Digital ist das Neue Normal

New-Norma
Das Neue Normal

Digital ist das neue Normal bzw. Digital is the New Normal – der Spruch ist zwar schon einige Jahre alt (2010) – bringt aber Digitalen Wandel bzw. Digitale Transformation auf den Punkt: Waren digitale Versionen zunächst etwas Besonderes, wie Textverarbeitung und Digitalkameras, ersetzten sie bald ihre Vorgänger und wurden zum normalen Werkzeug. Nicht nur das Speichermedium, auch die Möglichkeiten der Verbreitung und der Bearbeitung von Text und Bild hatten sich völlig geändert.
Der Ausdruck geht zurück auf den belgischen Autor Peter Hinssen (The New Normal, 2010; The network always wins, 2014). Hinssen sah 2010 die Halbzeit der digitalen Entwicklung erreicht. Denkt man zurück, war vor sechs Jahren die mobile Revolution in vollem Gange und Social Media waren im Alltag angekommen: Öffentliche digitale Kommunikation wurde allgegenwärtig und normal.
Heute sind wir ein paar Stellen weiter  – wenn man denn Digitalisierung als Prozess mit einem Beginn und einem Abschluß bzw. einer Vollendung betrachtet. Im großen Thema der Innovationen im digitalen Zeitalter ist jetzt die Ebene der Organisation erfasst: Konsequenz der Digitalisierung von allem ist die Vernetzung von allem.

Speicher- und Übertragungskapazitäten sind Voraussetzung für den Austausch von Daten, ein langsames Netz ist mühsam. Dass Digitalisierung aber nicht nur technische Neuerungen bedeutet, hat sich nun überall herumgesprochen. Wandel bewirken die Netzwerke, die sich mit der – zumindest weitgehend globalen – Zirkulation von Informationen und Medien (nicht nur deshalb) bilden. Das Internet, die Plattformen, Social Media, machen es einfacher, personalisierte Netzwerke zu organisieren. Das ist gemeint, wenn man von einem neuen sozialen Betriebssystem spricht.

Hashtags sind ein Zeichen vernetzter Organisation
#Hashtags sind ein Zeichen vernetzter Organisation

Bestehende Strukturen werden nicht einfach in ein neues Format übersetzt, diese unterliegen denselben Einflüssen, Kommunikation und Kollaboration folgen neuen Mustern. Von Richard Sennett stammt das Bild der Playlist für ein Prinzip flexibler Organisation: aus einer Vielzahl einzelner Funktionen werden die aneinander anschlussfähigen zusammengefügt. Produkte und Dienstleistungen sind z.B. nach diesem Prinzip personalisierbar.  So entstehen auch neue Geschäftsmodelle,
Mit dem Begriff der Digitalen Transformation werden oft zwei Bedeutungen vermischt: Die strukturelle Veränderung des gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüges – ein langfristiger Prozess – entsprechend dem, was Karl Polanyi zur  Great Transformation der industriellen Revolution und der Durchsetzung der Marktwirtschaft schrieb. Zum anderen die in den einzelnen Unternehmen und Organisationen stattfindenden, gezielt angestrebten Veränderungen – viel umworbene Einsatzgebiete von Change Management. Unter Digital Leadership wird der Wandel/Transformation in den Steuerungsaufgaben im Management diskutiert.

Eine andere Frage ist, ob die Diskussion zu Digitalisierung, Digital Leadership, neuen Strukturen im einzelnen tatsächlich zu Veränderung hierarchischer pyramidaler Strukturen führt. Digitalisierung trägt wohl ein großes zivilgesellschaftliches Potential mit sich – es ist aber auch die Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure dies zu nutzen. Wo es um wirkliche Machtinteressen geht, bedeutet das Sprechen von Offenheit, Transparenz und Partizipation nicht gleich, daß diese Prinzipien auch sofort gegeben sind – sie müssen auch genommen werden.

