Die Landnahme der generativen KI

Foto: Emiliano Vittoriosi unsplash.com

Seit der Bereitstellung von Chat GPT ist generative KI/ AI der Hype des Jahres. GPT steht für Generative Pre-trained Transformer. Generative KI erkennt Muster aus den Daten, mit denen sie trainiert wurde und kann ausser Text auch Bild ( so  Midjourney – seit 16.08 auch Adobe), Code, Ton etc. ausgeben, grundsätzlich sind ganze Videosequenzen möglich. Die Ausgabe ist so gut, wie sie mit Inhalten versorgt und trainiert wurde.

Das erste Erlebnis ist meist verblüffend: Generative KI kann brauchbare Texte, in sich stimmige Ergebnisse ausgeben (Chat GPT berechnet Wahrscheinlichkeiten, so kann es auch plausibel klingende, aber falsche oder unsinnige Antworten ausgeben). Es braucht dazu keine Programmierkenntnisse,  der Chatbot als Benutzeroberfläche, die Bedienung über die Tastatur, die Dialogform machen den Zugang einfach. Kein anderes Tool im Netz hat sich jemals zuvor so schnell verbreitet, kaum eine Software wurde in solcher Breite auf ihre Möglichkeiten und ihre Anwendbarkeit getestet – sicherlich im Interesse der Anbieter und Investoren.

Chat GPT ist die Volksausgabe der KI: Gebrauchstexte jeder Art, E- Mails, Produktbeschreibungen und Marketingkampagnen werden bereits damit erstellt, Schüler lassen sich Hausaufgaben schreiben, Juristen durchforsten Gesetzestexte und Gerichtsurteile. Bewerbungsschreiben haben sich seitdem grundlegend verändert.  Kaum eine Agentur, die nicht über ihre Erfahrungen bloggt und postet. Welche Arbeitsgänge sich damit sinnvoll automatisieren lassen wird fortwährend ausprobiert.
Das ist noch der Anfang – generative KI ist so in viele Bereiche des Alltags- und Berufslebens eingedrungen und wird dort verbleiben. Grundsätzlicher Tenor ist bislang der eines nützlichen Assistenten, der Arbeitsschritte vereinfacht, oder des Sparring Partners bei der Ideenfindung. Manchmal kann man die Nutzung mit der einer erweiterten Google- Suche oder der Recherche in der Wikipedia vergleichen: Chat GPT erschliesst das im Netz vorhandene Wissen (mit Sperrdatum Sept. 2021).

Mit dem Begriff der Künstlichen Intelligenz hadere ich immer wieder. Der Vergleich bzw. Leistungsabgleich mit nicht- künstlicher, menschlicher, Intelligenz drängt sich immer wieder auf – eine Konkurrenz zum menschlichen Denken, Angst vor Kontrollverlust steht im Hintergrund. KI als Begriff wurde seit  seiner Einführung immer wieder kritisiert, hat sich aber dennoch verbreitet. KI Systeme folgen lediglich programmierten Algoritmen.  Beschreibungen wie “aus Daten lernende Systeme” sind wohl zu sperrig.

Die grossen Digitalkonzerne expandierten entlang sozialer Graphen Bild:mburpee/flickr.com

Digital Landgrab, deutsch Digitale Landnahme¹  kam als Begriff seit etwa 2010 auf. Bezeichnet wurde damit der Ausbau von Reichweiten im Digitalen Neuland  des Social Web,   die schnellst mögliche Besetzung strukturierender Funktionen. Auch in der Diskussion zum Überwachungskapitalismus  kommt der Begriff  immer wieder vor.
In der Soziologie gibt es das um Klaus Dörre und Carolin Amlinger entworfene Theorem der Landnahme des Finanzkapitalismus.  Näher an digitaler Landnahme liegt die Landnahme im Informationsraum (Boes et al. 2/2015). 

Eine Ableitung ist Graphnahme – was zunächst unverständlich klingt, dann aber eine bestimmte Dynamik auf den Punkt bringt:  es  bedeutet die Einnahme von Einflusszonen und Geschäftsfeldern entlang sozialer Graphen.  Bei der Expansion von Facebook stand der Social Graph im Zentrum: Soziale Graphen stellen Beziehungen zwischen einzelnen Entitäten dar – the global mapping of everybody and how they  are related ², das Ziel von Facebook war und ist, diesen Social Graph weiter auszuweiten, so dass er möglichst viele Menschen und Objekte umfasst. Michael Seemann hat mit diesem Modell in Die Macht der Plattformen die Expansion der  Plattformunternehmen beschrieben.
Facebook (incl. instagram und What’s App) expandierte über den Graphen der sozialen Verbindungen, Google über den Graphen der Interessen, Amazon über den Consumption Graph, Apple und Google teilen sich den Mobilfunkgraph (Seemann 2021, 159). Die Dominanz  der Plattformunternehmen beruht auf dem Wissen über die Verbindungen – ein entscheidender Machtfaktor.

