Schokolade im Netz – eine (kleine) Netnographie

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(Fast) jeder mag Schokolade. Schokolade ist Genuß, Belohnung, Kindheitserinnerung, manchmal Versuchung, schlimmstenfalls Ersatz. Unser Bild von der Schokolade ist von der 100g Tafel geprägt, die es lange Zeit in nur in wenigen Geschmacksrichtungen gab: Vollmilch, Zartbitter, Nuss, dazu Varianten mit verschiedensten Füllungen. Der Markt wurde von einigen Großproduzenten bestimmt, dazu Handelsmarken bei Discountern und einige Premiummarken. Das hat sich geändert. Schokolade gibt es in der ganzen Vielfalt, wie es ein Genußmittel verdient – oft in sehr kleinen Auflagen aus handwerklicher Produktion, aus Manufakturbetrieben. Fairer Handel (Fairtrade) und biologischer Anbau spielen eine Rolle.

Naheliegend, dass ein so werbeintensives und emotional besetztes Produkt wie Schokolade in Social Media ein verbreitetes Thema ist. Und selbstverständlich sind die bekannten Marken, wie Ferrero, Ritter, Lindt, Milka ebenso wie die Neue Schokoszene,  so etwa Zotter oder Blyss in Social Media vertreten.
Akteure zum Thema sind Hersteller und Konsumenten, Betreiber von Online-Shops und Blogger. Schokolade ist zentrales Thema einer ganzen Reihe von Blogs, Diskussionsthema in Foren – und Teil der Online-Alltagskommunikation, etwa bei Twitter und Facebook. Einige Hersteller unterhalten Kunden- bzw. Fan-Communities. Bemerkenswert ist davon der Auftritt von Ritter Sport, der mit seinem Blog im Social Web vertreten ist – und damit auch einen beachtlichen Traffic erzeugt.

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Schokolade schüttet Endorphine aus und führt bei vermehrtem Konsum zu Karies und Übergewicht (1) – positive und negative Meinungen kann man so auf den Punkt bringen: Schokolade ist Genuß und labt die Seele – ein beachtlicher Anteil der Kommunikation entfällt auf die Themen Figur und Diäten. Schokolade gilt hier immer wieder als Synonym der Verlockung, die von einmal gefassten Grundsätzen abhält.

Markt und auch die Kommunikation zu Schokolade zeigen sich zweigeteilt: Auf der einen Seite stehen die industriellen Hersteller mit den bekannten Marken, hohen Umsätzen und einem massiven Preisdruck – auf der anderen Seite die im Social Web sehr präsente Neue Schokoladenkultur (manche sprechen auch von Gourmet- vs. Industrieschokolade). Darunter kann man Manufakturbetriebe und ihre Fans,  Blogger und einige Online-Versender zusammenfassen – Afficionados der Schokolade, die hohe Qualität und Geschmackserlebnisse anstreben. Dementsprechend groß ist die Experimentierfreude mit oft sehr ungewöhnlichen Zutaten. Herkunft und Sorte spielen eine Rolle, Bio und Fairtrade* sind meist Standard. Die deutlich höheren Preise werden akzeptiert: man ist bereit für Qualität und Genuß zu zahlen. Die Produktion von Edelschokoladen ist allerdings begrenzt: Der Anteil der Spitzensorte Criollo an der Gesamtkakaoproduktion liegt bei nur 5%.

So aktiv und in einzelnen Fällen medienwirksam die Neue Schokoladenkultur auch ist, in der Summe der Nennungen liegen die allseits bekannten Marken weiterhin vorn.  Die Kommunikation dazu findet aber andernorts statt. Es geht auch weniger um Produktwissen und Geschmackserlebnisse als um Alltagserlebnisse und Gelegenheiten des Konsums. Beiträge finden sich in weniger speziellen Foren, sehr häufig z.B. bei maedchen.de und abnehmen.com. Oft schwingen Erinnerungen mit: … weckt Erinnerung an den Riegel Sprengel-Schokolade und Sinalco-Brause an diese besonderen Fernsehabende (2)Der Markt ist sehr preissensibel: Preisdifferenzen von 85 zu 95 ct werden hier wahrgenommen und entscheiden über den Kauf – bei Discountern rücken die Preise für gängige Markenschokolade oft nahe an die 50ct Grenze.

