Hypes und ihre Weiterwirkung

Es geht voran – ein Blick in die Zukunft. Bild: Harsh Shivam. pexels.com

Vor einem Jahr sprach man von Krisen – in diesem Jahr spricht man von Hypes. Gleich mehrere Hypes folgten so bruchlos aufeinander, dass das Phänomen Hype selber zum Thema wird. Die Zyklen technologischer Trends schliessen schnell aneinander, und versprechen eine neue Welt. Welche Weiterwirkung haben sie in unserer Gesellschaft?
Zyklen von Hypes technologischer Neuerungen werden seit längerem thematisiert (Gartner-Zyklen), Der Verlauf spiegelt Muster wieder, ist aber nicht zwangsläufig.
Die Hypes der letzten Jahre gehen darüber hinaus: es sind Hypes, die sich als zwangsläufige Zukunft inszenieren. Sie gehen aus von den grossen Tech- Konzernen bzw. deren Umfeld, die im vergangenen Jahrzehnt im Social Web reich geworden sind.  Sie nehmen eine Stelle von Zukunftsvisionen ein. Der Ausdruck Futures Appropriation drückt eine Aneignung von Zukunft durch sie aus – darunter geht es kaum.
Der folgende Text überschneidet sich mit einem anderen (Hypes: Metaverse – Web3 – ChatGPT – Vom Zweiten zum Dritten Netz?) – steht aber in zeitlicher Distanz von knapp vier Monaten. 

Der Hype um Web3 ist schon fast Geschichte, taucht aber immer wieder als Referenz auf. Manchmal aus Unkenntnis, öfter um Abgrenzung auszudrücken. Über Web3 ist fast alles abschliessend gesagt, was es zu sagen gibt:  Der Rant  Das dritte Web von Jürgen Geuter, (@tante) lässt an Kritik nichts über.  Vor drei Monaten erschien zudem der Forschungsbericht Expansive and extractive networks of Web3 (2023), der Web3 aus seinem spezifischen Habitat heraus erklärt.
Die Autoren Jathan Sadowski & Kaitlin Beegle beschreiben Web3 als eine Art Fallstudie des Risikokapitalismus aus Silicon Valley: Web3 was not an anomaly in the broader tech industry. It should be understood as a product of that industry, which articulates patterns and dynamics that existed before Web3 and will exist after — The innovations may not survive, but the model continues to thrive
Web3 vermengt Elemente, die man ansonsten kaum zusammenbringt: Eine Rhetorik von Dezentralität, die letztlich zu Konzentration führt, dazu einen enormen Energieverbrauch und eine Spekulationsblase.  Keine Regulierung, keine Institutionen,  kein Staat bzw. möglichst wenig davon, eine “libertäre”, anarchokapitalische  Ideologie mit Anklängen an Ayn Rand, einer Autorin des enthemmten  darwinistischen Kapitalismus. 

Einstieg in eine parallele Welt – auf dem Höhepunkt des Hype – Time Magazine 8/22

Das Metaverse ist vorerst auserzählt – zumindest mit der Perspektive einer medialen Infrastruktur incl. virtueller sozialer Beziehungen und digitalem Eigentum. Mit dem Einstieg in eine parallele Welt ist eine Faszination verbunden – eine uralte, archetypische Erzählung bzw.  Narrativ. Der Begriff selber greift die Dystopie aus dem  Science Fiction Roman Snowcrash auf, in dem Menschen als Avatare ihrer selbst miteinander kommunizieren.
Die Vision des Metaverse wurde immer etwas vorsichtig bis nebulös beschrieben: Ob es das Metaverse jemals geben würde, wurde immer offen gelassen, damit auch die Möglichkeiten der Verwirklichung.
Der Hype scheint in eine Richtung kanalisiert zu sein, in dem es um die Umsetzung einzelner konkreter Anwendungen, wie etwa Architekturmodelle, Simulationen zu Trainingsanwendungen, Konferenzschaltungen geht.  Nüchterne Begriffe wie immersive Medien und Spatial Computing stehen nun im Vordergrund, es geht um nützliche Anwendbarkeit.
Das Zusammenwachsen dieser Anwendungen ist vorerst unwahrscheinlich, dennoch eine – mögliche – langfristige Perspektive. Metaverse- Erfahrungen einer parallelen Welt sind am ehesten im Gaming- Bereich denkbar. Die Datenbrille als das neue Smartphone, das den Zugang zu einer neuen medialen Infrastruktur gewährleistet, bleibt aber in weiter Ferne. Die Mehrheit der Menschen kann sich nicht damit anfreunden, wahrscheinlich erinnert sie zu sehr an eine Prothese.
Der Traum/ die Vorstellung vom Metaverse bleibt aber, wie eine aktuelle Definition von Leslie Shannon (Autorin Interconnected Realities) zeigt: The Metaverse is a partly- or fully-digital experience that brings together people, places, ans/or information in real time in a way that transcends that which is possible in the physical world alone, in order to solve a problem. Gemeint ist eine neue Form der Mensch/ Maschine – Interaktion.
Ausgerechnet in einer Branche, die an sich so sehr mit der Inszenierung des Körpers verbunden ist, lebt der ursprüngliche Entwurf des Metaverse fort –  zumindest  in dem Bereich der Fashionwelt, dessen Wertschöpfung sich von materiellen Kosten losgelöst hat. Metaverse Fashion Week ist ein Laufsteg dematerialisierter Mode – und erstaunlich viele Unternehmen beteiligen sich daran. Mode, die Avatare bekleidet, hat den  Charakter von NFTs – den digitalen Unikaten des Web3.
Digitale und virtuelle Kunst ist zu einem integralen Bestandteil der lokalen visuellen Sprache geworden – nicht nur in der Kunstwelt, sondern auch unter Chinas innovativsten Modedesigner:innen – so zitiert die Vogue (D)  die Chefredakteurin der chinesischen Ausgabe Margaret Zhang, anscheinend  gibt es kulturell bedingte Unterschiede.