Die Landnahme des Roboters im Wohnzimmer – erzeugt mit Adobe Firefly

Lässt sich das Bild einer Digitalen Landnahme sinnvoll auf den Durchbruch generativer KI anwenden?
Bisher wurde mit Digitaler Landnahme die Einnahme von Funktionen und Geschäftsfeldern beschrieben:   Airbnb  und Uber waren weitere Beispiele für  die Landnahme in bereits bestehenden Geschäftsfeldern. Gegenüber Uber gab es mehr Widerstände, die Landnahme von Airbnb hatte u.a. auch urbanistische  Auswirkungen.
Welche Funktionen, welche Geschäftsfelder generative KI einnimmt, ist ein Prozess, der gerade erst begonnen  hat. Die Technologie verbreitet sich von unterschiedlichen  Branchen aus. In der Kommunikations- und Marketingbranche spricht man mehr davon, wahrscheinlich verbreitet sie sich ebenso sehr in Bildung, Rechtswesen, Versicherungen und Finanzdienstleistungen. Die Landnahme ist im Gange.
Chat GPT ist noch in der Einführungsphase. Ein Geschenk der Hersteller an die Nutzer? Wohl genauso wenig, wie es die Google- Suche war. Sollen ebenso wie damals, Felder besetzt werden, bevor jemand anderer zuvorkommt? Es gibt Potential für Plattformen und Spezifizierungen die ebenso entlang von Graphen  ihren Einflussbereich ausbauen können.

Bessere Ergebnisse brauchen bessere und präzisere Eingaben bzw.  Anweisungen an den Chatbot. Prompt Engineering ist die überlegte Eingabe  möglichst exakter Anweisungen – eine Aufgabe menschlicher Intelligenz – ohne die richtige Fragestellung keine guten Ergebnisse.

Kritik bzw. Einwände leiten sich zumeist von der Verwendung des Trainingsmaterials ab: Generative KI stützt sich millionenfach auf Texte, Bilder, Code – auf den ganzen Schatz des Wissens, des Stils und der Bedeutungen, der ins Internet gelangt ist oder dort erzeugt wurde.  All das wurde bis dahin von Journalisten, Schriftstellern, Bloggern, von Illustratoren, Codern etc verfasst, fotografiert, gecodet, arrangiert, oft urheberrechtlich geschützt. Ist es kulturelle Aneignung, geistiger Diebstahl, diese Quellen ohne Zustimmung der Urheber als Trainingsmaterial zu nutzen? Ein Arsenal der Stilvorlagen?  Mit einigen Quellen haben die Betreiber mittlerweile Verträge abgeschlossen, so mit der Nachrichtenagentur AP (s. SZ, 23.07.).
Generative KI transportiert zudem die in Ursprungstexten enthaltenen Meinungen und Einstellungen, von der sie im Standard eine Art Median erzeugt. Rassistische Diskriminierung oder geschlechtsspezifische Verzerrungen werden genannt und sollen vermieden werden. Und: die Erwartung einer  Schwemme von KI- erzeugtem Spam. 

Schliesslich die Gefahr, dass immer mehr Entscheidungen an Maschinen und Algoritmen delegiert werden, somit ausserhalb demokratischer Kontrolle.  Je komplexer die Gesellschaft wird, desto attraktiver könnte es werden, Planungen und Evaluation an Maschinen zu delegieren (vgl. Th. Fuchs, 2022). 

¹Landnahme als soziologisches Konzept:  Andreas Boes, Tobias Kämpf, Barbara Langes, Thomas Lühr (7/2015) Landnahme im Informationsraum. Neukonstituierung gesellschaftlicher Arbeit in der „digitalen Gesellschaft”.  10(1). Jaron Lanier: There is No AI. The New Yorker 20.04.2023. There are ways of controlling the new technology—but first we have to stop mythologizing it James Bridle: The Stupidity pf AI. The Guardian 16.03.23  Matthew Hudson: Can we stop Runaway A.I. ?  The New Yorker. 16.05.2023 – Micah Sifray: The AI Land Grab Begins. The Connector. 16.05.2023 Thomas Fuchs: Human and Artificial Intelligence: A Critical Comparison(6/2022) Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Bullshit, der (e)skaliert. Golem 16.03.23.  Afri- Cola: afri und die künstliche Intelligenz . Brühl/ Janisch/ Kreye: Einfach nur hungrig. Künstliche Intelligenz und Urheberrecht. Süddeutsche Zeitung 23.07.2023.  — vgl. auch : ChatGPT: Wie künstliche Intelligenz den Anwaltsberuf revolu­tioniert (7/23). Zum Urheberrecht: F. Reinholz und K. Berlage: KI und Copyright – wie hält es ChatGPT mit dem Urheberrecht? (3/23)