Was macht Schokolade interessant? – Schokolade geht immer (so der Name eines Blogs) und reiht sich ein in eine Neue Genußkultur – und es gibt erhebliche Parallelen zu anderen Genußmitteln, bei denen lange Zeit ein Einheitsgeschmack auf dem Markt vorherrschte, insbesondere zu Kaffee. Begeisterte Geniesser eignen sich Fachwissen und Geschmackserfahrung an, Angebote verbreitern sich und wirken auf den Mainstream zurück – man denke etwa an die Verbreitung von Schokolade mit Chili.
Social Media bringen spezielle Interessentengruppen zusammen, ermöglichen die Kommunikation und auch den Bezug sehr ausgewählter Produkte über weite Distanzen. Schokolade in Social Media ist ein sehr ergiebiges Thema: In einem Zeitraum von drei Monaten fallen ca. 70.000 Nennungen an, die mit weiteren, spezifizierten Suchanfragen gefiltert werden können. Auf der Ebene der einzelnen Marken sind Muster klar zu erkennen. Für die Recherche diente talkwalker von Trendiction. Die automatische Sentimentanalyse spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle.
*bei besonders hochwertigen und hochpreisigen Kakaos gehen einige Hersteller davon aus, dass auch die Entlohnungen fair sind und verzichten auf eine Zertifizierung.
Die kursiv gesetzten Zitate stammen aus: 1):http://www.theobromacacao.de/forum 2): https://michelelegrand.wordpress.com

 


Fairtrade in Social Media

Fairer Handel ist eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und gegenseitigem Respekt beruht und mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel anstrebt. Durch bessere Handelsbedingungen und die Sicherung sozialer Rechte für benachteiligte Produzenten und Arbeiter leistet der Faire Handel einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Organisationen des fairen Handels (die von Verbrauchern unterstützt werden) sind aktiv damit beschäftigt, die Hersteller zu unterstützen, das Bewusstsein zu steigern und sich für Veränderungen bei den Regeln und der Ausführung des konventionellen internationalen Handels einzusetzen (übersetzt nach FINE, informeller Zusammenschluß der vier führenden FairTrade Organisationen*, 2001).

Kommunikation in den Social Media ist nicht repräsentativ, doch wird darin die Resonanz, die ein Thema in der Gesellschaft findet, deutlich. Einblicke in verbreitete Meinungen und Einstellungen sind möglich. Zu den wesentlichen Konsumtrends der letzten Jahre zählt der zum nachhaltigen Konsum mit sozialer und ökologischer Verantwortung. Gemeinsam mit Öko-Produkten steht Fairtrade dafür. Grund genug,  im Rahmen einer umfangreichen Studie eine Teilstudie in Social Media durchzuführen*. Anlaß war die Teilnahme der Stadt Bonn an der Kampagne Fairtradestadt: Wie wird das Thema Fairtrade in den Social Media aufgenommen und diskutiert?
Fairtrade hat den Nischenmarkt verlassen und ist dabei  “sich in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren” (so D. Overath, GF Transfair) . Fair gehandelte Produkte sind mittlerweile auch in Supermärkten und bei Discountern zu finden. Im Mai legte der Trägerverein Transfair die Umsatzzahlen zertifizierter Fairtrade-Produkte für das Jahr 2010 vor: Nach mehreren Jahren mit Umsatzsteigerungen von mehr als 20% in Folge, liegt der Umsatz bei 340 Mill. €, ein Wachstum gegenüber dem Vorjahr von 27%. Traditionell umsatzstärkstes Produkt ist Kaffee, hinzu kommen Schnittblumen, Kakao und Schokolade, Fußbälle, Baumwollprodukte, Früchte etc. –  mit wenigen Ausnahmen landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Social Media enthalten sehr umfangreiche und sehr unterschiedliche Informationen zum Thema Fairtrade: Hinweise auf Nachrichten und Pressemeldungen, Veranstaltungs- und Terminankündigungen, Meinungsbekundungen, PR-Hinweise zu Kampagnen und Labels, Grundsatz- und Detaildiskussionen aus Blogs und Foren – reflektierte Beiträge und ganz subjektive Bemerkungen. Die ausgewählten Beiträge können als öffentliche Kommunikation betrachtet werden – geschützte Beiträge waren nicht zugänglich. Bei der Recherche stand die Monitoring -Software von Vico Research & Consulting zur Verfügung.

