Digitale Monopole – Big Tech muss weg – Rezension

Plakativer gehen  Titel  und  Cover  kaum:  BIG TECH muss weg klingt wie eine Schlagzeile des Boulevard: knallig und eindimensional – und ist von Autor und Verlag genauso harsch gemeint.  Es geht um die Korrektur der feindlichen Übernahme des freien Internet, um einen  Aufruf das Netz zu befreien und Digitalkonzerne in die Schranken zu weisen. Das Ganze so engagiert geschrieben, dass man es zumindest mit einer gewissen Zuversicht aus der Hand legt.

Die Dominanz der grossen Digitalkonzerne war im vergangenen Jahrzehnt immer wieder Thema- und einige Bücher können als Standardwerke dazu gelten. Shoshana Zuboff beschrieb  in Zeitalter des Überwachungskapitalismus eine neue Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für ihre kommerziellen Operationen nutzt.  Eine wohl noch grössere   Leserzahl erreichte Jaron Lanier mit Wem gehört die Zukunft (2014) und dem nachgelegten Rant (Wutrede) 10 Gründe (2018).
Keine Kampfschrift, sondern eine Analyse der Landnahme der Digitalkonzerne ist Michael Seemanns Macht der Plattformen (2021). Er konstatiert: Plattformen sind mehr als Unternehmen, sie sind Herrschaftszentren unserer Zeit.  Autor Andree legt nach: die wahrscheinlich grössten (aktuell) existierenden Akkumulationen von Macht und Reichtum in der westlichen Welt (240).

Zum Thema ist viel gesagt worden – die genannten Titel sind nicht die einzigen – aber wenig folgenreich. Geschäftsprozesse und Machtverhältnisse sind erklärt,  Zusammenhänge bekannt – auch bei der Breite der Nutzer. Der mit zahllosen Zukunftsvisionen belegte virtuelle Raum, wird von wenigen Konzernen dominiert. Von Zeit zu Zeit gibt es Wellen der Empörung, zuletzt nach der  Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Eingetreten ist aber -mehr oder weniger – eine gesellschaftliche Gewöhnung daran.
Ein entscheidender Faktor steckt in dem von Shoshana Zuboff verwendeten Begriff Verhaltensüberschuss: Digitale Verhaltensdaten enthalten mehr Informationen, als für Betrieb und Verbesserung von Diensten und Plattformen erforderlich. Sie wurden zur Grundlage, zum Rohstoff der algoritmisch gesteuerten  digitalen Werbewirtschaft, wie wir sie heute kennen. Verwiesen sei auch auf den Überschusssinn bei Dirk Baecker:  Medien der Kommunikation stellen mehr Möglichkeiten der Kommunikation bereit, als aktuell jeweils  wahrgenommen werden könnenin den elektronischen Medien ist es ein Kontrollüberschuss (vgl. D. Baecker, 2016* u. 2018).

Autor Martin Andree ist Medienwissenschaftler, Mitherausgeber des Atlas der digitalen Welt (2020). Die Erfahrungen bei der Kartierung des Internet und der digitalen Marktkonzentrationen, waren Auslöser zum Buch. Das Problem sind nicht einzelne Praktiken und Wirkungen wie Überwachung und Monetarisierung des Verhaltensüberschusses, Fake- News, Hate Speech, Zwang zur Selbstdarstellung –  das Kernproblem ist die drohende Übernahme unseres Mediensystems (10). Und es sind harte Vorhaltungen: Digitalkonzerne zerstören die politische und die wirtschaftliche Freiheit zugleich (11).
Seit 20/21 sind digitale Medien die Leitmedien – nimmt man den Werbemarkt  als Indikator, übertreffen sie seitdem alle analogen Medienformate zusammen genommen. Der Point of no Return sei voraussichtlich 2029 erreicht – werbeabhängige, redaktionelle Medien werden immer mehr abgedrängt, irgendwann trocken gelegt.  Weiterhin dominieren die wenigen Plattformen den Online-Traffic (30ff) – der long tail wird schnell dünn (vgl. Graphik u.). Nicht nur Blogs,  auch Websites grosser Markenkonzerne spielen nur eine marginale Rolle. Plattformen haben den Grossteil des User Generated Content an sich gebunden. Big Tech beherrscht gleich mehrere Ebenen des sog. Sales Funnel (115ff) – von der Erzeugung von Aufmerksamkeit bis zum Kaufentscheid.
Neue Technologiesprünge versprechen keine Änderung – BigTech hat die Mittel jeden denkbaren aufzukaufen. Generative KI – das Thema des Jahres 2023 – ist so ein weiterer Beschleuniger. Sie ist nur so gut, wie sie trainiert wurde. Wesentlicher Rohstoff ist der nutzergenerierte Content auf den Plattformen (100).

