Post- Corona – Szenarien für die Zeit danach

Corona, ein Auslöser gesellschaftlichen Wandels?  – oder sogar eine Zeitenwende? Parallel zur Bewältigung der Covid19-Pandemie, sind die Debatten zur Welt nach Corona im auslaufenden Lockdown eröffnet. Die möglichen Zukünfte werden oft anhand von Szenarien diskutiert – dabei treten bestimmte  Modelle immer wieder hervor.
Kurzfristig geht es um das gesellschaftliche Leben mit Corona, ein vorläufiges Neues Normal  –  ohne Gewissheit darüber, für wie lang. Bis dahin bleibt der Alltag trotz Lockerungen davon bestimmt, Tröpfcheninfektionen zu vermeiden. Man arrangiert sich in den Alltagsroutinen. Normal wird sich das Leben aber erst wieder dann anfühlen, wenn grundlegende soziale Bedürfnisse nicht mehr eingeschränkt sind.
Die von Mobilität geprägten Lebensstile und die global vernetzten, auf just in time optimierten Lieferketten prallen auf die Einschränkungen, sind vorläufig ausgesetzt. Branchen und Kulturpraktiken sind ganz unterschiedlich getroffen. Flugverkehr, Tourismus, Gastronomie, Kulturveranstaltungen waren bzw. sind fast komplett eingebrochen. Vieles davon ist gesellschaftlich unverzichtbar, andere Formen und ihre Ausmasse (vgl. Overtourismus) seit längerem in der Kritik.

Vieles, was man wissen sollte für 6,-€; Mai 2020

Die globalisierte Welt hat einen symmetrischen Schock erlitten. Einen mehr oder weniger ausgeprägten Lockdown gab bzw. gibt es in fast allen Ländern. Zugeschlagen hat die Pandemie an einzelnen Orten, Hotspots  –  zunächst verbreitet über die Wege der Globalisierung, des Tourismus, dann durchgesickert zu den Gefährdeten und Minderprivilegierten, in Heime, Notunterkünfte, Schlachthöfe, zu Obdachlosen und Flüchtlingen. Deutschland ist bislang glimpflich davon gekommen, in den Fallzahlen, wie in einem vergleichsweise milden Lockdown. Die Pandemie selber bleibt so zumeist medial vermittelt, spürbar ist sie in den “Massnahmen“, die den Zugriff ausgebremst haben. Der Preis ist hoch, wurde aber akzeptiert. Covid-19 wurde als einschneidendes Ereignis wahrgenommen, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und das Krisenmanagement der Politik wurden eher positiv bewertet, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen  Folgen kritischer gesehen, bzw. stehen noch offen. Persönliche Belastungen fallen nicht nur finanziell ganz unterschiedlich aus: mit Haus, Garten, Lieferdiensten, kann Quarantäne als Cocooning ausfallen, ganz anders in prekären, beengten Verhältnissen.

Digital gewinnt – das gilt für Lieferdienste vs. stationärem Handel, Videokonferenz statt Meeting, Mediennutzung per Online- Abo, Live- Streaming  etc.. Homeoffice bzw. Remote Work wird als praktikable Möglichkeit erlebt – als weiterer Effekt ergibt sich damit eine Verringerung des Pendlerverkehrs. Digitale Medien haben Öffentlichkeit aufrecht erhalten – ein nachhaltiger Schub im Prozess der Digitalisierung.
Nicht alles kann digital substituiert werden. Kultur und Geselligkeit brauchen menschliche Nähe, Gastronomie mit Abstandsregeln ist nur begrenzt attraktiv. Ein ausufernder Tourismus wurde, zumindest zeitweise, ins Aus katapultiert. Waren Fernreisen mehrfach im Jahr, ein Wochenende in der Metropole der Wahl, der Jahreswechsel in Asien, Kreuzfahrten etc. verbreitete Optionen, sind momentan allenfalls bescheidene Wünsche nach Sommerfrische zu verwirklichen. Für manche Menschen ist Chorgesang, Fussball im Stadion, oder der Abend im Theater unverzichtbar, für andere sind Oktoberfest, Karneval oder das Nachtleben in Clubs, Fixpunkte im Leben, die vorerst ausfallen.

