Web3 – war es das?

Token- Economy – Monetarisierung von Inhalten und Identität

Web3 und Metaverse wurden immer wieder in einem Zuge als Zukunftstechnologien, als neue Stufen der digitalen  Evolution genannt  – ansonsten sind es zwei voneinander unabhängige Entwürfe. Sie bedingen einander nicht. Beide sind aber mit wirkmächtigen  Narrativen  verknüpft, die  ihre Popularität stütz(t)en.

Web3 ist der Dachbegriff zu Technologien, die auf der Blockchain beruhen: DAOs, NFTs, Kryptowährungen, Smart Contracts, Proof of Work etc. Die Blockchain ist die dezentrale, öffentliche Datenbank, sie macht jede Transaktion transparent und damit nachvollziehbar. Jede meint wirklich jede-  bis auf die Ebene von Postings. Transaktionen können nicht verändert werden.
Dem eigenen Narrativ des Web3 nach, geht es um Dezentralisierung, darum, wer das Internet der Zukunft kontrolliert –  versprochen wird eine Demokratisierung und die Ablösung der Dominanz der Plattformbetreiber. Im Web3 tauschen Nutzer ihre Daten über dezentralisierte, blockchain-basierte Netzwerke aus, ohne auf Dritte zurückzugreifen.
Web3 führt in eine Welt der Token-Economy, in der Blockchain-gestützte, dezentrale Anwendungen das direkte Eigentum der Nutzer und die Monetarisierung von Identität und Inhalten durch Token ermöglichen. Token ermöglichen es aktiven Teilnehmern und Urhebern, ohne zwischengeschaltete Plattformen wirtschaftlich von Webaktivitäten zu profitieren. Diese Tokens sind  fungible assets, also nicht- unterscheidbare/ austauschbare Werte wie crypto und stablecoins, oder NFT/ Nonfungible Tokens **. Protagonisten von Web3 argumentieren, dass Web3 das Internet demokratischer, freier, dezentraler, zensurresistenter mache.

Web1, 2 u.3 – aus: Voshmgir – Token Economy 12/2020 S. 34

Autorin Shermin Voshmgir bezeichnet ihr Buch Token Economy selber als Primer to the Web3 mit dem Anspruch Wissen zu Web3 und Blockchain für ein breites Publikum verständlich zu systematisieren. Web3 erscheint hier als logisch konsequente Folgeversion von Web1 und Web2. Web2 ermöglicht PtoP- Interaktionen, die aber über Plattformen vermittelt werden. Erst Web3 ermöglicht demnach den Datenaustausch ohne Intermediäre.
Das Buch lässt sich geradezu als Nachschlagewerk oder auch erklärende Gebrauchsanweisung nutzen und hält das Versprechen einer  verständlichen Systematisierung ein. Web3 wird als wohldurchdachtes, in sich stimmiges Konzept einer globalen Infrastruktur, das aber erst einmal verstanden werden muss, beschrieben. Im wesentlichen die technischen Details, aber auch weitergehende sozio- ökonomische Bezüge wie die (angenommene) Zukunft von Geld- und Finanzwirtschaft. Zu einer Reihe von Themen gibt es  Infographiken, so zum Governance Feedback Loop (163) – der sozialen Steuerung der System-Regeln und zum  Identitätsmanagement  (103). Welchen Sinn,  welche Nebenwirkungen, welchen gesellschaftlichen Vorteil eine tokenbasierte Ökonomie haben soll, wird über Dezentralität hinaus nicht weiter thematisiert. 

