10 Gründe … Social Media Accounts zu löschen (Rez.)

Im letzten Blogbeitrag 10 Jahre Social Media kam ich bereits auf das Buch von Jaron Lanier zu sprechen.
Zehn Gründe – Bücher sind an sich eine Unterabteilung der Ratgeberbranche. Meist geht es um einen zu unternehmenden, entscheidenden Schritt in der Lebensgestaltung, zu dem dann 10 Gründe abgearbeitet werden.
Was Jaron Laniers  Buch “Zehn Gründe … ” (ganz ausgeschrieben: “Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“) davon heraushebt, ist seine Rezeption. Die internationale, fast noch mehr die deutsche Ausgabe wurde breit in sog. Qualitätsmedien rezensiert, im Guardian, Deutschlandradio, der Zeit, FAZ etc. – und das durchweg positiv. Dazu einige  Interviews, so in der Zeit. Der Verlag Hoffmann & Campe bewirbt Lanier als Tech-Guru und Vordenker des Internet. Bereits 2014 wurde Lanier der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen, mehr geht eigentlich nicht.

Zehn Gründe … ” ist ein Rant, eine Art Brandrede, Beschimpfung, Streitschrift nennt es die FAZ, gegen BUMMER (Behaviors of Users Modified, and Made into an Empire for Rent) und es wird wenig ausgelassen. BUMMER meint eine toxische Seite des Social Web und Lanier will den Begriff für das von ihm beschriebene destruktive Geschäftsmodell (41) der Arschloch- Herrschaft einführen, so zieht es sich durch das ganze Buch. Komponenten von BUMMER sind Arschloch- Herrschaft, totale Überwachung, aufgezwungene Inhalte, Verhaltensmodifikationen, ein perverses Geschäftsmodell, Fake People  (39-58).  Harte, aggressive und polemische Worte. Gemeint sind v. a. Facebook und Google, in geringerem Maße Twitter. LinkedIn wird  ausgenommen, die Leute dort haben etwas anderes zu tun, als sozialen Eindruck zu schinden (74; Zufall, dass Lanier für Microsoft arbeitet?). 

Das Buch wirkt schnell heruntergeschrieben, manchmal etwas wirr und ein wenig fremd im feinen Hardcover von Hoffmann & Campe. Vieles lässt sich einfach relativieren: Wenn sich im Internet Leute merkwürdig und boshaft benehmen (45) dann kann das viele Ursachen haben, die in der Person oder der Umgebung liegen. Dass die Ausgaben der digitalen Werbeindustrie dazu dienen unser Verhalten, ähnlich wie TV- Spots zu beeinflussen (37) – eine Selbstverständlichkeit. Medien haben grundsätzlich ein Manipulationspotential. Suchtpotential wurde neu auftauchenden Medien immer wieder vorgehalten. Ist Donald Trump twittersüchtig? Toxisches Medium oder toxische Persönlichkeit?
Alles in allem Darstellungen, die Nutzer als Objekte bis Opfer toxischer Medien und ihrer Betreiber zeigen. Social Media gibt es bereits länger, und es gibt viele Menschen, die seitdem gelernt haben, sie zu ihrem Nutzen und ihrer Zufriedenheit zu nutzen. 

eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit; Bild: photocase.de/kallejipp

Interessanter als das Buch selber ist die Resonanz und ihre Hintergründe: Das deutsche Feuilleton holt sich einen Dissidenten aus Silicon Valley der dem Durchschnitts- Amerikaner klarmachen will, dass und wie er in den Social Media verarscht wird, so in etwa ließe sich die Resonanz einstufen. Generell gibt es wohl eine Befürchtung des Verlustes von Deutungshoheit, das lässt Fundamentalkritiker von Social Media als Mahner und Warner willkommen heißen.  Spätestens mit der Trump Wahl hat sich zudem der Blick darauf verändert, und richtet sich auf deren Manipulationspotential.  Brachte man 2011 Social Media mit dem Arabischen Frühling in Verbindung, verbindet man sie heute oft mit populistischen Strömungen, die sich in Filterblasen und Echokammern anfeuern. Sicher ist, dass Social Media allen möglichen Strömungen als Infrastruktur dienen. Verstärkt wird das Mißtrauen durch das selbstbewußte Auftreten von Mark Zuckerberg vor den Parlamenten in Washington und Brüssel und insbes. den Cambridge Analytica Skandal  (wird in einem Nachtrag  vermerkt; 9).

