Deutschland 4.0 – Wie die Digitale Transformation gelingt (Rez.)

deutschland_40Zur Digitalen Transformation sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe Bücher  erschienen – einige davon habe ich in diesem Blog besprochen: „Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus“ von Ralf Kreuzer & Karl-Heinz Land; Tim Cole  mit “Digitale Transformation. Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt
getan werden muss!
 – um nur die zu nennen, die Transformation bereits im Titel führen.
Tobias Kollmann (Prof. BWL u. Wirtschaftsinformatik) und Holger Schmidt (Journalist/Netzoekonom) sind seit langem als Speaker und Autoren zu digitalen Themen bekannt. Autoren empfehlen sich mit solchen Titeln als Experten und Berater – hier geht es offensichtlich um Politikberatung. Bereits der Einband kommt schwarz/rot/golden staatstragend daher. Und es geht ausdrücklich um Deutschland als führende Industrienation, die auch in der neuen Digitalen Wirtschaft ein starker Player bleiben soll.
Seitdem Web 2.0 vor einem Jahrzehnt eine ganz Netzepoche prägte, wurden immer wieder Begriffe mit Versionsnummer in den Raum gestellt. Deutschland 4.0 bezieht sich auf Industrie 4.0, ein Konzept, das von den Autoren übrigens kritisch gesehen wird (vgl. S. 166). Industrie 4.0 und davon abgeleitete Begriffe, wie Arbeit 4.0 und Bildung 4.0 gehen auf die von der Bundesregierung eingeleitete Kampagne Zukunftsprojekt Industrie 4.0, Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort sichern zurück. “Industrie 4.0 gilt zwar als Zukunftskonzept der deutschen Industrie zur Absicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, ist aber de facto kaum verbreitet” (nach dem Strukturreport des  Instituts der Deutschen Wirtschaft, s. S. 71).
Das Buch ist sehr strukturiert, übersichtlich gegliedert. Gesellschaft, Technologie, Wirtschaft, Arbeit, Politik – alles 4.0 – sind die Felder von Analyse und Bestandsaufnahme, wobei Wirtschaft und Politik deutlich mehr Raum zugeteilt wird.

die erste Halbzeit der Digitalisierung verpasst
die erste Halbzeit der Digitalisierung verpasst

Die Geschichte ist die: Deutschland hat “die erste Halbzeit der Digitalisierung verschlafen” (S. 64), v.a. in der Plattformökonomie hat es den Anschluß verpasst. Plattformen sind die Schlüsselstellen zumindest der aktuellen Digitalisierungswelle.
Transaktionsplattformen sind Mittler zwischen Anbietern und Kunden; Innovationsplattformen bündeln die Entwicklung von Technologien/Produkten.
Plattformen bestimmen insbes. die Spielregeln in Konsumentenmärkten und schöpfen den Großteil des Mehrwerts ab. Nicht nur Amazon und Ebay mit ihren Verkaufsplattformen, AirBnb, Uber zählen dazu, Buchungssysteme, Apple’s Plattform für Entwickler und Facebook als Plattform für Medien, auch Datingportale sind weitere Beispiele: Betreiber stellen die Struktur, auf der Angebot und Nachfrage sich in grösstmöglicher und aktuellster Auswahl finden. Branchen wie der Einzelhandel, Reisemarkt, Hotellerie, Medien, Liefer- und Transportdienste u.v.m. wurden längst von diesen Digitalisierungsschüben erfasst. Das ist die digitale Gegenwart.