Die Meinungen zu Fairtrade sind erstaunlich wenig kontrovers. Weder am Gesamtkonzept des fairen Handels selber, noch an der Umsetzung wird nennenswert Kritik geübt. Auch Zweifel an den Intentionen von Fairtrade, an Integrität und Glaubwürdigkeit der zertifizierenden Stellen werden – zumindest in dieser Auswahl – nicht genannt. Produktqualität wird selten als ein eigenständiges Thema behandelt – wird aber immer wieder positiv hervorgehoben.
Kritische Untertöne werden deutlich, wenn es um die zertifizierte Produktpalette geht, die sich im wesentlichen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse beschränkt. So taucht schnell die Frage auf, warum denn etwa für Handys und Mainboards nicht gelten solle, was bei Schokolade und Kaffee Sinn macht. Faire Arbeitsbedingungen in der Consumerelektronik sind ein Thema von wachsendem Interesse.

Fairtrade steht zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und Markenbildung. Ging es in den Ursprüngen des fairen Handels um Solidaritätsbekundungen durch einen alternativen Handel außerhalb der herrschenden Ökonomie, geht es heute um Marktchancen fair gehandelter Produkte. Einkaufsverhalten von Verbrauchern bedeutet Einfluß auf Märkte. Mit der Wahl fair gehandelter Produkte können – zumindest in begrenztem Ausmaß – soziale Standards durchgesetzt werden. Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, Fairtrade nutze mehr dem guten Gefühl, dem Seelenfrieden der Konsumenten, die sich mit fairem Einkauf auf der Seite des Guten sehen können.
Fairtrade ist aber auch Marke. Zum einen die Marke, die dem engagierten Konsumenten mit einheitlichem Logo soziale und ökologische Standards bei der Produktion garantiert – und zunehmend auch selber Teil von Markenidentitäten.
Eine relativ neue Erscheinung sind Modelabels, unter Ecodesign zusammengefasst, die sich nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit richten. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die modische Qualität herausgestellt um nachzuweisen, dass öko, fair und organic auch richtig gut aussehen kannOrganic Wear ist nun kein Schimpfwort mehr.

Naheliegend ist eine besondere Affinität zu Bio-Produkten, ebenso besteht sie zur Neuen Genußkultur – vertreten durch Slow Food, dass sich authentischen, regional verwurzelten Produkten verpflichtet sieht. So fand im April in Stuttgart die Fairtrade Messe „Fair Handeln“ zeitgleich und am selben Ort mit dem „Markt des guten Geschmacks“, veranstaltet von Slow Food Deutschland, statt. Gemeinsam ist der Bezug zur Nachhaltigkeit. Einige der fair gehandelten Produkte weisen in diese Richtung: Premium-Hochlandkaffees, ausgesuchte Schokoladen oder Olivenöl von alten Baumbeständen sprechen die Neue Genußkultur an. Fair gehandelte Produkte sind Teil eines auf nachhaltig produzierte Waren gerichteteten Konsumstils.
Nachhaltigkeit steht im zeitgenössischen Wertekanon weit oben – sich weitgehend danach zu verhalten ist sozial besonders erwünscht. Ob tatsächlich nach dem gelebt wird, was gesagt wird, ist eine andere Sache – und lässt sich auf diesem Wege nicht erkennen. Tatsache ist aber, dass diesen Werten kaum öffentlich widersprochen wird.

