Buzzwords z. B. Transformation, 2.0 und 4.0, Big Data

Wortwolken

Mit Buzzwords ist es so eine Sache. Es fällt leicht, sich über sie lustig zu machen (z. B. Buzzword Bingo): Begriffe, die auftauchen, auf wichtig tun, zum Hype werden, und irgendwann wieder verflauen. Manchmal treffen sie den Zeitgeist – oft ist es Wortgestöber. Meist sind sie auf Englisch, der Sprache der Digitalisierung.
Ein wenig funktionieren sie wie Popsongs: Sind sie gut, drücken sie das aus, was noch unbenannt in der Luft liegt. Das löst Interesse, Diskussionen und Erklärungsbedarf aus. Zumindest eine Zeitlang sind sie ein Vehikel, mit dem sich neue Gedanken, Techniken und Haltungen verbreiten. Wer sich Deutungshoheit verschafft hat, kann sich über Einladungen und Aufträge zu Workshops und Seminaren freuen – Expertenstatus.
Aber genau wie Popsongs, oder eigentlich alle Dinge, die Moden unterworfen sind, verschleissen (oder verflauen) Buzzwords mehr oder weniger schnell. Zu häufiger, oft unbestimmter Gebrauch, oder die Entwicklung geht über sie hinweg, irgendwann passt der Bedeutungszusammenhang  nicht mehr.

dahinter ist Neues zu entdecken

Digitale Transformation klingt gewichtiger als Digitaler Wandel, schließlich wandelt sich die Welt fortwährend – eine Transformation erlebt man aber seltener. Und Transformation geht aufs Ganze: Die ganze Wirtschaft, ganze Systeme, wie Bildung, Arbeit, Handel, Mobilität transformieren sich. Begriffe wie Disruption werden überdacht. Oft wird Digitale Transformation im verkürzten Sinn verwendet, der Begriff erschliesst sich erst im längerfristigen Zusammenhang.  Letztlich geht es um eine Neu- Justierung bestehender Systeme in Folge der Digitalisierung.
Vor mehr als zehn Jahren brachte Web 2.0 die Stimmung nach dem Crash des Börsenbooms der Jahrtausendwende auf den Punkt – und damit wurde es eines der erfolgreichsten Buzzwords. Web 2.0 betonte einen Neubeginn des Internet und stellte das partizipatorische Potential in den Vordergrund. Ein Mitmachweb mit Blogs, Podcasts und Social Software – parallel dazu eine Kultur von BarCamps. Zumindest in der Idee basisdemokratisch. In den Hintergrund geriet der Begriff nachdem man immer mehr von Social Media sprach – und damit waren v.a die großen Plattformen gemeint. Die Möglichkeiten der Teilnahme vereinfachten sich, aber es entstanden Oligopole.
Die metaphorische Versionsnummer fand immer wieder Nachfolger – seit einiger Zeit Industrie 4.0. Hier soll auf eine vierte industrielle Revolution verwiesen werden – letztlich eine Frage der Zählweise. Was bei der Industrie noch nachvollziehbar ist, ist es in der weiteren Übertragung nicht – es erscheinen dann Wortgebilde wie Bildung 4.0, Arbeit 4.0, Mobilität 4.0, auch Gesundheit 4.0 wurde schon entdeckt. Alle bezeichnen digital vernetzte – transformierte – Systeme, die gestaltet werden sollen. Welcher Sinn wird mit der Versionsnummer 4.0 vermittelt? Was war eigentlich Gesundheit 3.0 oder 2.0? War Arbeit 1.0 die reine Fron – und 3.0 die prä- neoliberale Vollbeschäftigung? Wenn man böse ist, kommt man auf Reich 3.0. Man hat den Eindruck, eine Agentur hätte Bundes- und Landesregierung ein Konzept verkauft, das nun überall verbreitet wird.
Big Data ist an sich ein simpler, undifferenzierter Begriff, der Staunen und Mißtrauen über die Fülle auswertbarer Datenbestände ausdrückt, Big Brother klingt an. Big steht für Datenvolumen, die Bandbreite/Vielfalt der Quellen und die Geschwindigkeit der Generierung. Als Buzzword hält sich Big Data schon erstaunlich lange, ohne von differenzierteren Bezeichnungen von Datenanalysen ersetzt zu werden.