Peter Hinssen: The network always wins. How to Influence Customers, Stay Relevant, and Transform Your Organization to Move Faster than the Market. 2014, 224 S. –  The New Normal. Explore the Limits of the Digital World, 2010 Belgien: .MachMedia. 202 S.; Winfried Felser: Warum Digitalisierung mehr ist als eine 1:1-Transformation! LinkedIn 5/16 Gunnar Sohn: Psychopathen Systeme Unternehmen (Netzpiloten); *siehe auch: Harald Schirmer : Digital Transformation is – most of all – a dramatic change in how we do things (our processes), how we interact (communication & collaboration) and what our value creation will be (products / services / platforms / environments). Our tools will change, our „material“ will change, customers are changing, as well as suppliers and even the competitors. That not enough, the speed and number of involved people (and machines) will dramatically increase. Which is not so new… this is happening since years.  

Die große Transformation – Polanyi und die Digitalisierung

photocase6855993152093421(2)Digitale Transformation ist neben Digitalem Wandel eines der Buzzwords und seit einigen Jahren ein Leitbegriff in den Diskursen zur Digitalisierung. Während Digitaler Wandel sich weitgehend selbst erklärt, bzw. an Begriffe wie sozialen/kulturellen/wirtschaftlichen Wandel anschließt, schwingen bei der Transformation oft ungeklärte Bedeutungen mit.
Oft wird Digitale Transformation mit dem zielgerichteten Einsatz im Management gleichgesetzt, als Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens und Anwendungsfeld von Change Management – und der Bewerbung entsprechender BeratungsleistungenSo etwa von den  digitalen Darwinisten Ralf T. Kreuzer & Karl-Heinz Land  (vgl. Rezension) mit der Definition: „Mit dem Begriff digitale Transformation wird der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten.“
Sicher ist jedes Unternehmen bestrebt, seine Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten, jede Organisation hat ein Interesse daran unter veränderten Umständen zu bestehen. Neue Akteure wollen und müssen sich auf dem Markt durchsetzen. Das macht Transformation zu einem weiten Feld von Change- und Innovationsmanagement. Der Begriff berührt aber weitere Ebenen.

Polyani Die eigentliche Herkunft des Begriffs Transformation scheint wenig bekannt zu sein, selber wurde ich von Lutz Becker (Hochschule Fresenius) darauf aufmerksam gemacht: von dem ungarisch-österreichischen Soziologen und Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1886-1964), später an der Columbia University (New York) lehrend. In seinem Werk “The Great Transformation” (1944) geht es um die Herausbildung und Durchsetzung der Marktwirtschaft als gesellschaftlichem Organisationsprinzip in England vom 16. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist eine Geschichte der Spannung zwischen Markt und Gesellschaft: double movement – self-regulation of the market – self protection of the society. Eine zentrale These lautet „Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass das Entstehen nationaler Märkte keineswegs die Folge der langsamen und spontanen Emanzipation des ökonomischen Bereichs von staatlichen Kontrollen war. Der Markt war, im Gegenteil, das Resultat einer bewussten und oft gewaltsamen Intervention von Seiten der Regierung, die der Gesellschaft die Marktorganisation aus nichtökonomischen Gründen aufzwang“ (S.331). Verstärkt wird die Spannung durch die Einbeziehung von Arbeitskraft, Boden und Geld in die Regeln des Marktes. Die Transformation der vorindustriellen Gesellschaft nach diesen Regeln bedeutete eine Verselbständigung der Ökonomie.
Polyani und sein Transformationsbegriff wurden vor einigen Jahren in der Umweltökonomie wiederentdeckt.

Auffallend sind Parallelen zu Norbert Elias: beide waren deutschsprachige Emigranten jüdischer Herkunft, beide befassten sich mit langfristigen gesellschaftlichen Prozessen und beide schließen aus der Beobachtung dieser Prozesse auf Regelhaftigkeiten. Befasst sich Elias (in seinem Hauptwerk) mit der Genese von Verhaltensstandards und der Durchsetzung staatlichen Gewaltmonopols, geht es bei Polanyi um die Durchsetzung des Prinzips der Marktwirtschaft und die Umgestaltung der Gesellschaft unter deren Primat. Taucht heute z. B. der Begriff Technogenese (u.a bei R. Kozinets) auf, dann schließt er an Sozio- und Psychogenese an – Begriffe aus der Elias’schen Soziologie.

