Metamodernism – The Future of Theory (Rez.)

Metamodern zum Zweiten. Bekannt wurde mir der Begriff erst vor einigen Wochen. Ein Begriff unter dem kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen, die nach der Postmoderne auftreten, verhandelt werden.  Ein Terminus für das Denken im 21. Jahrhundert?
Metamodernism. The Future of Theory von Jason A. Storm (7/2021) wurde in etlichen Kommentaren und Reviews (English only)  geradezu enthusiastisch gefeiert:
It’s a long time, since I’ve had such a vigorous – and rigorous – intellectual work- out. Metamodernism is not only an astute diagnosis of the confusions and contradictions of contemporary thought; it also offers compelling alternatives. Ambitious, lucid and erudite, this is a book that demands to be read and argued over.“ Der Kommentar der Autorin Rita Felski (The Limits of Critique, 2015) steht für viele und so geht es weiter. Es wundert dann etwas, dass bislang kaum deutschsprachige Resonanz vorliegt – jedenfalls habe ich keine gefunden – so bin ich wohl einer der ersten. So eingestimmt geht man an den Titel heran.  Ursprünglich hatte der Autor den Titel Absolute Disruption. Theory after Postmodernism vorgesehen, ein  Titel, der ebenso den Anspruch verdeutlicht, eine erneuerte Theorie der sozialen Welt zu formulieren – mit der Ambition  als Leitfaden zukünftiger (Human-) Wissenschaft. Ein –ism(us) sollte es sein,  Post-postmodernism/us wäre ein Verlegenheitsbegriff, das Präfix Meta trifft anscheinend den Zeitgeist: I should own that likely some of the same zeitgeist that made me think Metamodernism sounded cool perhaps contributed to why Zuckerberg might have thought Meta Platforms sounded cool.

Der Denker präsentiert sein Werk: Jason A. Storm

Metamordernism – The Future of Theory ist als Manifest in den Human Sciences/ Humanwissenschaften – bei Storm der Dachbegriff für alle Geistes – und Sozialwissenschaften – zu  verstehen.
Philosophie ist nicht mein Fach, die Begrifflichkeiten weniger vertraut, Epistemologie und Ontologie  muss ich z.B. nachschlagen. Philosophie zeichnet und formuliert aber Grundlagen, die auch in anderen Fächern gelten,  hier ist es ein Big Picture der Human Sciences. Ist nach 40 Jahren der Abschied von der verblassenden Postmoderne, eine Neubestimmung entscheidender Fragestellungen überfällig? In den 1980er Jahren sprach man oft vom Paradigmenwechsel.  Damals ging es um den Abschied vom linearen Fortschrittsdenken und den Zukunftsvorstellungen der Moderne. Die aufkommende Postmoderne formulierte den Verlust von Gewissheit, die Auflösung von Sicherheiten und gewachsenen Identitäten. In der Wahrnehmung stand sie oft in Verbindung mit einem skeptischen Dekonstruktivismus.
Storm schreibt von einer umfassenden philosophischen Methode, die versucht, die Natur der sozialen Welt zu erklären – das Buch trägt den Anspruch Grosser Theorie, incl. einer ethischen und politischen Wirkung und einer eigenen Moralität. Der Autor nennt es selber ein hopeful monster (25) mit Wurzeln  in queer, feminist, and critical race theory, resistent gegenüber vereinfachendem Moralisieren und ausgerichtet auf eine emanzipatorische, nicht-relativistische, kosmopolitische Ökologie des Wissens (25).