Die Kritik an Web3 richtete sich zunächst v.a. auf den immensen Energieverbrauch beim Schürfen  von Bitcoins – in der Grössenordnung  von  Volkswirtschaften wie etwa Argentinien oder der Niederlande. Wie ist eine solche Ressourcenverschwendung in Zeiten von CO2- bedingtem Klimawandel zu rechtfertigen?
Web3 hat technologische Grundlagen und Grundannahmen (so die Blockchain), ist aber ebenso ideeller Begriff für eine Reihe von  Visionen, Ideologien und Zielen (vgl. Geuter, 22). Mittlerweile hat sich die Kritik verschärft und richtet sich auf Web3 als Ganzes.  Wesentliches Pro- Argument der Web3- Verfechter war immer die dezentrale Organisation – im Gegensatz zu dem von grossen Konzernen beherrschten Web2. 
Rhetorik und Wirklichkeit von Web3 fallen der Kritik nach weit auseinander: Nicht dezentrale Machtverteilung, sondern ein umfassender Einfluss von Investoren bestimmt nach Ansicht von Kritikern Web3. Die Resistenz gegenüber Zensur ist in Wahrheit eine gegenüber Regulierungsauflagen. Geschäfts- und Governance-Prozesse sollten keinesfalls auf eine Plattform ausgelagert werden, die dafür gebaut ist, staatliche Regulierung zu unterlaufen.
Web3 ist derzeit eine Welt ausserhalb von Kontrollsystemen, ein tendenziell staatsfreier Raum in die Nähe libertärer Ideologien. Libertär bedeutete einst einen radikal- heroischen Bruch mit gesellschaftlichen Zwängen, heute wird damit (u.a.) die schrankenlose, anarcho- kapitalistische  Selbstentfaltung hinter einer Rhetorik von Freiheitlichkeit verbunden, die Oligarchien begünstigt. Web3 ist ein Web des Eigentums: Jedes Objekt gehört irgendwem, jedes Objekt kann getauscht und gehandelt werden. Jedes denkbare menschliche Bedürfnis wird wirtschaftlich erschlossen, um dann an den finanziellen Transaktionen – den Bezahlungen dieser Leistungen – beteiligt zu werden (J. Geuter, 2022; M. Engeler, 2022)

Jürgen Geuter, Informatiker und Blogger, hat die Kritik in scharfer Form in dem unbedingt empfehlenswerten Text Das dritte Web (2/22) zusammengefasst – der einer vollkommenen Entzauberung nahekommt: auf technischer Ebene zur (begrenzten) Problemlösungsfähigkeit der Blockchain, dem Wert von NFTs;  mehr aber noch auf der politischen Ebene – kurz zusammengefasst Web3 als einen antipolitischen Raum zur Kapitalakkumulation. Letztendlich gehe es um die vollständige Finanzialisierung und Entpolitisierung unseres Lebens, ohne Rücksicht auf die ökologischen Konsequenzen.
Die Schärfe der Kritik ist nicht auf Geuter begrenzt und ist international. Bekannt wurde seine Kritik v.a. durch Auftritte bei der re: publica 2022 und der öffentlichen Anhörung  “Web 3.0 und Metaverse”im Digitalausschuss des Bundestages. In der Wortwahl der Kritik wird an nichts gespart: Das Web3 ist ein moralisch abgrundtief widerliches Projekt –  Die angedachten Bestandteile des Web3 sind in ihrer heutigen Form fundamental kaputt. Sie bringen nur ohnehin schon wohlhabenden Menschen Wohlstand.   Und:  völlig überhyped. Es ist das Internet, das es zu verhindern gilt – meint Patrick Beuth im Spiegel.

Link auf yt: Interview Gunnar Sohn mit Jürgen Geuter al. @tante – Min. 2.00 – 11.00

Im (über das Bild li.) verlinkten Interview mit Gunnar Sohn nimmt Jürgen Geuter /@tante Stellung zu den Motivationshaltungen der Befürworter,  dazu Meinungen zu deren vermutetem Phänotypus.  Die massive Kritik hat sich bisher in einigen  Fällen durchgesetzt, so in der Anhörung im Digitalausschuss. Und sicher spielt der spekulative Absturz der Kryptowährungen eine Rolle. Es bedeutet nicht, dass das Thema Web3 damit vom Tisch ist, zwar heruntergefahren, aber weiterhin Thema von Workshops, Seminaren, Projekten und es gibt eine Anhängerschaft.

