Metaverse – die Rückkehr des Virtuellen

Als sich Facebook im letzten Herbst zu Meta umbennante  wurde  Metaverse zum Buzzword, zum Hype. Nicht erst seitdem ist  das Netz voll von Texten,  Podcasts, Live- Streams etc. zum Thema, einer Fülle von Meinungen und Erklärungen und natürlich werben Anlageberater für frühzeitige Anlagestrategien. Und oft ist dabei von NFTs (Non-Fungible Tokens) die Rede  – aber das ist bereits ein erweitertes Thema.
Als Topos, als Gemeinplatz ist das Metaverse seit  dem  Science-Fiction- Klassiker Snow Crash (Neal Stephenson, 1992) in der Welt. Im Roman ist es ein mit Datenbrillen zugängliches Paralleluniversum, an dem Menschen als Avatare ihrerselbst teilnehmen.  Nicht nur Snow Crash, auch weitere SF- Romane  – manche davon verfilmt – so Ready Player One, auch The Matrix sind Vorlage.  Games- und Games- Plattformen wie Fortnite, Minecraft, Sandbox und Roblox werden als Proto- Metaverses genannt.
Oft wird das Metaverse mit einzelnen Technologien verbunden, der Gedanke an Second Life (das immer noch existiert) kommt schnell. VR/ Virtual Reality kennen wir meist als Guides aus Museen oder Produktvorführungen – eine Art und Weise virtuelle Räume zu erleben. Wesentliches Kriterium des Metaverse ist ein miteinander verbundenes Netz virtueller 3D-Welten, das schließlich als Einstieg  zu den meisten Online-Erfahrungen dient – eine Welt, die vorerst in Science Fiction und Games entworfen wurde.

Als Definition kann die von Matthew Ball, dem vllt. einflussreichsten Autor und Essayisten zum Metaverse dienen: “The Metaverse is a massively scaled and interoperable network of real-time rendered 3D virtual worlds which can be experienced synchronously and persistently by an effectively unlimited number of users with an individual sense of presence, and with continuity of data, such as identity, history, entitlements, objects, communications, and payments.”

Das Metaverse ist Hype – aber vorerst eine Projektion von etwas, was es noch nicht gibt. Niemand hat ein Monopol darauf, auch wenn Facebook/ Meta es sich in den Namen geschrieben hat.  FB präsentiert sich selbst als Social Technology Unternehmen, dass es “Menschen ermöglicht, sich miteinander zu verbinden”.  Die Stellung hat es durch die Einnahme des sozialen Graphen erreicht, eine Landnahme des Sozialen im technischen Raum, ergänzt durch Zukäufe wie instagram und WhatsApp (vgl. Seemann, Die Macht der Plattformen). Eine Flucht nach vorn ins Metaverse, um die bröckelnde Dominanz im Social Web  abzufedern?
Das Internet hat bis heute eine ganze Reihe von Entwicklungsstufen durchlaufen. Antrieb ist zum einen die technische Verbesserung v.a. der Bandbreiten, zum anderen Nutzungsevolution und damit die Verbreitung in immer mehr Lebensbereichen. Die aktuelle Entwicklungsstufe, das von wenigen Giganten (GAFAM/ FAANGM) und etlichen anderen monopolisierenden Unternehmen (z.B. Booking, Airbnb, Spotify, Zalando, Uber) dominierte Internet der Plattformen hat sich als Infrastruktur weitgehend durchgesetzt, und es ist seit Jahren erstaunlich stabil. Die gesamte zeitgenössische Alltags- und Popularkultur, der Wandel von Moden und Konsummustern, die Herausbildung öffentlicher Meinung und v. m.  ist ohne diese Infrastruktur  kaum noch vorstellbar.
Metaverse wird  als eine zu erwartende nächste Entwicklungsstufe des Internet erwartet. Der Weg wird aber sicher länger dauern als noch innerhalb dieses Jahrzehnts.

What is the Metaverse? – Graphik von Thomas Riedel – öffnet sich nach Klick in voller Auflösung in neuem Fenster

Thomas Riedel, Technikjournalist aus Köln, hat  in der nebenstehenden Graphik die Entwicklungsstufen des Internet auf technischer Ebene dargestellt. Infrastrukturen, die jeweils bestimmte Erfahrungswelten ermöglichen. Zunächst das Prä-Internet der Stand-alone Geräte, die mit Kabeln und Austauschmedien verbunden wurden. Darüber  das Internet, wie wir es heute kennen: Eine Infrastruktur auf der Nutzer auf Websites, Plattformen, Dienste über Bildschirme zuerst stationär und später auch mobil zugreifen konnten.  Darüber steht das -noch projektierte – Metaverse mit der Erfahrung virtueller Realitäten, zwischen denen Nutzer nahtlos wechseln können. In den Diskussionen spricht man von Experiences/Erfahrungen – und es sollen möglichst lebensechte sein.
Metaverse wäre/wird eine mindestens genauso transformative Innovation, wie es das Internet seit den 90er Jahren in mehreren Entwicklungsstufen gewesen ist. Blickt man zurück, war das World Wide Web zunächst ebenso ein Cyberspace voll von Raum für Projektionen. Frühe Versuche, Modelle von Gated Communities durchzusetzen scheiterten, die anfangs dominierenden Portale verschwanden, das “freie” Netz setzte sich zunächst durch, bevor es von der Plattformökonomie  – mit Geschäfts- und Finanzierungsmodellen, die vordem nicht bekannt waren – “eingefangen” wurde. Seitdem sind die Wege im Netz gepflastert – paved, wie es im Internet- Speech heisst.