Es gibt viele Gründe und Argumente, Social Media Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle – Datensammlung und darauf beruhende personalisierte Werbung – und ihre Machtanhäufung zu kritisieren. Zur aktuellen Diskussion dazu, die in vielem viel weiter ist, trägt “10 Gründe…” wenig bei. Das Buch ist fixiert auf BUMMER, dreht sich um die Ambitionen des Silicon Valley – und ist selber nicht frei von dessen Größenwahn, wie es in dem Satz “die Welt verändert sich rapide unter unserem Kommando” (42) durchscheint.

Wäre denn tatsächlich ein Internet ohne Werbewirtschaft denkbar?  Werbung und Marketing gehen dahin, wo die Menschen sind – und sie wollen ihre Zielgruppen mit möglichst wenig Streuverlusten ansprechen. Hätte sich die Werbewirtschaft jemals die Möglichkeiten des Netzes entgehen lassen?  Das gilt nicht nur für Großunternehmen. 

Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum Du Deine Social Media Accounts sofort löschen musst. 2018,  204 S.



Das Kapital sind wir. Zur Kritik der Digitalen Ökonomie (Rezension)

Das Kapital sind wir von Timo Daum erschien bereits im Herbst 2017, aber erst auf der re-publica 18 wurde ich darauf aufmerksam.  Das Buch hält weitgehend, was der Titel verspricht – zudem ist es so flüssig geschrieben, dass man es an beinahe jeder Stelle aufschlagen und in den Text einsteigen kann.
Der Kapitalismus hat sich als Digitaler Kapitalismus neu erfunden. Ein neues Akkumulationsmodell hat sich herausgebildet und das fordistische Modell von Massenproduktion und -komsum abgelöst. Dem neuen Modell  gelingt es,  die gesamte Gesellschaft mit ihren Gedanken und Tätigkeiten in den Dienst zu nehmen und mit Information, Algoritmen und User Generated Content Geld zu verdienen (21/22). Freier Austausch wird ermöglicht – und gleichzeitig kommerziell als Rohstoff genutzt. Soweit bekannt, und so in etwa der Einstieg.

Ähnlich wie Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge in Das Digital nimmt Timo Daum bezug auf Karl Marx. Was hätte Marx zum Digitalen Kapitalismus gesagt? steht als rhetorische Frage im Hintergrund.
Bei Ramge und Mayer- Schönberger steht das Konzept der Datenreichen Märkte als Voraussetzung der Nutzung und Verbreitung von KI im Vordergrund – eine Perspektive, die grundlegend bejaht wird. Problem bleibt das Ungleichgewicht bei der Verteilung der Digitalen Dividende.

Die Digitale Vermessung der Welt erfasst immer mehr Lebensbereiche (Bild: kallejipp photocase.de)

Daum greift die ganze Breite von Themen auf, die seit längerem zum Netz, zur Digitalisierung und dem damit verbundenen Wandel diskutiert werden. Sharing Economy, Kreativwirtschaft und die Digitale Bohème, der Solo- Kapitalist (Solopreneur), das bedingungslose Grundeinkommen etc., samt der jeweils mehr oder weniger ideologischen Begleitmusik (so in der Sharing Economy oder der Weltverbesserungsagenda von Facebook, S. 131).
Die digitale Vermessung der Welt stellt immer mehr Lebensäußerungen in ihren Dienst, die vormaligen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.  Arbeit und Einkommen entkoppeln sich, der Begriff von Arbeit an sich verändert sich.
Daum versteht sich als Linker, wer aber eine rundum- Kritik am digitalen Kapitalismus erwartet, wird enttäuscht. So etwa die Rezensenten der Buchvorstellung in Hamburg, die geradezu entsetzt sind über die überraschend versöhnliche Haltung zum Kapitalismus.
Denn ganz so kritisch sieht Daum den Digitalen Kapitalismus nicht: der freie und kostenlose Zugang zu Informationen und Diensten ist ihm zu verdanken (236). Dem alten fossilen, konsumorientierten Kapitalismus ist hingegen nicht nachzutrauern (241). Arbeiterbewegung und Gewerkschaften hatten darin über die Jahrzehnte Rechte, Sicherheiten und Teilhabe erkämpft, eine Tradition zu der eine Parallele in der digitalen Gesellschaft noch fehlt.
Unternehmen des Digitalen Kapitalismus übernehmen Aufgaben globaler Dimension. Erst mit den Inhalten der Nutzer (Prosumer) werden die Plattformen zum Leben gebracht. Ein treffendes Bonmot: Der Digitale Kapitalismus schafft es, frei verfügbares Wissen zu kolonisieren, als proprietären Service neu zu verpacken und diesen wiederum zu verwerten (235).
Wenn es eine abschließende Aussage zum Digitalen Kapitalismus gibt, dann ist sie dezent platziert: Der Kapitalismus ist keine fremde, uns knechtende Macht: Wir selbst sind der Kapitalismus. Wir schaffen selbst die Abstraktionen, von denen wir uns beherrschen lassen (123).