Man kann die Diskussionen um Web3, um das Metaverse, auch die um KI/AI als Teile der Diskurse, der Positionierungen zu einem Next Level  des Internet verstehen. Es geht um die Positionierung bzw. das narrative framing ausgewählter  Zukunftsszenarios als einer jeweils folgerichtigen und wünschenswerten- zumeist von Investoren vorgezeichneten Infrastruktur. Es sind Hype- getriebene Märkte mit dem Impetus, aufzuspringen, um die Rallye nicht zu verpassen.  All diesen – technisch getriebenen – Zukunftsvisionen ist gemeinsam, dass sie für eine akzeptable  Performance kaum einschätzbare Anforderungen an Energie haben.
Web2 begann als Web 2.0 mit einem verbreiteten basisdemokratischen Enthusiasmus – und wurde nach und nach von den  plattformbetreibenden  GAFAM- Unternehmen dominiert. Etwas davon fehlt heute.

 

Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Das Dritte Web  21 S. Antworten zur Öffentlichen Anhörung “Web 3.0 und Metaverse” am Mittwoch, 14.12.2022 –  S02E34 – zu Crypto-Imaginaries und alternativen technologischen Infrastrukturen  in: Jan Groos: Future HistoriesDer Podcast zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft  Gunnar Sohn: Interview mit Jürgen Geuter 10/22 Shermin Voshmgir: Token Economy. Wie das Web3 das Internet revolutioniert. Berlin 12/2020, 397 S.  Malte Engeler: Web3  – Ein vergiftetes Versprechen. Netzpolitik.org, 2/22  Podcast – Irgendwas mit Recht: Recht und Digitale Gesellschaft 7/22 .  —  **Web3 Opens New Paths to Customer Loyalty – Boston Consulting Group, Kanada, 1/23  Bernard Murr. The Top 5 Trends in 2023. Forbes Digital Assets 10/22.  Polina Khubbeeva: Kryptowährungen und Blockchain. Die grosse Ernüchterung. Netzpolitik.org 2/23

 



Chat GPT und der Kitty Hawk Moment von KI

Stufen von Hypes & Trends. Mediacamp NRW 2023 (erscheint nach Klick in voller Grösse) Graphik: Johannes Meyer

Was ist kurzfristiger Hype, was langfristiger Trend? Besonders zum Jahresbeginn immer wieder Thema- so auch auf dem Media Camp NRW in Duisburg (1/23).
Vor zwei Jahren startete die Live- Talk App Clubhouse mit einem grandiosen Hype. Im ganz besonders tristen Corona- Januar 2021 machte sie ein Fenster auf in eine schmerzhaft vermisste Öffentlichkeit.  Die fand sich zusammen und tagte ein, zwei Wochen lang fast ununterbrochen, wie um das Lagerfeuer herum – mit auffallend reger Beteiligung von Politikern, Keynote- Speakern und Comedians. Bald danach versandete Clubhouse dann aber immer mehr in der Bedeutungslosigkeit.
Der Hype lässt sich mit dem Zeitpunkt, aber auch Vorzügen wie einfacher Bedienbarkeit etc. erklären – aber wie der freie Fall danach? Dass ein Hype abflacht liegt in der Natur der Dinge, es bleiben dauerhaft nutzbare Möglichkeiten.

Auch KI, künstliche Intelligenz, kannte eine ganze Reihe von Hypes mit nachfolgendem Absturz, man spricht sogar von den KI-Wintern, in denen das allgemeine Interesse, öffentliche und private Förderung, Investitionen und StartUp- Finanzierungen zurückgingen. Nach anderer Zählweise erleben wir heute den dritten KI- Frühling.
Im Winter 2022/23 ist unbezweifelt Chat GPT der Hype – und durchgehend  Thema zahlloser Artikel, Podcasts, Diskussionen, Zoom- Konferenzen etc., es steigert sich fast von Tag zu Tag. Hype und Zeitpunkt sind eine Parallele zu Clubhouse, ansonsten ist Chat GPT  weit mehr als das. Der brandeins- Autor Thomas Ramge** hatte 2018 das Bild des  Kitty Hawk Moment* für den entscheidenden Durchbruch einer Branche eingebracht – und  für  KI bzw. AI/ Artificial Intelligence  damals Autopiloten, Gesichtserkennung angenommen.

