Corona, PhysicalDistancing und die Digitale Öffentlichkeit

Steht im Mittelpunkt: Das Corona- Virus; Bild: unsplash.com

Fast noch mehr als das Virus selber hat #Corona als Medienthema innerhalb weniger Wochen  die Öffentlichkeit überrollt. Zuerst die Bilder aus dem fernen China, dann aus dem nahen Italien. Bilder von der Abriegelung ganzer Regionen, dann die von überlasteter  medizinischer Versorgung. Schliesslich wurde #Corona/ #Covid-19 zu dem Thema, neben dem alles andere in der öffentlichen Kommunikation verschwindet.
Ansteckende Krankheiten zählten immer zu den Geisseln der Menschheit, waren einer der Apokalyptischen Reiter – und sie leiteten immer wieder gesellschaftliche Veränderungen und Umwälzungen ein. Aber jetzt ist es weniger die Furcht vor der Krankheit selber, sondern die vor den Grenzen der Beherrschbarkeit, konkret der Überlastung der medizinischen Versorgung. Das Risikomanagement ist darauf angelegt, die Verbreitungsgeschwindigkeit, den Anstieg der Kurve, zu verringern,  #flattenthecurve.  Die möglichen Übertragungswege, also die physischen Kontakte, sollen so massiv reduziert werden, dass das Virus durch deren Stillegung eingedämmt wird. Solange kein Impfstoff oder wirksame Medikamente entwickelt sind, kann aber diese Kurve immer wieder anwachsen.
Es begann mit Empfehlungen zur Handhygiene, Absagen von Grossveranstaltungen, von  immer mehr Schliessungen der Gastronomie, von Schulen, Sportstätten – allen Orten, an denen Menschen zusammentreffen,  bis schliesslich zu nie dagewesenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Grundrechten auf Bewegungsfreiheit, dem Lockdown einer ganzen Gesellschaft und Volkswirtschaft unter dem harschen Regime eines #SocialDistancing.  Der politisch durchgesetzte Begriff ist eigentlich falsch – es geht um die  rein physische, nicht die soziale Distanz – #PhysicalDistancing. Gäbe es keine Digitale Öffentlichkeit, wäre es tatsächlich Social Distancing.

#Corona wird zum Top- Thema: Twitter (D) Febr/März 2020

Scenarios und Einschätzungen zum weiteren Verlauf, für die Zeit danach und die Auswirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen gibt es mittlerweile zuhauf und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven  – und sicher geht es auch darum, auf dem Markt der Deutungen Präsenz zu zeigen. Man stellt sich auf für Forschungsprojekte und Beratungsangebote.
Welche gesellschaftlichen Verwerfungen Covid-19 und der Lockdown mit sich bringt, ist längst nicht abzusehen. Da ist die Pandemie selber, dann die Folgen und die Reaktionen auf den Lockout. Die wirtschaftliche Perspektive einer tiefen Rezession, dazu die Bedrohung zahlloser einzelner Existenzen. Was bedeutet es für eine Öffentlichkeit, wenn ihre physischen Schauplätze, Bildungseinrichtungen, Kulturbetriebe, Gastronomie, Läden, oft selbst der Park und Ausflugsziele  auf unbestimmte Zeit geschlossen sind? Wie kann das öffentliche Leben nach einem solchen “Winterschlaf” wieder Fahrt aufnehmen?
Einen Einschnitt bedeutet Corona und der Lockdown wohl überall. Die grosse unbekannte Variable ist ein medizinischer Grosser Wurf, der dem ganzen ein Ende macht.

Home Office wird zur Selbstverständlichkeit; Bild: Gunnar Sohn

Kann es überhaupt eine Situation geben, in der sich digitale Medien mehr bewähren können als unter den Bedingungen einer physischen Kontaktsperre? Nur mit digitalen Medien bleibt eine öffentliche Sphäre erhalten. Der Lockdown, beschleunigt zudem die Durchsetzung digitaler Kommunikation und Organisation in der Arbeitswelt  – Home office/Remote Work ist zunächst die einzige Möglichkeit, einen Workflow aufrecht zu erhalten. Was bis jetzt v.a. bei Soloselbständigen üblich war, wird jetzt vermehrt in Unternehmen und Behörden, sogar Ministerien akzeptiert – weil es die einzige praktikable Lösung ist. Videokonferenzen anstelle von Meetings. Ein gut ausgestattetes Home Office wird zum Standard und dem Fenster zur Welt. Ein Icon des Lockdown ist die Webcam, Zoom die Software der Stunde.