Digitalisierung greift in die Kernbranchen deutscher Wirtschaft

Die nächste Digitalisierungswelle greift über auf die Kernbranchen der deutschen Wirtschaft und wird auch hier zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor (vgl. S. 69). Für diese zweite Halbzeit gilt: “Wenn Deutschland die Produktionstechnologie- Abteilung der Welt bleibt, dann haben wir viel erreicht. Auf dieses Ziel arbeiten wir hin.” Ziel sei es, ,,auch künftig die Welt mit Maschinen zu beliefern, die aber intelligent sind“, so Siemens CTO /Russwurm (S.70). Selbstfahrende Autos, intelligente Roboter, aus der Ferne zu steuernde Maschinen, das Internet of Things (IoT), datengetriebene Industrie und 3D- Druck,  SmartHome, Fintech, E-Health sind die Themen. Letztendlich geht es um die digitale Wettbewerbsfähigkeit der klassischen Industrie, des Mittelstandes und von Start-Ups. Das ist die digitale Zukunft.
Im Kapitel Politik 4.0 werden die Anforderungen an die einzelnen Politikfelder – Infrastruktur-, Bildungs-, Wirtschafts-, Arbeits- und Europapolitik – Schritt für Schritt durchdekliniert. Hervorheben lassen sich das Bekenntnis zum Prinzip Netzneutralität, die Einbindung digitalen Wissens in den Bildungskanon, Unterstützung von Start-Ups und die digitale Aktivierung des Mittelstandes, flexible Beschäftigung und die Einbindung in eine europäische Perspektive.
Gegenüber den Ausführungen v.a. zu Wirtschaft und Politik fällt das Kapitel Gesellschaft 4.0 deutlich ab. Die Wechselwirkung von gesellschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Entwicklung, die Transformation gesellschaftlicher Systeme ist wohl ein eigenes Thema. Konzepte wie Networked Sociality und Vernetzter Individualismus kommen nicht vor.

In der bisherigen Resonanz wurde Deutschland 4.0 ziemlich einhellig positiv bewertet. Das Buch enthält in kompakter Form die wesentlichen Themen des Digitalen Wandels. Mit einem 25- Punkte Programm zur Digitalen Transformation schließt das Buch ab.
Ein wenig irritiert die durchgehende 4.0 Rhetorik. Zwar setzen sich die Autoren von Industrie 4.0 ab – doch sind die davon abgeleiteten Begriffe in allen Kapiteln präsent. 4.0 tritt uns auch in zahlreichen Publikation von Bundes- und Landesregierung NRW entgegen, zuletzt ein Weißbuch Arbeiten 4.0.  Der Begriff soll auf eine vierte industrielle Revolution verweisen – und bringt damit jeweils die Fragen mit sich, was denn nur die zweite und die dritte gewesen sei. Ob der Begriff als weitverbreiter Slogan glücklich gewählt ist, ist fraglich.
Manche Leser sehen in Deutschland 4.0. nicht nur eine Betriebsanleitung für Digitale Transformation, sondern gleich eine Bewerbungsgrundlage für regierungsamtliche Aufgaben als Minister oder Staatssekretär für Digitales – man wird sehen ….

Kollmann, Tobias & Schmidt, Holger: Deutschland 4.0 Wie die Digitale Transformation gelingt. Springer Gabler, Wiesbaden 2016, 186 S. 24,95 €.  
Nebenbei: Wenn auch Titel zur Digitalisierung vornehmlich als gedrucktes Buch verbreitet werden, dann zeigt das die Resistenz des Mediums Buch gegenüber digitaler Transformation an. 




Die große Transformation – Polanyi und die Digitalisierung

photocase6855993152093421(2)Digitale Transformation ist neben Digitalem Wandel eines der Buzzwords und seit einigen Jahren ein Leitbegriff in den Diskursen zur Digitalisierung. Während Digitaler Wandel sich weitgehend selbst erklärt, bzw. an Begriffe wie sozialen/kulturellen/wirtschaftlichen Wandel anschließt, schwingen bei der Transformation oft ungeklärte Bedeutungen mit.
Oft wird Digitale Transformation mit dem zielgerichteten Einsatz im Management gleichgesetzt, als Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens und Anwendungsfeld von Change Management – und der Bewerbung entsprechender BeratungsleistungenSo etwa von den  digitalen Darwinisten Ralf T. Kreuzer & Karl-Heinz Land  (vgl. Rezension) mit der Definition: „Mit dem Begriff digitale Transformation wird der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten.“
Sicher ist jedes Unternehmen bestrebt, seine Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten, jede Organisation hat ein Interesse daran unter veränderten Umständen zu bestehen. Neue Akteure wollen und müssen sich auf dem Markt durchsetzen. Das macht Transformation zu einem weiten Feld von Change- und Innovationsmanagement. Der Begriff berührt aber weitere Ebenen.