 



Hypes und ihre Weiterwirkung

Es geht voran – ein Blick in die Zukunft. Bild: Harsh Shivam. pexels.com

Vor einem Jahr sprach man von Krisen – in diesem Jahr spricht man von Hypes. Gleich mehrere Hypes folgten so bruchlos aufeinander, dass das Phänomen Hype selber zum Thema wird. Die Zyklen technologischer Trends schliessen schnell aneinander, und versprechen eine neue Welt. Welche Weiterwirkung haben sie in unserer Gesellschaft?
Zyklen von Hypes technologischer Neuerungen werden seit längerem thematisiert (Gartner-Zyklen), Der Verlauf spiegelt Muster wieder, ist aber nicht zwangsläufig.
Die Hypes der letzten Jahre gehen darüber hinaus: es sind Hypes, die sich als zwangsläufige Zukunft inszenieren. Sie gehen aus von den grossen Tech- Konzernen bzw. deren Umfeld, die im vergangenen Jahrzehnt im Social Web reich geworden sind.  Sie nehmen eine Stelle von Zukunftsvisionen ein. Der Ausdruck Futures Appropriation drückt eine Aneignung von Zukunft durch sie aus – darunter geht es kaum.
Der folgende Text überschneidet sich mit einem anderen (Hypes: Metaverse – Web3 – ChatGPT – Vom Zweiten zum Dritten Netz?) – steht aber in zeitlicher Distanz von knapp vier Monaten. 

Der Hype um Web3 ist schon fast Geschichte, taucht aber immer wieder als Referenz auf. Manchmal aus Unkenntnis, öfter um Abgrenzung auszudrücken. Über Web3 ist fast alles abschliessend gesagt, was es zu sagen gibt:  Der Rant  Das dritte Web von Jürgen Geuter, (@tante) lässt an Kritik nichts über.  Vor drei Monaten erschien zudem der Forschungsbericht Expansive and extractive networks of Web3 (2023), der Web3 aus seinem spezifischen Habitat heraus erklärt.
Die Autoren Jathan Sadowski & Kaitlin Beegle beschreiben Web3 als eine Art Fallstudie des Risikokapitalismus aus Silicon Valley: Web3 was not an anomaly in the broader tech industry. It should be understood as a product of that industry, which articulates patterns and dynamics that existed before Web3 and will exist after — The innovations may not survive, but the model continues to thrive
Web3 vermengt Elemente, die man ansonsten kaum zusammenbringt: Eine Rhetorik von Dezentralität, die letztlich zu Konzentration führt, dazu einen enormen Energieverbrauch und eine Spekulationsblase.  Keine Regulierung, keine Institutionen,  kein Staat bzw. möglichst wenig davon, eine “libertäre”, anarchokapitalische  Ideologie mit Anklängen an Ayn Rand, einer Autorin des enthemmten  darwinistischen Kapitalismus. 

Einstieg in eine parallele Welt – auf dem Höhepunkt des Hype – Time Magazine 8/22

Das Metaverse ist vorerst auserzählt – zumindest mit der Perspektive einer medialen Infrastruktur incl. virtueller sozialer Beziehungen und digitalem Eigentum. Mit dem Einstieg in eine parallele Welt ist eine Faszination verbunden – eine uralte, archetypische Erzählung bzw.  Narrativ. Der Begriff selber greift die Dystopie aus dem  Science Fiction Roman Snowcrash auf, in dem Menschen als Avatare ihrer selbst miteinander kommunizieren.
Die Vision des Metaverse wurde immer etwas vorsichtig bis nebulös beschrieben: Ob es das Metaverse jemals geben würde, wurde immer offen gelassen, damit auch die Möglichkeiten der Verwirklichung.
Der Hype scheint in eine Richtung kanalisiert zu sein, in dem es um die Umsetzung einzelner konkreter Anwendungen, wie etwa Architekturmodelle, Simulationen zu Trainingsanwendungen, Konferenzschaltungen geht.  Nüchterne Begriffe wie immersive Medien und Spatial Computing stehen nun im Vordergrund, es geht um nützliche Anwendbarkeit.
Das Zusammenwachsen dieser Anwendungen ist vorerst unwahrscheinlich, dennoch eine – mögliche – langfristige Perspektive. Metaverse- Erfahrungen einer parallelen Welt sind am ehesten im Gaming- Bereich denkbar. Die Datenbrille als das neue Smartphone, das den Zugang zu einer neuen medialen Infrastruktur gewährleistet, bleibt aber in weiter Ferne. Die Mehrheit der Menschen kann sich nicht damit anfreunden, wahrscheinlich erinnert sie zu sehr an eine Prothese.
Der Traum/ die Vorstellung vom Metaverse bleibt aber, wie eine aktuelle Definition von Leslie Shannon (Autorin Interconnected Realities) zeigt: The Metaverse is a partly- or fully-digital experience that brings together people, places, ans/or information in real time in a way that transcends that which is possible in the physical world alone, in order to solve a problem. Gemeint ist eine neue Form der Mensch/ Maschine – Interaktion.
Ausgerechnet in einer Branche, die an sich so sehr mit der Inszenierung des Körpers verbunden ist, lebt der ursprüngliche Entwurf des Metaverse fort –  zumindest  in dem Bereich der Fashionwelt, dessen Wertschöpfung sich von materiellen Kosten losgelöst hat. Metaverse Fashion Week ist ein Laufsteg dematerialisierter Mode – und erstaunlich viele Unternehmen beteiligen sich daran. Mode, die Avatare bekleidet, hat den  Charakter von NFTs – den digitalen Unikaten des Web3.
Digitale und virtuelle Kunst ist zu einem integralen Bestandteil der lokalen visuellen Sprache geworden – nicht nur in der Kunstwelt, sondern auch unter Chinas innovativsten Modedesigner:innen – so zitiert die Vogue (D)  die Chefredakteurin der chinesischen Ausgabe Margaret Zhang, anscheinend  gibt es kulturell bedingte Unterschiede.