Plattformen nennen sich selbst nicht Medienunternehmen – sie beteuern immer wieder “nur” Intermediäre zu sein – was letztlich eine neue Umschreibung für Medien ist (144) – aber Schutz vor Zugriffen des Medienrechts in Form der Verbreiterhaftung gewährt.  Sie pflegen einen Narrativ das, das was gut ist, gut für sie selber und gut für die Welt ist. Man spricht gern von  Diversity und Nachhaltigkeit, von Empowerment und bringing people together. Tatsächlich sind es Mega- Medien, die die Kapazitäten der analogen Massenmedien sprengen – und sie sind es, die mit ihren Geschäftsbedingungen ihre Nutzer regieren. Amazon Marketplaces bindet so als Intermediär zwischen Händlern und Käufern unabhängige Shops an sich,  Instagram sammelt zahllose Content Creator ein, youtube ist die einzige nennenswerte Video- Plattform. Auch wenn manche Nutzer mit dem Status Quo zufrieden sind – für eine demokratische Öffentlichkeit und einen freien Markt sind Monopole, die die digitale Infrastruktur beherrschen, schädlich.

Grundsätzlich hält das Medienrecht Handlungsweisen gegen Monopole bereit. Gegenüber den Plattformen besteht  eine rechtliche Lücke (Ausschluss von der Verbreiterhaftung). Fühlen sich Konzerne unbehelligt, gewöhnen sie sich hoheitliche Kompetenzen an.  Für Andree ist es eine Frage des politischen Willens, aber auch der Agilität von Regulierern.  
BigTech pflegt wie die gesamte Digitalbranche einen eher lässigen Habitus.  Ob nun Big Tech tatsächlich im Erbe einer Hippie- und Nerdkultur steht, ist eine kultur- und popularhistorische Frage – bestimmender ist wohl das Investitionskapital, das in BigTech geflossen ist.  Man bedient sich aber gern bei nonkonformistischen Narrativen oder gibt sich informell. Milliardäre im T- Shirt, aber mit Yacht und abgezäunten Ländereien. Es geht um die Freiheit des maximalen Geldverdienens gegen jede denkbare Einschränkung zu verteidigen (222). Und manchmal bricht es durch: Machtfülle bietet Raum für Grössenwahn, für einen Anarcho- Kapitalismus mit dem Recht des Stärkeren. 

Dominanz der Monopole – no long tail (250)
Die Vision des freien Internet (250)

Im Buch geht es nicht nur um eine Abrechnung mit BigTech – dem gegenüber steht eine Vision des freien Internet, wie sie seit den frühen Jahren des Internet viele Menschen beflügelte.    Zielvorstellung ist ein Netz, in dem sich die Angebote nicht mehr auf wenige Monopole konzentrieren – Anbietervielfalt. Am Ende des Buches  stehen 15 einfache Schritte, wie das Netz von den Tech- Riesen befreit werden kann (256 – 261) – genannt sei die Allgemeine Durchsetzung offener Standards und Interoperabilität – gegenüber geschlossenen Standards, die Nutzer an bestimmte Anbieter binden. Letztlich ist es eine Frage des politischen Willens digitale Souveränität zurück zu gewinnen. Ansonsten werden wir von BigTech reguliert (271ff).

Das Buch ist äusserst detailreich, berührt zahlreiche weitere Punkte, die hier nicht alle angesprochen werden können. Eine breite Resonanz hat es bislang gefunden – bleibt zu wünschen auch in der politischen Willensbildung.
Für alle, die lange Texte schrecken: Das Buch ist nicht einfach bebildert – sondern geradezu graphisch durcherzählt, so ist die Kommunikations-designerin Verena Bönniger mehr als Illustratorin, sondern Co- Autorin.

Ein Blick in den langfristigen,  historischen Kontext schliesst sich an: In Power and Progress von D. Acemoglu und S. Johnson geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Technologie, Ökonomie und Gesellschaft im Laufe des letzten Jahrtausends. Technologie hat keine vorherbestimmte Richtung und wenig davon ist unvermeidlich.
Was ist Fortschritt? Technologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt bedeuten nicht dasselbe. Die enormen Fortschritte der digitalen Technologien im letzten Halb- Jahrhundert können wirksame Werkzeuge von Empowerment und Demokratisierung sein – aber nicht, wenn die wesentlichen Entscheidungen in den Händen einiger weniger exponierter Führer von Tech-Konzernen liegen.
Auch hier steht am Abschluss eine Liste kritischer Schritte,  was Demokratien unternehmen müssen, um sicherzustellen, dass die Erträge der nächsten Technologiewelle allgemeiner unter ihrer Bevölkerung geteilt werden.  demnächst mehr dazu

Die Digitalisierung hat Machtgefüge verschoben. Es braucht Gegenkräfte, um den Nutzen der technologischen Fortschritte und Erfolge zu verteilen. Ein Fazit  lässt sich erkennen: It’s all about the Balance of Power– Es ist immer wieder eine Frage der Machtbalance.