Polyani Die eigentliche Herkunft des Begriffs Transformation scheint wenig bekannt zu sein, selber wurde ich von Lutz Becker (Hochschule Fresenius) darauf aufmerksam gemacht: von dem ungarisch-österreichischen Soziologen und Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1886-1964), später an der Columbia University (New York) lehrend. In seinem Werk “The Great Transformation” (1944) geht es um die Herausbildung und Durchsetzung der Marktwirtschaft als gesellschaftlichem Organisationsprinzip in England vom 16. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist eine Geschichte der Spannung zwischen Markt und Gesellschaft: double movement – self-regulation of the market – self protection of the society. Eine zentrale These lautet „Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass das Entstehen nationaler Märkte keineswegs die Folge der langsamen und spontanen Emanzipation des ökonomischen Bereichs von staatlichen Kontrollen war. Der Markt war, im Gegenteil, das Resultat einer bewussten und oft gewaltsamen Intervention von Seiten der Regierung, die der Gesellschaft die Marktorganisation aus nichtökonomischen Gründen aufzwang“ (S.331). Verstärkt wird die Spannung durch die Einbeziehung von Arbeitskraft, Boden und Geld in die Regeln des Marktes. Die Transformation der vorindustriellen Gesellschaft nach diesen Regeln bedeutete eine Verselbständigung der Ökonomie.
Polyani und sein Transformationsbegriff wurden vor einigen Jahren in der Umweltökonomie wiederentdeckt.

Auffallend sind Parallelen zu Norbert Elias: beide waren deutschsprachige Emigranten jüdischer Herkunft, beide befassten sich mit langfristigen gesellschaftlichen Prozessen und beide schließen aus der Beobachtung dieser Prozesse auf Regelhaftigkeiten. Befasst sich Elias (in seinem Hauptwerk) mit der Genese von Verhaltensstandards und der Durchsetzung staatlichen Gewaltmonopols, geht es bei Polanyi um die Durchsetzung des Prinzips der Marktwirtschaft und die Umgestaltung der Gesellschaft unter deren Primat. Taucht heute z. B. der Begriff Technogenese (u.a bei R. Kozinets) auf, dann schließt er an Sozio- und Psychogenese an – Begriffe aus der Elias’schen Soziologie.

Transformation
Transformation betrifft die großen Systeme wie Arbeit, Bildung, Mobilität

Kennzeichnend für Transformations-prozesse sind Konvergenz, Emergenz und schließlich die Transformation. Konvergenz bedeutet die parallele Entwicklung einzelner Elemente, Emergenz die Herausbildung neuer Strukturen und Transformation schließlich die Etablierung eines neustrukturierten Systems.
Die heutige Transformation erfasst große Systeme wie Arbeit, Bildung, Mobilität. Es ist die Frage, ob diese nach reinen Marktstärken oder in einem gesellschaftlichen Prozess neu ausgerichtet werden. Treibende Kraft ist die Informationswirtschaft, in ihrer Folge Mediatisierung und eine Neustrukturierung von Öffentlichkeit. Einmal eingeschlagene Innovationen sind unumkehrbar. Man spricht über Sharing-Ökonomie, Neue Mobilität, Smart Home, Industrie 4.0 und Next Economy*. Der Begriff der Digitalen Transformation beleuchtet mit diesem Hintergrund die aktuelle Entwicklung,  in seiner Verwendung wird dies nicht immer deutlich.

Im Rahmen der Internetwoche Köln (24. – 29. Oktober 2016) planen wir eine Veranstaltung zum Thema “Transformation der Systeme: Arbeit, Bildung, Mobilität, Vergemeinschaftung.”

Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944; dt. 1977 Europa Verlag, Wien): 1978 Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 394 S.; Vortrag Lutz Becker auf der NEO 15, Bonn: http://de.slideshare.net/gsohn1/linuxprinzipien-fr-die-netzkonomie-neo15-session-
*Dazu die “Innovationsgesetze nach Lutz Becker
1. Innovation ist die Verbesserung von Fähigkeiten 
 im Bezug auf neue Umweltbedingungen lemlösung führt wieder zu neuen 
 Problemen 3. Alle Technologien sind Technologien des 
 Übergangs zu neuen Technologien 4. Bei allem, was technologisch möglich erscheint, arbeitet irgendwo jemand an der Realisierung 5. Es setzen sich immer die Innovationen durch,
 die das höchste Rationalsierungspotenzial haben, also Aufwand minimieren oder Nutzen maximieren;
Bildquelle (oben): bna / photocase.de

Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung (Rez.)