Ist der Chat Bot wirklich intelligent? – Foto von Rock’n Roll Monkey Unsplash.com

Die Breitenwirkung des dritten Hype, Chat GPT, ist ungleich grösser. ChatGPT ist die Volksausgabe der künstlichen Intelligenz. Der Hype ist zwar ebenso von Investoren initiiert, wird aber in einer ganz anderen Dimension von Anwendern getragen. Millionen experimentieren damit, testen den Gebrauch, die Zusammenführung von Inhalten und überhaupt alle Möglichkeiten,  die der ChatBot bietet.
Misst man eine Technologie daran, wie erfolgreich sie Probleme löst, dann löst Chat GPT bislang eine Reihe von Alltagsproblemen:  Schüler und Studenten erledigen damit Hausaufgaben, Anschreiben von Bewerbungen werden damit erstellt. Werbemails, wahrscheinlich oft genug juristischer Texte – allesamt weitgehend standardisierte Textformate.  Seit dem Start von Chat GPT  im letzten Winter ist das Ausmass der Verbreitung kaum mehr zu überblicken.
Man kann es auch positiver formulieren: Chat GPT erschliesst das Wissen und die Formen aus den Datenbeständen des Web und gibt sie als Text, Bild, Code aus und bietet nutzbare Lösungen. Manchmal ersetzt es die Suchmaschine oder Wikipedia. Komplexere Ergebnisse erfordern komplexere  Handlungsanweisungen. Prompt Engineering ist die Kunst, sie so zu formulieren, dass  die Software  die bestmöglichen erwünschten Ergebnisse zeigt. Ein sehr anschauliches Beispiel – ohne jede Rücksicht auf Urheberrechte – gibt es in einem Spot von Afri- Cola – die Ideen stammen von kreativen Köpfen, die Umsetzung von der KI/ AI.
Auch KI hat eine archetypische Hintergrunderzählung: die Schaffung einer aussermenschlichen Intelligenz war und ist immer ein Motiv, nicht nur in  Science Fiction, sie ist viel älter. Dahinter steht die Furcht, das Erschaffene könne den Schöpfer übertreffen und seiner Kontrolle entkommen – die menschlich gestaltete Zivilisation von ihrem Produkt übernommen werden.
Dagegen steht der Einwand, dass Chat GPT und generell das, was als KI/ AI bezeichnet wird, überhaupt nicht intelligent ist. Ein Einwand, ebenso alt, wie die Technologie selber – und der sich immer wieder an dem Begriff KI/AI entzündet.
Und es gibt das Problem der missachteten Urheberrechte, schliesslich greifen die Crawler der Chat Bots auf alle zugänglichen Texte und Bilder als Trainingsdaten zu. Wie gut die KI ist, hängt davon ab, wieviel Texte (und Bilder) sie verschlungen hat- um Urheberrechte schert sie sich nicht. Allerdings ist der Umfang der Geschäfte so gross, dass man erwarten kann, dass es zu Einigungen kommt.