Kitty Hawk: wenn eine Technologie abhebt Bild: History in HD. unsplash.com

Kitty Hawk ist der Ort im amerikan. Bundesstaat North Carolina, wo den Gebr. Wright im Jahre 1903 der Durchbruch im Motorflug gelang. Immer wieder hatten sie ihn angekündigt und immer wieder waren sie gescheitert.  Dann passte es auf einmal und der Flug gelang.  Davon stammt das Bild:  Die Technologie hebt ab und plötzlich klappt, was vor wenigen Jahren noch eine grossprecherische Behauptung war (Ramge, 2018, 7).  ChatGPT drückt es so aus: den Moment, an dem eine Technologie einen entscheidenden Durchbruch erreicht und von da an nicht mehr aufzuhalten ist.

Welchen Stand von Entwicklung und Resonanz man nun als Durchbruch der KI ansieht, ist Ansichtssache – aber noch niemals stand KI so sehr im öffentlichen Interesse, so sehr in der Diskussion über Möglichkeiten und Folgen – und wird so schnell nicht wieder daraus verschwinden. Chat GPT wird als der Moment in Erinnerung bleiben, an dem KI in den Alltag eintrat – vor allem auch deshalb, da es sich an eine unbegrenzte Öffentlichkeit wendet.  Millionen von Menschen testen Chat GPT weltweit auf seine Möglichkeiten – was den Server auch immer wieder in die Knie zwingt: at capacity right now.
Der Gebrauch von Chat GPT ist durch den dialogischen Zugang (Chat) bestimmt, GPT steht für Generative Pre-trained Transformer – die Ergebnisse sind so gut, wie der Zugang bedient wird, Qualität und Relevanz hängen davon ab. ChatGPT kann auch Unsinn schreiben, wenn es keine klare Anfrage oder keine klare Vorgabe für eine Antwort gibt. Es ist jedoch trainiert, um möglichst relevante und sinnvolle Antworten zu liefern, indem es auf seine Datenbank aus dem Internet zurückgreift.
Chat GPT lässt sich vielseitig verwenden und das eben auch ausserhalb professioneller Umfelder: als Lexikon, zur schnellen Abfrage von Wissen aus dem worldwideweb, zur Automatisierung von Routinen. Dabei so gut wie immer in sprachlich akzeptabler Form. Auf Englisch ist Chat GPT noch besser trainiert und erreicht eine höhere Genauigkeit und Effizienz.
Wo Sprache unterschiedlich akzentuieren, wo sie aus einem gleichförmigen Rhythmus heraustreten soll, ist der Aufwand für die Bearbeitung von Anfragen dann wieder so gross, dass es sich wenig lohnt. Die Sprachausgabe von Chat GPT bewegt sich dann doch an dem Sprachstandard, an dem sie trainiert und definiert wurde – man kann sagen an einem  Median des Mainstreams.

Beispiele, in denen Chat GPT wohl jetzt schon disruptiv wirkt, kommen schnell zusammen:  ein Wunschtraum so vieler Schülergenerationen ist eingetreten – ChatGPT kann eingesetzt werden, nicht nur um Fragen zu beantworten und Wissen zu erschliessen, zumindest die gängigen Formate von Hausaufgaben können in aller Schnelle erledigt werden – mehr Freizeit für Schüler. Die Nutzung lässt sich zwar vermuten, nachweisbar ist sie nicht. Aus Chat GPT lässt sich genauso beliebig Text herauskopieren, evtl. abändern, wie aus anderen Textdokumenten.
Das kann sich fortsetzen in Referate, wie sie in Proseminaren üblich sind, wo ein jeweils in sich abgeschlossenes Thema vorgestellt wird. Ein Test zur Systemtheorie nach Niklas Luhmann brachte durchaus brauchbare Ergebnisse. Wo allerdings eigene Standpunkte ausgearbeitet und begründet werden sollen, wird es schwieriger. Immerhin nimmt Chat GPT die Angst vor dem leeren Blatt.
Dann sind es die vielen, spachlich eher einfacheren Texte,  die nach Standards geschrieben werden müssen,   in Agenturen, in der Kundenkommunikation, ob  journalistisch oder nicht. Ganz besonders scheint es auch für juristische Texte mit ihrer streng formalisierten Sprache zu gelten.