* Die Gesamtstudie besteht außerdem aus Umfragen in der Bevölkerung, in Handel und Gastronomie, sowie Expertengesprächen, und wurde verantwortlich durchgeführt von der Fairtrade Consulting Cooperative und der Unternehmensberatung Pharos Services, beide in Bonn ansässig, in Zusammenarbeit mit Connosco, Köln, Social Media Analyse von Klaus Janowitz – die gesamte Auswertung ist im Laufe der kommenden Monate  zu erwarten.

 

Stämme im Netz – Die tribale Metapher

Befasst man sich mit dem Thema Netnographie, stösst man bald auf eine tribale Metapher – und das gleich zweimal. Naheliegend beim Begriff Netnographie selber – zu schön ist die Geschichte der Entwicklung der ethnographischen Methode: Zuerst ist da der Forscher aus dem Kolonialzeitalter mit Tropenhelm und Kniebundhose (Bronislaw Malinowski, der Begründer der ethnographischen Feldforschung, bei den Trobriandern), der Rituale und Sinnbezüge fremder Ethnien ergründet. Später folgt die soziologische Ethnographie, die sich auf Teilkulturen der eigenen Gesellschaft richtet: beginnend mit der Street Corner Society in den 30er Jahren; als lebensweltliche Ethnographie auf besondere Szenen bzw. Milieus gerichtet, wie etwa Heimwerker, Skinheads, Sadomasochisten oder auch auf Betriebskulturen.
Von dort ist es dann nicht weit zur Netnographie, der Ethnographie im Kulturraum Internet, der allen erdenklichen Teilkulturen und Teilöffentlichkeiten eine Plattform bietet.
Eine neuere Form ist Fokussierte Ethnographie, die sich auf besondere Ausschnitte einzelner Teilkulturen konzentriert, durchgeführt meist mit audiovisueller Aufzeichnung. Sie wird häufig in der Marktforschung, bei der Produktentwicklung und zu evaluativen Zwecken eingesetzt. Es geht darum, Konsumenten oder z. B. Nutzer von Technik, in ihrem alltäglichen Kontext und in ihren Handlungsroutinen zu beobachten. Vom namensgebenden Feld des ἔθνος hat sich die Methode Ethnographie aber weit entfernt.
So verschieden die Felder sein mögen und so unterschiedlich das Forschungsinteresse, allen Spielarten sind einige methodische Grundlagen gemeinsam: Ethnographie forscht im natural setting, und nicht in einer zu Forschungszwecken konstruierten Umgebung, sie geht zumeist induktiv vor, d.h. theoretische Schlüsse werden aus dem Forschungsprozess heraus entwickelt. Teilnehmende Beobachtung ist zwar die bekannteste Methode, aber nicht zwingend, nicht-teilnehmende Beobachtung in vielen Fällen sinnvoll (mit besonderen Implikationen der Forschungsethik), grundsätzlich gilt “…the ethnographer participates, overtly or covertly, in people’s daily lives for an extended period of time, watching what happens, listening to what is said, asking questions; in fact collecting whatever data are available to throw light on the issues with which he or she is concerned.” (Atkinson & Hammersley 1983, S. 2).