Techniken setzen nur dann durch, wenn sie ganz offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft treffen (Armin Nassehi) bzw., wenn sie ein Problem lösen. Das scheint der Fall zu sein …
Rechenleistungen sind nicht energieneutral – egal, ob Bitcoins geschürft, parallele Welten gerendert werden oder ein Chat Bot Daten durchpflügt und Ausgaben kreiert.

Für diesen Text wurde ChatGPT nicht benutzt, aber folgende Quellen: Sadowski, J., & Beegle, K. (2023). Expansive and extractive networks of Web3. Big Data & Society, 10(1). Leslie Shannon: Interconnected Realities: How the Metaverse Will Transform Our Relationship to Technology Forever (2023) Jaron Lanier: There is No AI. The New Yorker 20.04.2023. There are ways of controlling the new technology—but first we have to stop mythologizing it Matthew Hudson: Can we stop Runaway A.I. ?  The New Yorker. 16.05.2023 –  Dirk Songuer: Fieldnotes from the Metaverse  Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Bullshit, der (e)skaliert. Golem 16.03.23.  Michael Schütz: Warum Chat GPT nicht intelligent ist. planung&analyse. 20.6.2023 Thomas Riedel: Ist ChatGPT das neue Metaverse? Absatzwirtschaft 11.07.2023. VOGUE Meta-Ocean“: Erleben Sie die Welt der Mode im Metaverse | Vogue Germany . 10/2022. Afri- Cola: afri und die künstliche Intelligenz . Brühl/ Janisch/ Kreye: Einfach nur hungrig. Künstliche Intelligenz und Urheberrecht. Süddeutsche Zeitung 23.07.2023

 



Hypes: Metaverse – Web3 – ChatGPT – Vom Zweiten zum Dritten Netz?

Metaverse, Web3, Chat GPT Hypes darüber, was unsere digitale Zukunft sein soll, reihen sich aneinander.
Die Hypes zu Metaverse und Web3  sind  mittlerweile abgeflacht bzw. entzaubert. Beide wurden immer wieder als neue Stufen der digitalen  Evolution genannt, successor states des Internet, wie wir es kennen.

Metaverse ist mehr als immersive Technik. Graphik: Thomas Riedel

Hypes sind zumeist mit Narrativen einer zu erwartenden Zukunft verbunden.
Metaverse knüpft an aus Science Fiction bekannte Visionen einer virtuellen, aber doch sinnlich erlebbaren Welt.
Das Metaverse ist mehr als Was mit VR- Brillen. Definitionen gibt es eine Reihe, entscheidend ist eine Infrastruktur, die Nutzer bruchlos zwischen einzelnen, durch Daten erzeugte Realitätserfahrungen wechseln und sie erleben lässt. Umgebungen, in der solche – sozialen und sinnlichen – Erfahrungen möglich sind, wären tatsächlich etwas, that will revolutionize everything.
All die Fragen nach dem Wandel von Öffentlichkeit, von Vergemeinschaftung, nach einem gesellschaftlichen Common Meeting Ground, aber auch nach der Marktteilnahme und den Möglichkeiten des E- Commerce stellen sich dann erneut. Nicht miteinander verbundene, in sich geschlossene virtuelle Welten sind kein Metaverse, es sind einzelne immersive Erfahrungen, gated experiences,  die aber keine neue Infrastruktur des Internet mit sich bringen. Abgeflacht ist v.a. der von  Meta/ Ex- Facebook angefachte Hype.