Transformation
Transformation betrifft die großen Systeme wie Arbeit, Bildung, Mobilität

Kennzeichnend für Transformations-prozesse sind Konvergenz, Emergenz und schließlich die Transformation. Konvergenz bedeutet die parallele Entwicklung einzelner Elemente, Emergenz die Herausbildung neuer Strukturen und Transformation schließlich die Etablierung eines neustrukturierten Systems.
Die heutige Transformation erfasst große Systeme wie Arbeit, Bildung, Mobilität. Es ist die Frage, ob diese nach reinen Marktstärken oder in einem gesellschaftlichen Prozess neu ausgerichtet werden. Treibende Kraft ist die Informationswirtschaft, in ihrer Folge Mediatisierung und eine Neustrukturierung von Öffentlichkeit. Einmal eingeschlagene Innovationen sind unumkehrbar. Man spricht über Sharing-Ökonomie, Neue Mobilität, Smart Home, Industrie 4.0 und Next Economy*. Der Begriff der Digitalen Transformation beleuchtet mit diesem Hintergrund die aktuelle Entwicklung,  in seiner Verwendung wird dies nicht immer deutlich.

Im Rahmen der Internetwoche Köln (24. – 29. Oktober 2016) planen wir eine Veranstaltung zum Thema “Transformation der Systeme: Arbeit, Bildung, Mobilität, Vergemeinschaftung.”

Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944; dt. 1977 Europa Verlag, Wien): 1978 Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 394 S.; Vortrag Lutz Becker auf der NEO 15, Bonn: http://de.slideshare.net/gsohn1/linuxprinzipien-fr-die-netzkonomie-neo15-session-
*Dazu die “Innovationsgesetze nach Lutz Becker
1. Innovation ist die Verbesserung von Fähigkeiten 
 im Bezug auf neue Umweltbedingungen lemlösung führt wieder zu neuen 
 Problemen 3. Alle Technologien sind Technologien des 
 Übergangs zu neuen Technologien 4. Bei allem, was technologisch möglich erscheint, arbeitet irgendwo jemand an der Realisierung 5. Es setzen sich immer die Innovationen durch,
 die das höchste Rationalsierungspotenzial haben, also Aufwand minimieren oder Nutzen maximieren;
Bildquelle (oben): bna / photocase.de

Facebook – oder wer ist das soziale Betriebssystem?

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BrandEins und der Blaue Daumen 05/16 S. 53

In der letzten Ausgabe der Brand Eins (05/16) gibt es einen mehrseitigen Artikel mit der Unterzeile (im Inhaltsverzeichnis) „Wie Facebook zum Betriebssystem für unser Miteinander   werden konnte“. Die Metapher ist nicht neu: Die kanadisch/US- amerikanischen Soziologen Lee Rainie und Barry Wellman untertitelten 2012 die Gesellschaftsanalyse Networked mit “The New Social Operating System“, damit war aber nicht Facebook, sondern Vernetzte Sozialität/ Networked Sociality als solche gemeint.
Betriebssysteme stellen die grundlegenden Funktionen eines Computers bereit, ermöglichen die Ausführung spezialisierter Software und von Apps, durch sie werden digital Devices erst wirklich nutzbar – das macht aus ihnen ein naheliegendes Sprachbild. Lange Jahre war die Wahl des Betriebssystems eine Entscheidung, die die Art und Weise, wie Digitalisierung erlebt und genutzt wurde, bestimmte.
Windows definierte einen Standard und prägte im Verbund mit Microsoft Office (man denke an Excel-Tabellen und Powerpoint- Präsentationen) die Bürokultur. MacOS, seit 2001 das Unix- Derivat MacOSX, stellte die intuitive Bedienung in den Vordergrund. Vom Benutzer wurde nicht verlangt, sich weiter mit der Technik auseinander zu setzen, sie sollte ganz dazu dienen seinen Intentionen zu folgen, möglichst im Flow. Linux verlangt mehr Kenntnisse von Code und Installation, und ist dazu eine Aussage für den Open Source Gedanken.