Warum spielen Buzzwords eine solche Rolle in allen Diskussionen rund um die Digitalisierung? Zum einen benennen sie neu auftretende, oft  noch unbestimmte Phänomene und es sind nicht die exakten Bedeutungszuweisungen, die sie ausmachen. Auch aktuell werden Phänomene anhand von Buzzwords wie Filterblase, Fake News und postfaktisch diskutiert. Sprache formatiert menschliches Wahrnehmen und Denken und es sind gerade die Assoziationen, Gedankenbrücken und Anmutungen die Begriffe ausmachen. Dann wollen neue Begriffe geklärt werden. Das bringt Vorteile in der Aufmerksamkeitsökonomie. Naheliegend ist das Marketing am anfälligsten für Wortgeklingel im Gefolge, schließlich ist es seine Aufgabe für Aufmerksamkeit und letztlich Umsatz zu sorgen.
Und noch eins: Die Suchsysteme (im wesentlichen Google) sind auf  Begriffe, nicht auf lange Erklärungen ausgerichtet. Auch das macht Buzzwords strategisch zentral.

Bildquellen:.: Doppelte Tür time. / photocase.de; Monitore: mmk / photocase.de

Transformatorische Helden

Jedes Zeitalter hat seine Helden, seine Leitfiguren.  Kürzlich starb David Bowie, wenige Tage nach dem Erscheinen von Blackstar, dem letzten Album. Pop zählt zur kulturellen Prägung mittlerweile (fast) aller Altersgruppen und Bowie hatte Popkultur 50 Jahre lang entscheidend mitgeprägt, als Sänger und Performer, in Filmen und in der Mode. Manche seiner Songs, wie Heroes und Space Oddity zählen zu den bekanntesten überhaupt. Kein Wunder über den weitreichenden Nachhall auf allen Kanälen. The Independent titelte: How a master of invention changed British culture for decades. Auffallend sind die oft sehr persönlichen Stellungnahmen in Blogs und Social Media, die in die Frage münden “Was hat David Bowie für mein Leben bedeutet?” – In dem Maße hat mich die Reaktion nur an einen anderen Trauerfall erinnert: dem von Steve Jobs im Oktober 2011.

Die Kraft der Pose
Ch Ch Ch Changes – Die Kraft der Haltung

Andere Größen der Popkultur (z.B. Bob Dylan) verbindet man nur mit bestimmten Zeitspannen – spätere Werke sind deren Nachhall. Das Besondere an Bowie ist die Präsenz über 50 Jahre Pop in immer wieder neuen Inszenierungen und Stilen, das visuelle gleichviel bedeutend wie der Sound. Bowie machte androgynen Glamrock, Disco und Soul,  war mit Queer Culture, mit Andy Warhol und Lou Reeds Transformer verbunden, beeinflußte Punk und BritPop, war dandyesker Kultstar und Mainstream. Bowie in Berlin ist ein Mythos, dem die Stadt den Eintrag auf der Landkarte des Pop verdankt – und das Image of the cool.
“David Bowie hat die Welt zu einem annehmbaren Exil für alle Andersartigen gemacht.“* Fangeschichten begannen oft mit einer frühen Begegnung im Alter von 13, 14 Jahren mit dem Gefühl verstanden zu werden, und wurden zu einem Soundtrack, der das Leben begleitet. “David Bowie hat in meinem Leben ein Feuer entfacht, das ewig brennen wird. Deshalb gebührt ihm größter Dank*. “What for me is important is how Bowie helped me discover myself, my female side, my vulnerability and the freedom of the imagination“.** – Typische persönliche Rückblicke auf Bowie. Nicht für alle – manchen ist der Bowie der 80er als Popper mit der Föhnfrisur in Erinnerung.
Pop besteht in der Haltung als Einheit von  Auftritt, Stimme und Stil, mit der man im Leben besteht (bzw. will), und das bedeutet Selbstermächtigung. Nach diesem bei D. Diederichsen entlehnten Gedanken  war Bowie einer der wirkungsmächtigsten Künstler des Pop. 