Web3 galt lange Zeit als selbsterklärter Nachfolger von Web2 – jede Entwicklungsstufe des Internet fügt demnach eine neue Funktionsebene hinzu, so folge Web3  in gerader Linie auf  Web1  und Web2, von read-only to read & write to read-write-own (vgl Graphik zur Geschichte des Web, Voshmgir) – von der Plattformökonomie zur Token- Ökonomie. Begriffe und Konzepte wie Blockchain, NFTs, DAOs, Smart Contracts und Kryptowährungen sind mit Web3 verbunden. Kernstück ist die Blockchain, die dezentral angelegte, von den Nutzern gemeinsam genutzte und betriebene Datenbank.
Die Financial Times beschrieb Web3 als Bewegung, die auf dem Gedanken basiert, dass die Blockchain-Technologie, die die Krypto-Vermögenswerte aufzeichnet und verfolgt, eine neue Generation von nutzergesteuerten Online-Diensten unterstützt, die die heutigen Internet-Giganten entthronen werden (FT, 7/22).
Die ‘Bewegung Web3′ vereint dabei eine eher unübersichtliche Gemengelage von Interessen und Motivationen. Nach aussen geht es um Dezentralität, um  Datenaustausch ohne Intermediäre. Allerdings nicht um eine evolutionäre Weiterentwicklung, sondern um eine aktiv von versch. Netzwerken gestaltete Vision, etwa wie eine Landkarte, die ihr eigenes Territorium absteckt (vgl. Sadowski & Beegle, 2023). 
Die Bandbreite dieser Szene ist breit. von den  Künstlern, die in NFTs die Möglichkeit von Einkünften sehen, bis zu cyberlibertären Kreisen und einem Anarchokapitalismus in einem tendenziell staats- und politikfreien Raum. 
Selten habe ich eine so vernichtende Kritik, wie die von J. Geuter / @tante an Web3 gelesen: ein moralisch abgrundtief widerliches Projekt;  in der heutigen Form fundamental kaputt (Das Dritte Web) Ein Casino der Zocker.   Dagegen steht die Eigendarstellung: “Our passion is delivering Web 3.0, a decentralized and fair internet where users control their own data, identity and destiny.”
Sadowski & Beegle legen in ihrer Web3 Analyse (3/2023, s.u.) nahe, Web3 als eine Fallstudie zu den Innovationen innerhalb des dominierenden Modells von Venture Kapitalismus im Silicon Valley zu sehen.

Der dritte Hype – Chat GPT – ist noch ungebrochen. Zuerst mit der kostenlosen  Version 3, seit dem 16.03. mit der leistungsfähigeren Version 4.  Im Unterschied zu Metaverse und Web3 geht es nicht um eine komplette Infrastruktur, sondern um den weitflächigen Einstieg in eine Technologie. Artificial Intelligence/ Künstliche Intelligenz  wird schon lange diskutiert, und jetzt steht sie öffentlich – zumindest in der Version 3 – kostenlos zur Verfügung.
Chat GPT und seine schnell nachgefolgten Konkurrenten (Bard)  sind Werkzeuge des maschinellen Lernens, die in riesigen Datenmengen nach Mustern suchen und statistisch wahrscheinliche Ergebnisse erzeugen. Wirklich nutzbar wird es mit Prompt Engineering,  der Technik, die eigenen Anweisungen so zu formulieren, dass sie vom System am besten verstanden werden  – und somit Ergebnisse erbringen, die den Erwartungen am nächsten kommen – bzw. sie übertreffen.

Chat GPT auf die Frage, welche 30 Berufe durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. v. Marco Petracca (erscheint auf Klick in voller Auflösung)

AI/ KI kann eine grosse Reihe von Tätigkeiten  automatisieren (s. Graphik re.). Inwieweit damit Berufe verschwinden – oder ob KI von bestimmten Arbeitsgängen entlastet,  ist eine jeweils eigene Frage. Unternehmen werden oftmals den Rationalisierungsgewinn für sich beanspruchen und einbehalten. Meist gilt:  je höher der Status desto besser die Chancen.
Kritik bzw. relativierende Beschreibung richtet sich v.a. auf das Datenmaterial, die Vorstellung von Intelligenz. Noam Chomsky konstatiert in dem viel beachteten Guest Essay The False Promise of Chat GPT  in der New York Times (8.03.23)  High-Tech Plagiarism – in der wir unsere Wissenschaft und Ethik herabstufen, indem sie in unsere Technologie eine fundamental falsche Konzeption von Sprache und Wissen einfließen lässt.
James Bridle benennt im Guardian (16.03)  eine Aneignung bestehender Kultur in einem Umfang kaum begrenzten Ausmasses durch Techunternehmen (16.03).
Weitere Kritik kommt von Ted Chiang im  New Yorker als ChatGPT is a blurry jpg of the web + dem Untertitel Der Chatbot von OpenAI bietet Paraphrasen, während Google Zitate anbietet. Was ist uns lieber? schrieb The New Yorker  Wie bei jpg und mp3 gehen Informationen bei der Datenkompressionen verloren, oft genug werden Artefakte erstellt.
Mir fällt eine Parallele ein:  Wäre ChatGPT somit für die Wissensgesellschaft das, was mp3 für die Musikkultur ist?

Der Output von ChatGPT ähnelt Stilvorlagen, entspricht oft bekannten Mustern, einem Mainstream des Internet – aber was wäre anders zu erwarten?

