Journalismus.Online. Das Handbuch zum Online-Journalismus (Rez.)

15/04/19 kmjan
Handbücher dienen dazu das Wissen zu einem Themenfeld, zu einer Branche in übersichtlicher, nachschlagbarer Form verfügbar zu machen. Handbücher zum Journalismus gibt es eine Reihe, und auch zum Online- Journalismus ist Journalismus.online von Hektor Haarkötter, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, nicht das erste. Online war zunächst ein zusätzlicher Veröffentlichungskanal, eine  freizugängliche Spielwiese ohne Gatekeeper.  Online verlockte zum experimentieren – und wurde von Medienunternehmen lange Zeit nicht wirklich ernst genommen. Noch in dem oft als Standardwerk genannten Handbuch von Wolf Schneider und Paul-Josef Raue (Nr. 1198 in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. 3. Auflage 2012)  nannte man den Status der Online- Mitarbeiter bescheiden: wenig geachtet, schlecht bezahlt, hoch belastet (31, Schneider/Raue)

Journalismus ist heute digital und online. Er ist es vollumfänglich, in allen Bereichen, Produktionsschritten und Ausspielwegen (34); Bildquelle: przemekklos / photocase.de

Digitalisierung hat auch den Journalismus generell verändert. Heute gibt es keinen Journalismus mehr, der nicht am Computer hergestellt und immer häufiger auch an irgendeiner Form von Computer rezipiert wird (27). Das gilt für alle Formate. Medieninhalte (Content) werden digital produziert: Texte mit der Tastatur; Bilder, Ton, Video/Film werden digital aufgenommen und bearbeitet. Medieninhalte/Content kann ebenso gut online wie gedruckt bzw. über einen Rundfunksender  (der ebenfalls digitalisiert sendet) verbreitet werden. Unterscheidet sich “Online-Journalismus” noch von anderen journalistischen Verbreitungsformen? Hat der Begriff überhaupt noch eine Berechtigung? Die Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung, die zeitsynchrone Begleitung von Ereignissen – Prozess-Journalismus –  lässt sich nur online weitergeben.  In diesem Sinne sind journalistische Texte heute „permanent beta“(21), veränderungs- und verbesserungsfähig. Wer heute online publiziert, muss auch lernen zuzugeben, dass er nicht alles weiß (Jeff Jarvis, 21).
Eine Leitfrage des Handbuchs ist dann auch die,
wie der Computer und die Digitalisierung den Journalismus inhaltlich, aber auch handwerklich verändert hat (12).

In weiten Teilen folgt das Handbuch einer Reise. Der Autor besuchte Online- Redaktionen, Media- Agenturen und Medienprojekte quer durchs Land:  die Ableger der “Qualitätspresse” und des Boulevard, die Krautreporter und netzpolitik.org, Rundfunksender wie die Deutsche Welle, Bayern2, und n-tv, war bei Opendatacity, dbate und bei Vice, bei taz, FAZ, spon und bild-online. Die überall dort geführten Gespräche wurden transkribiert und bilden eine Grundlage des Textes.
Unter den Online-Angeboten mit den meisten Besuchern gibt es kaum Neugründungen, auch die deutsche Ausgabe der Huffington Post schloß vor zwei Wochen (31.03.19). Bestimmend bleiben seit langem bekannte Medienmarken, die auch ungefähr das bieten, was man von ihnen erwartet. Mehrere Gründe  lassen sich dafür anführen,  generell erwarten Leser/Hörer/Zuschauer von Medienmarken eine bestimmte Ausrichtung, einen Qualitätsanspruch, einen Stil, unabhängig vom Ausgabeformat. Fast alle davon führen Bezahlmodelle für weitergehenden Zugang.

Journalismus online bleibt unvollständig ohne Blogs. Blogosphäre klingt heute seltsam, sehr nach Web 2.0 und 0er Jahren – darauf geht aber eine publizistische Erneuerung zurück, die mehr als andere die Vernetzungsmöglichkeiten nutzt. Im stärker kommerzialisierten Feld haben sich Reise-, Koch- und Modeblogs verbreitet, seit jeher konsumnahe Themen.
Anderswo wurden eigene publizistische Formate entwickelt, die unterschiedliche Plattformen nutzen. Genannt werden hier u.a. Floid und Tilo Jung mit dem YouTube-Kanal Jung & Naiv.
Aus dem eigenen Umfeld kann ich den Bonner Wirtschaftsblogger und Live- Streaming Pionier Gunnar Sohn, der mittlerweile eine ganze Reihe von Live-Formaten sendet, die in der Folge u.a. auf youtube abrufbar sind – oder auch das 2016 eingestellte Projekt Nerdhub von Thomas Riedel nennen.

Als Handbuch, das eben auch zum Nachschlagen gedacht ist, enthält das Buch einen umfangreichen Serviceteil. Infoboxen und Checklisten zu zahlreichen relevanten Themen, wie Nutzerdaten, zu Google Analytics, hyperlokalem Journalismus, Story- und Scrollytelling, zu Podcasts,  zur Medienkonvergenz, mobile Reporting u.v.m. erleichtern die Übersicht. Für diejenigen, die sich seit Jahren in der digitalen Öffentlichkeit bewegen ist wohl einiges nicht neu  – das Buch richtet sich aber auch an Studenten und Einsteiger.
Ob Details zu wordpress, eine Einführung in html und CSS in einem Handbuch für Journalisten sinnvoll sind ist Ansichtssache. Immerhin gibt es dazu gedruckt und im Netz eine kaum überschaubare Auswahl.

Die Krise des Journalismus ist seit längerem Thema. Diese Krise ist aber vorrangig die des Geschäftsmodells von Zeitungsverlagen: mit der Verlagerung der Werbewirtschaft sind Gewinne aus dem Anzeigengeschäft weggebrochen.  Finanzierungsmodelle sind aber höchstens am Rande Thema des Handbuchs.
Das Netz bündelt die Möglichkeiten und Eigenschaften der vordem dominierenden Medien Presse, Radio, TV, Video. Darüber wird übertragen und gespeichert. Aktuelle Nachrichten verbreiten sich heute nicht über 20h Nachrichten, die Tageszeitung oder eine Homepage. Mit Twitter oder News- Ticker ist man mit dem SmartPhone live dabei.
Das Wortspiel von Journalismus zum yournalismus, das sich durch das Buch zieht, verweist auf die Entwicklung von einer frontalen Berichterstattung nach Redaktionsschluss zu einer personalisierten Mediennutzung. Es leitet in die Diskussion dazu über, wie sich Öffentlichkeit in digitalen Zeiten konstituiert.

Hektor Haarkötter: Journalismus.online. Das Handbuch zum Online-Journalismus. Herbert von Halem Verlag, Köln 2019.  426 S. ISBN: 978-3-7445-1108-7



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