Martin Andree: BIG TECH muss weg. Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft. Wir werden sie stoppen. Campus Verlag. 2023. Harald Stamm: Holt Euch das Netz zurück! (Rez.) FAZ am Sonntag, 13,08.23 – S. 39  Daron Acemoglu & Símon Johnson: Power and Progress. Our Thousand- Year Struggle over Technology and Prosperity (2023) . John Naughton: Power and Progress review – why the tech-equals-progress narrative must be challenged The Guardian 7.05.23. Shoshana Zuboff (Übs: Bernhard Schmid): Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus Verlag, Frankfurt/New York 10/2018. – Rezension in diesem Blog. Michael Seemann: Die Macht der Plattormen, Links Verlag, 2021. Rezension in diesem Blog — Vgl auch: * Dirk Baecker, 9/2016. Digitalisierung als Kontrollüberschuss von Sinn. In: Digitale Erleuchtung (booklet) Frankfurt: Zukunftsinstitut (9/2016). Website zum Buch: https://bigtechmussweg.de/ 

 



15 Jahre Social Media – und weiter?

Social Media Landscape 2023 – Quelle: fredcavazza.net  – Creative Commons BY-NC-SA 4.0 –  Graphik erscheint nach Klick in voller Auflösung

15 Jahre sind in der technokulturellen Entwicklung eine beachtliche  Zeitspanne  – so lange sprechen wir schon von Social Media. Facebook wurde 2004 gegründet, Youtube 2005, Twitter 2007, instagram 2010, LinkedIn bereits 2002. Seit etwa 2008 dominierte der Begriff Social  Media und verdrängte den des Web 2.0.
Web 2.0 war partizipativ konnotiert – es ermöglichte neue soziale (peer-to-peer) Interaktionen. Damals war damit der Aufbruch einer Bewegung verbunden, die sich als Netzkultur verstand und ein gewisses Mass an gesellschaftlicher Utopie entwickelte, die neuen Kommunikationswelten zu gestalten.
Social Media bedeutete in der Folge die Durchsetzung der Plattformen. Die Möglichkeiten des Web 2.0 setzten sich so in der Breite durch und wurden zu gesellschaftlichen Infrastrukturen – um den Preis der Beobachtung des Verhaltens: “the global mapping of everybody and how they’re related”** – Plattformunternehmen sammeln und kartographieren das Wissen um Verbindungen. Eine Neue Kommerzialität entwickelte sich auf dieser Basis: die Plattformökonomie.
Plattformen sind mehr als Unternehmen, sie sind Herrschaftszentren unserer Zeit – so fasst es  Michael Seemann in  Die Macht der Plattformen zusammen.  Seine Analyse der Landnahme der Plattformunternehmen entlang sozialer Graphen  ist überzeugend nachzulesen. Fundamentale Kritik an der Dominanz der Tech- Konzerne tritt immer wieder hervor, zu nennen ist Überwachungskapitalismus  von Shoshana Zuboff –  und der Rant 10 Gründe …  von Jaron Lanier. Trotz aller massiven Kritik scheint eine gesellschaftliche Gewöhnung daran eingetreten zu sein, dass wenige Tech- Konzerne mehr oder weniger globale Infrastrukturen beherrschen.
Social Media lassen sich nach Funktionen (Sharing/ Messaging/ Networking/ Collaborating/ Discussing/ Publishing, s. Graphik o.) kategorisieren – aber auch Verkaufsplattformen enthalten mit ihren Bewertungssystemen (u.a.)  Elemente der Social Media.
Von einer speziellen Netzkultur bzw. -öffentlichkeit kann man seit langem nicht mehr sprechen, höchstens von unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten – umgangssprachlich Blasen/ Bubbles genannt, die sich um gemeinsame Interessen und Abhängigkeiten bilden.

Wie Social Media die Gesellschaft durchdringt. Quelle: Meltwater

Das System Social Media blieb über die gesamte Zeitspanne  erstaunlich stabil –  dieselben Akteure sind oft seit Beginn dabei. Einige Formate verschwanden, etwa die anfangs erfolgreichen VZ- Dienste.  Google liess eigene Entwicklungen fallen, so sein Netzwerk Google+, auch den Dienst HangOut on Air, mit dem Videokonferenzen schon seit 2011 ohne weiteren Aufwand möglich waren. Hinzu kamen Video- und Livestreamingformate, so setzte sich Zoom als  Videokonferenz durch, chinesische Apps wie Tiktok verbreiteten sich.  Bemerkenswert war der rasante Aufstieg von Clubhouse, dem ein ebenso rasanter Abstieg in die Vergessenheit folgte.