Chat GPT meint dazu selber: ChatGPT wird in verschiedenen Branchen schnell verbreitet, darunter Kundenservice, E-Commerce, Bildung, Finanzen und Healthcare. Es wird verwendet, um automatisierte Gespräche und Interaktionen mit Kunden oder Benutzern zu ermöglichen, die Zeit und Ressourcen sparen und gleichzeitig eine personalisierte und effiziente Erfahrung bieten. Und auch: ChatGPT kann einfache Verträge und Vertragsklauseln entwerfen oder auch Urteile oder juristische Fundstellen aus Kommentaren zusammenfassen (s. auch  legal-tech.de)

Ein weiterer Punkt: Seit der Jahrtausendwende wurde der Zugang zum Wissen im Netz zum grössten Teil über Google gewährt. Google hatte damals mit einer minimalistischen Suche die aufwändig gestalteten hierarchischen Portale, wie Lycos, Altavista, etc. abgelöst. SEO/ Suchmaschinenoptimierung war seitdem fast immer gleichbedeutend mit Optimierung für die Google- Suche.
Jetzt wackelt die Dominanz  – neben die  Suchabfrage von Google tritt das Dialogsystem von ChatGPT – es geht um nichts anders als  den Interest Graph (vgl. Die Macht der Plattformen), d.h. Google kennt unsere Suchanfragen, und weiss daher  was uns interessiert – diesen Interest Graph macht ihm nun ChatGPT streitig. Kein Wunder, das Google mit Bard schnell nachlegt.

** Thomas Ramge, 2018: Der Kitty Hawk Moment – warum jetzt alles ganz schnell gehen wird. – In: Mensch und Maschine. Wie künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern  S. 7 – 11  Reclam Verlag, Stuttgart 2018.. 6 € . Tom Braegelmann: Ist der neue Chatbot/Text-Generator ChatGPT für den deutschen Rechtsmarkt relevant? – Sundar Pichai: Ein wichtiger nächster Schritt auf unserer KI-Reise 2/23.



2023 – Was geht voran?

»Zeitenwende«  wurde zum Wort des Jahres 2022 – das Kanzlerwort bezog sich auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den Bruch der bestehenden Friedensordnung. Im weiteren auf dessen Folgen und Konsequenzen: Energiekrise und Inflation, aber auch eine Neuausrichtung der deutschen Wirtschafts- und Energiepolitik.
In den Vorjahren hatte Corona fast alles andere überschattet. Corona ist  zwar nicht  vorbei, aber in Folge der Impfkampagnen entschärft.  Dennoch bleiben die Spuren und Erfahrungen. Klima- und andere Umweltkrisen waren nicht unterbrochen, sind aber 2022 wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein gestossen.
So stehen zum Jahreswechsel 2022/23 Krisen im Vordergrund. Krisen, die nicht abstrakt im Hintergrund stehen, sondern auf individueller wie kollektiver Ebene erfahren werden – man spricht von multiplen Krisen, auch eine neue Wortschöpfung tritt auf: Stapelkrise.

Die Krisen trafen auf eine vielfach durchgetaktete und optimierte digitale Consumer Culture. So durchgetaktet, dass sich selbst kleinere Störungen in Lieferketten schnell bemerkbar machen. Jedenfalls ist die Welt eine andere, als sie es vor etwa drei Jahren war. Krise bedeutet die Abwesenheit stabiler Zustände, die kommenden Jahre scheinen wenig klar – eine Gelegenheit für einen  Blick zurück und nach vorn: Welche Zeit geht zuende und was treibt eine neue an?