Ein Ausblick: Der digitale Kapitalismus dringt in neue Bereiche vor: Mobilität, Energie, Transport, Logistik. Wir brauchen eine kostenlose Grundversorgung für die digitale Stadt, einen New Deal, bei dem die Bewohnerinnen ihre Daten beisteuern (241), und eine algoritmische Alphabetisierung. Digitaler Kapitalismus wäre vom Standpunkt des Neuen, Möglichen zu kritisieren – nicht von dem des Alten.

Timo Daum: Das Kapital sind wir. Zur Kritik der Digitalen Ökonomie. Edition Nautilus, Hamburg 09/2017.  268 S. ISBN: 978-3-96054-058-8



Hidden Values – Die Währungen der Zukunft

Hidden Values – Die Währungen der Zukunft – fasst die Beiträge einer Konferenz (Hidden Values – Mehr wert als Geld?) im Oktober 2017 in der Zeche Zollverein (Essen) zusammen. Herausgeber ist Creative.NRW, und das Vorwort stammt vom Financier, dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Andreas Pinkwart.
Der Titel Hidden Values lässt zunächst an Werte denken, die noch nicht betriebswirtschaftlicher Vermessung ausgesetzt sind, zumal ganz ausdrücklich Aufmerksamkeit, Beziehungen und Netzwerke, Daten und Informationen als handfeste wirtschaftliche Werte (15) genannt werden. Nach gängiger BWL erfordert es nur geschicktes und methodisches wirtschaftliches (Marketing-) Handeln (etwa Branding, Community- Building etc.) um derartige Ressourcen zu monetarisieren.
Übergreifendes Thema und Kernthese des Sammelbandes ist jedoch, dass sich aus den genannten Werten selber zentrale Ressourcen herausbilden, sie zu einer Art Währungen auf ihren eigenen Märkten werden. Ausgehend von der Kreativwirtschaft breiten sie sich in der digitalen Ökonomie aus.
Ankerpunkt ist ein Interview mit Georg Franck (26-39), Autor von Ökonomie der Aufmerksamkeit (1998). Aufmerksamkeit treibt seit jeher die Medienwirtschaft an, als begrenzte Kapazität bewussten Erlebens (27) ist sie eine knappe Ressource in der Digitalökonomie. Und es gibt Parallelen im Haushalten mit Aufmerksamkeit zum Haushalten mit Geld – Paying attention heißt es in der amerikan. Umgangssprache. Die globalen Konzerne der Digitalökonomie bewirtschaften Aufmerksamkeit und generieren daraus ihre Gewinne. Und sie wird in Einheiten gemessen: von den Einschaltquoten des Rundfunk zu Klickzahlen, Likes etc.

Kreativwirtschaft ist seit den 90er Jahren Thema, mit einigen, sich wandelnden Bezeichnungen. Als Kulturwirtschaft mehr an den klassischen Kultursparten und ihren Zuträgern orientiert, als Creative Industries Ausführer der Valorisierung, der Aufladung von Gütern mit Stories und Emotionen. Kreativwirtschaft in diesem Zusammenhang meint 11 Sparten (die klassischen + u.a. Design, Games, Software), die Rückflüsse in andere Wirtschaftsbereiche und in die Digitalisierung.
Entscheidend bei der Herausbildung zumindest weiter Teile von Kreativwirtschaft ist Popkultur, über Jahrzehnte das Erlebnis- und Erfahrungsfeld, in dem Haltungen und Lebensentwürfe ausprobiert und eingeübt wurden. In den frühen Dekaden als jugendliche Subkultur gelebt und vom damaligen Establishment gering geschätzt, nahm Popkultur immer mehr Einfluß auf die Consumer Culture und wurde schließlich von der Wirtschaftsförderung entdeckt. Ausgehandelt wird letztendlich v.a. Coolness, als Haltung und als Distinktionsmerkmal, es wäre ein weiterer sehr spezieller nichtmonetärer Wert.