Global platforms are in the business of world building.  … They wish to create the entire environment within which we live.* World Building – nach fiktionalen Vorlagen –  bekommt im Falle Metaverse eine noch pointiertere Bedeutung für den Griff nach einem Raum ausgedehnter immersiver Erfahrungen: Physische und virtuelle Welten sollen mit einer voll funktionsfähigen Wirtschaft und der Möglichkeit der nahtlosen Übertragung von Inhalten zwischen verschiedenen Erfahrungsebenen verschmelzen.: the Metaverse will be a place in which proper empires are invested in and built, and where these richly capitalized businesses can fully own a customer, control APIs/data, unit economics, etc. (Matthew Ball, 2020). Fragt sich, wie weit das Modell der Abschöpfung von Verhaltensdaten trägt.
So stellt sich  auch die Frage nach Dezentralität. Eine von wenigen hegemonialen Unternehmen konstruierte virtuelle Realität wäre wahrscheinlich zentral designt und auf bestimmte Geschäftsmodelle angelegt  –  ein Boulevard von Showrooms wäre im Angebot,  Disney liess bereits die Modelle für Themenparks patentieren. Games, Showrooms und Theme Parks stehen vorerst im Vordergrund – bezahlte Attraktionen, Werbewelten und Spiele als Innovationstreiber. Und sicherlich werden pornographische Angebote die Möglichkeiten austesten. Kann so ein Common Meeting Ground**, in dem eine Gesellschaft sich ihrer selbst bewusst wird, entstehen?
Soziale  Konsequenzen treten dann hervor. Ein paralleles Universum entwickelt eine ganz eigene soziale Dynamik, deren Wirkung noch gar nicht abzuschätzen ist. Zu jeder sozialen Umgebung gehören Konflikte, je lebensechter die Experiences, so lebensechter auch die Konflikte.  Geht es  um Geld bzw Token, wird es damit verbundene Kriminalität geben, auch sexuelle Belästigung wird spürbarer als im Social Web. Wenn schon in den bestehenden Social Media – Formaten Pöbelei als Verhaltensmuster beklagt wird, wird die Zivilisierung digitaler Öffentlichkeit noch dringender.
Nebenbei: ganz sicher wird es Feldforschung geben, Studien zum Nutzungs- und Konsumverhalten …..   Metnographie klingt im Deutschen allerdings seltsam 😉 Und ebenso wird es bald Experten für PR und Marketing im Metaverse geben.
Man fühlt sich öfters an die Diskussionen der 90er bis frühen 00erJahre erinnert, als der jetzt zurückkehrende Begriff virtuell, oft symbolisiert durch das @ allgegenwärtig war. Die sich durchsetzenden Social Media empfand man später nicht mehr als virtuell.

Bleibt, das Metaverse an der Aussage messen, nach dem sich Techniken nur dann durchsetzen, wenn sie ganz offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft treffen? (A. Nassehi)  Treiber ist zunächst ein lange herangereifter Drang zur Umsetzung des nun technisch möglichen – Themen,  Vorlagen, die Narrative der Szenarios sind in einigen Communities (Games, SF, Tekk) seit langem virulent, der Drang eine neue Dimension zu entdecken (Explorer) – und die Grenzen zwischen virtueller und physischer Welt zu verwischen.  Teile der Wirtschaft – wie etwa FB, Disney, wahrscheinlich Pornographie,  wollen ihre Geschäftsmodelle in neuer Dimension umsetzen. Ein Potential für Bildungs- und Unterhaltungsanwendungen. Für das Gros der Nutzer zunächst eine Sensation, ein besonderes Erlebnis – für den  Alltagsgebrauch aber viel zu unbequem – verglichen mit dem immer- dabei SmartPhone.
Die Möglichkeiten des Internet hatten in seiner Frühzeit viele Utopien beflügelt – dazu zählte die Vision Wissen und Information für alle  frei zugänglich zu machen, die Vorstellung fluider Demokratie. Das Metaverse  weckt  zunächst spekulative Gedanken und Phantasien – darauf beruht die besondere Attraktivität. Meine eigenen ersten Gedanken waren Luzide Träume – das Erleben von Wunschwirklichkeiten – dann ganz praktische Dingen, wie das Erledigen von Terminen, die man allerdings oft schon heute über Videochats abhalten kann.

erscheint im Juli 2022

Soweit mein erster, noch ungeordneter Einstieg ins Thema Metavers – angestossen von Thomas Riedel und dem Podcast mit Dirk Songür – vielen Dank. Im Sommer erscheint das erste grössere Werk zum Metaverse von Matthew Ball. Man kann gespannt sein. Gedruckte Bücher sind immer noch ein führendes Medium,  in sich abgeschlossenes Wissen zu publizieren. Bis dahin sei auf die unten angegebenen Link verwiesen.

 

Thomas Riedel: Futures Lounge – Was ist das Metaverse?   Metaverse- Podcast & Newsletter; The Metaverse by the book   Matthew Ball: The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It –  Dirk Songuer: Fieldnotes from the Metaverse   Tony Parisi: The seven rules of the metaverse. A framework for the coming immersive reality. *James Muldoon – Platform Capitalism (12) 

** Common Meeting Ground: Jede Gesellschaft braucht einen „Common Meeting Ground“ gemeinschaftlich als wich-tig empfundener Themen, um darüber verhandeln und selbst bestimmen zu können, wasin ihr als relevant gilt und kollektiver Problemlösungen bedarf (Imhof, 2008).



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