Networked Sociality – Ein neues soziales Betriebssystem

NetworkedThe New Social Operating System” – so bezeichnen die beiden kanadisch/US- amerikanischen Soziologen Lee Rainie und Barry Wellman Networked Individualism, zu deutsch Vernetzten Individualismus, das sich durchsetzende Muster vernetzter Sozialität/Networked Sociality. Der Begriff geht auf Manuel Castells zurück: Netzwerke sind „personalisierte Gemeinschaften“, “das neue Muster der Soziabilität ist durch einen vernetzten Individualismus geprägt” (Castells 2005, S. 141).
Vernetzter Individualismus ist keine Folgeerscheinung des Internet, die Entwicklung wird aber dadurch angetrieben: „Es ist daher nicht das Internet, das das Muster des vernetzten Individualismus schafft, sondern die Entwicklung des Internet bietet eine angemessene materielle Stütze für die Verbreitung des vernetzten Individualismus als vorherrschende Form der Soziabilität“ (Castells S. 144). Das Internet, seine Plattformen und Social Media machen es einfacher personalisierte Netzwerke zu organisieren.
Networked Sociality ist eine Konsequenz gesellschaftlicher Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte – auf individueller Wahl beruhende Netzwerke gewinnen Vorrang gegenüber traditionellen Vergemeinschaftungen, die meist an den Ort und langfristige Zugehörigkeiten gebunden waren.
Rainie und Wellman sprechen von der Triple Revolution (vgl. S. 11/12): 1) der als Social Network Revolution zusammengefasste gesellschaftliche Wandel (wie oben beschrieben), 2) die Internet Revolution (die Verbreitung und Nutzung vernetzter digitaler Kommunikation) und 3) die mobile Revolution, die das Netz von stationären Geräten löste.

Technologien setzen sich durch
Co-Evolution von Technik und Gesellschaft

Technogenese bedeutet eine Co-Evolution von Technik und Gesellschaft. Technologische Innovationen sind keine isolierten Ereignisse. Technologische Systeme entstehen gesellschaftlich  – und sind von der Kultur geprägt, die sie hervorgebracht hat – sie werden nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt.
Man bedenke, in welch kurzer Zeit (seit Ende 2007) sich das SmartPhone durchgesetzt hat. Innerhalb dieser wenigen Jahre wurde es weltweit zum nahezu unverzichtbaren Werkzeug, das den – weitgehend – permanenten Zugang zum Netz und seinen Ressourcen sichert. In vielen Ländern wurde mit dem SmartPhone die Ära des PC übersprungen. Es dient als private Medienzentrale – und auch Flüchtlingen als Navigator.
Ohne großen weiteren Aufwand kann jeder damit Medien erstellen und verbreiten – nicht nur Text und Bild, auch Ton, Video, Life- Streaming.

Entscheidende Faktoren sind Konnektivität und PersonalisierungKonnektivität bedeutet die Möglichkeit, dass jeder Teilnehmer des Social Web sich mit jedem anderen verbinden kann. Jeder kann Sender und Empfänger, Kunde und Anbieter oder auch etwa Lehrender und Lernender sein, Leistungen unterschiedlichster Art anbieten oder nachfragen.
Personalisierung (oder besser: die automatisierte Personalisierung) bedeutet die “maßgeschneiderte” Anpassung von Angeboten. Maßgeschneiderte Personalisierungen erfordern Daten. Wir kennen es aus dem Online-Marketing und vielen anderen Beispielen. In der Diskussion zur digitalen Bildung wird sie thematisiert, im Gesundheitssystem und anderswo. Das Verfügen über große Mengen an Daten bedeutet Macht und erklärt den Einfluß der großen Internetunternehmen. Daten und automatisierte Personalisierung sind ein Treibstoff wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch Gegenstand der umfassendsten Diskussionen im digitalen Wandel – darauf  näher einzugehen, würde den Rahman sprengen. Verweisen möchte ich auf das Buch von Michael Seemann –  “Das Neue Spiel“.

Plattformen bieten die Infrastruktur für Interaktion und Koordination  – ein weiteres umfangreiches Thema. Hinzu tritt die Query als Instrument der Datenabfrage: entscheidend ist nicht die aufgezeichnete Information, sondern deren Abfrage. Es ist das, was Michael Seemann als die Organisationsmacht der Query bezeichnet. Die Query ist die Abfrage an eine Datenbank zu zutreffenden Matchings. So können Ressourcen verknüpft und koordiniert werden. Etliche  Geschäftsmodelle beruhen darauf: So funktionieren Uber und AirBnB, Peer-to-peer Credit, Dating Apps und unzählige andere. Diese Plattformen vermitteln standardisierte Transaktionen von Anbieter zu Abnehmer, jeder kann Sender und Empfänger, Verkäufer und Kunde sein.
Ähnlich ist die Verknüpfung über gemeinsame Merkmale, Interessen, Leidenschaften – in der Sprache des Social Web ein gemeinsamer #hashtag. Für die Verbindungen, die dadurch entstehen gibt es bereits den Begriff consocial – oder, wenn wir in deutscher Schreibweise bleiben wollen, konsozial. Darüber entstehen Vergemeinschaftungen von Menschen, die über gemeinsame Interessen und Leidenschaften zusammengehalten, oft Tribes genannt. Es sind kleine soziale Einheiten, auf denen vieles im sozialen Geschehen beruht. Und sie sind es, die die „Trampelpfade“ im Social Web austreten. Entscheidend ist die gefühlte Gemeinschaft.

Mit Digitaler Transformation wird „der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten„. (S. 159 Kreuzer & Land) – ein Anwendungsfeld von Change Management.
Unter Digitalem Wandel können wir hingegen den gesamten gesellschaftlichen Prozeß, der mit der Digitalisierung einhergeht, verstehen. Das erfordert neben den ökonomischen v.a. soziologische Erklärungsmodelle – so den Vernetzten Individualismus und das Bild des Neuen Sozialen Betriebssystems. So lassen sich technologische Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel zusammenführen. Die langfristige Entwicklung, lässt u.a. auch mit der Sozologie von Norbert Elias beleuchten.

Dazu die auf der NextAct am 19.02.16 gehaltene Präsentation

 Manuel Castells: Die Internet-Galaxie: Internet, Wirtschaft und Gesellschaft, 2005 (Orig.: The Internet Galaxy: Reflections on the Internet, Business, and Society, 2001), 300 S. Wiesbaden 2005; Kozinets,Robert V.: Netnography:Redefined. SAGE Publications Ltd; Second Edition edition (July 24, 2015), 320 S.Lee Rainy & Barry Wellman (2012) Networked: The New Social Operating System. Cambridge, MA and London: MIT Press; Michael Seemann: Das neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust. 256 S. Orange Press, Freiburg 2014, gebunden 20,-€ /28 ‚- SF; E-Book 5,- bei iRights-Media  Ralf T.Kreuzer & Karl-Heinz Land .: Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus. Köln,2015, 198 S

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