Das Buch ist in vier Teile + Opening, Conclusion und Notes (60 S.) und insges. sieben Kapitel gegliedert. Part I Metarealism, Part II  Process Social Ontology, Part III Hylosemiotics, Part IV Knowledge and Value. Kapitel 7 The Revaluation of Values/ Neubewertung von Werten (236 – 275) ist der politischste Teil, es geht um die Rolle von Moral und ethischen Werten in den  Human Sciences und der Gesellschaft insgesamt.
Einige Begriffe und Konzepte fallen ins Auge, so die zunächst generisch scheinenden, in Metamodernism zentralen Social kinds: beschrieben, nicht definiert als 1) socially constructed, 2) dynamic clusters of powers 3) which are demarcated by the casual processes that anchor the relevant clusters  (111).  Social Kinds are made uo of power-clusters and the processes, that anchor them. Powers belong to a system of relations, not a specific entity of its own (140). Solche Sätze und auch die Thematisierung von Interdependenzen lassen zumindest an Konzepte von Machtbalancen in der Soziologie denken.
Storm nennt diverse Features von Process Social Kinds (94-96), wie high- entropic, cross- cutting, normative. Social Kinds dienen ihm dazu, die soziale Welt als dynamisch, prozessual zu rekonzeptualisieren. Unsere Moral sollte ähnlich verstanden sein und danach streben, die Vielfalt des empfindungsfähigen Lebens und der Gesellschaften, die es hervorbringt, zu kultivieren.

Das Buch wirklich durchzuarbeiten ist eine längere Aufgabe, der Text ist komplex, schwierig zusammenzufassen und in einer kurzen Besprechung auch nur annähernd kaum wieder zu geben. Gibt es nicht in den Sozialwissenschaften überzeugendere Modelle Prozesse, die soziale Konstruktion von Machtverhältnissen etc. zu beschreiben als die etwas dünnen Social Kinds?  Auch wenn man daran gewöhnt ist, Texte auf Englisch zu lesen, braucht es mehr Zeit, die Texteinschläge wirken zu lassen – Nietzsche philosophierte mit dem Hammer– Storm sagt von sich to philosophize with lightning (5). Blitze sind geballte Energie – zerstörend wie erhellend.  Oft erinnert sein Gestus an den eines Rockstars.
Metamodern passt in den Zeitgeist. Ein Begriff, der endlich die Postmoderne ablösen soll, deren Dekonstruktionen berechtigt waren, es  aber  keinen Sinn macht, länger darin zu verharren. Die Moderne war die These, der sich die Antithese der Postmoderne entgegenstellte und in diesem Konflikt bildet sich mit der Metamoderne eine neue Synthese heraus – wenn man es mit einem gängigen Modell erklären will.
Metamodern ist allerdings kein einheitliches Label: Lene Andersens Metamodernity (2019) wird bei Storm (2021) gar nicht, die Werke des Autoren- Duos Hanzi Freinacht nur kurz erwähnt. Was überzeugt: Die Erfahrungen des 21. Jahrhunderts werden nicht ein weiteres mal neu erklärt, sie werden als bekannt vorausgesetzt. Um die Welt zu verändern, müssen wir sie verstehen und darüber hinaus ein Bild davon haben, was sie sein könnte: It’s not postmodern, it’s not modernist. It isn’t really new materialist.  Instead of describing a paradigm shift, I was actually trying to produce a paradigm shift.

Einige einfache, jeder/m verständliche Sätze bringen die Moralität von Metamodernism auf den Punkt: Most of us want to be happy — Most of us want to be psychical and physical well- being — most of us do not want to suffer unnecessarily –.most of us want to live a life worth having lived, a meaningful life (257) – das sind die Grundlagen eines Sets ethischer Normen und daraus abgeleiteten politischen Handelns: We need a vision of progress and a grand narrative about why it all matters (Thomas Harper).

Schliesslich: Gibt es denn einen Bezug zum Metaverse – was die Namensgebung nahelegt? Im Buch nicht, aber in seinem Blog Absolute Disruption (11/21) nimmt Storm darauf bezug – zu Facebooks Rebranding Meta bemerkt er spöttisch, das Unternehmensziel des Zuckerverse sei die Monetarisierung von Eskapismus. Er empfiehlt (ein von wenigen Unternehmen  dominiertes) Metaverse zu hacken, zu unterwandern, umzufunktionieren und umzugestalten, um sein emanzipatorisches Potenzial freizusetzen und die Macht zurückzuerobern.

vgl.: Jason Ananda Josephson Storm:  Metamodernism. The Future of Theory. Chicago 9/2021. 360S. Blog: Absolute Disruption Podcasts: Metamodernism – The Future of Theory: an interview with Prof. Jason Ā. Josephson Storm. Sunday in the parc with theory: Podcast with Jason Ā. Josephson Storm (18 April 2022)

 



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