Gerade jetzt kann man drei Stufen digitaler Medien unterscheiden, die zumeist über dieselben Bildschirme übertragen werden: die grossen redaktionellen Sender- zu- Empfänger- Medien, öffentlich- rechtliche Sender und die überregionale Presse, von  ihnen wird gesicherte Berichterstattung und die Darstellung unterschiedlicher Positionen erwartet. Onlineauftritte sind längst nicht mehr ein begleitendes Zusatzangebot, mit den Zugriffen zu Mediatheken, auch Bezahl- Abos, sind sie zumindest gleichwertig zu Sende- und Printausgaben.
Dann die Ebene der Community- Medien, die eine neue Blüte erleben: Live- Schaltungen improvisierter Konzerte und anderer Kulturveranstaltungen, Diskussionen, improvisierte Radio- Programme, Bildungsangebote,  etc. – ein Exil für den vakanten öffentlichen Raum. Dieser Raum organisiert sich stärker nach dem Muster der Tribes – Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen verbinden sich darüber.
Schliesslich  die abgeschlossenere, mehr private Nutzung digitaler Medien wie sie mittlerweile flächendeckend verbreitet ist. Eine Nutzung, die aus der Telephonie herausgewachsen ist: Skype, Whats App und andere Messenger. Auch hier gibt es  Gruppenkommunikation von Menschen gleicher Interessen, – es besteht aber weder Anspruch noch Wille, Öffentlichkeit zu sein.
Von der Macht der Plattformen, die lange im Zentrum der Diskussion stand,  ist derzeit kaum die Rede – sie werden zur Adressierung genutzt.  Live- Streamings, Chats haben dort ihre Andockstellen, gewählt werden die, die beim jeweiligen Publikum am populärsten sind.

Bis jetzt (29.3.) kann man den Lockdown als gesellschaftlichen Konsens betrachten.  Reizthemen und Bruchstellen sind aber erkennbar, spürbar an Begriffen wie Ausgangssperre und der Rigidität der Einschränkungen. Wenn Polizeiwagen durch Wohnviertel patrouil­lie­ren und Bürger dazu aufrufen zu Hause zu bleiben, dann applaudieren manche dem starken Staat, andere beobachten es erstaunt, und für viele ist es einfach provokant und übergriffig. Gerade am Wochenende vor der Verschärfung der Massnahmen waren Social Media, v.a. Twitter, voller Postings mit lautstarken Forderungen zu Ausgangssperren,  geradezu einer Einheitsmeinung – manchmal hatte man den Eindruck konzertierter Propaganda. Gab es denn tatsächlich so viele sog. Corona- Parties (und was für welche), wie sie zur Begründung der Einschränkungen herangezogen wurden?
Eine andere Konfliktlinie wird im Falle Adidas deutlich – wenn von der ganzen Bevölkerung maximale Einschränkungen aus Solidarität eingefordert werden, ein milliardenschwerer Konzern sein Gewinninteresse durchsetzt – weckt es nachhaltige Ressentiments. Grundsätzliche Haltungen zur Gesellschaft  werden deutlich.

Die Verbreitungswege, die Spur der Pandemie, folgt oft den Spuren des  internationalen Tourismus, globalen Geschäftsverbindungen und Events wie Fussballmatches, die Reflexe von Rückholung und Risikomanagement sind dagegen national. Europa kommt kaum vor – Appelle richten sich an nationale Gemeinschaften der Solidarität und des Portemonnaies. Eh man sich umsah, waren Grenzen geschlossen. Was helfen dem auch offene Grenzen, der das Haus nicht verlassen  kann? Vorerst beendet ist die beschleunigte Welt der tausend Optionen, der Blick ist auf engere Fenster gerichtet.

Was auffällt:  Die eigene Gefährdung durch das Virus wird selten thematisiert, die Bedrohung eher statistisch erlebt, sie scheint mehr den Alten und ohnehin schon Kranken zu gelten. Anscheinend sieht sich kaum jemand in der digitalen Öffentlichkeit als Teil der Risikogruppe – und wenn, verlässt man sich auf die >80% mit mildem Verlauf und hofft insgeheim auf die Herdenimmunität.

Vgl. u.a.: Andreas Häckermann: Soziologisches zur Pandemie. Eine Sammlung aktueller Wortmeldungen- Soziopolis – gedankenstrich.org: Coronia- Krise und Soziologie. Blog von Jan- Felix Schrape. Yuval Harari: „Wir werden in einer anderen Welt leben, wenn die Krise vorbei ist“, Handelsblatt, 28.3.; Was die Corona Virus-Krise für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet, Zukunftsinstitut.de.  Sondergutachten 2020: Die Gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona- Pandemie . auf Youtube: Wer #RemoteWork sagt, muss auch #NewWork sagen



Kommentar verfassen

SideMenu