Zwölf Themen auf 162 Seiten (+ An- und Abmoderation) sind natürlich noch keine erschöpfende Abhandlung. Hidden Values lenkt den Blick auf Wertbemessungen abseits von Geld. Das Digital von Viktor Meyer- Schönfelder (+ Thomas Ramge) und die Gesellschaft der Singularitäten von Andreas Reckwitz waren in diesem Blog bereits Thema. Ersterer trägt die ökonomische Vision des passgenauen Zusammenführens von Angebot und Nachfrage in datenreichen Märkten, in denen der Markt endlich  sein volles Potential entfalten kann.
Zumindest mir hatten Vortrag und Text von Shermin Voshmgir das Thema Blockchain und Token- Ökonomie verständlicher gemacht. Es geht um die Vision als öffentliches Zahlungsnetzwerk ohne zentralisierte Institutionen, wie Banken, Kreditkartenunternehmen und  (103) um Bitcoin als Betriebssystem einer neuartig verteilten Volkswirtschaft. Schließlich der Gedanke einer Wertbestimmung durch Nutzung anstelle von Angebot bei Stefan Heidenreich. Digitale Wertschöpfung wird bis jetzt noch in die Modelle in der Industrieproduktion gezwungen.

Lassen sich die einzelnen Themen  in eine netzökonomischen Perspektive richten, wie es Gunnar Sohn vorschlägt? Sicherlich die aus dem Block Daten (Mayer-Schönberger, Voshmgir, Heidenreich) in denen annähernd konkrete Vorschläge zur Datenökonomie genannt werden. Datenreichtum wird so oder so die Märkte verändern. Andere Wertkreisläufe sperren sich stärker gegen die Einbindung, für das Erleben spielen sie eine umso stärkere Rolle. Coolness ist manchmal ein Wert, der sich selbst genügt, das andere mal ein Schwergewicht ökonomischer Wertbestimmung. 
(Text ergänzt 14/08/18)

Hidden Values. Die Währungen der Zukunft. Herausgegeben von  Creative.NRW (April 2018), 163 S., mit Beiträgen von: Jana Costas, Heike-Melba Fendel, Frederik Fischer, Georg Franck, Stefan Heidenreich, Rafael Horzon, Leonard Novy, Mads Pankow, Andreas Reckwitz, Viktor Mayer-Schönberger, Stefan Schmidt, Christian Schüle, Joseph Vogl, Shermin Voshmgir.   Erhältlich über Creative.NRW.  oder als download.



Das Digital – Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus (Rez.)

Zwei Bücher innerhalb eines halben Jahres, das ist flott. Im Oktober 2017 erschien Das Digital von Viktor Mayer- Schönberger und Thomas Ramge, Mitte März 2018 folgte Mensch und Maschine – letzteres im  Reclam Format (9,5 x 14,8 cm, <100 S.) -jackentaschenfähig.
Der grammatisch innovative Titel Das Digital knüpft an Karl Marx Das Kapital. So wie bei Marx im Zeitalter des beginnenden Industriekapitalismus der wirtschaftliche Mehrwert und seine Verteilung  im Vordergrund stand, geht es jetzt darum, diese Fragen im Übergang vom Finanzkapitalismus zum Datenkapitalismus neu zu beantworten.
Der Titel der englischen (Original-) Ausgabe Reinventing Capitalism in the Age of Big Data, ebenso wie der deutsche Untertitel (Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus) lenkt den Blick auf die gesellschaftliche Gestaltung des Datenkapitalismus. Den Autoren geht es letztlich um eine digitale soziale Marktwirtschaft.

Datenreiche Märkte verändern die Rolle, die Märkte und Geld spielen. Märkte dienen nicht nur dazu, knappe Waren auszutauschen, sie sind ein gesellschaftlicher Mechanismus, der Menschen die Möglichkeit bietet, sich untereinander effektiv und effizient zu koordinieren  (263/264).  So ist der explizit als Kernaussage des Buches genannte Satz  “Der Markt kann endlich (mit Datenreichtum) sein volles Potential entfalten” (25) zu verstehen. Datenreiche  Märkte enthalten Informationen verschiedener Dimensionen mit ihrem jeweils eigenen Wert, sie führen Angebot und Nachfrage möglichst passgenau zusammen.

Was Skaleneffekte für die Massenproduktion, Netzwerkeffekte für die Informationswirtschaft, bedeuten Feedbackeffekte für die Wertschöpfung in datenreichen Märkten rundum künstliche Intelligenz.  Aus Daten lernende Systeme verbessern sich mit dem Imput und um nützlich zu sein, benötigt  maschinelles Lernen gewaltige Mengen an Trainings- und Feedbackdaten. Das gilt für Übersetzungsservice (z. B. Google), Bilderkennung, Autopiloten, medizinische Diagnostik und vieles mehr. Ohnehin bereits starke Unternehmen und Organisationen sind im Vorteil. Dort sammelt sich mit den Daten Handlungskompetenzen und Marktmacht an, die weit über herkömmliche Wettbewerbsvorteile hinausgehen.
Um Datenmonopolen entgegen zu wirken, befürworten die Autoren eine Datenumverteilung. Damit datenreiche Märkte nachhaltig funktionieren und die so erwirtschaftete digitale Dividende allen zukommt, sollten Datensammler zum Teilen ihrer Daten in die Pflicht genommen werden. So schlagen sie vor, dass Unternehmensabgaben in Form eines Daten-Sharings geleistet werden.