Ihren zweiten Auftritt hat die tribale Metapher mit dem Konzept der Tribus Urbaines/Urban Tribes von Michel Maffesoli (Le Temps des tribus. Le déclin de l’individualisme dans les sociétés de masse. Paris, 1988). Damit waren zunächst Vergemeinschaftungen in Subkulturen abseits des Mainstream gemeint. Maffesoli verstand Punks als typisches Beispiel eines Urban Tribe. Postmoderne metropolitane Stämme werden als Netzwerke oft sehr heterogener Personen definiert, die durch eine gemeinsame Passion oder Emotion miteinander verbunden sind, es geht um die gefühlte Gemeinschaft. Im Unterschied zum traditionellen Stammesbegriff sind postmoderne Stämme nicht exklusiv: Jeder einzelne kann gleichzeitig mehreren angehören. Meist zeichnen sie sich durch eine gemeinsame Ästhetik aus. Beispiele sind Fan- und Subkulturen mit eigenen sozialen Normen und Ritualen, Lebensstilen und Loyalitäten. Insbesondere in den angelsächsischen Ländern wurden Maffesolis Thesen zum Neo-Tribalismus breit rezipiert und gelten als wichtiger Beitrag zu den Cultural Studies.
Auch ins Marketing fand das Konzept seinen Weg: Tribal Marketing zielt darauf ab, Brand Communities rund um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bilden. Grundannahme des Tribal Marketing ist es, dass postmoderne Konsumenten Produkte und Dienstleistungen bevorzugen, die sie mit anderen Menschen verbinden, zu einer Community, zu einem Tribe (vgl. Rezension zu Consumer Tribes).

So nützlich und brauchbar das Konzept der Urban Tribes erscheint, anders als der Anglizismus tribal sperrt sich zumindest der Stammesbegriff in der deutschen Sprache gegen seine Erweiterung. Ist die Stammesmetapher etwa bei (klassischen) Punks mit – damals – neuer Ästhetik und eigenen kulturellen Codes noch leicht nachvollziehbar, wird es schwieriger sie auf Fashion Victims, Nerds oder etwa FairTrade-Konsumenten anzuwenden.
Was macht die Stammesmetapher so attraktiv? Stämme sind archaisch, man versteht darunter Gesellschaften, deren Bindungen untereinander auf gemeinsame Abstammung, zumindest aber auf kulturelle Rituale, Mythologien und Initiationen gegründet sind. Es sind vormoderne oder vorstaatliche Gesellschaften, die auf direkten sozialen Beziehungen beruhen und nur indirekt staatlicher Kontrolle unterworfen sind – höchstens noch bei einigen indigenen Völkern zu finden und oftmals Objekte von Romantisierung. Realiter kaum noch zu finden, weckt sie Bedürfnisse nach Authentizität und gefühlter Gemeinschaft. Wendet man Urban Tribes auf zeitgenössische Vergemeinschaftungen im Internet an, gelangt man zu dem, was bereits Marshall McLuhan Clusters of Affiliation nannte. Eine griffigere Bezeichnung dazu ist noch vakant.

Social Media Netnography

Immer wieder taucht die Frage auf, was den Unterschied zwischen Netnographie und Social Media (bzw. Web-) Monitoring ausmacht. Es sind keine Methoden und Konzepte, die in Konkurrenz zueinander stehen, sondern Forschungsansätze, die unterschiedlichen Bereichen entstammen, sich in der Forschungspraxis im Social Web aber nahe kommen und gelegentlich überschneiden.
Netnographie entstammt der Ethnographie (an anderer Stelle ausführlich erläutert), Social Media Monitoring dem Kommunikationsmanagement, speziell der Medienresonanzanalyse. Deren Aufgabe ist die Evaluation der Kommunikationsziele einer Organisation, ein auf möglichst breiter Basis erstelltes Meinungsprofil und das Erkennen von Trends – im wesentlichen soll die Entwicklung der öffentlichen Meinung rechtzeitig erkannt werden.