Routinen lassen sich niemals leichter aufbrechen, als dann, wenn in Krisen bestehende, als normal empfundene Abläufe und Optionen ausgesetzt werden. In den Diskussionen tritt immer wieder die Erwartung einer gesellschaftlichen Neuausrichtung nach der Krise hervor – zu mehr Nachhaltigkeit, New Work, einem Wandel der Mobilität, sozialem Ausgleich, gesellschaftlicher Transformation von Arbeit, Produktion und Konsum. Nach einer von aussen hereingebrochenen Ausnahmesituation wird ein neues Normal ausgehandelt, in dem in der Gesellschaft herangewachsene Werte erweiterte Chancen der Verwirklichung sehen.
Armin Nassehi (Muster, Theorie der digitalen Gesellschaft, 2019), Mitglied der Leopoldina und derzeit wohl medienpräsentester Soziologe, äusserte sich in verschiedenen Phasen der Krise. Er erwartet keine grundlegende Änderung der Gesellschaft und verweist auf die Macht der Muster und Routinen (NZZ 22.04): «Ich wundere mich, mit welcher Sicherheit manche einen Epochenwechsel ausrufen», und weiter: «Gesellschaften sind träge, sie ändern sich in und nach Katastrophen nicht grundlegend. Die Routinen werden sehr schnell wiederkommen, wenn diese Krise vorbei oder zumindest leichter beherrschbar ist» Kann man das so stehen lassen? Merken sollte man sich seinen Gedanken, man könne nicht mit der Gesellschaft verhandeln, da sie so sehr von Eigendynamik bestimmt sei, immerhin könne man in ihr (der Gesellschaft) verhandeln.

Von der Initiative D2030 waren 2017 Szenarien zur Entwicklung Deutschlands bis 2030 vorgestellt worden. Bereits zum 13. April  hat man die damaligen Ergebnisse mit einer (Experten-) Befragung (Klick auf die Graphik rechts) abgeklopft: Gelten die acht (incl. der Sub-Szenarien) vor drei Jahren vorgestellten Szenarien mit den bildhaften Bezeichnungen in dieser Form auch nach Corona? Alle Zukunftsprojektionen zu den 33 Schlüsselfaktoren (vgl. Graohik) wurden mit vier möglichen Ausgangsszenarien der Corona- Krise (vgl. Übersicht – nicht zu verwechseln mit den Szenarien zu 2030) abgeglichen und neu bewertet. Von den Ausgangsszenarien  wurde mit 61% ein von einer langen COVID-19-Krise ausgelöster, signifikanter Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft als wahrscheinlichster gehalten.
Trotz der verbreiteten Erwartung eines allgemeinen Wohlstandsrückgangs, fällt so die Aktualisierung überraschend positiv aus. Bisher schien Spurtreue Beschleunigung (mit drei Subkategorien), als die realistischste Perspektive. Jetzt erwarten 73%, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft nach einer womöglich längeren COVID-19-Krise in Richtung der „Neue-Horizonte“- Szenarien entwickeln werden – was vor allem ein Veränderung in Richtung Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsorientierung bedeuten würde.
«Unter den Projektionen, deren Erwartungswert in den letzten drei Jahren deutlich zurückgegangen ist, befinden sich auffallend viele traditionelle Entwicklungen oder solche, die lange als Mainstream galten: Traditionelle Lebensführung und Statusdenken, Liberalisierung und Privatisierung (auch und gerade des Wissenschaftssystems), Ausrichtung am Effizienzdenken, Daten-Legasthenie. Auch Abschottung und Abkehr von Europa haben in den letzten drei Jahren an Erwartungskraft verloren.»
(s. Auswertung der Befragung)
Als neue gesellschaftliche Konfliktlinie deutet sich Neue Horizonte vs Alte Grenzen an.