Hypes werden inszeniert, von Investoren angetrieben.  Gemeinsam ist allen drei Hypes, dass sie eine ganz bestimmte Zukunft als zwangsläufig inszenieren:  futures appropriation – vereinnahmte Zukünfte – zumeist nach einem von Investoren vorgezeichneten Modell.  Ergreift man diese Zukunft nicht, gerät man ins Hintertreffen. Ebenfalls gemeinsam ist ihnen ein  Energieverbrauch in noch unbestimmter Grössenordnung – das muss in Zeiten der Klimakrise vermittelbar sein. Virtuelle Welten, Blockchain und der Chatbot verbrennen viel beim Umschlag von Datenmengen …
Der Hype ums Metaverse hat immersive Technologien vorangetrieben. Mit dem Metaverse war und ist immer auch die Formel  verbunden, dass es das Metaverse noch gar nicht gibt – das hält die Vision offen. Andere Unternehmen, wie NVidia und Epic bauen an Standards, auf denen – maybe someday – ein Metaverse BtoC  entstehen kann.
Web3
scheint in dieser Form ausgebremst –  dahinter stecken aber weiter verbreitete Muster aus Tech Industry und Venture Kapitalismus, die schon  lange existieren und weiter bestehen bleiben.
An ChatGPT werden wir uns gewöhnen – auch ziemlich schnell Texte, E- Mails und andere Ausgabeformate erkennen, die damit erstellt wurden …. und wenn es sehr gut ist, dann steckt wohl doch ein Autor dahinter …

Vor mittlerweile rund zwei Jahrzehnten war das Web 2.0., eine Nutzungsevolution,  mit einem basisdemokratischen Aufbruch verbunden. Der Wunsch nach freiem Zugang zu  Wissen, Information und Austausch darüber war ein Antrieb der Verbreitung. Jede/r sollte die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen.  Auch das mobile Web, etwa seit der Einführung des  iPhone wurde weitflächig begrüsst – fast jeder wollte dabei sein.
Das Oligopol der digitalen Welt – im wesentlichen die GAFAM*- Unternehmen setzte sich irgendwann mit Social Media und der Plattformisierung durch (vgl. M. Seemann). Lange Zeit blieb es erstaunlich stabil, jetzt scheint es in Bewegung zu kommen, Konkurrenzen werden spürbar. Social Media zeigt Ermüdungserscheinungen (ein weiteres Thema). Das in Social Media verdiente Geld sucht Anlagemöglichkeiten – das sind die Triebfedern zum neuen (dritten?) Web. Von Enthusiasmus, wie damals, ist wenig zu spüren, eher Routinen. Doch prägen technische Infrastrukturen soziale Erfahrungswelten.

Jathan Sadowski & Kaitlin Beegle: Expansive and extractive networks of Web3. In:: Big Data & Society. January–June: 1–14, 2023 Jürgen Geuter (tante@tante.cc) : Bullshit, der (e)skaliert. Golem 16.03.23. James Bridle: The Stupidity pf AI – Artificial intelligence in its current form is based on the wholesale appropriation of existing culture, and the notion that it is actually intelligent could be actively dangerous. The Guardian 16.03.23 —  Ted Chiang: Chat GPT is a blurry jpeg of the web. The New Yorker. 9.02.23  Noam Chomsky: The False Promise of ChatGPT. New York Times 8.03.23    Natasha Lomas: Metaverse is just VR, admits Meta, as it lobbies against ‘arbitrary’ network fee . Techcrunch.com 23.03.2023. Paul Murray: Who Is Still Inside the Metaverse? Searching for friends in Mark Zuckerberg’s deserted fantasyland. Intelligencer. 15.03.23



Chat GPT und der Kitty Hawk Moment von KI

Stufen von Hypes & Trends. Mediacamp NRW 2023 (erscheint nach Klick in voller Grösse) Graphik: Johannes Meyer

Was ist kurzfristiger Hype, was langfristiger Trend? Besonders zum Jahresbeginn immer wieder Thema- so auch auf dem Media Camp NRW in Duisburg (1/23).
Vor zwei Jahren startete die Live- Talk App Clubhouse mit einem grandiosen Hype. Im ganz besonders tristen Corona- Januar 2021 machte sie ein Fenster auf in eine schmerzhaft vermisste Öffentlichkeit.  Die fand sich zusammen und tagte ein, zwei Wochen lang fast ununterbrochen, wie um das Lagerfeuer herum – mit auffallend reger Beteiligung von Politikern, Keynote- Speakern und Comedians. Bald danach versandete Clubhouse dann aber immer mehr in der Bedeutungslosigkeit.
Der Hype lässt sich mit dem Zeitpunkt, aber auch Vorzügen wie einfacher Bedienbarkeit etc. erklären – aber wie der freie Fall danach? Dass ein Hype abflacht liegt in der Natur der Dinge, es bleiben dauerhaft nutzbare Möglichkeiten.