Ist der Chat Bot wirklich intelligent? – Foto von Rock’n Roll Monkey Unsplash.com

Die Breitenwirkung des dritten Hype, Chat GPT, ist ungleich grösser. ChatGPT ist die Volksausgabe der künstlichen Intelligenz. Der Hype ist zwar ebenso von Investoren initiiert, wird aber in einer ganz anderen Dimension von Anwendern getragen. Millionen experimentieren damit, testen den Gebrauch, die Zusammenführung von Inhalten und überhaupt alle Möglichkeiten,  die der ChatBot bietet.
Misst man eine Technologie daran, wie erfolgreich sie Probleme löst, dann löst Chat GPT bislang eine Reihe von Alltagsproblemen:  Schüler und Studenten erledigen damit Hausaufgaben, Anschreiben von Bewerbungen werden damit erstellt. Werbemails, wahrscheinlich oft genug juristischer Texte – allesamt weitgehend standardisierte Textformate.  Seit dem Start von Chat GPT  im letzten Winter ist das Ausmass der Verbreitung kaum mehr zu überblicken.
Man kann es auch positiver formulieren: Chat GPT erschliesst das Wissen und die Formen aus den Datenbeständen des Web und gibt sie als Text, Bild, Code aus und bietet nutzbare Lösungen. Manchmal ersetzt es die Suchmaschine oder Wikipedia. Komplexere Ergebnisse erfordern komplexere  Handlungsanweisungen. Prompt Engineering ist die Kunst, sie so zu formulieren, dass  die Software  die bestmöglichen erwünschten Ergebnisse zeigt. Ein sehr anschauliches Beispiel – ohne jede Rücksicht auf Urheberrechte – gibt es in einem Spot von Afri- Cola – die Ideen stammen von kreativen Köpfen, die Umsetzung von der KI/ AI.
Auch KI hat eine archetypische Hintergrunderzählung: die Schaffung einer aussermenschlichen Intelligenz war und ist immer ein Motiv, nicht nur in  Science Fiction, sie ist viel älter. Dahinter steht die Furcht, das Erschaffene könne den Schöpfer übertreffen und seiner Kontrolle entkommen – die menschlich gestaltete Zivilisation von ihrem Produkt übernommen werden.
Dagegen steht der Einwand, dass Chat GPT und generell das, was als KI/ AI bezeichnet wird, überhaupt nicht intelligent ist. Ein Einwand, ebenso alt, wie die Technologie selber – und der sich immer wieder an dem Begriff KI/AI entzündet.
Und es gibt das Problem der missachteten Urheberrechte, schliesslich greifen die Crawler der Chat Bots auf alle zugänglichen Texte und Bilder als Trainingsdaten zu. Wie gut die KI ist, hängt davon ab, wieviel Texte (und Bilder) sie verschlungen hat- um Urheberrechte schert sie sich nicht. Allerdings ist der Umfang der Geschäfte so gross, dass man erwarten kann, dass es zu Einigungen kommt.

Techniken setzen nur dann durch, wenn sie ganz offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft treffen (Armin Nassehi) bzw., wenn sie ein Problem lösen. Das scheint der Fall zu sein …
Rechenleistungen sind nicht energieneutral – egal, ob Bitcoins geschürft, parallele Welten gerendert werden oder ein Chat Bot Daten durchpflügt und Ausgaben kreiert.