Nur alle Jahre wieder erreichen soziologische Titel eine größere öffentliche Resonanz – und noch seltener schaffen sie es in die Charts. Bezeichnenderweise oft solche, die von einem einzelnen Begriff aus das Gefüge moderner Gesellschaft aufrollen: Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft – und in dem vorliegenden Buch geht es darum Resonanz als Grundbegriff einer Soziologie der Weltbeziehung zu entwickeln. Das Buch erschien vor wenigen Wochen, im März 2016. Autor Hartmut Rosa ist Professor für Soziologie in Jena. Bekannt wurde er mit seiner Habilitationsschrift zur sozialen Beschleunigung (2004/05: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne). Seitdem wird er oft mit dem Begriff Entschleunigung in Verbindung gebracht.
Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“- so beginnt das Buch und beabsichtigt ist eine Soziologie des gelingenden Lebens.

Das grundlegende Verständnis ist nachvollziehbar und einfach erklärt: Resonanz macht die Verbundenheit mit der Welt fühlbar und erlebbar. Fehlt sie, fühlen wir uns fremd.

In mehreren Kapiteln geht es um die Fülle der Formen, in denen wir eine Beziehung zur Welt herstellen – von der leiblichen Basis und ihrem Ausdruck (atmen, essen und trinken, Stimme, Blick, Gesicht etc.), der Weltaneignung und Welterfahrung zu kulturell ausdifferenzierten Weltbildern. Es geht um konkrete Erfahrungs- und Handlungssphären, wie Familie und Politik, Arbeit und Sport, und um die Verheißung von Religion und Kunst. Bemerkenswert ist die Einlassung zur Religion als Vorstellung einer antwortenden (d.h. resonanten) Welt (S. 435). In diesem Sinne verspricht Religion die “Gewähr, dass die Ur-und Grundform des Daseins eine Resonanz- und keine Entfremdungsbeziehung ist” (S. 435).
Generell bedeuten resonante Beziehungen eine Form des In-Beziehung-Tretens, die uns berührt und bewegt, in denen wir aber auch eine Erfahrung der Selbstwirksamkeit machen. Resonanzachsen bezeichnet die bevorzugte Ausrichtung auf bestimmte Bezugsfelder.

Streben nach Resonanz - Bildquelle: photocase.de- kallejipp
Streben nach Resonanz — Bildquelle: photocase.de- kallejipp

Digitalisierung kommt höchstens am Rande vor, mit dem Stichwort Reichweitenvergrößerung. In einigen aktuellen Interviews äußert sich Rosa skeptisch zu Social Media, bildungsbürgerliche Vorbehalte klingen durch:Soziale Medien zeigen sehr schön die Sehnsucht der Menschen, resonant mit der Welt verbunden zu sein. Gerade deswegen sind sie so attraktiv, sie gaukeln echte Resonanz aber nur vor” (web.de, 5.4.16). Resonanz in der digitalen Sphäre bedeutet aber mehr als quantifizierbare Likes und Bewertungsklicks. Online- Medien sind Infrastruktur in einer vernetzten globalen Öffentlichkeit, die eben auch mehr Möglichkeiten zur Bildung von Resonanzachsen bietet.  Unsere soziale Umgebung ist nicht mehr auf eine überschaubare, geordnete Welt beschränkt. Warum sollten nicht z.B. über Gaming resonante Erlebnisse entstehen? Online-Medien werden auch dazu genutzt resonante Kommunikationsstränge aufzubauen und aufrecht zu erhalten. 

