Vegan – eine (kleine) Netnographie

14/07/15 kmjan
Die Sorge um richtige Ernährung treibt viele Menschen um. Es geht nicht nur um Genuß und Gesundheit + finanzieller Erwägungen, Werthaltungen spielen eine Rolle. Zwei davon lassen sich hervorheben: Prinzipien der Nachhaltigkeit und vegane Lebensweise. In weiten Teilen überschneiden sie sich, bei beiden spielt das Unbehagen an industrieller Landwirtschaft und insbes. Massentierhaltung eine Rolle. In entscheidenden Punkten stehen sie sich aber entgegen. Steht bei den Werten der Nachhaltigkeit, wie sie etwa von Slow Food vertreten werden, die Frage “Unter welchen ökologischen und sozialen Bedingungen und in welcher handwerklichen Qualität wird produziert und welche Auswirkungen hat das lokal und global?“¹ im Vordergrund, geht es bei der veganen Lebensweise um die vollständige Vermeidung von Produkten tierischer Herkunft, bis hin zu Wolle, Daunen und Honig. Es geht um moralische Gründe, Tierleid zu vermeiden und es ist jeweils eine persönliche Entscheidung, seine Lebensweise daran anzupassen. Die Tierrechtsorganisation PETA beansprucht eine Meinungsführerschaft. Wie weitgehend deren “antispeziezistische ²” Positionen geteilt werden, kann aber nicht gesagt werden.

Online-Kommunikation zu “Vegan" im Juni 2015
Online-Kommunikation zu “Vegan” im Juni 2015

Wir haben über einen Monat (Juni 2015) die Online-Kommunikation zum Thema Vegan  beobachtet, dabei stand die aktuelle Version der Monitoringsoftware Radarly von linkfluence zur Verfügung. Wie erwartet ist das Thema Vegan im SocialWeb überaus präsent. Das beginnt mit den zahllosen mit #vegan versehenen Bildern auf instagram (insges. sind es 14 Mill.- weltweit und seitdem instagram besteht). Facebook dient der Gruppenkommunikation und wird genau wie Twitter häufig für Linkverweise oder als Container für Bilder oder Videos genutzt. Youtube bietet den einzelnen Online- Akteuren die wohl besten Möglichkeiten und steht für Videoblogs mit Produkttests, Koch-  und Backrezepten, aber auch Meinungsbeiträgen, Video-Tagebüchern und einigen handwerklich gutgemachten Dokumentationen. Kernstück des veganen Netzes bilden einige Websites, Blogs und Foren. In den entsprechenden Foren geht es um alle Fragen veganer Lebensführung bzw. den Weg dorthin, die Kommunikation bleibt unter Gleichgesinnten. Es sind v.a. Fragen zur Ernährung und der Ernährungsumstellung, aber auch des Umgangs mit der omnivoren (alles essenden)  Umgebung. Auffallend ist u.a. die grössere Zahl von Beiträgen zu Kosmetik als zur Bekleidung.
Eine steigende Zahl von Verbrauchern sieht keine andere Möglichkeit mehr, Tiere zu schützen, als auf tierische Produkte zu verzichten und sich vegan zu ernähren”³. Die Entscheidung dazu bedeutet eine klare Kante mit eindeutigen Regeln. In den letzten Jahren hat sie sich verbreitet und damit steigt das öffentliche Interesse. So taucht auch mehrfach die Formulierung “im Mainstream angekommen” auf. Man kann zwar noch von einer veganen Szene sprechen, sie zeigt sich aber in unterschiedlichen Umgebungen und erstreckt sich über mehrere Milieus. Vegan steht im Umfeld klassisch grüner Themen von Klimaschutz bis Urban Gardening, von Lifestyle & Fashion, es gibt Sparversionen (wie kann ich günstig vegan leben?) und den graswurzelanarchistischen Slogan “Kein Gott- kein Staat – kein Fleischsalat”. Vegan ist aber vor allem weiblich: in den meisten Studien wird ein Frauenanteil von 75 – 80% genannt.