Auch KI, künstliche Intelligenz, kannte eine ganze Reihe von Hypes mit nachfolgendem Absturz, man spricht sogar von den KI-Wintern, in denen das allgemeine Interesse, öffentliche und private Förderung, Investitionen und StartUp- Finanzierungen zurückgingen. Nach anderer Zählweise erleben wir heute den dritten KI- Frühling.
Im Winter 2022/23 ist unbezweifelt Chat GPT der Hype – und durchgehend  Thema zahlloser Artikel, Podcasts, Diskussionen, Zoom- Konferenzen etc., es steigert sich fast von Tag zu Tag. Hype und Zeitpunkt sind eine Parallele zu Clubhouse, ansonsten ist Chat GPT  weit mehr als das. Der brandeins- Autor Thomas Ramge** hatte 2018 das Bild des  Kitty Hawk Moment* für den entscheidenden Durchbruch einer Branche eingebracht – und  für  KI bzw. AI/ Artificial Intelligence  damals Autopiloten, Gesichtserkennung angenommen.

Kitty Hawk: wenn eine Technologie abhebt Bild: History in HD. unsplash.com

Kitty Hawk ist der Ort im amerikan. Bundesstaat North Carolina, wo den Gebr. Wright im Jahre 1903 der Durchbruch im Motorflug gelang. Immer wieder hatten sie ihn angekündigt und immer wieder waren sie gescheitert.  Dann passte es auf einmal und der Flug gelang.  Davon stammt das Bild:  Die Technologie hebt ab und plötzlich klappt, was vor wenigen Jahren noch eine grossprecherische Behauptung war (Ramge, 2018, 7).  ChatGPT drückt es so aus: den Moment, an dem eine Technologie einen entscheidenden Durchbruch erreicht und von da an nicht mehr aufzuhalten ist.

Welchen Stand von Entwicklung und Resonanz man nun als Durchbruch der KI ansieht, ist Ansichtssache – aber noch niemals stand KI so sehr im öffentlichen Interesse, so sehr in der Diskussion über Möglichkeiten und Folgen – und wird so schnell nicht wieder daraus verschwinden. Chat GPT wird als der Moment in Erinnerung bleiben, an dem KI in den Alltag eintrat – vor allem auch deshalb, da es sich an eine unbegrenzte Öffentlichkeit wendet.  Millionen von Menschen testen Chat GPT weltweit auf seine Möglichkeiten – was den Server auch immer wieder in die Knie zwingt: at capacity right now.
Der Gebrauch von Chat GPT ist durch den dialogischen Zugang (Chat) bestimmt, GPT steht für Generative Pre-trained Transformer – die Ergebnisse sind so gut, wie der Zugang bedient wird, Qualität und Relevanz hängen davon ab. ChatGPT kann auch Unsinn schreiben, wenn es keine klare Anfrage oder keine klare Vorgabe für eine Antwort gibt. Es ist jedoch trainiert, um möglichst relevante und sinnvolle Antworten zu liefern, indem es auf seine Datenbank aus dem Internet zurückgreift.
Chat GPT lässt sich vielseitig verwenden und das eben auch ausserhalb professioneller Umfelder: als Lexikon, zur schnellen Abfrage von Wissen aus dem worldwideweb, zur Automatisierung von Routinen. Dabei so gut wie immer in sprachlich akzeptabler Form. Auf Englisch ist Chat GPT noch besser trainiert und erreicht eine höhere Genauigkeit und Effizienz.
Wo Sprache unterschiedlich akzentuieren, wo sie aus einem gleichförmigen Rhythmus heraustreten soll, ist der Aufwand für die Bearbeitung von Anfragen dann wieder so gross, dass es sich wenig lohnt. Die Sprachausgabe von Chat GPT bewegt sich dann doch an dem Sprachstandard, an dem sie trainiert und definiert wurde – man kann sagen an einem  Median des Mainstreams.