In einem Whitepaper zum Corona- Effekt  stellt das  Zukunftsinstitut vier Zukunftsszenarien zum Ausgang der Corona- Krise vor. Zumindest die ersten beiden Modelle kann man als ein Scheitern von Gesellschaft verstehen: Die totale Isolation: Alle Gegen alle und der System- Crash als permanenter Krisenmodus. (3) Neo-Tribes: Der Rückzug ins Private enthält  zukunftsfähige  Perspektiven, allerdings nur innerhalb gesellschaftlicher Formationen (so New Work,  Wandel von Mobilität etc.).  Das 4. Szenario Adaption: Die resiliente Gesellschaft ist demgegenüber eine gesamtgesellschaftliche Zielvorstellung: Die Weltgesellschaft lernt aus der Krise und entwickelt resiliente, adaptive Systeme. Gesellschaftliche Tiefenströmungen in Richtung Postwachstum, Wir-Kultur, Glokalisierung und  Post-Individualisierung, die bereits vor der Krise existierten, werden durch die kollektive Corona-Erfahrung von der Nische in den Mainstream katapultiert.
Das vierte Szenario entspricht entspricht in etwa dem, was (oben) bei D2030 unter Neue Horizonte zusammengefasst wird – wenn auch etwas dramatischer   ausgedrückt. (zum download des Whitepaper)

Landkarte der Zukunft nach Klick in voller Auflösung in neuem Fenster (3)

Gleich acht Szenarien  werden in einem Arbeitspapier der ScMI AG (Scenario Management International AG, Paderborn)., beschrieben. Die Initiative D2030 war daran beteiligt.
Die Post-Corona-Szenarien – Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nach der Corona- Krise beruhen auf einem  Online-Szenarioprozess, der nach Kriterien der   Methodik des SzenarioManagement ausgeführt wurde, thematische Breite und inhaltliche Offenheit gewährleistend. Auf der “Landkarte der Zukunft” (li.) sind die Szenarien in einem Koordinatenquadrat dargestellt, das zum einen durch eine Diagonale in jeweils eine Hälfte geringerer bzw. verstärkter  Innovation und Digitalisierung geteilt ist, zum anderen bilden zwei Szenarien im inneren Feld (1 u. 4) eine alte bzw. neue Normalität ab.
Die Szenarien 1, 2, 7 und 8 bilden die eher traditionelle Welten mit geringerer Innovation und digitalem Stillstand ab, von denen höchstens “Die goldenen Zwanziger“, die in etwa der Spurtreuen Beschleunigung entsprechen, eine für manche attraktive Perspektive  bieten:  die Wiederherstellung der alten Mobilitäts- und Konsummuster.  Die Szenarien 7 und 8 kann man, wie ihre Bezeichnungen “die kontinuierliche Krise” und “Zerfall der Ordnung” bereits nahelegen, als gescheiterte/verunglückte Gesellschaften begreifen. Vielleicht steht “Zerfall der Ordnung” für das, was wir derzeit in den den USA und Brasilien sehen.
Die Szenarien 3 bis 6 auf der anderen Seite der Diagonale zeigen Umfelder mit starkem Strukturwandel und einer deutlichen Virtualisierung des Alltags. 3 – De-Globalisierung und Konsumverzicht bedeutet wohl einen Strukturwandel zu Nachhaltigkeit, ist als Verzicht aber wenig attraktiv für Mehrheiten.  In Szenario 6 – In Corporate Hands, wird die Entwicklung zunehmend von global orientierten und agierenden Unternehmen gestaltet, die in ihrer Innovationskraft Staaten und multilateralen Organisationen überlegen sind – und damit auch politische  Macht ausüben.  Zumindest als Einflussfaktor zu beachten.

Übersicht zu den Szenarien – erscheint nach Klick in voller Auflösung in neuem Fenster (5)

