen gut verständlichen Überblick über die sozialwissenschaftlich motivierte, internetgestützte Datengewinnung und deren Auswertung. In einer kompakten Darstellungsweise wird die gesamte Breite des Feldes sowohl theorie- als auch praxisbezogen bearbeitet und erlaubt einen akademischen sowie praktischen Zugang. Der Band 12 der Neuen Schriften zur Online-Forschung beinhaltet einerseits aktuelle Entwicklungen wie Forschungsethik und Datenschutz im Social Web, andererseits bündelt das Handbuch Erträge, die über eine Dekade erarbeitet wurden – wie Fragen der Repräsentativität, Panel-Forschung oder den Umgang mit schwierigen Befragtengruppen.

Zur Zielgruppe des Bandes gehören Sozialwissenschaftler, Ökonomen und Psychologen an Fachhochschulen und Universitäten, welche Methoden und Instrumente des Feldes reflektieren und anwenden, genauso wie Mitarbeiter und Projektverantwortliche von Unternehmen und Institutionen, die an der Entwicklung oder Anwendung von Online-Forschung beteiligt sind. Diese Interdisziplinarität sowie die Relevanz in akademischer und angewandter Forschung waren bei der Gewinnung der zahlreichen renommierten Einzelautoren ein wichtiges Kriterium. 

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Online ist nicht “auf der Leine” – Bird on the Wire

Zum gleichen Termin stellte die DDOF außerdem das nebenstehende Poster der Hamburger Graphikerin Silver Lemon  vor. Online ist eben nicht “an der Leine”. Mir kamen dazu Gedanken an den Twitter-Vogel und den Song Bird on the Wire von Leonard Cohen.

Aufbruch, Pose und Diskurs – Über Pop-(Musik) – Rezension

didi_pop“Über Pop-Musik” erschien im März dieses Jahres, d.h. seitdem wurde bereits eine Menge dazu gesagt bzw. geschrieben. Zwar heisst es im Titel -Musik, es geht aber nicht über Musik als solche. Pop ist (hier) weniger Musikstil als eine Form des Erlebens. Thema ist das gesamte Ereignis-, Erlebnis- und Erfahrungsfeld Pop und dazu zählen nicht nur Songs incl. Texten und Cover + Moden, Frisuren etc. und ihr Entstehen, auch die damit verbundenen ästhetischen, sozialen und sexuellen Erfahrungen.

Diedrich Diederichsen hat wie kein anderer in den vergangenen Jahrzehnten den deutschsprachigen Diskurs zu Pop geprägt, in Zeitschriften wie Spex, Büchern wie Sexbeat oder Musikzimmer, in unzähligen Plattenkritiken und Feuilletontexten, und nun als Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Unverkennbar die mit semiotischen und soziologischen Bezügen verdichtete, manchen elaboriert erscheinende Sprache. Über Pop-Musik ist so etwas wie die Summe all dieser Texte: ein Werk von 474 Seiten, gegliedert in fünf so bezeichnete Teile und knapp hundert Abschnitte, in denen wohl ebenso viele Einzelthemen als Diskurseinheiten behandelt werden. Es stützt sich auf eine enzyklopädische Kenntnis des Feldes, enthält im Rückgriff auf eigene Erlebnisse auto-ethnographische Elemente und bezieht sich auf die Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts. So auf Adornos Kulturindustrieverdacht, den Subkulturalismus von Foucault und Pierre Bourdieus Begriff der Distinktion. Luhmann kommt genauso vor wie Bob Dylan und David Bowie, wie Punk, HipHop und Techno, es geht um Camp und Queerness. Das Zusammenwirken dieser Ebenen bestimmt Diskurs und Analyse, dabei zeigen sich erhellende Gedankengänge, von denen manche sich aber nicht sofort erschliessen.
Dahinter wird eine Geschichte erzählt: die von der Welterfahrung, der Sozialisation und Individuation über Pop-Musik, persönlich und typisch für diese und direkt nachfolgende Generationen. Pop-Musik vermittelte “emotionale und atmosphärische Neuheiten” (S. 249), Erfahrungen, die in der Herkunftskultur nicht gemacht werden konnten. Es ist die Entwicklungsgeschichte einer Generation von den Jugendzimmern und Schulhöfen, durch Clubs, Seminare und Redaktionen, mit einigen radikalen Schlenkern, in die Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Mich selber erinnert DD immer etwas an Sascha Lobo (oder umgekehrt). Zumindest wissen sich beide in der wahrgenommenen Rolle als szeneinterne Durchblicker mit Anspruch auf Deutungshoheit zu inszenieren.