Für diesen Text wurde ChatGPT nicht benutzt, aber folgende Quellen: Sadowski, J., & Beegle, K. (2023). Expansive and extractive networks of Web3. Big Data & Society, 10(1). Leslie Shannon: Interconnected Realities: How the Metaverse Will Transform Our Relationship to Technology Forever (2023) Jaron Lanier: There is No AI. The New Yorker 20.04.2023. There are ways of controlling the new technology—but first we have to stop mythologizing it Matthew Hudson: Can we stop Runaway A.I. ?  The New Yorker. 16.05.2023 –  Dirk Songuer: Fieldnotes from the Metaverse  Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Bullshit, der (e)skaliert. Golem 16.03.23.  Michael Schütz: Warum Chat GPT nicht intelligent ist. planung&analyse. 20.6.2023 Thomas Riedel: Ist ChatGPT das neue Metaverse? Absatzwirtschaft 11.07.2023. VOGUE Meta-Ocean“: Erleben Sie die Welt der Mode im Metaverse | Vogue Germany . 10/2022. Afri- Cola: afri und die künstliche Intelligenz . Brühl/ Janisch/ Kreye: Einfach nur hungrig. Künstliche Intelligenz und Urheberrecht. Süddeutsche Zeitung 23.07.2023

 



One more thing … Spatial Computing

One more thing iPhone Momente wurden wachgerufen, als Apple CEO Tim Cook am 5. Juni die Vision Pro auf der Keynote zur WWDC23 (World Wide Developpers Conference) vorstellte. Apple hat es immer verstanden, neue Produkte in Szene zu setzen. Apple steht für das Primat der User Experience/ Nutzungserfahrung: aufeinander abgestimmte Hard- und Software, ausgereiftes Produktdesign. Kein Konzern hat mehr Fans, und diese ganz besonders in der Creative Class; Apple Produkte sind statusbeladene Accessoires, bis hin zum Airpod werden höhere Preise akzeptiert.
Wahrscheinlich hätte sich auch ohne das iPhone das mobile Internet durchgesetzt. Doch die bruchlose Verbindung von Internet, Telephonie, Kamera, Musik und die Anschlussfähigkeit der so vielfältigen Drittangebote setzte Maßstäbe, liess das SmartPhone innerhalb weniger Jahre zum unverzichtbaren Zugang zu einer neuen – global verbreiteten Infrastruktur- werden.
iPhone Moment  bedeutet v.a. eine Erwartungshaltung auf einen Prototypen für den Zugang zu neuen immersiven Welten, für ein Internet nach dem Monitor. Vorerst mit zeitlicher Verzögerung: In den Verkauf kommt Vision Pro erst Anf 2024 – der hohe Preis begrenzt zudem die Verbreitung.

Metaverse blieb ausgespart – stattdessen Spatial Computing –  ein Begriff, der 2003 von Simon Greenwold in seiner Abschlussarbeit am MIT* (download) definiert wurde:  human interaction with a machine in which the machine retains and manipulates referents to real objects and spaces. “Aus technischer Sicht integriert Spatial Computing mittels Software die Benutzeroberfläche des Computers nahtlos in die dreidimensionale physische Welt” – so Valentin Heun 2021. Entscheidend ist dabei, dass physische Signale wie Gesten, Stimme, Blickrichtungen als Eingaben für interaktive digitale Mediensysteme dienen, so wie Klicks, Mouseover oder Tastatureingaben beim Zugang  über Display.

Metaverse setzt Spatial Computing voraus – ohne Interaktion mit physischen Signalen kein Agieren im virtuellen Raum – als Konzepte betonen sie aber ganz andere Möglichkeiten: Spatial Computing erweitert das bestehende Internet um Funktionen;  Metaverse ist qua seiner Definition** ein überwölbendes Konzept einer miteinander verbundenen virtuellen Sphäre – und daran schliessen sich Fragen nach gesellschaftlichen Implikationen und Konsequenzen an: welche Folgen haben Verhalten und Handlungen in einem Metaverse? Was für eine Form von Öffentlichkeit entsteht in einer parallelen immersiven Welt?

Spatial Computing: mehr Bauprojekte als Avatare. Bild: Viktor Forgacs. unsplash.com

Einsatzmöglichkeiten gibt es genug, Apple spricht sehr weitgefasst von Spielen, Kommunikation und den Konsum von Inhalten. Vermutlich stehen Entwickler in den Startlöchern, für visionOS, das Betriebssystem der VisionPro angepasste Anwendungen zu produzieren.  Heute (22.06.) berichtet t3n von der Freigabe eines robusten Sets von Tools für Entwickler:innen.  Hier scheint sich das Modell iPhone zu wiederholen:  Apple stellt Hardware und Betriebssystem – Drittanbieter entwickeln die Anwendungen. Wahrscheinlich  wären etwa Bauprojekte, Trainings, Entwürfe grosser Veranstaltungen, im medizinischen Bereich, im Verkehr, bei Produktpräsentationen bis hin zu Einrichtungsentwürfen u.v.m,…  Ganz heruntergebrochen wird Spatial Computing erst wenig social sein, mehr im BtB- Bereich und wird weniger Beigeschmack von Science Fiction haben, das Thema der miteinander verbundenen Welten, das das Metaverse ausmacht, kommt kaum vor.