Plattform nach dem Social Graph Bild: mburpee/flickr.com

Im Blick zurück war das vorhergehende Jahrzehnt, nicht ganz exakt die 10er Jahre,  geprägt von der rasanten Verbreitung des mobilen Internet, von Social Media, der Landnahme der GAFAM-Konzerne und der Verbreitung einer digitalen Consumer Culture.
Landnahme bedeutet die Einnahme von oft  bereits bestehenden Beziehungsnetzwerken bzw. Interaktionszusammenhängen entlang sozialer Graphen durch  Plattformunternehmen. Zusammenhänge, die bereits bestanden, denen bis dahin aber wenig Bedeutung zukam (mehr dazu, vgl. Seemann:  Die Macht der Plattformen). Der wesentlichste Kritikpunkt ist die umfangreiche Sammlung persönlicher Daten durch Plattformunternehmen.
SmartPhone und mobiles Netz verbreiteten sich so schnell und in solcher Breite, wie selten eine Technologie zuvor – und das weltweit.   Sie bündelten Funktionen, die bereits vorhanden waren: Telephonie, Internet, Fotografie & Video, Tracking etc. Social Media gaben den Raum für performative Selbstentfaltung – ein Merkmal der Spätmoderne.
Mittlerweile gibt es Social Media schon mehr als ein Jahrzehnt – Facebook hat sich umbenannt, Twitter gerät ins Trudeln. Geht ihre Zeit  und mit ihnen auch die der Mega – CEOs, den Superstars aus der digitalen Wirtschaft, vorüber? Instagram und LinkedIn stehen allerdings in ihrer Blüte, will man unsere Gegenwart beschreiben, kann man gleich dort  anfangen.
Machen nun neue Technologien den Trend – oder wird Digitalisierung von der  treibenden zur dienenden Technik? Jede technologische Entscheidung hat entsprechende, oft weitreichende Veränderungen zu Folge.

Metaverse und Web3  werden oft in einem Zug als Zukunftstechnologien, als neue Stufen der digitalen  Evolution genannt, so waren sie auch gemeinsam Gegenstand einer Anhörung im Bundestag am 14.12. Ansonsten sind es zwei völlig voneinander unabhängige Entwürfe. Beide sind zudem mit wirkmächtigen Erzählungen/ Narrativen verknüpft, die ihre Popularität stützen. Der Hype ums Metaverse (mehrfach Thema im Blog) währt nun etwas mehr als ein Jahr – ausgelöst mit der Umbenennung von Facebook zu Meta.
Matthew Ball, Protagonist und Investor, hat vor einigen Monaten ein Standardwerk vorgelegt, das sich als Guide zum Thema nutzen lässt,  incl. allgemein akzeptierter Definitionen. Finale Vorstellung bleibt ein zusammenwachsender Raum aus virtueller und physischer Realität – im besten Falle ein Collective Virtual Open Space – ein solcher Raum würde tatsächlich Revoluzionize Everything (Ball). Es könnte vieles sein, von einem gigantischen Disneyland zum Common Meeting Ground einer Weltgesellschaft.
Für jeden, der sich neu mit dem Thema befasst, ist es zunächst verwirrend, dass so intensiv über etwas diskutiert wird, was es (noch) nicht gibt. In der Diskussion wird Metaverse oft mit XR/Extended Reality zusammengeworfen. Nicht ganz falsch, immerhin ist es die Technologie, die ein Metaverse erst ermöglicht. Immersive Techniken (Oberbegriff zu AR/VR/Mixed Reality) sind eine aufstrebende Branche, die immer mehr Anwendungsfelder findet. 

Web3 – nicht zu verwechseln mit Web 3.0, dem semantischen Web,  basiert auf der Blockchain- Technologie, einem gemeinsam geführten Register für die Aufzeichnung von Transaktionen. Web3 ist verbunden mit  Kryptowährungen, Smart Contracts und NFTs (non-fungible tokens/ virtuelle Originale).  Wesentliches Pro- Argument war immer die dezentrale Orgnisation, im Gegensatz zu dem von grossen Konzernen beherrschten Web2.
Kritik richtete sich v.a. auf den überdimensionalen Energieverbrauch. In der Anhörung fiel die Kritik noch stärker – harsch bis vernichtend – aus: Als unregulierte Finanzprodukte  seien Kryptowährungen v.a.  zur Steuerhinterziehung und den Handel mit illegalen Waren geeignet.  Protagonisten von Web3 argumentieren, dass Web3 das Internet demokratischer, freier, dezentraler, zensurresistenter mache. Mit Zensur seien v.a. Regulierungsauflagen gemeint. Geschäfts- und Governance-Prozesse könnten keinesfalls auf eine Plattform ausgelagert werden, die dafür gebaut ist, Regulierung zu unterlaufen. **
Web3 rückt  demnach in die Nähe libertärer Ideologien + Begünstigung krimineller Geschäfte – hinter einer Rhetorik von Dezentralität und Freiheitlichkeit. Libertär bedeutete einst einen radikal- heroischen Bruch mit gesellschaftlichen Zwängen, heute wird damit (u.a.) die schrankenlose, anarcho- kapitalistische  Selbstentfaltung  von Oligarchen verbunden.