Beispiele, in denen Chat GPT wohl jetzt schon disruptiv wirkt, kommen schnell zusammen:  ein Wunschtraum so vieler Schülergenerationen ist eingetreten – ChatGPT kann eingesetzt werden, nicht nur um Fragen zu beantworten und Wissen zu erschliessen, zumindest die gängigen Formate von Hausaufgaben können in aller Schnelle erledigt werden – mehr Freizeit für Schüler. Die Nutzung lässt sich zwar vermuten, nachweisbar ist sie nicht. Aus Chat GPT lässt sich genauso beliebig Text herauskopieren, evtl. abändern, wie aus anderen Textdokumenten.
Das kann sich fortsetzen in Referate, wie sie in Proseminaren üblich sind, wo ein jeweils in sich abgeschlossenes Thema vorgestellt wird. Ein Test zur Systemtheorie nach Niklas Luhmann brachte durchaus brauchbare Ergebnisse. Wo allerdings eigene Standpunkte ausgearbeitet und begründet werden sollen, wird es schwieriger. Immerhin nimmt Chat GPT die Angst vor dem leeren Blatt.
Dann sind es die vielen, spachlich eher einfacheren Texte,  die nach Standards geschrieben werden müssen,   in Agenturen, in der Kundenkommunikation, ob  journalistisch oder nicht. Ganz besonders scheint es auch für juristische Texte mit ihrer streng formalisierten Sprache zu gelten.

Chat GPT meint dazu selber: ChatGPT wird in verschiedenen Branchen schnell verbreitet, darunter Kundenservice, E-Commerce, Bildung, Finanzen und Healthcare. Es wird verwendet, um automatisierte Gespräche und Interaktionen mit Kunden oder Benutzern zu ermöglichen, die Zeit und Ressourcen sparen und gleichzeitig eine personalisierte und effiziente Erfahrung bieten. Und auch: ChatGPT kann einfache Verträge und Vertragsklauseln entwerfen oder auch Urteile oder juristische Fundstellen aus Kommentaren zusammenfassen (s. auch  legal-tech.de)

Ein weiterer Punkt: Seit der Jahrtausendwende wurde der Zugang zum Wissen im Netz zum grössten Teil über Google gewährt. Google hatte damals mit einer minimalistischen Suche die aufwändig gestalteten hierarchischen Portale, wie Lycos, Altavista, etc. abgelöst. SEO/ Suchmaschinenoptimierung war seitdem fast immer gleichbedeutend mit Optimierung für die Google- Suche.
Jetzt wackelt die Dominanz  – neben die  Suchabfrage von Google tritt das Dialogsystem von ChatGPT – es geht um nichts anders als  den Interest Graph (vgl. Die Macht der Plattformen), d.h. Google kennt unsere Suchanfragen, und weiss daher  was uns interessiert – diesen Interest Graph macht ihm nun ChatGPT streitig. Kein Wunder, das Google mit Bard schnell nachlegt.

** Thomas Ramge, 2018: Der Kitty Hawk Moment – warum jetzt alles ganz schnell gehen wird. – In: Mensch und Maschine. Wie künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern  S. 7 – 11  Reclam Verlag, Stuttgart 2018.. 6 € . Tom Braegelmann: Ist der neue Chatbot/Text-Generator ChatGPT für den deutschen Rechtsmarkt relevant? – Sundar Pichai: Ein wichtiger nächster Schritt auf unserer KI-Reise 2/23.



Künstliche Intelligenz – einfach erklärt für alle (Rez.)

Künstliche Intelligenz ist nicht lediglich die nächste Generation von Computern und Software – sie ist ein Quantensprung in der Informationsverarbeitung (57).  Und sie führt zu Umwälzungen in vielen Einsatzkontexten. KI ist eine Querschnittstechnologie, deren Anwendung sich nicht auf einzelne Branchen beschränkt.
Stefan Holtel hat eine Einführung mit dem Titel KI-volution – Künstliche Intelligenz einfach erklärt für alle –  vorgelegt. Er ist nicht nur Informatiker, auch Wissensmanager und  Theaterpädagoge, Yogalehrer, Vater und Trainer für Lego Serious Play –  so steht es in Über den Autor.  Es sind diese  Blickwinkel über den Code hinaus  die das Buch bestimmen – erklärte Absicht ist es KI ohne Expertensprache verständlich zu machen, für alle die Folgen bzw. Konsequenzen zu tragen haben bzw. geniessen können. Wichtig ist, zu verstehen, was uns generell erwartet.
Automation des Entscheidens ist die zentrale Metapher, die KI bildlich verständlich machen soll. Die Formulierung ist nicht neu und wird seit einigen Jahren öfters verwendet – anderswo (Postdigital – wie wir künstliche Intelligenz schlauer machen, Ramge, 2020) ergänzt mit aus Daten lernenden Systemen –  was zusammen eine grundlegende Vorstellung mit sich bringt.
Holtel nutzt Bilder, Sprachbilder und andere, gut gewählte Metaphern sollen zentrale Wirkmechanismen hervorheben. Einstieg ist ein Bild aus der Musik,  hier eine Spieltechnik des Jazzgitarristen Pat Metheny, der zu automatisierten  Musikmaschinen improvisiert (Orchestrionics). So lotet er mit neuartigen Werkzeugen neue Ausdrucksmöglichkeiten aus.
Ein Sprachbild macht seit einigen Jahren die Runde: Daten sind das neue Öl.  Daten sind ganz sicher keine materielle Ressource, die Parallele findet sich in der zentralen Stellung: Ohne Öl (bzw. zuerst Kohle) hätte es keine industrielle Revolution gegeben – ohne digitale Datenströme wäre KI eine verwaiste Technologie. Wertschöpfung erfolgt beide male in der Verarbeitung bzw. Raffinade – mit Hilfe von KI werden aus Daten Steuerungssysteme generiert, die Produktivitätssprünge ermöglichen.