Konzerne wie Disney, denen man Erfahrung in Sachen Inszenierung des Fiktiven zuschreibt, haben sich mittlerweile vom Projekt Metaverse  zurückgezogen.  Überraschenderweise findet die ursprüngliche Idee immer wieder Anklang in der Mode- Branche, mit Überschriften wie Digitale Mode ist die Zukunft der Branche  und etwa dem virtuellen Raum Vogue Meta- OceanWas macht virtuelle Mode interessant, Avatar- Fashion? Es geht um Luxus- Marken, bei denen das finanzielle Limit  hoch gesteckt ist – und es geht anscheinend um den asiatischen Markt.  Eine Frage, inwieweit technische Innovationen an ältere kulturelle Muster anknüpfen. Ein Tor, über das ein Metaversum eine breitere Öffentlichkeit erreicht?

Sieht das Internet der Zukunft wie Spatial Computing aus? Ein Zugangswerkzeug, wie die Datenbrille wird so schnell nicht in den Alltag vordringen, bleibt besonderen Abläufen, oder auch Vorführungen vorbehalten.  Das SmartPhone ist viel zu praktisch, als dass es in absehbarer Zeit ersetzt werden würde. Es bündelt derart viele im Alltag verbreitete, nützliche und unterhaltsame Funktionen – es lenkt zwar viel mehr ab, als es sich viele wünschen,  beansprucht aber auch nicht die volle Aufmerksamkeit. Niemand verbindet den Gebrauch mit dem Abtauchen in eine parallele Welt,  es ist ganz von dieser Welt.  Als das iPhone 2007 eingeführt wurde, waren Mobiltelephone, manche mit Internetzugang bereits weit verbreitet. Das Bild des Cyberspace lag damals schon weit zurück.

Der Hype um Metaverse scheint abgebrochen bzw. in eine Richtung gelenkt, die vorerst keine übermässigen gesellschaftlichen Auswirkungen – that will revolutionize everything  hat. Erkennbar gibt es einen Drang zum Hype: narrative Spekulationen zu  technischen Neuerungen, die die Welt – zumindest wesentliche Teilsysteme – verändern. Es gibt viel Geld in den Kassen der GAFAM- Konzerne, dass erfolgversprechende Investition sucht, es gibt eine breite technisch gut ausgebildete Klasse, die in technologischen Zukunftsvisionen als einen Kick erlebt. Metaverse – bzw. die Vision einer nicht- körpergebundenen parallelen Realität – ist dabei ebenso wie KI/AI ein wohl immer wieder kehrendes Motiv. Manches davon wird in den Raum der Nützlichkeit überführt, es bleibt aber auch ein Raum der nahezu archetypischen Spekulation.
Ausgeblendet wird oft der gigantische Bedarf an Rechenleistung und damit dem Energieverbrauch – das gilt für alle Hypes: Web3, Metaverse und auch die grossflächige Nutzung von KI/AI.

s. auch: Simon Greenwold: Spacial ComputingMaghan McDowell: Apple’s AR glasses are here. Fashion is watching– Vogue Business June 5, 2023  – Thomas Riedel: Alle Fakten zum MR-Headset, Apples Spatial Computing Strategie und eine Einordnung in den aktuellen XR-Markt – zum Podcast:   *MIT = Massachussetts Institute of Technology. t3n/ Andreas Floemer (22.06.23): Apple veröffentlicht VisionOS-SDK für Entwicklung von Vision-Pro-Apps.  ** vgl. die Definition von Matthew Ball unter The Metaverse – And How It Will Revolutionize Everything Valentin Heun: Was ist Spatial Computing und wie setzt man es ein?  (Industry of things.de 22.01.21) 



Influencers & Creators. Business, Culture and Practice (Rezension)

Netnographie auf aktuellem Stand, vom Autorinnen- Trio Rossella Gambetti (Universita cattolica, Mailand), Ulrike Gretzel und Robert Kozinets (beide USC, Los Angeles), dem Godfather of Netnography ;-).