Einschränkungsflanke jeden technischen Fortschritts ist die Versorgung mit möglichst emissionsfreier Energie –  darüber hinaus ist der Erhalt der natürlichen Ressourcen, von Klima, Artenvielhalt u.v.m. die grosse Einschränkungsflanke aller Zukunftsvisionen und der gesamten menschlichen Zivilisation. Etliche frühere Zivilisationen sind am Verlust naürlicher Ressourcen zu Grunde gegangen – unsere heutige Zivilisation ist aber global, Bewahrung der Ressourcen die grosse gesellschaftliche Herausforderung.
Für Strategien, die diese Voraussetzungen berücksichtigen, sei der Report  Digital Reset. Für eine grundlegende Neuausrichtung von Technologien für die sozial-ökologische Transformation  genannt – der von einem Europäischen Expertenpanel ausgearbeitet wurde. Es geht um die Ausrichtung von Digitalisierung auf Nachhaltigkeit, die dann in zehn Leitsternen als Empfehlungen für einen digitalen Reset vorgestellt wird. Politik wird als Primat  digitalen Innovationen vorangestellt. Letztere stehen somit in einer dienenden Funktion.
Philipp Staab, einer der Beteiligiten, hatte kürzlich in Anpassung. Leitmotiv der nächsten Gesellschaft Anpassung als neue gesellschaftliche Strategie beschrieben – ich stimme nicht ganz damit überein (s. Rezension). Man kann jetzt noch die Arbeiten von Bruno Latour heranstellen – später mal …

**vgl.: Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Antworten zur Öffentlichen Anhörung “Web 3.0 und Metaverse” am Mittwoch, 14.12.2022 –  S02E34 – zu Crypto-Imaginaries und alternativen technologischen Infrastrukturen  in: Jan Groos: Future HistoriesDer Podcast zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft. Digital Reset. Redirecting Technology for the deep Sustainability Transformation. Technische Universität Berlin, Fachgebiet Sozial-ökologische Transformation: (10/2022)

 



Future(s) Lounge

Zukunft hat vlele Möglichkeiten und Zukunft wagen klingt gut. Aber welche Zukunftserwartungen haben wir? Und wie sind sie umzusetzen?  Dazu braucht es öffentliche Diskursräume.

Future(s) Lounge ist ein neues Format, ein offener Gesprächsraum als jour fixe. Jeden ersten Mittwoch im Monat um 18.30 h. Ohne vorhergende Anmeldung könnt Ihr Euch direkt einloggen (Zugangscode unten).  Moderieren werden Klaus Burmeister vom foresightlab D 2030 und ich. Sicher ist die Future(s) Lounge nur ein kleiner Ausschnitt eines grossen öffentlichen Diskursraumes bzw. Common Meeting Grounds. Zoom- Formate lösen zwar manchmal eine fatigue aus, sie sind aber eingeübt – und bieten die grossartige Möglichkeit ortsunabhängig  interessierte Menschen zusammenzubringen.  Start war am Mittwoch, dem 6. Okt., noch ohne vorgegebenes Thema.