Als erste der grossen Plattformen ist Twitter verschwunden – zumindest mit Namen und Logo. In seinen besten Momenten war Twitter nah an einer globalen Öffentlichkeit, in der sich Nachrichten und Meinungen am schnellsten verbreiteten. Besonderes Merkmal war immer die thematische Bündelung durch #s hashtags, die immer wieder besondere Momente der Verbindung herstellte.
Gleich vier Nachfolger stehen bereit. X steht in der Kontinuität und hält die Archive – unterliegt aber den Vorstellungen des Oligarchen Musk – dessen Agieren den Anlass zu Abwanderung gab.
Mastodon (s. 2016), entspricht den Idealen des OpenSource, ist dezentral im Fediverse (zusammengesetzt aus “federation” und “universe”) organisiert und schöpft keine Gewinne aus seinen Nutzern.  So war es erster Anlaufpunkt von Abwanderern. Mit seinen Nutzerzahlen und den finanziellen Möglichkeiten steht es allerdings in einer ganz anderen Grössenordnung, um dem früheren Twitter nahezukommen – dennoch kann es  neue Öffentlichkeiten schaffen.
Zu Threads, der Neuentwicklung von Meta/ Facebook und Bluesky, mit dem Ex- Twitter CEO Jack Dorsey lässt sich noch nicht viel sagen – ersteres ist in Europa noch nicht zugelassen – Bluesky vorerst nur mit Einladung bzw langer Warteliste zugänglich. Nachtrag:  Derzeit scheint Bluesky am ehesten den Erwartungen von Twitter- Exilanten zu entsprechen – bleibt zu beobachten.

LinkedIn und Instagram sind die derzeit wohl bemerkenswertesten Plattformen. Instagram hat seit der Gründung 2010 die meisten Veränderungen erfahren – zunächst eine  Fotosharing- Community, in der die damals noch blassen jpgs der frühen SmartPhones mit Filtern aufgepimpt wurden.  Nach der Übernahme durch Facebook wurde es systematisch ausgebaut, bis hin zur  Plattform der  Influencer und Content Creator. Über die Jahre geblieben ist der namensgebende  instant Charakter der Postings – zwar sind sie oft sorgfältig inszeniert, vermittelt wird aber eine direkte, unmittelbare  Ansprache des Publikums.
Instagram wurde immer wieder angelastet, Trends über Gebühr anzukurbeln:  es hat Selbstdarstellung erleichtert und mit hoher Reichweite versehen.  Das Selfie als Genre entstammt Instagram. Instagramability ist zu einem Schlagwort für die wirksame Inszenierung geworden. Instagram allein für Auswüchse, etwa des Overtourismus verantwortlich zu machen, ist übertrieben, doch hat die Plattform eine enorme  promotional power, die sie zum Biotop der Influencer und Content Creator macht. Heute fallen v.a. die  Kurzvideos/ Reels ins Auge. Instagram ist ein Spiegelbild bzw Aktionsraum aktueller Popularkultur – mit einer auffallenden Präsenz von Comedy- Formaten.
LinkedIn hat seit langem den deutschen Konkurrenten Xing ausgestochen – den Zahlen von Meltwater nach liegt die Durchdringung zwar nicht viel höher (13,4 vs 13,3%) – an aktiver Teilnahme aber weit überlegen – und sicherlich die  diskussionsintensivste der grossen Plattformen. Ein Ort von Debatten, aber auch Bühne von Kompetenzdarstellung und professioneller Positionierung.

Web3 wie Metaverse lösten als angekündigte Disruptionen jeweils einen Hype aus – beide wurden auch als Bestrebungen, das System  der Plattformen aufzubrechen, propagiert. Web3 versprach ein neues Internet, das mit der Blockchain- Technologie die Plattformen als Vermittler umgeht – und gewann damit Popularität. Aktuell kann man das Web3- Gesamtpaket als gescheitert ansehen – was nicht bedeutet, dass die Zielvorstellungen von Betreibern sowie die einzelnen Elemente weiterhin wirksam bleiben.  
Die finale Vision des Metaverse blieb immer etwas nebulös, wurde aber auch als neue Infrastruktur kommuniziert, entsprechend dem Bild der Begehbarkeit eines virtuellen öffentlichen Raumes. Mittlerweile ist die Perspektive auf konkrete Projekte in VR und AR gerichtet. Die Zugangsgeräte verbessern sich laufend – und sicherlich werden Virtual und Augmented Reality an Bedeutung gewinnen.
Der Drang zur Disruption steht wahrscheinlich in einem Gegensatz zur oft von Gewohnheiten bestimmten Nutzung des mobilen Web. Gegenüber dem allgegenwärtigen SmartPhone bleibt die VR- Brille ein gelegentliches Zusatzgerät – nicht der Zugang zu einer parallelen Infrastruktur.
Über Facebook wird mittlerweile weniger gesprochen – dennoch bleibt es der Dicke Pott der Social Media, manchmal als Oldie- Netzwerk bezeichnet.  FB bleibt das Netzwerk mit der grössten Verbreitung.
KI ist seit langem Bestandteil von Social Media – in Form der Algoritmen.  KI gestützte Tools kommen hier in grösster Vielfalt vor, ihre Qualität  bleibt davon abhängig, wie sie trainiert, gefüttert wird.  Auch hier sind die Digitalkonzerne im Vorteil – sie verfügen über das Material in Form von Texten, Bildern, Videos etc.