816 Seiten sind viel, Weltbeziehung ein weites Feld – und das Konzept der Resonanz ein großer Wurf (Abkehr von Beschleunigung kann hingegen nach Werbung für Wellness- Oasen klingen). Das Buch enthält zahllose diskurswürdige Einzelthemen, die an ebenso viele Themenfelder anschließen. Die These von der Moderne als Geschichte einer Resonanzkatastrophe (S. 517 ff) ist zumindest zu diskutieren. Manchem Leser wird einiges esoterisch erscheinen, letztlich geht es um gefühlte Kriterien, die sich beschreiben, aber nicht messen lassen. Und manchmal hat man auch das Gefühl, das gelungene Leben sei doch in einer Jugendstilvilla zu Hause und spiele auf der Terrasse Klavier …
Spielt Resonanz eine Rolle im Digitalen Wandel? Sicherlich, das Streben nach Resonanz, nach resonanten Räumen und Beziehungen ist zutiefst menschlich und erkundet alle Räume und Möglichkeiten. Wahrscheinlich ist Resonanz genau die entscheidende – außerökonomische – Dimension, auf die es auch im digitalen Wandel ankommt. Wenn von Teilhabe am digitalen Wandel gesprochen wird, geht es im Grunde um Resonanz. Man denke z.B. an aktuelle Diskussionen zu Gamifikation: Geht es darum, spielerisch teilzuhaben – oder um den Zuckerguß auf einer Marketingkampagne?

In einem Interview der NZZ äußert sich Rosa zur Veränderung der ökonomischen Verhältnisse hin zu einer Wirtschaftsdemokratie “Ich suche nach den Konturen einer Gesellschaft, die modern bleibt im Sinne von pluralistisch, demokratisch und auch liberal, die aber nicht auf Wachstum und Beschleunigung angewiesen ist, um den ökonomischen und politischen Status quo zu erhalten. Wenn wir resonante Weltverhältnisse schaffen wollen, müssen wir die Steigerung als blindlaufenden Zwang überwinden.” (NZZ, 11.3.16) 

Rosa, Hartmut: Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp, Berlin 2016, 816 S. 34,95 €.

Innovation & Transformation (Rez.)

InnovationsstauCole_Digi_TRans

Zwei Bücher in denen es um Innovationsfähigkeit, um die “Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsnation” (Cole S. 197) geht.
Es gibt ein oft idealisiertes Bild der deutschen Wirtschaft. Dazu zählen die hidden champions aus der ostwestfälischen oder schwäbischen Provinz, die mit hochspezialisierten Produkten und herausragender Innovationskraft im Weltmarkt vorne stehen. Und es gibt leistungsstarke auf Effizienz getrimmte Konzerne. Zusammengehalten wird das von einer Kultur der Zuverlässigkeit und der Sachlichkeit. Das sichert dem Land Exporte aus der Produktion und den Wohlstand.
Beide Bücher lenken den Blick auf Schwachstellen der Innovationskraft hinter diesem Bild, und sehen sie u.a. in vorherrschenden Unternehmenskulturen und im Umgang mit dem Rohstoff Kreativität.
Digitale Transformation (daneben steht der Begriff Digitaler Wandel, darin sind die kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen einbezogen) ist ein globaler Prozess. Tim Cole bringt die einzelnen zugehörigen Themen, wie Industrie 4.0, Big Data, neue Branchen wie Video- und Musik-Streaming, Cloud Services, 3D- Druck als Fertigungsverfahren und die Customer Journey flüssig zusammen. Weiten Raum nimmt die Darstellung der neuen Rollen von Kunden, Herstellern und Mitarbeitern ein. Industrialisierung der Wissensarbeit ist ein Trend, komplexe Aufgaben werden in einfache Module zerlegt und über das Netzwerk an Personen vergeben, die die dafür notwendige Kompetenz haben (S. 177).
Trotz all dieser Änderungen gelten in der Alltagswirklichkeit oft noch die gleichen starren Regeln – und das sieht er als ein speziell deutsches Problem, an dem Arbeitgeber und -nehmer, Konsumenten und Politiker gleichsam an einer konservativen Mentalität teilhaben. Deutsche Chefs bestehen allzuoft (75% der Firmen verlangen Präsenz) auf Aufsicht und Kontrolle: Ohne Kontrolle keine Produktivität. Schließlich hat “Digitale Transformation” auch Züge eines Ratgebers. Cole entwirft Scenarios von Marketing, Arbeit und Organisation, am Ende der Kapitel  stehen jeweils “Zehn Fragen, die Sie sich in diesem Moment stellen sollten” – Checklisten, mit deren Hilfe Entscheider ihren Stand in der Digitalen Transformation prüfen können.