Zu Pop gehört die Pose
Zu Pop gehört die Pose

Zu Pop gehört die Pose. Zunächst denkt man an so bekannte wie Zappa auf dem Klo und den Stinkefinger der Stones. An die Inszenierung von Punk, Rap oder HipHop. Pose bedeutet hier eine Haltung als Einheit von Auftritt, Stimme und Stil einzunehmen, mit der man im Leben besteht (bzw. will), und das bedeutet auch Selbstermächtigung.Was ist das denn für ein Typ (bzw. wat is’n dat für’n Typ)? Was für ein Lebensentwurf wird uns denn da präsentiert? Wie sieht der denn aus? (S. 139) und ‘was finde ich denn gut an dem/der’? sind die Fragen, die an Performer von Pop gestellt werden. Nicht der musikalische Wohlklang – Verstärker boten auch schwachen Stimmen eine Bühne -steht im Vordergrund, sondern die möglichst überzeugende, in sich stimmige Haltung. In dieser Weise vermittelt Pop jeweils subjektive Weltsichten und das gilt nicht nur für Hipster (in der ursprünglichen Bedeutung), sondern für praktisch jede subjektive Sichtweise (vgl. S.412 ff), auch wenn sie ganz und gar nicht in das Bild gesellschaftlich fortschrittlicher Pop-Musik passt, wie etwa neo-patriarchale HipHopper, oder gar Neo-Nazis. Der für Diederichsen entscheidende Maßstab ist die Vermittlung des Pop-Erlebnisses in die reale soziale Welt als vielversprechender Aufbruch, und er macht auch deutlich, daß er sich nur für Pop interessiert, der diese Erlebnisse vermittelt (S. 419) – idealerweise als subkulturelles Gemeinschaftserlebnis.

Pop zählt zu den stärksten kulturellen Strömungen der letzten Jahrzehnte mit kaum zu unterschätzenden Wirkungen auf die Alltagsästhetik. Eine wesentliche Errungenschaft ist es, Stimmungen, als eine Art atmosphärische Wahrheit, auf einprägsame Weise in den Alltag überführt zu haben, etwa in dem Sinne “How do you think it feels?“. Erlebnis und Erfahrung Pop waren einst an eine Revolte gegen die Disziplinargesellschaft (etwa das, was Max Weber als das stahlharte Gehäuse bezeichnet hatte) und den von ihr ausgeübten normativen Druck gekoppelt. Lange Zeit blieb Pop gegenkulturellen Szenen verpflichtet. Kaum eine soziale Bewegung, kaum eine eigenständige Szene der letzten Jahrzehnte ohne den entsprechenden Sound. Auf die (von DD so genannte) heroische Phase des Pop folgten weniger heroische Zeiten. Mittlerweile ist Pop allgegenwärtig, in allen Schattierungen: mit Liebhaberszenen nahezu aller Genres aus allen Epochen, allzeit abrufbar aus digitalen Archiven. Es gibt kaum noch eine Generation, die nicht mit Pop aufgewachsen ist. Allerdings ist Pop-Musik immer weniger Aufbrüchen des Lebensgefühls verbunden, wie es jahrzehntelang in immer neuen Schüben – von Bob Dylan und Jimi Hendrix, Punk und New Wave, Grunge, bis Techno, Dub etc. – gewesen ist.
Pop lässt sich auch aus zivilisationsgeschichtlicher Perspektive (nach N. Elias) betrachten. Dabei geht um die langfristig gerichtete Veränderungen von Mentalitäten und Verhaltensstandards. Der niederländische Soziologe Cas Wouters hatte 1991 einen Prozess der Informalisierung beschrieben, der eine bis dahin formulierte Unterwerfung des Verhaltens unter straffere Regulierungen der zunehmenden in der Richtung veränderte.

Es bleiben weiterführende gesellschaftliche Fragen: “Wie bildet Pop-Musik soziale Einheiten, Gangs, Szenen, Milieus, Subkulturen und Gegenkulturen, wie generiert sie das, wofür sie mehr als für ihre ästhetischen oder kulturellen Meriten studiert zu werden verdient verdient: soziale Tatsachen und -so glaubten ja einst Gegner wie ihre Unterstützer – Gefahren?” (S. 375) – und damit bin ich beim Thema des nächsten Blogbeitrages, bei dem es um diese posttraditionellen Vergemeinschaftungen geht.

Diederichsen, D. “Über Pop-Musik”, Köln 2014, 474 S, ISBN: 978-3-462-04532-1, 39,90 €

Klaus Janowitz (klausmjan)

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