Facebook ist überall
Facebook ist überall

Facebook ist v.a. convenience. Man muß sich nicht viel kümmern. Facebook standardisierte die Möglichkeiten des Web 2.0 und machte sie für jeden zugänglich -weltweit. Nebenbei wurde der Klarname im Netz durchgesetzt.
Facebook erleichtert Zusammenschluss und Zusammenarbeit, Vernetzung und Verständigung für alles und für jeden” (S. 55). Account oder eine Seite sind schnell angelegt, ebenso Gruppen zur Diskussion und für den Grillabend. Fast jedes Unternehmen und jede Organisation wirbt um Likes, unzählige Veranstaltungen werden beworben.
In der Timeline laufen die Stränge zusammen: Nachrichten aus aller Welt und dem weiteren Bekanntenkreis, Diskussionen, in die man sich einklinken kann, Geburtstagswünsche, lustige gifs, Marketingbotschaften aller Art, zunehmend werden auch die Beiträge abonnierter Medien von hier aus gelesen bzw. betrachtet. Weitere Funktionen ergänzen das Angebot: so Messaging und seit einiger Zeit Live- Streaming. Der ständige Fluß hält das Interesse aufrecht – und weil sowieso (fast) jeder auf Facebook ist, findet man sie auch. Nie war es einfacher, Kontakte zu halten. All das, was man tut, und woran man Interesse zeigt, fließt in Algorithmen, die die Auswahl der Timeline und der Werbebotschaften bestimmen.
So lässt sich das Betriebssystem Facebook als ein personalisiertes Medienzentrum, das früher getrennte Sphären vereint, mit Anschluß an eine personalisierte Shopping Mall und angetrieben von einer Symbiose mit der Werbewirtschaft, verstehen. Die Timeline ist das gefühlte neue Lagerfeuer – wie einst das TV- Programm am Samstagabend.

Hier ist „Networked Sociality“ das Betriebssystem
Hier ist „Networked Sociality“ das Betriebssystem

Anders liest sich die Metapher des Sozialen Betriebssystems bei Rainie und Wellman in Networked. Vernetzter Individualismus verlangt demnach neue Strategien und Fähigkeiten der Problemlösung in Kollaboration zu entwickeln. Es kostet Zeit und Energie, die Kunst des Netzwerkens – und zwar aktiv – auszuüben (vgl. S. 9). Networked Sociality stützt sich auf die These der Triple Revolution – des dreifachen Wandels: der ohnehin stattfindende gesellschaftliche Wandel, die Internet- und die mobile Revolution.
Facebook erfüllt zwar viele der Funktionen – man sollte aber zwischen dem Anbieter und dem Bedarf unterscheiden.
Plattformen neigen zum Monopol, nach ihren Regel kann sich dort jeder einrichten und seinen Erfolg suchen. Facebook hat eine Vielzahl an Communities überflüssig werden lassen (vgl. Vehmeier, 2015), weil es die Funktionen bündelt. Machtballung einzelner Unternehmen schafft aber Unbehagen: “Je mehr Menschen ihr Leben über das Netzwerk organisieren, um so größer sind die Nachteile für denjenigen, der sich entzieht”(Koch S. 58). Manchmal spricht man vom “Digitalen Feudalismus“. Zum Vernetzten Individualismus gehört aber auch Selbstmanagement – nicht Einordnung in vorgesteckte Möglichkeiten.
BrandEins Autor Koch sieht die Position von Facebook, dem Gewinner der Social-Media- Epoche, auf absehbare Zeit gefestigt – v.a. weil es die mobile Revolution nicht verschlafen hat. Die digitalen Epochen schreiten aber weiter, kaum jemand kann über die nächsten drei, vier Jahre hinausblicken. Immer wieder hat es Unternehmen gegeben, deren Macht ständig zu wachsen schien. Manche sind verschwunden, die meisten davon bestehen weiter, stehen aber nicht mehr im Zentrum des Interesses.
Meine Meinung: Die Gesellschaft zersplittert nicht (wie die BrandEins titelt) in voneinander getrennte Blöcke oder Milieus (jedenfalls nicht in mehr, als es sie bereits vorher gab), sie konstituiert sich in sich jeweils neu konfigurierende Teilöffentlichkeiten – nach dem Prinzip der personalisierten Vergemeinschaftung. Übrigens überschneidet sich dies mit dem Modell der Figuration nach Norbert Elias – digitale Figurationen wäre ein Begriff, der auch Ökonomen interessieren könnte.