Dem entsprechen die für das (Web-) Monitoring vorgebrachten Argumente: Meinungsbildung zu Produkten und Dienstleistungen findet mehr und mehr im Internet statt, Trends verbreiten sich über das word of mouse – für Unternehmen und Verbände wird es unerlässlich zuzuhören, was dort über sie gesprochen wird. Richtet sich die herkömmliche Medienresonanzanalyse im wesentlichen auf Presse und audiovisuelle Medien, wird im Social Media Monitoring die öffentliche digitale Kommunikation in Foren, Blogs, Bewertungsportalen und anderen Kanälen systematisch beobachtet. In diesem Sinne wird Monitoring oft als ein Frühwarnsystem zu möglichen Krisen verstanden oder – positiv formuliert – als erster Schritt eines Social Media Managements, das Zugang zu Feedback, Ideen und Anregungen durch Interaktion mit Nutzern gewährt.
Technische Grundlage des Monitorings sind Screeningtechnologien, die das Netz nach vorab definierten Inhalten durchsuchen. Die für relevant erachteten Quellen werden beobachtet – sie sind das Feld des Monitoring: listen, measure and engage in social media (Radian6). Mittlerweile sind mehr und mehr Anbieter auf den Markt, die marktgängige professionelle Software  (z.B. Radian6, Alterian SM2; allerdings bereiten unzulängliche deutsche Lokalisierungen oft Probleme) oder aber spezialisierte Eigenentwicklungen einsetzen. Eine wesentliche Frage ist immer die passende Balance zwischen automatisierten und manuellen Lösungen.

Netnographie ist kulturell focussiert, Online-Kommunikation nicht blosser Content, sondern Teil sozialer Interaktion. Ausgangspunkt des Ansatzes waren Themenstellungen, wie sie auch in den Cultural Studies vorkommen: (Medien-) Fan-Communities (z.B. Star Trek, Soap Operas) oder Communities, die sich innovativ mit Konsumgütern wie etwa Kaffee oder Schokolade befassen, Brand bzw. Consumer Tribes – oft Gegenstand teilnehmender Beobachtung, d.h. einer aktiven Beteiligung des Forschers. Teilnehmende Beobachtung ist aber nicht zwingend, Netnographie ist ‘based primarily on the observation of textual discourse‘ (vgl.:Kozinets 2002, S. 64).
Netnographie in Social Media macht sich dieselben Technologien zu nutze wie sie auch beim Monitoring verwendet werden, gut erkennbar auf der von NetBase, einem Anbieter von Social Media Analyse Software, gesponsorten Plattform netnography.com. Als Quelldaten dient User Generated Content aus Foren, Blogs und Microblogs, der umfangreichen qualitativen Analysen unterzogen wird. Es geht darum, die Ausssagen in ihrem Kontext zu verstehen.

Antworten bekommen, ohne Fragen zu stellen: Unter dem griffigen Titel Getting answers without asking questions stellt die belgische Marketingagentur InSites Consulting (Gent)  Social Media Netnography vor. Social Media Netnography basiert auf nicht-teilnehmender Beobachtung, der Forscher greift nicht ein – er stellt keine Fragen und bleibt zumeist anonym und unbemerkt. Der Ablauf orientiert sich weitgehend an den bei Kozinets definierten Standards von Netnographie. Es beginnt mit der Auswahl zu beobachtender Quellen, als Werkzeug ist Screening-Software sehr nützlich. Die wesentlichen Schritte erfolgen allerdings manuell, nicht automatisiert. Charakteristisch ist ein induktiver (oder auch bottom up genannter) Zugang zum Material. Das bedeutet: Ausgangspunkt ist das vorgefundene und ausgewählte Material, nicht eine vorab formulierte Hypothese, die bestätigt oder widerlegt werden kann. Der Forscher „hört zu“ – ohne Fragen zu stellen und bezieht daraus Information und Wissen, Einstufungen (wie etwa Tonalitätsanalysen) erfolgen manuell. Die großen Linien, die entscheidenden Themen entwickeln sich bei Sichtung und Kategorisierung der Textbeiträge. Auswertung und Analyse orientieren sich an den Konzepten der in der qualitativen Forschung verbreiteten Grounded Theory mit qualitativer Datenanalyse, meist mit Hilfe von QDA-Software. (vgl.: Verhaeghe & Van den Berge: http://bit.ly/2YtODs)

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