Betrachtet man die Gesamtheit der acht Szenarien, bleiben drei (incl. der Goldenen Zwanziger) mit einem realistischen Potential, von denen eines besonders hervortritt: Neue globale Dynamik entspricht den Neuen Horizonten und dem Szenario der Adaption und stellt zweifellos eine vielfach erwünschte Zukunft dar, die auch von fast allen  Beteiligten als solche genannt wird. Und tatsächlich ist es eine Art idealer Projektion, eine Ausarbeitung von Zukunfts-vorstellungen: “Herausforderungen wird mit globaler Verantwortung, vor allem aber auch Offenheit und Neugierde begegnet – Freude an Innovation dominiert und Bildung ist essentiell, ebenso wie hochwertige Informationsangebote (6)”.  Eine entscheidende Leitfrage zu diesem Szenario ist: Wie schaffen wir die Überwindung des lediglich auf die alte Normalität zielenden Krisenmodus und erreichen eine Entwicklung in Richtung breiterer Innovation und signifikantem Strukturwandel?
5 – Massive Virtualisierung ist eine Projektion gelungener globaler Digitalisierung: Es “setzen sich digitale Angebote durch und verändern das Wirtschafts- und Arbeitsleben sowie den Alltag. Damit entsteht ein zunehmend globales Bewusstsein; Technologien und Innovationen werden in multilateralen Kooperationen entwickelt (6). Die Frage bleibt: Wie stark wollen wir Arbeit und Leben virtualisieren, und zu welchem Preis?
(zum download des Arbeitspapiers)

Aktuell fallen Entscheidungen, die die Richtung für zukünftige Entwicklungen bestimmen. So wird etwa bei der Forderung nach  Kaufprämien für Neuwagen die Konfliktlinie zwischen zwei Zielrichtungen deutlich: Hier eine starke Lobby für die Restauration von Mobilitäts- und Konsummustern – dagegen die Befürworter eines Strukturwandels. Darin spiegeln sich die genannten Szenarien sehr deutlich. Die Grundstimmung für einen Strukturwandel in Richtung Nachhaltigkeit, Mobilitätswandel etc. ist weit verbreitet: so gaben in einer adhoc- Umfrage während eines Online- Vortrages von Thomas Piketty 75% der Zuhörer an, einen  Strukturwandel zu erwarten. Zu erwarten war es bei diesem Publikum, doch kann man vermuten, dass ein solcher Strukturwandel mittlerweile mehrheitsfähig ist.

Szenarien sind »Denk-Werkzeuge«, die mögliche Zukunftsverläufe aufzeigen  (ScMI). Grosse Bilder von dem, was wir erwarten können, und sie sollen in sich widerspruchsfrei sein. Die Wirklichkeit ist das oft nicht. Gesellschaft ist nicht planbar und sie folgt auch nicht allein Routinen. Es gibt höchst unterschiedliche Kräfte, die auf sie einwirken und Zukunft ist in ihr aushandelbar.  Die neuen 20er  Jahre werden anders aussehen als noch zum Jahreswechsel erwartet.   

D2030Corona-Stresstest der D2030 SzenarienScMI AG – Post-Corona-Szenarien: Gesellschaft , Wirtschaft und Politik nach der Corona-Krise (Abb. oben:  Landkarte der Zukunft, S. 3, Übersicht zu den Szenarien, S. 5, mit freundl. Erlaubnis).  Das Elend des Kapitalismus: Vierfache Krise mit Luhmann, Piketty und Frank H. Witt #SohntrifftBecker,; Armin Nassehi: Das Virus ändert alles, aber es ändert sich nichts. Die Zeit 4.05.2020. über Corona und Routinen: NZZ 24.04Bernhard Steimel: Ein symmetrischer Schock trifft die Weltwirtschaft.  Nikil Mukerji/Adriano Mannino: Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit. Reclam, Mai 2020; 120 ‚.  6 ,- €   Zukunftsinstitut: Der Corona- Effekt. Vier Zukunftsszenarien…