Eine aktuelle (8/23) Auseinandersetzung mit der Macht von Big Tech – Rezension folgt in Kürze

15 Jahre Social Media sind eine technokulturelle Epoche, in der die Erwartungen an ein vernetztes Zeitalter eine Realisierung fanden. Nicht zwangsläufig wurde die damals erwartete Zukunft so wie sie heute ist. Sie ist das Zusammenspiel von technischer Dynamik, der Attraktivität eines Lebensstils und der Handlungsmöglichkeiten, dem Druck von Anpassung – und der Digitalen Landnahme der Plattformen.
Wahrscheinlich möchten die wenigsten Menschen auf die neuen Möglichkeiten verzichten, die Social Media im engeren und weiteren Sinne bieten. Social Media bieten die Möglichkeiten aktiver Gestaltung – sind aber ebenso Einflugschneisen von Manipulationen und Verschwörungstheorien. Dennoch bleibt die Kritik an Big Tech (s. Buchtitel – Rezension folgt in Kürze), an ihrer Machtkonzentration und der Frage, wie es wenigen Digitalkonzernen gelang eine derart dominante Stellung zu erreichen.

Global platforms are in the business of world building.  … They wish to create the entire environment within which we live.   – James Muldoon –platform Socialism (12)

Vgl. u.a. : **A. Iskold, “Social Graph: Concepts and Issues,” ReadWriteWeb, September 12, 2007 — Mariah L. Wellman, Ryan Stoldt, Melissa Tully & Brian Ekdale (2020) Ethics of Authenticity: Social Media Influencers and the Production of Sponsored Content, Journal of Media Ethics, 35:2, 68-82  — Aaron Heienickle The Future of Twitter: A Look into Twitter 2.0 (7/23)  – Instagram-Tourismus: Warum sich immer mehr Orte wehren National Geographic (8/21)  –  Philippe Wampfler: Was kommt nach dem Ende von Twitter? (8/23)  — Fred Cavazza: Récapitulatif estival 2023  (8/23)



Influencers & Creators. Business, Culture and Practice (Rezension)

Netnographie auf aktuellem Stand, vom Autorinnen- Trio Rossella Gambetti (Universita cattolica, Mailand), Ulrike Gretzel und Robert Kozinets (beide USC, Los Angeles), dem Godfather of Netnography ;-).

Influencers & Creators sind Erscheinungen der fortgeschrittenen Social Media – zwar lassen sich rückwirkend ebensolche schon    früher beschreiben, doch geht es um das Ecosystem, in dem sie sich entwickeln. Ecosystem ist aus der Ökologie übernommen  und meint ein vielfältig miteinander verflochtenes, im besten Falle kooperierendes System – hier die Beteiligten eines digitalen Mediensystems, das rund um Werbung und Marketing gewachsen ist.
Influencer betreiben Marketing, ihr Einsatz ist – wie auch immer erworbenes – soziales Kapital mit dem Kunden generiert werden sollen.  Digital Creators produzieren den oft genannten hochwertigen Content, ob es nun Podcasts, Videos, Texte, Live- Streams, Micro- Kochshows, Snack- Comedy* oder etwa die immersiven Angebote  für ein zukünftiges Metaverse sind.

Influencer Marketing wird seit Beginn des Social Web thematisiert. So gibt es Zuschreibungen, Rollen (und Rollenklischees) davon, was  Influencer tun, wie sie sich verhalten und was sie erreichen sollen, best practice. Das Geschäft beruht darauf, soziale Interaktionen – soziales Kapital – zu monetarisieren, für eigene Ziele oder als Auftragsarbeit. Die Bandbreite ist enorm, gestaffelt in  Prominenz und Reichweite von Nano über Micro, Macro zu Mega– Influencern.  Figuren wie Kim Kardashian und Chiara Ferragni stechen zunächst hervor, erstere als eine Art It- Girl des ungehemmten Konsumismus,  die zweite  als selbstvermarktendes Model, das darauf eine eigene Art von Unternehmen aufgebaut hat. Celebrities verfügen kraft ihrer Prominenz – die sie etwa im TV,  Sport, Popmusik oder auch Gossip erworben haben, über soziales Kapital. Influencer  haben  es ansonsten im Social Web selber aufgebaut.

Influencer und damit verbundene Konzepte (19)