Christoph Koch: Wer hat Angst vorm blauen Daumen? Die Gesellschaft zersplittert, Facebook wird immer größer. Aber hat das noch was mit Gemeinschaft zu tun? BrandEins 05/16 S. 52 – 58  Lee Rainy & Barry Wellman (2012) Networked: The New Social Operating System. Cambridge, MA and London: MIT Press Thomas Vehmeier: Plattformen, Offenheit und Kooperation (Blog, 2015). Gunnar Sohn: Facebook,Google und die Vorzensur #KP China

Digitale Transformation und Digitaler Wandel

Digitalisierung ist seit langem ein Thema

Digitalisierung ist seit langem ein Megathema – immer wieder sprechen wir darüber unter anderen Leitbegriffen. Seit einigen Jahren heißt es „Digitaler Wandel“ bzw. „Digitale Transformation“. Oft werden die beiden Begriffe undifferenziert nebeneinander gebraucht. Was unterscheidet sie inhaltlich und was bedeuten sie für Entwicklung und Trends in Wirtschaft und Gesellschaft?
Digitalisierungsschübe haben immer wieder ganze Branchen durcheinander gewirbelt und unseren Alltag verändert.
Man denke zurück an die Einführung von Textverarbeitung, Desktop Publishing und der E-Mail – aber auch von Electronic Beats und Digital Games. Dann die Verbreitung des Internet und die Digitalisierung der Medien: Text, Bild, Ton, Bewegtbild bis hin zur Live- Übertragung. Über das Internet sprach man dabei immer wieder mit anderen Vorzeichen: Der abenteuerliche Cyberspace, die spekulative New Economy, das partizipative Web 2.0. Social Media machten die Möglichkeiten des Web 2.0 jedermann zugänglich. Plattformen traten in den Vordergrund, die eine Infrastruktur für Publikation, Interaktion und Koordination bieten. Gleichzeitig die mobile Revolution, die das Internet vom Schreibtisch in die Hände (oder die Hosentasche) führte und das SmartPhone zur unverzichtbaren Medienzentrale für jedermann machte. Mittlerweile hat die Digitalisierung eine Stufe erreicht, in der sie alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft durchdringt – und damit gesellschaftliche Organisation verändert. Digitaler Wandel ist die Gesamtheit der gesellschaftlichen Prozesse, die mit der Digitalisierung einhergeht. Manches wird direkt durch neue Techniken ausgelöst, anderes mit ihrer Verbreitung und dabei spielen die Prinzipien von Konnektivität (jeder Teilnehmer des Social Web kann sich mit jedem anderen verbinden) und (automatisierter) Personalisierung (die Möglichkeit “maßgeschneiderter” Anpassung) eine wesentliche Rolle.

In Erwartung der Transformation; Bildquelle: nild / photocase.de

Digitale Transformation ist seit etwa 2013 zum Schlagwort geworden, oft werden damit Veränderungsprozesse in Unternehmen und Organisationen bezeichnet. Die Digitalen Darwinisten Karl- Heinz Land und Ralf Kreuzer liefern eine Definition in diesem Sinne: „Mit dem Begriff digitale Transformation wird der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten.” (S. 159) Die Risiken technologischer Veränderung sollen vermieden, Chancen in Zukunftsmärkten erschlossen werden. Im Kern geht es um einen organisationalen Wandel. Nach dieser Sicht ist Digitale Transformation im wesentlichen eine Aufgabe von Change Management. Bezeichnend ist der zitierte Satz “Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert“ – aus „Il Gattopardo“ von Tomaso di Lampedusa (bekannt durch die Verfilmung von L. Visconti). Andere Autoren, wie Tim Cole sehen einen organisatorischen Rückstand in der deutschen Wirtschaft und heben die veränderten Rollen von Kunden, Herstellern und Mitarbeitern hervor – ohne dabei den Begriff “Digitale Transformation” näher zu bestimmen.
Kritiker, wie etwa t3n Kolumnist Alain Veuve sehen den Begriff irreführend: “Transformation impliziert einen Prozess der einen Anfang und ein Ende hat”. Unternehmen ‘machen sich fit‘ für die digitale Transformation. Veränderungen sind nicht nur von den Informationstechnologien getrieben, auch anderswo gibt es Fortschritt (Medizintechnik, Biotechnologie etc.).