KI ist schon länger Thema – Kurzweil 1990 (dt. 1993)

Der Begriff artificial intelligence/künstliche Intelligenz, kurz KI, ist seit 1955 in Umlauf und löst(e) immer wieder ganz unterschiedliche Vorstellungen, Verheissungen,  manchmal Bilder von Dystopien aus. Oft hat KI mit Vorstellungen aus Science Fiction die Phantasien angeregt. Ray Kurzweil rief schon in den 90er Jahren das Zeitalter der künstlichen Intelligenz aus, bereits damals wurde das Thema in die öffentliche Aufmerksamkeit gepusht.
Die herausstechenden Möglichkeiten von KI entstehen erst mit den digitalen Datenströmen wie sie im Internet, oder mit der Verbreitung autonomen Fahrens entstehen. Beispielhaft ist etwa der Aufstieg von Amazon zum weltweit führenden Handelsunternehmen: mit jedem Einkauf, jedem Suchvorgang sammelt das Unternehmen die Daten seiner Kunden. Dasselbe gilt für alle in Social Media gewonnenen Verhaltensdaten und ihre Übersetzung in personalisierte Werbung. Bedeutsames Feld ist ausserdem die medizinische Forschung, speziell Onkologie, überall dort, wo das Erkennen von Mustern gefragt ist.

Stufen der Automation des Fahrens 2014 (140) Stufen der Automation des Entscheidens am Beispiel des Fahrens,(140) – erscheint nach Klick in voller Auflösung in neuem Fenster

Fallen beim ersten Durchblättern die vielen Boxen, Listen, Tabellen,Hervorhebungen ins Auge, sind die Texte auch linear gut lesbar und bewusst verständlich und bilderreich geschrieben. Nach und nach geht es durch die wesentlichen Punkte zum Thema: Zu den Entscheidungen, die der Automatisierung von Entscheidungen zu Grunde liegen (128 ff), der Staffelung von Automationen (re. die Übersicht am Beispiel des Fahrens),  auf der Nutzen von Scenario- Technik wird verwiesen, eingebundene/augmentierte KI wird vorgestellt etc.
Zu KI sind ín den letzten Jahren viele Bücher erschienen und es kommen laufend neue hinzu. Dies hier ist ein praktisches Buch: die wesentlichen Grundlagen verständlich zusammengestellt.   KI ist eines der zentralen Themen in den Zukunfts- Diskussionen zur Post-Corona- Zeit.

KI ist eine Summe von Technologien, die in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und zu ganz unterschiedlichen Zwecken genutzt werden kann. Was spricht dagegen, wenn Maschinen Menschen Arbeit abnehmen? Warum ist es ein Problem – Arbeitsplatzvernichtung – wenn KI von Arbeit befreit, gleichzeitig Wert schöpft? Ist es nicht ein Problem von Verteilung? Warum soll die Anwendung von KI bei der Mobilität beim autonomen Fahren enden, von PKWs die genauso aussehen wie herkömmliche, mit demselben Bedarf an Strassen- und Parkraum? 

Ray Kurzweil spricht von Technik als Teil der menschlichen Evolution:  Biology and technology will begin to merge in order to create higher forms of life and intelligence*. Sicher ein eigenes Thema, und doch wieder Science Fiction. Technologie und ihre Nutzung sind aber Teil von gesellschaftlicher Evolution, von Evolution der Zivilisation – Technogenese. Dazu in Kürze mehr. 

Dazu auch ein Videointerview mit dem Autor im Live- Streaming Blog von Gunnar Sohn.

Stefan Holtel: Ki- volution – Künstliche Intelligenz einfach erklärt für alle  2020, 254 S., 20 ,- € ; * nach: Ray Kurzweil: The Six Epochs of Technology Evolution   



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