Innovationen sind manchmal einfach da Bildnachweis: kallejipp / photocase.de
Innovationen sind manchmal einfach da Bildnachweis: kallejipp / photocase.de

Jürgen Stäudtner verbindet mit Maschinenbau, Bildender Kunst und BWL Qualifikationen, die man selten zusammen findet. Er macht Ideen- und Innovationsmanagement, rollt  das Thema aus langjähriger Erfahrung auf. Es geht ihm darum, Arbeit und Wirtschaft zielführender zu gestalten, aufzuzeigen, “wie Ideen und Leidenschaft, wie Empathie für den Kunden, der Mut zum Scheitern und zur modernen Vermarktung zu Innovation führen.
Stäudtner bezieht Ansätze wie Open Innovation ein. Er zieht aber auch Schlüsse aus eigenen Beobachtungen in Arbeitsalltag und Produktentwicklung, das macht sein Buch empfehlenswert. 
Als Hemmschuh von Innovation sieht er ein teilweise oligarchisches System: Viele der in Deutschland angesammelten Vermögen sind in den Händen weniger Reicher,  denen es mehr um Erhalt von Vermögenssicherheit und der damit verbundenen Privilegien geht und die meist wenig Interesse an Investition in Innovation haben. Die Deutschen sind stolz auf technisch ausgereifte Produkte mit hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards. Da wirkt der offensichtliche Betrug von VW bei den Abgaswerten wie ein Menetekel. Innovationen entstehen dann, wenn man mit Gewohntem bricht.

Einen Gedanken kann man beiden Büchern hinzufügen – und das ist die kulturelle und gesellschaftliche Dimension des Digitalen Wandels. Die wird nicht verschwiegen, aber sie bleiben in der Sphäre der Wirtschaft. Zukunft wird nicht allein von technischer Machbarkeit und ökonomischen Entscheidungen bestimmt. Genauso von der Attraktivät kultureller Muster.
Die Frage warum bisher kein deutsches oder europäisches Unternehmen mit einem der “Großen Vier” (Apple, Google, Facebook, Amazon) der digitalen Welt mithalten kann, tritt immer wieder auf. Die USA haben Silicon Valley hervorgebracht, wie sie Hollywood hervorgebracht haben:  Ein riesiges Cluster global wirksamer populärer Kultur.
Zumindest drei der Großen Vier haben entscheidende Kulturtechniken der online-Welt, wie wir sie heute kennen, geprägt.  Apple blickt schon auf mehrere Jahrzehnte zurück und blieb einem Grundprinzip treu: Technik sollte intuitiv zu bedienen sein. Im Laufe der Zeit erbrachte dies eine Fülle von Innovationen, die uns heute selbstverständlich sind: den ersten ‘persönlichen Computer’, die graphische Benutzeroberfläche, die Bedienung der SmartPhones u.v.m.  Kennzeichen all dieser Innovationen ist  plug and play – der direkte Anschluß an die Intentionen der Benutzer – von denen nicht verlangt wurde, sich weiter mit der Technik auseinander zu setzen. Dafür wurde Apple geliebt wie sonst nur Pop- Stars.
Die unprätentiöse Google– Suche machte das Internet erst wirklich als Informationsquelle nutzbar und beendete das Internet der Portale (erinnert sich noch jemand daran?). Facebook hat Social Media nicht erfunden, aber in seiner Form auf der Welt verbreitet. Das alles sind Kulturtechniken, die sich weltweit schnell verbreiteten. Sie vereinfachten und verbesserten die Nutzung der neuen online-Welt  – sie wurden niemandem aufgezwungen.

Tim Cole: Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt getan werden muss! Verlag Franz Vahlen München; 2015, 24.90,  212 S. Jürgen Stäudtner: Deutschland im Innovationsstau: Wie wir einen neuen Gründergeist erschaffen. Books on demand ISBN:978-3-7347-6742-5;  2015, 183 S., 19.95 €;  .

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