Another Hero

Was soll Steve Jobs in einer Reihe mit David Bowie? Zu seinem Tod gab es ähnliche Reaktionen: “Was hat Steve Jobs für mein Leben bedeutet?” Apple war lange Zeit die eine Firma, die Fans als Kunden hatte und wahrscheinlich überschneiden sich beider Fans in der kreativen Klasse (oder die sich dafür hält) beträchtlich. Mit Jobs sind jeweils bahnbrechende Innovationen des digitalen Zeitalters verbunden, die so sehr in unser Leben passten, dass sie nach kurzer Zeit selbstverständlich wurden: der Ur-Macintosh mit graphischer Benutzeroberfläche und Mouse, später der iPod, der die Verbreitung von Pop veränderte, das iPhone/SmartPhone und iPad/Tablet-Computer. Kennzeichen all dieser Innovationen war plug and play – der direkte Anschluß an die Intentionen der Benutzer – von denen nicht verlangt wurde, sich weiter mit der Technik auseinander zu setzen.
Bowie und Jobs stehen in der Reihe – sehr erfolgreicher  – moderner Heroen (immerhin Multi-Millionäre). Bowie gilt dabei als ein Held des Wandels und des Sich-Selbst-Neuerfindens, des “turn and face the strange“. Auch Jobs nahm “be different” für sich in Anspruch – und beide stehen heute für eine heute tonangebende Kultur. Eine Kultur, die Wurzeln in der Auflehnung gegen hierarchische Systeme hat – aber genauso ihre wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten umarmt. Natürlich steht niemand für sich allein als Urheber  gesellschaftlicher und kultureller Innovation  – aber diese werden an den Performern festgemacht.

*- Benjamin Lebert in der Zeit “Für die Außerirdischen unter uns” 12. Januar 2016 + Kommentar dazu; ** independent.co.uk Kommentar 13.01.2016 

Aufbruch, Pose und Diskurs – Über Pop-(Musik) – Rezension

didi_pop“Über Pop-Musik” erschien im März dieses Jahres, d.h. seitdem wurde bereits eine Menge dazu gesagt bzw. geschrieben. Zwar heisst es im Titel -Musik, es geht aber nicht über Musik als solche. Pop ist (hier) weniger Musikstil als eine Form des Erlebens. Thema ist das gesamte Ereignis-, Erlebnis- und Erfahrungsfeld Pop und dazu zählen nicht nur Songs incl. Texten und Cover + Moden, Frisuren etc. und ihr Entstehen, auch die damit verbundenen ästhetischen, sozialen und sexuellen Erfahrungen.

Diedrich Diederichsen hat wie kein anderer in den vergangenen Jahrzehnten den deutschsprachigen Diskurs zu Pop geprägt, in Zeitschriften wie Spex, Büchern wie Sexbeat oder Musikzimmer, in unzähligen Plattenkritiken und Feuilletontexten, und nun als Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Unverkennbar die mit semiotischen und soziologischen Bezügen verdichtete, manchen elaboriert erscheinende Sprache. Über Pop-Musik ist so etwas wie die Summe all dieser Texte: ein Werk von 474 Seiten, gegliedert in fünf so bezeichnete Teile und knapp hundert Abschnitte, in denen wohl ebenso viele Einzelthemen als Diskurseinheiten behandelt werden. Es stützt sich auf eine enzyklopädische Kenntnis des Feldes, enthält im Rückgriff auf eigene Erlebnisse auto-ethnographische Elemente und bezieht sich auf die Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts. So auf Adornos Kulturindustrieverdacht, den Subkulturalismus von Foucault und Pierre Bourdieus Begriff der Distinktion. Luhmann kommt genauso vor wie Bob Dylan und David Bowie, wie Punk, HipHop und Techno, es geht um Camp und Queerness. Das Zusammenwirken dieser Ebenen bestimmt Diskurs und Analyse, dabei zeigen sich erhellende Gedankengänge, von denen manche sich aber nicht sofort erschliessen.
Dahinter wird eine Geschichte erzählt: die von der Welterfahrung, der Sozialisation und Individuation über Pop-Musik, persönlich und typisch für diese und direkt nachfolgende Generationen. Pop-Musik vermittelte “emotionale und atmosphärische Neuheiten” (S. 249), Erfahrungen, die in der Herkunftskultur nicht gemacht werden konnten. Es ist die Entwicklungsgeschichte einer Generation von den Jugendzimmern und Schulhöfen, durch Clubs, Seminare und Redaktionen, mit einigen radikalen Schlenkern, in die Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Mich selber erinnert DD immer etwas an Sascha Lobo (oder umgekehrt). Zumindest wissen sich beide in der wahrgenommenen Rolle als szeneinterne Durchblicker mit Anspruch auf Deutungshoheit zu inszenieren.