Influencers & Creators sind Erscheinungen der fortgeschrittenen Social Media – zwar lassen sich rückwirkend ebensolche schon    früher beschreiben, doch geht es um das Ecosystem, in dem sie sich entwickeln. Ecosystem ist aus der Ökologie übernommen  und meint ein vielfältig miteinander verflochtenes, im besten Falle kooperierendes System – hier die Beteiligten eines digitalen Mediensystems, das rund um Werbung und Marketing gewachsen ist.
Influencer betreiben Marketing, ihr Einsatz ist – wie auch immer erworbenes – soziales Kapital mit dem Kunden generiert werden sollen.  Digital Creators produzieren den oft genannten hochwertigen Content, ob es nun Podcasts, Videos, Texte, Live- Streams, Micro- Kochshows, Snack- Comedy* oder etwa die immersiven Angebote  für ein zukünftiges Metaverse sind.

Influencer Marketing wird seit Beginn des Social Web thematisiert. So gibt es Zuschreibungen, Rollen (und Rollenklischees) davon, was  Influencer tun, wie sie sich verhalten und was sie erreichen sollen, best practice. Das Geschäft beruht darauf, soziale Interaktionen – soziales Kapital – zu monetarisieren, für eigene Ziele oder als Auftragsarbeit. Die Bandbreite ist enorm, gestaffelt in  Prominenz und Reichweite von Nano über Micro, Macro zu Mega– Influencern.  Figuren wie Kim Kardashian und Chiara Ferragni stechen zunächst hervor, erstere als eine Art It- Girl des ungehemmten Konsumismus,  die zweite  als selbstvermarktendes Model, das darauf eine eigene Art von Unternehmen aufgebaut hat. Celebrities verfügen kraft ihrer Prominenz – die sie etwa im TV,  Sport, Popmusik oder auch Gossip erworben haben, über soziales Kapital. Influencer  haben  es ansonsten im Social Web selber aufgebaut.

Influencer und damit verbundene Konzepte (19)

Influencer inszenieren sich in der Regel als real people – mit ihrem realen Namen, mit einem breiten Einblick in die persönliche Sphäre. Authentizität von Person und Umgebung ist entscheidend für die Reputation – personal branding beruht darauf.
Die Rollen von Influencern überschneiden sich mit anderen Rollen, ohne mit ihnen identisch zu sein (s. nebenstehenden Graphik). Microcelebrities sind eine Entsprechung in kleineren Öffentlichkeiten – sie sehen und behandeln ihr Publikum als Fans. Meinungsführer entstammen zumeist den jeweiligen Communities und haben dort  Reputation aufgebaut. Markenbotschafter stehen in einem direkten, formalisierten Auftragsverhältnis. Digital Marketers verstehen sich als Professionals,  vermarkten aber nicht ihre eigene Person.
Glaubwürdigkeit von Influencern beruht auf dem Aufbau von Reputation im anvisierten Feld durch Authentizität und/oder Expertise. Abhängig von  Branchen bzw. Interessenfeldern zeigen sich ganz unterschiedliche Muster und Typologien von Influencern, oft ganz andere Ansätze der Monetarisierung. Fashion & Beauty, aber auch Fitness folgen Schönheitsidealen und entsprechenden Konsummustern. TourismusEssen und Trinken sind Themenfelder mit zahlreichen Nischen.  Dann gibt es Themen, in denen es grundsätzlich ein grosses Engagement gibt, insbes. Sport und damit verbundene Hobbies, wie z.B. Segeln. Das kann in einigen Branchen, in denen es ein starkes gemeinsames Interesse von Kunden, Herstellern und Vermittlern gibt, gut funktionieren.  Vanlife, das Leben als Digital Expat etc. bringen wiederum andere Möglichkeiten von Storytelling und Engagement mit sich.
Eine spezielle Ökonomie wird daraus, wenn Marken sich in Reichweite und Interaktion einkaufen. Dann lässt sich die Rolle des Influencers als “mediated authenticity”vermittelte/kontrollierte Authentizität bezeichnen – was sich auch als eine spezielle Form des Storytelling verstehen lässt.
Influencer sind nicht zwangsläufig  kommerziell ausgerichtet – es gibt genügend Beispiele zu Feldern wie soziale Integration, body positivity etc.