Influencer inszenieren sich in der Regel als real people – mit ihrem realen Namen, mit einem breiten Einblick in die persönliche Sphäre. Authentizität von Person und Umgebung ist entscheidend für die Reputation – personal branding beruht darauf.
Die Rollen von Influencern überschneiden sich mit anderen Rollen, ohne mit ihnen identisch zu sein (s. nebenstehenden Graphik). Microcelebrities sind eine Entsprechung in kleineren Öffentlichkeiten – sie sehen und behandeln ihr Publikum als Fans. Meinungsführer entstammen zumeist den jeweiligen Communities und haben dort  Reputation aufgebaut. Markenbotschafter stehen in einem direkten, formalisierten Auftragsverhältnis. Digital Marketers verstehen sich als Professionals,  vermarkten aber nicht ihre eigene Person.
Glaubwürdigkeit von Influencern beruht auf dem Aufbau von Reputation im anvisierten Feld durch Authentizität und/oder Expertise. Abhängig von  Branchen bzw. Interessenfeldern zeigen sich ganz unterschiedliche Muster und Typologien von Influencern, oft ganz andere Ansätze der Monetarisierung. Fashion & Beauty, aber auch Fitness folgen Schönheitsidealen und entsprechenden Konsummustern. TourismusEssen und Trinken sind Themenfelder mit zahlreichen Nischen.  Dann gibt es Themen, in denen es grundsätzlich ein grosses Engagement gibt, insbes. Sport und damit verbundene Hobbies, wie z.B. Segeln. Das kann in einigen Branchen, in denen es ein starkes gemeinsames Interesse von Kunden, Herstellern und Vermittlern gibt, gut funktionieren.  Vanlife, das Leben als Digital Expat etc. bringen wiederum andere Möglichkeiten von Storytelling und Engagement mit sich.
Eine spezielle Ökonomie wird daraus, wenn Marken sich in Reichweite und Interaktion einkaufen. Dann lässt sich die Rolle des Influencers als “mediated authenticity”vermittelte/kontrollierte Authentizität bezeichnen – was sich auch als eine spezielle Form des Storytelling verstehen lässt.
Influencer sind nicht zwangsläufig  kommerziell ausgerichtet – es gibt genügend Beispiele zu Feldern wie soziale Integration, body positivity etc.

Unterschiede und Ähnlichkeiten von Influencern und Digital Creators. (Figure 1.1., 16)

Digital Creator ist mittlerweile gängige Selbstbezeichnung etwa in instagram und youtube Profilen.  Es sind Urheber der in den Social Media verbreiteten Inhalte – die Kreativschaffenden des Social Web. Sie erstellen die attraktiven Inhalte, den qualitativ hochwertigen Content, der das Netz interessant macht und Besucher anzieht – und sie werden wohl die immersiven Welten des Metaverse ausbauen …

Dreizehn Kapitel decken ein weites Spektrum ab – in einem thematischen Bogen von den makrosozialen Grundlagen bis zur Kampagnenplanung (220).  Man kann das Buch als eine Art Compendium zum Themenfeld auffassen – durchgängig gespickt mit Tabellen, eingerahmten oder farblich hervorgehobenen Info- Boxen, hervorgehobenen Überschriften. Fast jeder in Frage kommende Begriff ist erklärt – vom Neoliberalismus als Überideologie und Superstruktur von Influencer Marketing (47) zu Cancel Culture und zum Return of Invest (ROI) und den key elements of influencer and creator contracts (264 – 267). . Diversity, Equity und Inklusion (135 ff) hat ein eigenes Kapitel, man ist auf der woken Seite. Auch Regulierungen sind nicht ausgeblendet. Am Ende jedes Kapitels steht jeweils eine Summary und Literaturempfehlungen.  Exercises and Questions zum Abschluss weisen auf einen Übungs- bzw. Anleitungscharakter.
Was nirgends im Wortlaut vorkommt, ist Netnographie  – allerdings steht der Begriff bei diesen AutorInnen, die darüber bekannt geworden sind, immer im Hintergrund. Es geht zumeist nicht um die (n)ethnographische Perspektive, sondern anwendungsbezogen um Marketingpraxis. Was mich daran interessiert? Es ist das Konzept eines technokulturellen Ecosystems, mit dem sich unsere Gegenwart und Zukunft beschreiben, verstehen und damit auch gestalten lässt.

Figure 4.1.: Influencer & Creator Ecosystem aus Marketing- Perspektive — (erscheint nach Klick in voller Auflösung) S. 89

So lassen sich das Ecosystem in dem sich Influencer und Digital Creators entfalten, aus zwei Perspektiven betrachten: in der Abb. links als ein ökonomisches Cluster- aber ebenso auch als gesellschaftliche Formationen, die in einer gesellschaftlichen Dynamik stehen.  Nebenbei: die Bedeutung von Pet Influencern ist in der Graphik wohl etwas übertrieben 😉

Influencer Marketing ist mittlerweile zu einer Industrie mit Umsätzen in Milliardenhöhe** angewachsen, international werden 13.8 Mill. $ (2021) angegeben – allerdings ist das Feld oft schwer abzugrenzen.
Gegenüber konventionellen Werbeformaten haben viele Menschen Resistenzen entwickelt. Influencer Marketing rückt nach, verspricht den Werbetreibenden einen direkten, “authentischen” Weg zum Kunden, Berufseinsteigern einen eigenen Weg in die Existenzgründung. So hatte mir Niklas Hartmann 2021 sein Buch Erfolgreich Influencer werden: Mehr Follower, Reichweite und Einkommen.  zugestellt. Eine Anleitung dazu, was man wissen und können muss.
Sind Influencer in diesem Sinne Werbetreibende, sind Digital Creators (im Buch) begrifflich outgesourced. Fotografen, Texter, Moderatoren, Illustratoren auch Moderatoren etc. haben immer Werbekampagnen mitgestaltet und manchmal zeitgeschichtliche und zeitästhetische Werke geschaffen – also an sich nichts neues.  Neue Möglichkeiten werden sich v.a. in den immersiven Umgebungen, genannt Metaverse ergeben – im Buch heisst es  Avatar Economy (334).
Skeptisch machen mich Handlungsweisen, in denen soziale Beziehungen,  ökonomisch  instrumentalisiert werden – es hat immer einen Beigeschmack. So können Influencer nach Followerschaft gebucht werden, der Follower und potentielle Kunde wird ungewollt zur Ware, anstatt zum Dialogpartner.  Zukünftig wird sich das Bild vom Influencer weiter ausdifferenzieren,  viele unterschiedliche Konzepte sind darin vereint: es geht von Ausläufern, manchmal Handlangern der Werbewirtschaft zu eigenständigen Impulsgebern, die ihre eigenen Fähigkeiten, ihren Stil und ihr Wissen einsetzen.