Zu Pop gehört die Pose
Zu Pop gehört die Pose

Zu Pop gehört die Pose. Zunächst denkt man an so bekannte wie Zappa auf dem Klo und den Stinkefinger der Stones. An die Inszenierung von Punk, Rap oder HipHop. Pose bedeutet hier eine Haltung als Einheit von Auftritt, Stimme und Stil einzunehmen, mit der man im Leben besteht (bzw. will), und das bedeutet auch Selbstermächtigung.Was ist das denn für ein Typ (bzw. wat is’n dat für’n Typ)? Was für ein Lebensentwurf wird uns denn da präsentiert? Wie sieht der denn aus? (S. 139) und ‘was finde ich denn gut an dem/der’? sind die Fragen, die an Performer von Pop gestellt werden. Nicht der musikalische Wohlklang – Verstärker boten auch schwachen Stimmen eine Bühne -steht im Vordergrund, sondern die möglichst überzeugende, in sich stimmige Haltung. In dieser Weise vermittelt Pop jeweils subjektive Weltsichten und das gilt nicht nur für Hipster (in der ursprünglichen Bedeutung), sondern für praktisch jede subjektive Sichtweise (vgl. S.412 ff), auch wenn sie ganz und gar nicht in das Bild gesellschaftlich fortschrittlicher Pop-Musik passt, wie etwa neo-patriarchale HipHopper, oder gar Neo-Nazis. Der für Diederichsen entscheidende Maßstab ist die Vermittlung des Pop-Erlebnisses in die reale soziale Welt als vielversprechender Aufbruch, und er macht auch deutlich, daß er sich nur für Pop interessiert, der diese Erlebnisse vermittelt (S. 419) – idealerweise als subkulturelles Gemeinschaftserlebnis.

Pop zählt zu den stärksten kulturellen Strömungen der letzten Jahrzehnte mit kaum zu unterschätzenden Wirkungen auf die Alltagsästhetik. Eine wesentliche Errungenschaft ist es, Stimmungen, als eine Art atmosphärische Wahrheit, auf einprägsame Weise in den Alltag überführt zu haben, etwa in dem Sinne “How do you think it feels?“. Erlebnis und Erfahrung Pop waren einst an eine Revolte gegen die Disziplinargesellschaft (etwa das, was Max Weber als das stahlharte Gehäuse bezeichnet hatte) und den von ihr ausgeübten normativen Druck gekoppelt. Lange Zeit blieb Pop gegenkulturellen Szenen verpflichtet. Kaum eine soziale Bewegung, kaum eine eigenständige Szene der letzten Jahrzehnte ohne den entsprechenden Sound. Auf die (von DD so genannte) heroische Phase des Pop folgten weniger heroische Zeiten. Mittlerweile ist Pop allgegenwärtig, in allen Schattierungen: mit Liebhaberszenen nahezu aller Genres aus allen Epochen, allzeit abrufbar aus digitalen Archiven. Es gibt kaum noch eine Generation, die nicht mit Pop aufgewachsen ist. Allerdings ist Pop-Musik immer weniger Aufbrüchen des Lebensgefühls verbunden, wie es jahrzehntelang in immer neuen Schüben – von Bob Dylan und Jimi Hendrix, Punk und New Wave, Grunge, bis Techno, Dub etc. – gewesen ist.
Pop lässt sich auch aus zivilisationsgeschichtlicher Perspektive (nach N. Elias) betrachten. Dabei geht um die langfristig gerichtete Veränderungen von Mentalitäten und Verhaltensstandards. Der niederländische Soziologe Cas Wouters hatte 1991 einen Prozess der Informalisierung beschrieben, der eine bis dahin formulierte Unterwerfung des Verhaltens unter straffere Regulierungen der zunehmenden in der Richtung veränderte.

Es bleiben weiterführende gesellschaftliche Fragen: “Wie bildet Pop-Musik soziale Einheiten, Gangs, Szenen, Milieus, Subkulturen und Gegenkulturen, wie generiert sie das, wofür sie mehr als für ihre ästhetischen oder kulturellen Meriten studiert zu werden verdient verdient: soziale Tatsachen und -so glaubten ja einst Gegner wie ihre Unterstützer – Gefahren?” (S. 375) – und damit bin ich beim Thema des nächsten Blogbeitrages, bei dem es um diese posttraditionellen Vergemeinschaftungen geht.

Diederichsen, D. “Über Pop-Musik”, Köln 2014, 474 S, ISBN: 978-3-462-04532-1, 39,90 €

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