Unterschiede und Ähnlichkeiten von Influencern und Digital Creators. (Figure 1.1., 16)

Digital Creator ist mittlerweile gängige Selbstbezeichnung etwa in instagram und youtube Profilen.  Es sind Urheber der in den Social Media verbreiteten Inhalte – die Kreativschaffenden des Social Web. Sie erstellen die attraktiven Inhalte, den qualitativ hochwertigen Content, der das Netz interessant macht und Besucher anzieht – und sie werden wohl die immersiven Welten des Metaverse ausbauen …

Dreizehn Kapitel decken ein weites Spektrum ab – in einem thematischen Bogen von den makrosozialen Grundlagen bis zur Kampagnenplanung (220).  Man kann das Buch als eine Art Compendium zum Themenfeld auffassen – durchgängig gespickt mit Tabellen, eingerahmten oder farblich hervorgehobenen Info- Boxen, hervorgehobenen Überschriften. Fast jeder in Frage kommende Begriff ist erklärt – vom Neoliberalismus als Überideologie und Superstruktur von Influencer Marketing (47) zu Cancel Culture und zum Return of Invest (ROI) und den key elements of influencer and creator contracts (264 – 267). . Diversity, Equity und Inklusion (135 ff) hat ein eigenes Kapitel, man ist auf der woken Seite. Auch Regulierungen sind nicht ausgeblendet. Am Ende jedes Kapitels steht jeweils eine Summary und Literaturempfehlungen.  Exercises and Questions zum Abschluss weisen auf einen Übungs- bzw. Anleitungscharakter.
Was nirgends im Wortlaut vorkommt, ist Netnographie  – allerdings steht der Begriff bei diesen AutorInnen, die darüber bekannt geworden sind, immer im Hintergrund. Es geht zumeist nicht um die (n)ethnographische Perspektive, sondern anwendungsbezogen um Marketingpraxis. Was mich daran interessiert? Es ist das Konzept eines technokulturellen Ecosystems, mit dem sich unsere Gegenwart und Zukunft beschreiben, verstehen und damit auch gestalten lässt.

Figure 4.1.: Influencer & Creator Ecosystem aus Marketing- Perspektive — (erscheint nach Klick in voller Auflösung) S. 89

So lassen sich das Ecosystem in dem sich Influencer und Digital Creators entfalten, aus zwei Perspektiven betrachten: in der Abb. links als ein ökonomisches Cluster- aber ebenso auch als gesellschaftliche Formationen, die in einer gesellschaftlichen Dynamik stehen.  Nebenbei: die Bedeutung von Pet Influencern ist in der Graphik wohl etwas übertrieben 😉

Influencer Marketing ist mittlerweile zu einer Industrie mit Umsätzen in Milliardenhöhe** angewachsen, international werden 13.8 Mill. $ (2021) angegeben – allerdings ist das Feld oft schwer abzugrenzen.
Gegenüber konventionellen Werbeformaten haben viele Menschen Resistenzen entwickelt. Influencer Marketing rückt nach, verspricht den Werbetreibenden einen direkten, “authentischen” Weg zum Kunden, Berufseinsteigern einen eigenen Weg in die Existenzgründung. So hatte mir Niklas Hartmann 2021 sein Buch Erfolgreich Influencer werden: Mehr Follower, Reichweite und Einkommen.  zugestellt. Eine Anleitung dazu, was man wissen und können muss.
Sind Influencer in diesem Sinne Werbetreibende, sind Digital Creators (im Buch) begrifflich outgesourced. Fotografen, Texter, Moderatoren, Illustratoren auch Moderatoren etc. haben immer Werbekampagnen mitgestaltet und manchmal zeitgeschichtliche und zeitästhetische Werke geschaffen – also an sich nichts neues.  Neue Möglichkeiten werden sich v.a. in den immersiven Umgebungen, genannt Metaverse ergeben – im Buch heisst es  Avatar Economy (334).
Skeptisch machen mich Handlungsweisen, in denen soziale Beziehungen,  ökonomisch  instrumentalisiert werden – es hat immer einen Beigeschmack. So können Influencer nach Followerschaft gebucht werden, der Follower und potentielle Kunde wird ungewollt zur Ware, anstatt zum Dialogpartner.  Zukünftig wird sich das Bild vom Influencer weiter ausdifferenzieren,  viele unterschiedliche Konzepte sind darin vereint: es geht von Ausläufern, manchmal Handlangern der Werbewirtschaft zu eigenständigen Impulsgebern, die ihre eigenen Fähigkeiten, ihren Stil und ihr Wissen einsetzen.

 

Robert V. Kozinets, Ulrike Gretzel, Rossella Gambetti: Influencers & Creators. Business, Culture & Practice. Sage Publ. 2023. 371 S – Mariah Wellman, Ryan Stoldt, Melissa Tully, Brian Ekdale:  Ethics of Authenticity: Social Media Influencers and the Production of Sponsored Content. 3/ 2020. Journal of Media Ethics 35(2):68-82 —  s. auch Influencer und Personenmarken.  Gunn Enli (2015). Mediated authenticity: how the media constructs reality. New York, NY: Peter Lang..—-Niklas Hartmann: Erfolgreich Influencer werden. 300 S., 2021  —  * Snack- Comedy:  gemeint sind Sketche von <1 Min dreizehn  v.a. im Format Reels   ** nach Statista 990 Mio. in der DACH – Region 2019; 



Klaus Janowitz (klausmjan)

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