 

Robert V. Kozinets, Ulrike Gretzel, Rossella Gambetti: Influencers & Creators. Business, Culture & Practice. Sage Publ. 2023. 371 S – Mariah Wellman, Ryan Stoldt, Melissa Tully, Brian Ekdale:  Ethics of Authenticity: Social Media Influencers and the Production of Sponsored Content. 3/ 2020. Journal of Media Ethics 35(2):68-82 —  s. auch Influencer und Personenmarken.  Gunn Enli (2015). Mediated authenticity: how the media constructs reality. New York, NY: Peter Lang..—-Niklas Hartmann: Erfolgreich Influencer werden. 300 S., 2021  —  * Snack- Comedy:  gemeint sind Sketche von <1 Min dreizehn  v.a. im Format Reels   ** nach Statista 990 Mio. in der DACH – Region 2019; 



Informalisierung und Formalisierung

Zivilisation ist kein einmal erreichter Zustand, sondern im ständigen Wandel begriffen, der Zivilisationsprozess ein nie abgeschlossener, evolutionärer Prozess. Ungesteuert, aber doch von erkennbaren Faktoren beeinflusst und angetrieben.
Seit den späten 60er Jahren wurde in den Niederlanden die Zivilisationstheorie von Norbert Elias breit rezipiert, ausgehend  vom  Lehrstuhl von Johan Goudsblom. Gleichzeitig war es die Zeit spürbarer gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche, in denen die Niederlande, insbes. Amsterdam, eine Art Vorreiter waren.
Naheliegend, Elias’ Zivilisationstheorie darauf anzuwenden. Offensichtlich war allerdings, dass sich ein Prozeß der Disziplinierung der Individuen, der zunehmenden Unterwerfung des Verhaltens unter straffere Regulierungen nicht in dieser Form fortsetzte. Stattdessen zeigten sich neue Ideale: Selbststeuerung, Variationsspielraum und die flexible Anwendung von Verhaltensregeln.

Rückwirkend werden die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche der 60er und 70er Jahre meist als Voraussetzung der modernen Welt so wie sie heute ist verstanden. Lange galt das Jahr #68 als Kulminationspunkt, als Synonym für eine zeithistorische Wende. Eine Wende, die fast alle westlichen (und einige andere) Gesellschaften erfasste, vornehmlich getragen von  jüngeren Generationen und einigen intellektuellen Protagonisten. Keine einheitliche Bewegung, wurde sie aber doch als übergreifender Aufbruch erlebt. Es gab politische Radikalisierung und eine Vielzahl von Subkulturen, generell war es ein Aufbegehren gegen starre gesellschaftliche Regeln, Hierarchien und eine rigide Sexualmoral. In (West-) Deutschland kam die Aufarbeitung der Nazi- Vergangenheit hinzu.
Gesellschaftliche Liberalisierung ist ein Vermächtnis des Aufbruchs.  Lockerungsrevolte heisst es etwa bei D. Diedrichsen.

Cas Wouters, Soziologe der Informalisering

Cas Wouters, Soziologe aus dem Umfeld der Amsterdamer Elias/ Goudsblom- Schule  hat seit den 70er Jahren an einer Aktualisierung der Zivilisationstheorie gearbeitet. Zum einen by the book incl. umfangreicher Quellenrecherchen in Dokumenten, dem Muster von Elias folgend auch in Manierenbüchern  von 1890 an* (in NL, GB, D, USA). Kernstück der Analysen ist der Wandel von Emotionsregulierung – von strikten Konventionen hin zu einer Emanzipation der Emotionen. Es geht um Umgang mit Sexualität, Trauer und anderen starken Gefühlen, um Machtdifferenzen. Trauer bspw. unterlag lange Zeit verpflichtenden Regeln des Verhaltens und deren äusserer Darstellung, u.a. in der Kleidung – heute ist Trauer weitgehend individualisiert. Sichtbar ist die Suche nach neuen Ausdrucksformen und Ritualen.
Säkularisierung ist eine Begleiterscheinung, in den Niederlanden z.B. brachen die Konfessionen als einst tragende Säulen (verzuiling) der Gesellschaft weitgehend weg.