Corona, PhysicalDistancing und die Digitale Öffentlichkeit

Steht im Mittelpunkt: Das Corona- Virus; Bild: unsplash.com

Fast noch mehr als das Virus selber hat #Corona als Medienthema innerhalb weniger Wochen  die Öffentlichkeit überrollt. Zuerst die Bilder aus dem fernen China, dann aus dem nahen Italien. Bilder von der Abriegelung ganzer Regionen, dann die von überlasteter  medizinischer Versorgung. Schliesslich wurde #Corona/ #Covid-19 zu dem Thema, neben dem alles andere in der öffentlichen Kommunikation verschwindet.
Ansteckende Krankheiten zählten immer zu den Geisseln der Menschheit, waren einer der Apokalyptischen Reiter – und sie leiteten immer wieder gesellschaftliche Veränderungen und Umwälzungen ein. Aber jetzt ist es weniger die Furcht vor der Krankheit selber, sondern die vor den Grenzen der Beherrschbarkeit, konkret der Überlastung der medizinischen Versorgung. Das Risikomanagement ist darauf angelegt, die Verbreitungsgeschwindigkeit, den Anstieg der Kurve, zu verringern,  #flattenthecurve.  Die möglichen Übertragungswege, also die physischen Kontakte, sollen so massiv reduziert werden, dass das Virus durch deren Stillegung eingedämmt wird. Solange kein Impfstoff oder wirksame Medikamente entwickelt sind, kann aber diese Kurve immer wieder anwachsen.
Es begann mit Empfehlungen zur Handhygiene, Absagen von Grossveranstaltungen, von  immer mehr Schliessungen der Gastronomie, von Schulen, Sportstätten – allen Orten, an denen Menschen zusammentreffen,  bis schliesslich zu nie dagewesenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Grundrechten auf Bewegungsfreiheit, dem Lockdown einer ganzen Gesellschaft und Volkswirtschaft unter dem harschen Regime eines #SocialDistancing.  Der politisch durchgesetzte Begriff ist eigentlich falsch – es geht um die  rein physische, nicht die soziale Distanz – #PhysicalDistancing. Gäbe es keine Digitale Öffentlichkeit, wäre es tatsächlich Social Distancing.

#Corona wird zum Top- Thema: Twitter (D) Febr/März 2020

Scenarios und Einschätzungen zum weiteren Verlauf, für die Zeit danach und die Auswirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen gibt es mittlerweile zuhauf und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven  – und sicher geht es auch darum, auf dem Markt der Deutungen Präsenz zu zeigen. Man stellt sich auf für Forschungsprojekte und Beratungsangebote.
Welche gesellschaftlichen Verwerfungen Covid-19 und der Lockdown mit sich bringt, ist längst nicht abzusehen. Da ist die Pandemie selber, dann die Folgen und die Reaktionen auf den Lockout. Die wirtschaftliche Perspektive einer tiefen Rezession, dazu die Bedrohung zahlloser einzelner Existenzen. Was bedeutet es für eine Öffentlichkeit, wenn ihre physischen Schauplätze, Bildungseinrichtungen, Kulturbetriebe, Gastronomie, Läden, oft selbst der Park und Ausflugsziele  auf unbestimmte Zeit geschlossen sind? Wie kann das öffentliche Leben nach einem solchen “Winterschlaf” wieder Fahrt aufnehmen?
Einen Einschnitt bedeutet Corona und der Lockdown wohl überall. Die grosse unbekannte Variable ist ein medizinischer Grosser Wurf, der dem ganzen ein Ende macht.

Home Office wird zur Selbstverständlichkeit; Bild: Gunnar Sohn

Kann es überhaupt eine Situation geben, in der sich digitale Medien mehr bewähren können als unter den Bedingungen einer physischen Kontaktsperre? Nur mit digitalen Medien bleibt eine öffentliche Sphäre erhalten. Der Lockdown, beschleunigt zudem die Durchsetzung digitaler Kommunikation und Organisation in der Arbeitswelt  – Home office/Remote Work ist zunächst die einzige Möglichkeit, einen Workflow aufrecht zu erhalten. Was bis jetzt v.a. bei Soloselbständigen üblich war, wird jetzt vermehrt in Unternehmen und Behörden, sogar Ministerien akzeptiert – weil es die einzige praktikable Lösung ist. Videokonferenzen anstelle von Meetings. Ein gut ausgestattetes Home Office wird zum Standard und dem Fenster zur Welt. Ein Icon des Lockdown ist die Webcam, Zoom die Software der Stunde.