Überblick zu den Szenarien – nach Klick in voller Auflösung auf neuer Seite

Ein Anknüpfungspunkt sind die im September veröffentlichten  Ergebnisse einer zweiten Aktualisierung des Corona-Stresstests  (pdf) zu den seit 2016 von der Initiative D2030 entwickelten Szenarien.
Grundlegende Fragestellung war  Wie weit hat die Pandemie unsere Zukunftserwartungen beeinflusst? Im Sommer 2021 fielen die Antworten etwas anders, sogar pessimistischer, aus als im Frühjahr 2020. Man kann es unterschiedlich interpretieren. Zu Beginn war die Pandemie v.a. etwas Neues, bis dahin nicht Erlebtes, ein Bruch mit dem Gestern, der aber auch mit positiven (Zukunfts-) Erwartungen verbunden war. Anderthalb Jahre mit schwankenden, zeitweise stark spürbaren Massnahmen, hinterlassen ihre Spuren.  Klar erkennbar ist, dass Krisen und ihre Bewältigung unsere Zukunft weiter begleiten werden.
Mehr Zukunft wagen nimmt das schon 50 Jahre zurückliegende Zitat von Willy Brandt Mehr Demokratie wagen auf (vgl. auch Gerhart Baum auf spon), das wohl eine Art zweite Gründungslegende der Bundesrepublik bedeutet.
Am nächsten ersten Mittwoch, dem 3. November – wieder um 18.30 Uhr – geht es um die Zukunft der Arbeitswelten. Ein oft diskutiertes Thema, das aber immer wieder neu technologische, ökonomische, soziale und kulturelle Fragen spiegelt.
Wie wird sich die Arbeit unter neuen Bedingungen verändern? Zeigen sich Neue Horizonte? Können Unternehmen selbst zu offenen Innovationsökosystemen werden und wird es es einen KI-getriebenen Produktivitätssprung geben? Welche Rolle spielt dabei die Kultur und der respektvolle Umgang miteinander? Wie halten wir unser Gemeinwesen offen, damit es nicht zu einem von Algorithmen gesteuerten Datenuniversum, in dem jeder vereinzelt seinen Weg sucht, transformiert? Unsere Verhaltensmuster in Arbeit, Konsum, Besitz stammen oft noch aus anderen Zeiten – stehen sie einer besseren Zukunft im Wege?
Das alles und noch viel mehr kann diskutiert werden … und wir sind dabei offen für alle, die sich einklinken wollen….   Dass Arbeit nicht zwingend an den festen Ort zur festen Zeit gebunden ist, wurde vielen in den letzten Jahren bewusst. Die sich im Stau treffende Pendlerrepublik ist nicht die einzige Option. Es fällt auch auf, dass die Vision Neue Arbeit wieder öfter am Original von Frithjof Bergmann diskutiert wird – und nicht an den von Consulting- Unternehmen propagierten Modellen.

Es geht um das grosse Bild einer Gesellschaft – und um die kleinen Ausschnitte darin.  Um gesellschaftliche Entwicklungen, politische Weichenstellungen, ökonomische und ökologische Erfordernisse, und darum, die persönliche Lebensgestaltung aller einzelnen damit  in Einklang zu bringen.

auf in die #Zukunft Bildquelle:photocase.de/kallejipp

Zukunft boomt. Selten wurde so viel davon gesprochen. Kaum eine politische Erklärung, kaum ein PR- Text kommt ohne einen Bezug zur Zukunft aus. Bücher, Podcasts,  und ganz sicher zahllose Zeitungs- und Blogartikel erscheinen dazu. Think Tanks/ Denkwerkstätten werden gegründet. Der Bezug zur  Zukunft unterstreicht die Bedeutung des eigenen Projekts.
Der Hype  hat Gründe, ist auch ein Zeichen dafür, dass Zukunft als gestaltbar erlebt wird und nicht eine Verlängerung des einmal bewährten. In den aktuellen Zukunftsdiskussionen bündeln sich mehrere Stränge, die lange Zeit oft unabhängig voneinander diskutiert wurden: Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Digitalisierung, kultureller und sozialer Wandel.
Der Begriff Transformation tritt immer öfter in den Vordergrund.  Grosse Transformation des 21. Jahrhunderts verbindet diese Stränge (vgl. Polanyi). Gesetzt sind die Vorgaben: Krisen wie Corona, und die von Menschen verursachten Störungen der natürlichen Systeme (Klima, Meere, Artenvielfalt) müssen von der Weltgesellschaft bewältigt werden.
Weitere Themen für folgende Abende  sind bereits angedacht, mal mehr auf Input von Experten angelegt, dann wieder offen für ganz subjektive Einwände. Genannt wurden u.a. „Was würde ein Kollaps des Finanzsystems bedeuten?“, “Tourismus nach dem Overtourismus“, „Mobilität, die den Verbrauch an Raum, Zeit und Energie schont“.

Nächste Termine:   Mi, 1. Dez 18.30 h   Arbeitswelten der Zukunft: Die Systemfrage —  Impulsbeiträge  von Leonie Müller, Alu Kitzerow, Jan Groos und Walter Ganz

Meeting-ID: 987 5905 5468
Kenncode: 039088

 



SideMenu