Auf dieser Basis von Quellenforschung und Beobachtungen geht die  Informalisierungsthese als eine Modifizierung der  Zivilisationstheorie auf Wouters zurück – seit den 80er und 90er Jahren (vgl.  Van Minnen en Sterven) immer wieder präzisiert. Informalisierung bedeutet nicht einfach Permissivität, den Wegfall von Zwängen, sondern setzt neue Anforderungen an Selbststeuerung.
Für die 80er Jahre konstatierte Wouters gegenläufige Prozesse einer Re– Formalisierung, einen auch anderswo oft beschriebenen Rollback. Die Renovatio des Kapitalismus seitdem war nicht allein eine Gegenreaktion, viel öfter eine Übernahme von Entwicklungen, die sich gesellschaftlich bereits verbreitet hatten. Formalisierung und Informalisierung werden so als zwei Phasen von Zivilisationsprozessen verstanden, die in einer Art Spirale miteinander verflochten sind. Der Neue Kapitalismus, wie ihn Boltansky/ Chiaretto (1999)  beschrieben, übernahm die sog. Künstlerkritik an fehlender Authentizität, Kreativität bedeutete nun eine ökonomische Ressource. Werbung und Marketing übernahmen Prinzipien von Gegen- und Popkulturen – The Conquest of Cool.  Bis dahin, bzw. aus der zeitlichen Distanz, bleiben die Trends erkennbar und übersichtlich und stimmen weitgehend mit der Informalisierungsthese überein.

Frage ist, wieweit das Modell von Informalisierung/ Formalisierung zum Verständnis aktueller Gesellschaften beiträgt. Ohne die in der Informalisierungsthese beschriebenen Prozesse wären die Entwicklungen der Folgejahrzehnte kaum vorstellbar. Ohne die Schübe von Informalisierung wären viele Innovationen zumindest ganz anders verlaufen.
Wo stehen wir jetzt? Auch der Aufbruch der digitalen Moderne ist mittlerweile ca. ein  Vierteljahrhundert alt. Grenzen zwischen vertrauten Umgebungen, in denen Gemeinschaft empfunden und gelebt wird und weitgehend formalisierten Räumen der Gesellschaft sind oft verwischt. Muster von #Consozialität treten immer wieder als gemeinschaftsstiftend auf: “what we share“ – ähnliche Interessen,  ähnlich erlebte Erfahrungen – das sind die Bedingungen unter denen informell verhandelt wird.
Fast alle Bereiche der Lebenswelt sind mittlerweile auf ökonomische Verwertbarkeit ausgemessen (vgl.. u.a. Sharing Economy). Dabei haben sich eine ganze Reihe kultureller Muster und Bedeutungen verschoben: eine manchmal an einem sehr formellen Code haftende Wokeness – wird von anderen als  herrschende Ideologie diffamiert,  ein ressentimentbehafteter, sich lautstark als rebellisch gebender Populismus trat auf. Libertär bedeutete einst einen radikal- heroischen Bruch mit gesellschaftlichen Zwängen, heute ist damit eine schrankenlose, anarcho- kapitalistische  Selbstentfaltung gemeint.
Die Nachfolger der Strömungen, die im vergangenen Jahrhundert Informalisierung angetrieben hatten, sind oft stilbildend: eine Ästhetik des authentischen Erlebens findet sich oft,  bin in die Spitzengastronomie. Formale Repräsentativität, plakativer Luxus sind auf dem Rückzug, gelten eher als  BlingBling für Oligarchen.

Gesellschaftlicher Wandel – oder spricht man besser von Erneuerung? – geschieht selten nach Plan und festen Regeln. Neue Räume, neue Möglichkeiten sind zunächst unregulierter (Frei-) Raum. Einige Entwicklungen haben wir im Social Web erlebt (vgl. #die Macht der Plattformen).
Was eine an die Elias’sche Zivilisationstheorie angelehnte Betrachtungsweise interessant macht, ist, Prozesse auf mehreren Ebenen in eine Perspektive zu rücken: vielleicht die Weiterentwicklung der Lebenswelt, die Ausformung des Habitus und auch der Technogenese, die von ihrer Gesellschaft geprägte technische Infrastruktur. Soweit einige Gedankenstränge zusammengeführt …

Cas Wouters: Informalisierung. Norbert Elias’ Zivilisationstheorie und Zivilisationsprozesse im 20. Jahrhúndert. Hagener Studientexte zur Soziologie, 1999. -* Cas Wouters:  Informalisering. Manieren en emoties sinds 1890. 2008 Have Civilising Processes Changed Direction? Informalisation, Functional Democratisation, and Globalisation. In: Historical Social Research 45 (2,) 3/20: 293-334. Civilisation and Informalisation: Connecting Long-Term Social and Psychic Processes: Connecting Long-Term Social and Psychic Processes Van Minnen en Sterven  Sex and Manners. — Vgl. auch Zivilisation und Habitus in der Digitalen Consumer Culture



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