Digitaler Wandel setzt zivilgesellschaftliches Potential frei Bildquelle:photocase.de/kallejipp
Digitaler Wandel setzt zivilgesellschaftliches Potential frei Bildquelle: photocase.de/kallejipp

Digitaler Wandel setzt zum einen ein enormes zivilgesellschaftliches Potential frei, zum anderen höhlt er zentrale, lange Zeit vorherrschende Elemente gesellschaftlicher Teilhabe aus: das auf Dauer angelegte Beschäftigungsverhältnis, die Bindung an Organisationen (z.B. Gewerkschaften, Kirchen, Parteien). Automatisierung verdrängt Arbeitsplätze in Produktion und zunehmend in Dienstleistungen. Digitalisierung greift über auf Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Mobilität. Hier ist die Datenhoheit entscheidend.
Kollaborative Plattformen können neue Möglichkeiten erwecken, stehen aber noch am Anfang, bieten vorerst nur geringe Verdienstmöglichkeiten. Gesellschaftlicher Wandel ist nicht allein durch die Digitalisierung bestimmt, sondern Konsequenz der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Technische Neuerungen, die in die Entwicklung passen, werden umso schneller aufgegriffen.
Zumindest in der jetzigen Phase dominieren die Plattformen und SocialMedia Monopolisten. In der aktuellen Ausgabe der BrandEins (05/16) gibt es einen langen Artikel zur Bedeutung von Facebook mit der Unterzeile “Wie Facebook zum Betriebssystem für unser Miteinander werden konnte” übertrieben? das schließt an das Bild des “New Social Operating System” der Soziologen Lee & Rainie an, dort ist aber eine Vernetzte Sozialität als solche gemeint – eine Frage für einen weiteren Blogartikel.

Nachtrag: wenig bekannt ist die Herkunft des Begriffs Digitale Transformation. Er bezieht sich auf Karl Polanyi (1886 -1964) The Great Transformation/ Die große Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Darin geht es um die kulturelle Organisation gesellschaftlicher Konzepte und ihrer Verhaltensprinzipien – damit hat der Begriff einen weiteren Bedeutungshintergrund.
Wirklich verständlich wird der Begriff der Digitalen Transformation erst mit diesem Hintergrund. In der Diskussion und den Konzepten dazu wird er allerdings kaum erwähnt, ist wahrscheinlich oft unbekannt und wird auch nicht in Literaturverzeichnissen aufgeführt. Nach einem Verweis von Prof. Lutz Becker (Hochschule Fresenius) lassen sich Transformationen in mehrere Stufen aufteilen: Konvergenz – das bedeutet die parallele Entwicklung einzelner Elemente, Emergenz – die Herausbildung neuer Strukturen und schließlich die Transformation, Umformung eines Systems. In diesem Sinne bedeutet Transformation die Umformung und Neustrukturierung ganzer Branchen – geschehen ist das bereits öfters (Medien, Musikwirtschaft, Einzelhandel) und steht anderswo noch bevor (Bankwesen, Mobilität/KfZ- Industrie). Und so sollte man Digitale Transformation verstehen: Die Etablierung neuer Systeme, die Lösungen bestehender Systeme auf eine andere Art ersetzen.
Der Begriff des Wandels ist in allen Sozialwissenschaften geläufig. Vor einiger Zeit habe ich Digitalen Wandel in bezug zur Soziologie von Norbert Elias gesetzt – eine Möglichkeit längerfristige gesellschaftliche Entwicklungen zu sehen. Mehr zu Polanyi unter Die große Transformation – Polanyi und die Digitalisierung.

Am Di, 25. Mai 16, 19h halte ich in den Räumen der App- Arena einen Impulsvortrag zu diesem Thema. Um Anmeldung wird gebeten. Dazu auch ein Interview mit mir “Wandel oder Transformation” auf dem Controlling- Portal.

Lee Rainy & Barry Wellman (2012) Networked: The New Social Operating System. Cambridge, MA and London: MIT Press; Ralf T.Kreuzer & Karl-Heinz Land: Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus. Köln,2015, 198 S. Tim Cole: Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verpasst und was jetzt getan werden muss! Verlag Franz Vahlen München; 2015, 24.90, 212 S. Alain Veuve: Warum der Begriff der „Digitalen Transformation“ falsch ist. Christoph Koch: Wer hat Angst vorm blauen Daumen? Die Gesellschaft zersplittert, Facebook wird immer größer. Aber hat das noch was mit Gemeinschaft zu tun? BrandEins 05/16 S. 52 – 58. Dirk Helbing: Digitale Demokratie statt Datendiktatur.

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