Veganes Warenangebot: Ersatzprodukte
Veganes Warenangebot: Sojaprodukte

Kritik und Auseinandersetzungen zur veganen Lebensweise finden sowohl auf sachlicher wie  auf polemischer und manchmal auch aggressiver Ebene statt. Massentierhaltung ist dabei kaum ein Thema, deren Ablehnung ist hier Konsens – in der Diskussion gibt es niemanden der sie befürwortet. Angriffspunkte sind eher Landwirtschaftsbereiche mit höherer Akzeptanz, wie Milchwirtschaft und zertifizierte Bio- Fleischproduktion. Auf der anderen Seite gibt es Argumente für eine nachhaltigere Landwirtschaft, in der Weidewirtschaft bestimmte Ressourcen besser nutzt. Zudem ist die Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel nicht per se nachhaltig.
Kritik gibt es am radikalen Tierschutz und Aktionismus, wie er von PETA praktiziert wird. Derzeit führt PETA den Contest “Germany’s Sexiest Vegan 2015″ durch. In der Sprache fällt oft eine ausgeprägte Vermenschlichung von Tieren (so ist beim Fleisch von Mord und Leichenteilen auf dem Teller die Rede), im weiteren ein oft belehrender Ton auf. Darauf beziehen sich antivegane Affekte, wie sie in einigen anti-vegan Blogs zum Ausdruck kommen. Zusammenfassen kann man sie mit dem – erkennbar an Gentrifizierung angelehnten – etwas hämischen – Begriff   Bambifizierung. “Man könnte wohl leichter mit dem Veganismus umgehen, wenn die Leute die so leben wollen ihre missionarische Seite ablegen würden”.

Veganes Warenangebot: Convenience Food
Veganes Warenangebot: Convenience Food

Nachfrage erzeugt Angebote: In der Beobachtungszeit war z.B. die (meist als gelungen bewertete) vegane Wurstvariante von Rügenwalder Mühle ThemaDas Angebot veganer Produkte hat sich grundsätzlich verbreitert, nicht nur bei Ersatzprodukten, und es wird auch von Nicht- Veganern angenommen. Vegane Nachfrage ist aber auch Innovationstreiber: so bei der Entwicklung neuer Produkte aus Recyclingmaterialien.

Das Themenfeld Vegan im Netz berührt eine ganze Reihe von Aspekten: es geht um Ethik, Ernährung, Konsum und Marktangebot, Vergemeinschaftung und Lebensstile, um die Zukunft der Landwirtschaft. 
Das Essen ist Teil des persönlichen Lebensstils geworden, der öffentlich kommuniziert wird, wie Kleidung, Reisen oder Musikgeschmack. Veganes Essen reiht sich hier ein in eine Vielfalt von Stilen und steht neben den diversen Genuß- Szenen (Foodies), die es zu Kaffee und Schokolade, zu Craft Beer, aber auch im ambitionierten Fleischgenuß (z.B. Dry Aged Beef) gibt. Essens Stile und Genußkulturen werden im Netz und bei Events (man denke an Street Food Festivals) inszeniert. So ist etwa instagram ein gigantisches öffentliches Fotoalbum der zeitgenössischen Esskultur. Der althergebrachte Gegensatz Mainstream vs Subkulturen hat sich überholt.
Netnographie ist eine Methode, die qualitative Forschung auf die öffentliche Online- Kommunikation anwendet. Im Gegensatz zu Big Data, das sich auf die statistische Auswertung großer Datenmengen stützt, werden hier ausgewählte (entsprechend einer Fragestellung) Inhalte auf die ihnen innewohnenden Bezüge mit Hilfe qualitativer Datenanalyse untersucht: Small Data. Radarly ist ein sehr geeignetes Werkzeug, die geeigneten Quellen zu erschließen. Die Software ermöglicht die Auswahl von Quellen in festgelegten Zeitabständen nach Stichwörtern und selbst definierten Queries (Abfragen).

¹: http://www.slowfood.de/w/files/magazin/sf_0413_gesellschaft.pdf   ²Antispeziezismus: wendet sich gegen Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Art.  ³: s. http://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Image-der-Landwirtschaft-traegt-zu-steigender-Zahl-an-Veganern-bei-1799704.html   



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