Gerade jetzt kann man drei Stufen digitaler Medien unterscheiden, die zumeist über dieselben Bildschirme übertragen werden: die grossen redaktionellen Sender- zu- Empfänger- Medien, öffentlich- rechtliche Sender und die überregionale Presse, von  ihnen wird gesicherte Berichterstattung und die Darstellung unterschiedlicher Positionen erwartet. Onlineauftritte sind längst nicht mehr ein begleitendes Zusatzangebot, mit den Zugriffen zu Mediatheken, auch Bezahl- Abos, sind sie zumindest gleichwertig zu Sende- und Printausgaben.
Dann die Ebene der Community- Medien, die eine neue Blüte erleben: Live- Schaltungen improvisierter Konzerte und anderer Kulturveranstaltungen, Diskussionen, improvisierte Radio- Programme, Bildungsangebote,  etc. – ein Exil für den vakanten öffentlichen Raum. Dieser Raum organisiert sich stärker nach dem Muster der Tribes – Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen verbinden sich darüber.
Schliesslich  die abgeschlossenere, mehr private Nutzung digitaler Medien wie sie mittlerweile flächendeckend verbreitet ist. Eine Nutzung, die aus der Telephonie herausgewachsen ist: Skype, Whats App und andere Messenger. Auch hier gibt es  Gruppenkommunikation von Menschen gleicher Interessen, – es besteht aber weder Anspruch noch Wille, Öffentlichkeit zu sein.
Von der Macht der Plattformen, die lange im Zentrum der Diskussion stand,  ist derzeit kaum die Rede – sie werden zur Adressierung genutzt.  Live- Streamings, Chats haben dort ihre Andockstellen, gewählt werden die, die beim jeweiligen Publikum am populärsten sind.

Bis jetzt (29.3.) kann man den Lockdown als gesellschaftlichen Konsens betrachten.  Reizthemen und Bruchstellen sind aber erkennbar, spürbar an Begriffen wie Ausgangssperre und der Rigidität der Einschränkungen. Wenn Polizeiwagen durch Wohnviertel patrouil­lie­ren und Bürger dazu aufrufen zu Hause zu bleiben, dann applaudieren manche dem starken Staat, andere beobachten es erstaunt, und für viele ist es einfach provokant und übergriffig. Gerade am Wochenende vor der Verschärfung der Massnahmen waren Social Media, v.a. Twitter, voller Postings mit lautstarken Forderungen zu Ausgangssperren,  geradezu einer Einheitsmeinung – manchmal hatte man den Eindruck konzertierter Propaganda. Gab es denn tatsächlich so viele sog. Corona- Parties (und was für welche), wie sie zur Begründung der Einschränkungen herangezogen wurden?
Eine andere Konfliktlinie wird im Falle Adidas deutlich – wenn von der ganzen Bevölkerung maximale Einschränkungen aus Solidarität eingefordert werden, ein milliardenschwerer Konzern sein Gewinninteresse durchsetzt – weckt es nachhaltige Ressentiments. Grundsätzliche Haltungen zur Gesellschaft  werden deutlich.

Die Verbreitungswege, die Spur der Pandemie, folgt oft den Spuren des  internationalen Tourismus, globalen Geschäftsverbindungen und Events wie Fussballmatches, die Reflexe von Rückholung und Risikomanagement sind dagegen national. Europa kommt kaum vor – Appelle richten sich an nationale Gemeinschaften der Solidarität und des Portemonnaies. Eh man sich umsah, waren Grenzen geschlossen. Was helfen dem auch offene Grenzen, der das Haus nicht verlassen  kann? Vorerst beendet ist die beschleunigte Welt der tausend Optionen, der Blick ist auf engere Fenster gerichtet.

Was auffällt:  Die eigene Gefährdung durch das Virus wird selten thematisiert, die Bedrohung eher statistisch erlebt, sie scheint mehr den Alten und ohnehin schon Kranken zu gelten. Anscheinend sieht sich kaum jemand in der digitalen Öffentlichkeit als Teil der Risikogruppe – und wenn, verlässt man sich auf die >80% mit mildem Verlauf und hofft insgeheim auf die Herdenimmunität.

Vgl. u.a.: Andreas Häckermann: Soziologisches zur Pandemie. Eine Sammlung aktueller Wortmeldungen- Soziopolis – gedankenstrich.org: Coronia- Krise und Soziologie. Blog von Jan- Felix Schrape. Yuval Harari: „Wir werden in einer anderen Welt leben, wenn die Krise vorbei ist“, Handelsblatt, 28.3.; Was die Corona Virus-Krise für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet, Zukunftsinstitut.de.  Sondergutachten 2020: Die Gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona- Pandemie . auf Youtube: Wer #RemoteWork sagt, muss auch #NewWork sagen



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