Matching, das Zusammentreffen mit dem optimalen Transaktionspartner, ist ein grosses Versprechen der Digitalisierung. Was (herkömmlicher) Markt oder Zufall nur umständlich erreichen, das ist in Datenreichen Märkten  angelegt. So  funktionieren z.B. Dating- Plattformen, ebenso wie zahllose Dienstleistungen. Nicht alle im Buch vorkommenden Beispiele überzeugen. Brauchen wir Einkaufsassistenten? B to B  oft sinnvoll, privat ist die Auswahl von Kleidung/Mode, Nahrung/des Essens, Mobiliar/Einrichtung etc. für viele ein wesentlicher Teil der Lebensgestaltung und bringt Freude, anderen nicht. Datengetriebene Auswahl, insbes. personalisierte Abo- Modelle sind ein Wunschziel des Marketing.

Im Schlußwort (266) geben sich die Autoren optimistisch: Wir glauben nicht an die düsteren Prognosen, dass datengetriebene Technologie gegen den Menschen arbeitet. Daten sind nicht kalt, wie oft behauptet, und es ist widersinnig, in der Diskussion Menschen ständig gegen Maschinen auszuspielen. Wir sind  überzeugt: Dank Datenreichtum wird unsere Zukunft nicht bloß persönlicher, effizienter und nachhaltiger sein, sondern vor allem gemeinschaftlich – und zutiefst menschlich.
Der Optimismus stützt sich auf  eine politische und gesellschaftliche Gestaltung der Datenökonomie und ihrer Rahmenbedingungen. Eine nachhaltige, gemeinschaftliche und demokratische Datenökonomie ist kein Selbstläufer.

Reclam – Format, passt in jede Jackentasche

Das zweite Buch ist ein Büchlein mit dem Elementarwissen Künstliche Intelligenz. Erschienen in der Universal- Bibliothek (Nr. 19499), der Reihe der Klassiker von Plato, Seneca und Cäsars De bello gallico bis Goethe, kennt jeder aus der Schulzeit.
KI ist die nächste Stufe der Automatisierung. Nach Autor Ramge erlebt sie gerade ihren Kitty-Hawk-Moment – ein Bild aus der Entwicklung des  Motorflugs – die Technologie hebt ab und plötzlich läuft, was lange Zeit nur eine großspurige Behauptung war (7/8), eine Art Break-even. Einiges, was bereis in Das Digital geschrieben wurde, wiederholt sich. Ansonsten kompaktes Wissen in der Westentasche. 6 € – das kann sich jeder leisten.
Künstliche Intelligenz klingt immer etwas nach Schöpfergeist und Golem, man kann dagegen den Begriff aus Daten lernende Systeme setzen, der die Grundlagen hervorhebt. Letztlich ist KI eine von Menschen gemachte Technik und Menschen werden die Entscheidungshoheit behalten.
Beide Bücher sind für jeden, der sich mit Digitaler Ökonomie oder Digitaler Zivilisation  befasst, eine wichtige und sehr nützliche Lektüre. Viele Fragen zu Funktion und Rolle  von Markt und Unternehmen werden angesprochen, dabei z.B. auch: Warum sind gerade manche datenreiche Unternehmen straff hierarchisch organisiert, geradezu Effizienzmaschinen ?
ganz nebenbei: immer wieder fällt auf, dass auch Publikationen zu digitalen Themen weiterhin gedruckt erscheinen, e-book ist bestenfalls Ergänzung. Haptische Qualitäten, Abgeschlossenheit des Werkes und kulturelle Verankerung sprechen für den Erhalt des analogen Formats. 

Victor Mayer- Schönberger  & Thomas Ramge: Das Digital -Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus. Econ Verlag, München 2017, 304 S., 25 €  Thomas Ramge: Mensch und Maschine. Wie künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern. Reclam Verlag, Stuttgart 2018. 96 S., 6 €  Vgl. auch: Viktor Meyer- Schönberger Die Kreativwirtschaft als Pionier datenreicher Märkte. In : Hidden Values. Die Währungen der Zukunft. Herausgegeben von Creative. NRW Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft S. 88-97   April 2018



SideMenu