#Consociality – Eine Hashtag Soziologie

drei #Hashtags sollen es sein

29/03/16 kmjan
Auf Barcamps und anderen nicht ganz so formellen Veranstaltungen ist es ein Ritual: Die Teilnehmer stellen sich mit drei #Hashtags vor, davon oft eines mit beruflichem Bezug, eines persönlicher gesetzt und schließlich eines das Zugehörigkeit ausdrückt, oft eine Form von Fantum. Das soll die Atmosphäre lockern und den Gesprächseinstieg erleichtern.
Das Tagging ist aus SocialMedia vertraut. Twitter hat dem vormals unbestimmten #-Zeichen eine neue Bedeutung verliehen,   die über die Verschlagwortung hinausgeht. Mit dem #Hashtag werden Tweets zu Veranstaltungen, zu Themen, auch assoziativ gebündelt – eine Formatierung öffentlicher Kommunikation. Listen von Trending Topics werden regelmäßig veröffentlicht – und sind ein Gradmesser des öffentlichen Interesses. Manche #Hashtags wurden Zeitgeschichte, #aufschrei, #jesuischarlie oder #EinBuchfuerKai standen für öffentliche Debatten und Solidaritätsbekundungen.
Die meisten Social Media Plattformen kennen die #-Verschlagwortung, so Youtube, instagram, Google+, Facebook. instagram funktioniert in etwa wie Twitter mit Bildern, die Vergabe von Kommentaren ist aber nicht limitiert, was oft zum inflationärem Gebrauch verleitet. Dennoch erschliessen sich darüber Bilderwelten jeglicher Herkunft. Facebook tut sich damit schwerer, #Hashtags entsprechen mehr dem follower- als dem friends-  Prinzip, auf dem Facebook beruht.
Was html-links für das statische Web sind #Hashtags (+ @persönlicher Adressierung) für Social Media – erst sie verbinden die Postings zu einem Ganzen, machen social sozial.

Consocials

Das Beispiel oben zeigt die Selbstverständ-lichkeit und Akzeptanz der Übertragung des #hashtag auf das sog. Real Life: Soziale Verortung mit selbstgewählten Attributen. Menschen mit gleichen oder kompatiblen Interessen werden so zusammengeführt. Das bedeutet noch keine Gemeinschaft – es wird aber dann interessant, wenn Plattformen genutzt werden. Übereinstimmungen bzw. Kompatibilitäten werden dann relevant und bieten Möglichkeiten der Kooperation.

Eine begriffliche Entsprechung dazu ist Consociality (oder eingedeutscht Konsozialität) – Übereinstimmung in Merkmalen, Interessen, Ansichten, Leidenschaften – eine Vorstufe von Sozialität. Der Begriff stammt von den schottisch/kanadischen Anthropologen Vered Amit und Nigel Rapport (2002),  Es geht um “what we share“, nicht um Gemeinschaften in denen es Insider und Outsider gibt: ‘first and foremost by reference to what is held in common by members rather than in oppositional categories between insiders and outsiders’ (Amit and Rapport, 2002: S. 59)

Die Vorstellung von Gemeinschaft/Community war immer ein zentraler Gegenstand der Sozialwissenschaften und orientierte sich an Gemeinschaften in denen jeweils eigene kulturelle und soziale Normen wirksam sind bzw. waren. In der angloamerikan. Literatur orientierte man sich oft an Modellen der Ethnicity – nicht nur ethnisch, auch auf andere Gruppen angewandt, bis hin zu gay– oder deaf– Ethnicity. In der Folge wurde der Community Begriff auch zur Beschreibung von Online-Vergemeinschaftungen häufig verwendet, ohne dass dort eine vergleichbare Geschlossenheit gegeben wäre.
Entitäten wie Gemeinschaft und Kultur sind oft instabiler als von der Theorie her gedacht. Kulturelle Kategorien ändern sich in ihrer Bedeutung. Organisationen werden fluider.

Consocials 2
Consocials 2

Consociality lenkt den Blick auf die Möglichkeiten der digitalen Moderne. Personalisierte Vergemeinschaftungen sind dabei die Regel. Anschlußmöglichkeiten haben sich erweitert. Man kann einwenden, dass auch die “fluiden” Vergemeinschaftungen des vernetzten Individualismus auf gemeinsamen kulturellen Normen beruhen und sich immer wieder aus denselben Milieus rekrutieren – Richtig! Aber es sind Standards bzw. Werte, die als gesellschaftlich verbindlich gelten und nicht Eigenschaften einer partikularen Identität.
Eine wichtige Rolle spielt das Konzept Consociality in der Aktualisierung von Netnographie (2015)  von  R. Kozinets.

Kozinets, Robert V.: Netnography:Redefined. Sage Publications Ltd; Second Edition edition (July 24, 2015), 320 S., Chapter 2: Networked Sociality (S. 23-52). Vered Amit, Nigel Rapport: The trouble with community: anthropological reflections on movement, identity and collectivity ISBN: 9780 7453 17465;  Pluto Press, London 2002 192 S., 24,- €;  .



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